Königreich Ägypten
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Das Königreich Ägypten (arabisch المملكة المصرية, DMG al-Mamlakat al-Miṣrīya), auch (Neues) Ägyptisches Reich (arabisch الإمبراطورية المصرية الجديدة, DMG al'iimbiraturiat almisriat aljadida) genannt, bezeichnet den Gesamtstaat des Reiches der Muhammad-Ali-Dynastie in Nord- und Ostafrika in seiner letzten Phase im Zeitraum von 1922 bis 1953.
Das Königreich wurde am 28. Februar 1922 vom Vereinigten Königreich Großbritannien und Irland in die staatliche Unabhängigkeit entlassen und entstand mit der Proklamation des bisherigen Sultans Fu'ād I. zum König am 15. März 1922.[1] Vorausgegangen war dem 1919 ein Volksaufstand gegen die Kolonialmacht. Damit war nach über 2000 Jahren mehrerer Fremdherrschaften unter einer monarchischen Staatsform erstmals wieder ein souveräner ägyptischer Nationalstaat entstanden.
Das Königreich Ägypten erstreckte sich über das Territorium der heutigen Republiken Ägypten, Sudan und Südsudan und umfasste zeitweise Teile der Staaten Libyen (Großteil der historischen Region Kyrenaika) und Tschad (Regionen Ennedi und Borkou) und das umstrittene Ilemi-Dreieck (heute von Kenia kontrolliert) und war bislang der größte neuzeitliche Staat Afrikas und zur damaligen Zeit der sechstgrößte Staat der Erde. Mit über 27 Millionen Einwohnern war die Monarchie auch das bevölkerungsreichste Land des Nahen Ostens. Das Land hatte dadurch eine enorme politische und kulturelle Ausstrahlung in der arabischen und islamischen Welt und löste damit quasi das 1922 untergegangene Osmanische Reich, zu welchem das Land nominell bis 1914 gehört hatte, als sunnitische Führungsmacht ab. Drei Jahrzehnte lang beanspruchte das Königreich Ägypten daher politisch, militärisch und wirtschaftlich eine regionale Hegemonie gegenüber den dortigen europäischen Kolonialmächten und den bereits unabhängigen arabisch-islamischen Staaten. In Libyen kämpfte das Reich mit Italien und lokalen Stammesführern und im Sudan mit Großbritannien um die wirtschaftliche und politische Vormachtstellung. Nach dem Zweiten Weltkrieg rang es mit dem Königreich Irak, Iran und der Türkei um die militärische und wirtschaftliche Dominanz in der Region. In der 1945 neugegründeten Arabischen Liga forderte das Reich Saudi-Arabien um die Führungsrolle in der Organisation heraus und rang mit diesem um wirtschaftlichen Einfluss im Königreich Jemen. In Palästina führte die ägyptische Expansionspolitik zu Interessenkonflikten mit den dortigen Nachbarstaaten Jordanien und Syrien.
Während der Zeit des Königreichs war Ägypten wirtschafts- und sozialgeschichtlich durch eine schnelle Industrialisierung und einen gesellschaftlichen Modernisierungskurs geprägt, der unter anderem auf eine radikale Säkularisierung, die weitgehende Gleichstellung der Geschlechter, sowie eine Verbesserung des Lebensstandardes abzielte. Ökonomisch und sozial-strukturell begann sich das Reich ab ca. 1925 vom Agrar- zum ersten Industriestaat Afrikas zu wandeln. Durch den Ausbau des Handels mit Baumwolle und des Bankwesens gewann auch der Dienstleistungssektor an Bedeutung. Das rasante Wirtschaftswachstum wurde durch die Weltwirtschaftskrise und die ihr folgende langjährige Konjunkturkrise zeitweilig gebremst. Trotz erheblicher politischer Folgen änderte dies nichts an der strukturellen Entwicklung hin zum Industriestaat. Diese wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilisierungsphase dauerte von 1922 bis 1939.
Kennzeichnend für den demographischen Wandel in der Monarchie waren ein rapides Bevölkerungswachstum, Binnenwanderung, Urbanisierung und die intensivierte Zuwanderung von europäischen Ausländern. Die Gesellschaftsstruktur wurde durch die Zunahme der städtischen Arbeiterbevölkerung und der Bildung eines neuen Bürgertums aus Technikern, Angestellten sowie kleinen und mittleren Beamten und Militärs wesentlich verändert. Dagegen ging die wirtschaftliche Bedeutung des Handwerks und der Landwirtschaft – bezogen auf deren Beiträge zum Bruttosozialprodukt – eher zurück. Trotzdem konnten die ägyptische und sudanesische Aristokratie ihr hohes Sozialprestige, ihre dominante Rolle beim Militär, in der Diplomatie und der höheren Zivilverwaltung behaupten. Durch den Aufstieg von mehreren Massenverbänden und -parteien und den Ausbau des Radios und Zeitungswesens zu Massenmedien gewann zudem die öffentliche Meinung an Gewicht.
Die innen- und außenpolitische Entwicklung wurde vor allem in den Anfangsjahren von der nationalistischen Wafd-Partei bestimmt. Deren verschiedene Regierungen setzten auf einen relativ liberalen Kurs mit vielen politischen und gesellschaftlichen Reformen. Außenpolitisch versuchte man das Reich durch ein komplexes Bündnissystem mit den Großmächten Italien, Frankreich und Großbritannien abzusichern (z. B. Anglo-Ägyptischer Vertrag von 1936).
Die Phase nach dem Tod von König Fu'ād I. 1936 führte zu einer erheblichen persönlichen Einflussnahme seines Sohnes Faruq auf die Tagespolitik. Auch war seine Regierungszeit von Korruption und einer widersprüchlichen Außenpolitik geprägt, die zwischen einer Anlehnung an die faschistischen Diktaturen in Europa und die westlichen demokratischen Staaten schwankte und am Vorabend des Zweiten Weltkriegs Ägypten letztendlich in die Isolation führte. Auch die wirtschaftliche Situation verschlechterte sich mit der Weltwirtschaftskrise ab 1930 zunehmend. Der danach beginnende Aufstieg der faschistischen Jungägyptischen Partei und der islamistischen Muslimbruderschaft führten zu einer fünfjährigen Diktatur (1930–1935).
1940 wurde Ägypten von Großbritannien besetzt. Das Land war dabei in einen Mehrfrontenkrieg verwickelt und erst 1942 konnten die Truppen des britischen Weltreichs die seit 1940 andauernde Invasion der Achsenmächte abwehren. Die aus dem Krieg resultierende tiefe ökonomische und politische Krise 1946 und der weiterhin beträchtliche britische Einfluss führten zu einem starken Rückhaltverlust der Monarchie in der Bevölkerung und dem Militär.
Der Niedergang und das Ende des Reiches kam im Fahrwasser des Kalten Krieges. In diesem gewann das Königreich zunächst als strategisch bedeutende Macht enormen geopolitischen Einfluss. Als zunächst pro-westlicher blockfreier Staat intervenierte das Land indirekt erfolgreich im Griechischen Bürgerkrieg gegen die dortigen kommunistischen Aufständischen. Mit der Niederlage ägyptisch-arabischer Truppen gegen den neuentstandenen Staat Israel im Palästinakrieg 1948/49 verlor Ägypten seine Machtstellung in der Region und brach 1951 politisch mit dem Westen. Die in der Nachkriegszeit zunehmende Unterdrückung der linksliberalen, kommunistischen und islamistischen Opposition führte zu vielseitigen gesellschaftlichen Spannungen, die in der „Revolution des 23. Juli“ 1952, in der Faruq gestürzt wurde, kulminierten. Die darauffolgende Diktatur des Militärs während der Herrschaftszeit des minderjährigen Fu'ād II. bis 1953 führte zu einer verstärkten Anlehnung an die Sowjetunion und deren Satellitenstaaten und zum Erstarken des arabischen Nationalismus. Am 18. Juni 1953 wurde die jahrhundertealte Monarchie abgeschafft und das Gebiet des Reiches aufgeteilt. Der nördliche Landesteil wurde im gleichen Jahr zur Republik Ägypten, der südliche 1956 zur Republik Sudan. Die beiden nachfolgenden Staaten schafften die Aristokratie ab, verwiesen die Muhammad Ali-Dynastie des Landes und Ägypten führte eine Landreform durch. Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen der nachfolgenden Jahrzehnte (Sechstagekrieg 1967, Erstarken des Islamismus, Diktatur von Husni Mubarak 1983–2011, Militärherrschaft und Sezessionskrieg im Sudan 1969–1985 und 1983–2005) gibt es in den heutigen Nachfolgestaaten eine vielseitig positive Erinnerungskultur zum Königreich Ägypten.
Osmanische Herrschaft und Begründung der Muhammad Ali-Dynastie
Die Wurzeln des Königreichs Ägypten lagen in der Eroberung des Landes durch den osmanischen Sultan Selim I. Danach wurde Ägypten als Eyâlet eine Großprovinz des Osmanischen Reiches. Im 16. Jahrhundert wurde das Land für die Osmanen ein wichtiger Stützpunkt für die Expansion in Nordafrika und Arabien. Die ständige militärische Präsenz der Osmanen hatte tief greifende Einschnitte in die ägyptische Zivilgesellschaft und die bisherigen wirtschaftlichen Institutionen zur Folge.[2] Sie führte zu einer Abschwächung des Wirtschaftssystems.[2] Das Eyâlet Ägypten verarmte danach und erlitt zwischen 1687 und 1731 sechs Hungersnöte.[3] Allein die Hungersnot von 1784 kostete es etwa ein Sechstel der damaligen Bevölkerung ihr Leben.[4]
1798 begann, im Zuge des Zweiten Koalitionskriegs zwischen den europäischen Monarchien und der revolutionären französischen Republik, die Eroberung Ägyptens durch Napoleon Bonaparte. Die ägyptische Expedition endete erst mit der Vertreibung der Franzosen im Jahre 1801 durch die Osmanen. Danach brachen im Land innere Machtkämpfe aus, in denen die Mamluken, Teile der britischen Streitkräfte, die Osmanen und Albaner, die nominell den Osmanen gegenüber loyal waren, um die Macht rangen. Aus diesem Chaos ging der Kommandant der albanischen Regimenter Muhammad Ali Pascha als Sieger hervor. Muhammad Ali wurde im Jahre 1805 von Sultan Selim III. der Titel Wālī (Gouverneur) von Ägypten zuerkannt. Im gleichen Jahr begründete er die gleichnamige Dynastie.[5]
Nach seiner Machtübernahme verlagerte Muhammad Ali Pascha seinen Schwerpunkt auf das Militär. Er erschuf die moderne ägyptische Armee und eroberte in mehreren Kampagnen den Sudan (1820–1824), Syrien (1833), Teile der arabischen Halbinsel, Anatoliens und Griechenlands (siehe Griechische Revolution). Im Jahre 1841 bremsten die führenden europäischen Mächte, in der Befürchtung, das Muhammad Ali das Osmanische Reich stürzen könnte, die territoriale Expansion Ägyptens und zwangen die Provinz die meisten Eroberungen an die Osmanen zurückzugeben. Muhammad Ali wurde aber der Türkisch-Ägyptische Sudan zuerkannt und er durfte weiterhin weitgehend unabhängig regieren. Danach modernisierte er das Land. Er schickte dafür ägyptische und sudanesische Schüler in den Westen, um die neuen Techniken der Großmächte für Ägypten zugänglich zu machen und lud ausländische Ausbildungsmissionen nach Ägypten ein. Er versuchte das Land zu industrialisieren, ließ ein System von Kanälen für die Bewässerung und den Transport errichten und reformierte den öffentlichen Dienst.[5]
1820 begann Ägypten mit dem Export von Baumwolle. Der Anbau wurden von Muhammad Ali unterstützt und gefördert. Dadurch entstand eine Monokultur die Ägypten bis zum Ende des Jahrhunderts prägen sollte. Die sozialen Auswirkungen dieses Projektes waren enorm: Landbesitz wurde eingeengt, viele Ausländer kamen ins Land und es fand eine Verlagerung der Produktion auf internationale Märkte statt.[5]
Im September 1848 übergab Muhammad Ali, der 1849 sterben sollte, das Amt des Wālī an seinen Sohn Ibrahim, dann folgte ihm sein Enkel Abbas I. (im November 1848), dann Said (1854) und Ismail (im Jahre 1863). Abbas regierte Ägypten relativ zurückhaltend, während Said und Ismail ehrgeizige Entwickler waren. Der Suezkanal, der in Partnerschaft mit Frankreich von 1859 bis 1869 gebaut wurde, wurde im November vollendet. Der Bau war aber mit hohen Kosten verbunden.
Britische Herrschaft bis zum Ersten Weltkrieg
Der Bau des Suezkanals hatte mit seinen hohen Kosten zwei Effekte zur Folge: er führte zu einer enormen Staatsverschuldung Ägyptens bei den europäischen Banken und verursachte, wegen der belastenden Besteuerung, Unzufriedenheit in der einheimischen Bevölkerung. Im Jahre 1875 war Ismail gezwungen, Anteile des Kanals an die britische Regierung zu verkaufen. Innerhalb von drei Jahren führte dies zu der Einführung einer britischen und französischen Finanzkontrolle und machte das Land von den drei Großmächten Frankreich, Großbritannien und dem Königreich Italien abhängig. Frankreich und Großbritannien behielten sich zudem das Recht vor, jeweils einen Beamten zur Unterstützung der ägyptischen Regierung zu entsenden.[5]
Die Einflussnahme europäischer Länder auf Ägypten ließ eine islamische und arabisch-nationalistische Opposition entstehen. Die für die Briten gefährlichste Opposition in dieser Zeit bildete aber die ägyptische Armee, die weitgehend von Albanern und den Mamluken dominiert wurde. Das Militär sah vor allem in der Neuausrichtung der wirtschaftlichen Entwicklung eine Bedrohung für seine bisherigen Privilegien.
Eine große militärische Demonstration der Urabi-Bewegung im September 1881 zwang den Khediven Tawfiq zur Entlassung seines Premierministers Riyad Pascha und zum Erlassen von mehreren Notdekreten. Die bereits im Land lebenden Europäer zogen sich in ihre Viertel, wie in Alexandria, zurück und organisierten eine Selbstverteidigung vor nationalistischen Übergriffen.
Die Unruhen führten im April 1882 zur Entsendung von französischen und britischen Kriegsschiffen an die ägyptische Küste. Die Invasion begann aber erst im August, nachdem im Juni die Urabi-Bewegung die Macht in Ägypten übernommen hatte. Sie begann mit der Verstaatlichung aller Vermögenswerte in Ägypten und förderte anti-europäische Gewaltausbrüche und Proteste. In Verbindung mit einer islamischen Revolution in Britisch-Indien entsandten die Briten eine anglo-indisches Expeditionskorps zur Einnahme des Suezkanals. Gleichzeitig landeten in Alexandria französische Kräfte. Die Operation gelang und die die ägyptische Armee wurde in der Schlacht von Tel-el-Kebir im September 1882 geschlagen. Danach übernahm Tawfiq wieder die Kontrolle über das Land.
Das Ziel der Invasion war es gewesen, die politische Stabilität in Ägypten unter einer Regierung der Khediven wiederherzustellen und das Land ausländischen Einflüssen wieder zugänglich zu machen. Jedoch deutete sich bald die dauerhafte Besetzung Ägyptens an. 1883 wurde ein britisches Generalkonsulat für Ägypten geschaffen, dessen erster Konsul Evelyn Baring, 1. Earl of Cromer wurde. Cromer war der Ansicht, dass die politische Stabilität Ägyptens die finanzielle Stabilität benötigen würde und schuf ein Programm der langfristigen Investition in Ägyptens produktiven Ressourcen, vor allem in der Baumwollproduktion, die Hauptstütze der Exporteinnahmen des Landes.
1881 brach im, immer noch zu Ägypten gehörenden, Sudan mit dem Mahdi-Aufstand ein religiöser Aufstand aus. Der aufständische Führer Muhammad Ahmad proklamierte sich zum Mahdi des Landes und eroberte bis 1885 weite Teile des Staates. Mit der Einnahme der Stadt Khartum 1884/1885 und der Ausrufung des Kalifats von Omdurman hatte Ägypten endgültig die Kontrolle über den Sudan verloren.
Im Jahre 1896, während der Herrschaft von Tewfiks Sohn Abbas II., begann eine massive anglo-ägyptische Streitmacht unter dem Kommando von General Herbert Kitchener mit der Wiedereroberung des Sudans.[6] In der Schlacht von Umm Diwaykarat 1899 wurde die ägyptische Herrschaft im Sudan wieder hergestellt.
Im Jahre 1906 führte der Dinschawai-Vorfall zu landesweiten Protesten in Ägypten und zur Bildung neuer nationalistischer politischer Lager, die teilweise durch das Deutsche Reich finanziert und unterstützt wurden. Das Hauptziel Großbritanniens, im frühen 20. Jahrhundert, war es in Ägypten diese Gruppen erneut zu beseitigen. Bis zum Vorabend des Ersten Weltkrieges entwickelte sich Ägypten unter britischer Herrschaft zu einer regionalen Wirtschaftsmacht und zu einem bedeutenden Handelsziel des Nahen Ostens. Einwanderer aus weniger stabilen Teilen der Welt, einschließlich Griechen, Juden und Armenier sowie zahlreiche Briten, Franzosen und Italiener, fingen an, nach Ägypten zu gehen und sich dort niederzulassen. Die Zahl der Ausländer im Land stieg von 10.000 in den 1830er Jahren auf 90.000 in den 1840er Jahren und auf über 1,5 Millionen in den 1880er Jahren.[7]
Entstehung des Sultanates Ägypten
Im Dezember des Jahres 1914, als Folge der Kriegserklärung des Osmanischen Reiches, zu dem Ägypten immer noch nominell gehörte, erklärte Großbritannien ein Protektorat über Ägypten und setzte den bisherigen Khediven Abbas II. ab und ersetzte ihn durch Hussein Kamil, der sich zum ersten ägyptischen Sultan ausrief.
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs war im Nahen Osten das Gebiet des Suezkanals, der für Großbritannien strategisch sehr bedeutend war und die kürzeste Verbindung zu seinen Kolonien war, das Hauptziel der osmanischen Armee. Im Januar 1915 überquerte sie die Sinai-Halbinsel und stieß in Richtung Kanal vor. In der ersten Jahreshälfte von 1916 gelang es den Ägyptern und Briten Teile der Sinai-Halbinsel zurückzuerobern und die Osmanen zurückzuschlagen. Nach der Schlacht von Rafah im Januar 1917 wurden die türkischen Truppen vollständig aus dem Sinai vertrieben.
Als der Krieg endete, begannen Nationalisten erneut die ägyptische Unabhängigkeit von Großbritannien zu fordern. Sie wurden dabei vom US-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson, der die Selbstbestimmung aller Nationen verteidigte, beeinflusst und unterstützt. Im September 1918 unternahm Ägypten mit der Bildung einer eigenen Delegation (von arabisch وفد Wafd) für die Pariser Friedenskonferenz 1919 erste Schritte in Richtung Unabhängigkeit. Die Idee für eine solche Delegation stammte von der Umma-Partei (حزب الأمة, Hizb al-Umma), deren prominente Mitglieder wie Lutfi as Sayyid, Saad Zaghlul, Mohamed Mahmoud Khalil, Ali Sharawi und Abd al Aziz Fahmi die Delegierten sein sollten.
Am 13. November 1918, als Ägypten den Yawm al Jihad (Tag des Kampfes) feierte, wurde Zaghlul, Fahmi und Sharawi eine Audienz beim britischen Hochkommissar für Ägypten Reginald Wingate gewährt. Sie forderten die völlige Unabhängigkeit mit den Maßgaben, dass es Großbritannien erlaubt sei, den Suezkanal zu kontrollieren und die öffentliche Verschuldung des Landes zu überwachen. Sie fragten auch um die Erlaubnis nach London zu gehen, um ihren Forderungen vor die britische Regierung unter David Lloyd George zu bringen. Am selben Tag bildeten die Ägypter eine Delegation zu diesem Zweck. Die Briten verweigerten jedoch der Delegation nach London zu gehen.
Am 8. März 1919 wurden Zaghlul und drei weitere Mitglieder des Wafd festgenommen und am nächsten Tag nach Malta deportiert. Eine Aktion, die die Revolution von 1919 auslöste.
Erster Weltkrieg und Folgen
Die Revolution von 1919, die in Ägypten „erste Revolution“ genannt wird, markierte das Ende der britischen Herrschaft in Ägypten. Am Volksaufstand nahmen Vertreter aller sozialen Schichten (Adelige, Großbürger, Geistliche, Arbeiter und Bauern) teil. Es gab gewalttätige Auseinandersetzungen in Kairo und den Provinzstädten von Unterägypten, vor allem in Tanta, und der Aufstand breitete sich in die Kyrenaika, den Nordosten Tschads, den Sudan und nach Oberägypten aus.
Die Deportation der Wafd-Delegierten löste auch Studentendemonstrationen aus und eskalierte durch Aufrufe zu Streiks durch Studenten, Regierungsbeamte, Fachkräfte, Frauen und Transportarbeiter. Innerhalb einer Woche war die Infrastruktur Ägyptens durch Generalstreiks und Unruhen stillgelegt worden. Eisenbahnstrecken und Telegrafenleitungen wurden unterbrochen, Taxifahrer weigerten sich zu arbeiten, Anwälte erschienen nicht zu Gerichtsverfahren und etc., wobei die Revolution weitgehend von Frauen aus den oberen Gesellschaftsschichten getragen wurde. Sie organisierten Streiks, Demonstrationen und Boykotts der britischen Waren und schrieben Petitionen, die sie an ausländische Botschaften schickten.
Auf die Unruhen reagierten die Briten mit harten Repressionsmaßnahmen, die bis zum Sommer 1919 zum Tod von mehr als 800 Ägyptern, sowie 31 Europäern führten.
Im November 1919 wurde eine Kommission unter der Leitung von Alfred Milner nach Ägypten geschickt, um zu versuchen, die angespannte Situation aufzuklären. Die Zusammenarbeit mit der Kommission wurde aber von den Nationalisten, die eine Fortsetzung des Protektorats, wie sie Großbritannien forderte, ablehnten, boykottiert. Die Ankunft Milners und seiner Berater wurde durch erneute Streiks der Studenten, Juristen, Fachleute und Arbeiter begleitet.
Im Jahr 1920 legte Milner seinem Bericht dem britischen Außenminister George Curzon vor und empfahl ihm das Protektorat abzuschaffen und ein britisch-ägyptisches Militärbündnis zu begründen. Curzon stimmte zu und lud eine ägyptische Delegation unter der Leitung von Saad Zaghlul und Adli Yakan Pascha nach London ein. Die Delegation kam im Juni 1920 in London an und handelte bis zum August 1920 einen Vertrag aus, der Ägypten in die weitgehende Unabhängigkeit von Großbritannien bringen sollte. Im Februar 1921 genehmigte das britische Parlament die Vereinbarung, und Ägypten wurde aufgefordert, eine weitere Delegation nach London zu entsenden, um eine endgültige Vereinbarung zu erreichen. Die zweite Delegation kam im Juni 1921 an und erreichte weitreichende Zugeständnisse der Briten. Ägypten wurden dabei die volle Souveränität über sich und den Sudan garantiert, jedoch behielten die Briten die Kontrolle über den Suezkanal. Teile der Vereinbarung wurden aber später nicht erfüllt.
Kurz vor der geplanten Unabhängigkeitserklärung Ägyptens kam es in Kairo im November und Dezember erneut zu Unruhen, die die Briten nicht mehr unter ihre Kontrolle bringen konnten. Im Dezember 1921 verhängten die britischen Behörden in Kairo das Kriegsrecht und ließen Zaghlul auf die Seychellen verbannen.
Am 28. Februar 1922 wurde Ägypten von Großbritannien, das sich weiterhin als Schutzmacht Ägyptens betrachtete, in der Declaration to Egypt in die weitgehende staatliche Unabhängigkeit entlassen. Der Vertrag wurde von der ägyptischen und der liberalen britischen Regierung von David Lloyd George ratifiziert.
Das geschah unter vier Einschränkungen. Im Land blieben weiterhin britische Truppen zur Landesverteidigung nach außen stationiert. Außerdem behielten die Briten in Ägypten und im gemeinsam verwalteten Sudan weitreichende Interventionsrechte, die die außenpolitische Unabhängigkeit des Landes einschränkten. Ferner zählten dazu Rechte hinsichtlich der Verkehrswege, etwa des Suezkanals und des Nil, und zur Sicherung von Ansprüchen ausländischer Gläubiger. Im Thema ägyptische Außenpolitik wurden eine Reduktion britischer Interventionen sowie die Verringerung der britischen Truppen, des Personals und der Militärbasen im Königreich festgeschrieben. Im Gegenzug verpflichtete sich Ägypten, das britische Weltreich in Krisenzeiten zu unterstützen, die Nutzung des Luftraumes zu Verfügung zu stellen, sowie den Briten die Betreibung von Militärbasen auf ägyptischem Gebiet zu erlauben. Andere politische, wirtschaftliche und kulturelle Provisionen wurden ebenfalls mit aufgenommen.
Der Vertrag stieß bei Teilen von beiden Seiten auf Ablehnung. Einige ägyptische Nationalisten sahen die Unabhängigkeit des Landes als nicht vollendet an. Dennoch gelang den Briten dadurch die Spaltung der ägyptischen Nationalbewegung und die Beruhigung des Landes. In London führte der Vertrag, neben dem Misserfolg in Syrien bei der Unterstützung arabischen Nationalisten gegen die Franzosen, im Oktober 1922 zum Sturz von Lloyd George im Gefolge der Chanakkrise und zur Bildung einer konservativen Regierung unter Andrew Bonar Law, die die ägyptische Unabhängigkeit anerkannte.
Kurz nach der Unabhängigkeitsgewährung proklamierte sich am 15. März 1922 der bisherige Sultan, der Sohn des Khediven Ismail Pascha, Fu'ād I., der in der Bevölkerung hohes Ansehen genoss und populär war, in Kairo zum König von Ägypten. Erster Premierminister der Monarchie wurde Abdel Khalek Sarwat Pascha, der seit dem 16. März 1922 als Regierungschef amtierte. Ägypten war damit, neben Liberia (seit 1847 unabhängig), dem abessinischen Kaiserreich (nie kolonialisiert) und der südafrikanischen Union (seit 1910 unabhängig), der einzige souveräne Staat Afrikas.
Fu'ād I. knüpfte bei seinem Titel „König“ an die Tradition der Pharaonen (hebräisch für „König“) im antiken Ägypten an. Das Land wurde daher auch „neues ägyptisches Reich“ (الإمبراطورية المصرية الجديدة al-imbiraturia al-misriyya al-jadida) bezeichnet. Am 4. November 1922 erlangte es durch die Entdeckung des Grabs von Tutanchamun erneut internationale Aufmerksamkeit.
Im Januar 1924 fanden die ersten Parlamentswahlen statt. Als Siegerin ging mit 87,4 % die neu entstandene Wafd-Partei hervor. Zuvor hatte ein 30-köpfiger Ausschuss aus Vertretern aller Gesellschaftsschichten zusammen mit dem König eine neue Verfassung ausgearbeitet, die am 19. April 1923 in Kraft trat und das Königreich Ägypten zu einer, am monarchischen Prinzip ausgerichteten, föderalen und konstitutionellen Erbmonarchie unter einem parlamentarischen Regierungssystem machte. Die neue Verfassung war vor allem an die Verfassung des Königreichs Belgien von 1831 und teilweise an die Verfassungen von Preußen, Japan, Italien, Großbritannien, der USA und etc. angelehnt. Dem regierenden Monarchen garantierte sie trotzdem weitreichende Kompetenzen. Fu'ād I. hatte ein Vetorecht und machte häufig Gebrauch von seinem Recht, das Parlament aufzulösen. Während seiner Herrschaft konnte kein Parlament seine Legislaturperiode verfassungsgemäß beenden.[8]
Als neue Staatssymbole wurden eine Flagge mit drei weißen Sternen, die für Muslime, Christen und Juden standen und von einem Halbmond umschlossen wurden, gewählt. Als Staatswappen fungierte das Wappen der Muhammad-Ali-Dynastie.
Neue Grenzen, Säkularisierung, Gesellschaftsreformen
Am 26. Januar 1924 wurde Saad Zaghlul vom ägyptischen Parlament zum neuen Premierminister gewählt. Er folgte damit Abdel Fattah Yahya Ibrahim Pascha (im Amt seit dem 15. März 1923). Er setzte auf einen Kurs der Modernisierung und stand im Konflikt mit Großbritannien. Zaghlul forderte von den Briten, die ägyptische Souveränität im Sudan anzuerkennen („Einheit des Niltals“) und wollte die ägyptische Armee vollständig dem britischen Einfluss entziehen.
Am 19. November 1924 wurde in Kairo auf den britischen Generalgouverneur des Sudans und britischen Oberbefehlshaber der ägyptischen Truppen (Sirdar) Lee Stack ein Attentat verübt, der an den Folgen am 20. November starb und pro-ägyptische Unruhen brachen im Sudan aus.[9]
Der Mord führte zu einer Staatskrise in Ägypten und wurde zur ersten Belastungsprobe für den jungen Staat. Als die Briten eine öffentliche Entschuldigung von der ägyptischen Regierung für die Tat, die Zahlung einer hohen Geldstrafe, den Ausbau der Bewässerungssysteme in Gezira zugunsten von europäischen Siedlern und den Abzug aller ägyptischen Offiziere und ägyptischen Armeeeinheiten aus dem Sudan, um angeblich ausländische Investoren schützen zu können, forderten, eskalierte die Krise. Zwar erfüllte die Zaghlul die erste Forderung. Die zweite scheiterte am Widerstand von König Fu'ād I.
Die ägyptischen Truppen sahen sich durch ihren Eid auf den ägyptischen König nicht an die Befehle ihrer britischen Offiziere gebunden und meuterten. Die Briten versuchten die Meuterei gewaltsam niederzuschlagen und entfernten dazu Teile der ägyptische Armee aus dem Sudan und liquidierten einige wichtige ägyptische Beamte aus der Verwaltung. Dennoch gelang erst auf Druck der ägyptischen Regierung die Beruhigung des Aufstandes und das Kondominium blieb de jure rechtlich bestehen, in der Praxis hatte Ägypten aber einen Großteil seines Einflusses auf die Verwaltung des Sudan eingebüßt. Der Aufstand bildete aber, neben dem Mahdi-Aufstand, einen der erfolgreichsten Aufstände der Dritten Welt gegen den Kolonialismus.
In der Zeit nach dem versuchten Umsturz betrachtete die britische Verwaltung die meisten Sudanesen, die teilweise die Revolte unterstützt hatten, als potenzielle Verbreiter von „gefährlichen“ nationalistischen Ideen aus Ägypten. Lee Stacks Nachfolger Geoffrey Francis Archer wurde 1925 zum Generalgouverneur des Sudan ernannt[10] und begann mit der Bildung einer eigenen Sudan Defence Force, die vollständig von der ägyptischen Armee getrennt wurde. Die neue Armee stand unter seiner Befehlsgewalt und umfasste nur pro-britische sudanesische Offiziere, die zuvor in der ägyptischen Armee gedient hatten.[11]
Am 24. November wurde Zaghlul von Fu'ād I., zu Unrecht durch die Briten für das Attentat auf Stack verantwortlich gemacht auf deren Druck hin abgesetzt und durch Ahmed Ziwar Pascha, von der königstreuen Einheitspartei ersetzt. Ziel der Briten war es durch eine Regierung ohne weitere Forderungen nach der Unabhängigkeit die nationalistische Bewegung in Ägypten zu schwächen. Dies setzte die Regierung durch Einschränkungen der politischen Freiheiten durch Gesetzgebung durch.[12]
Ahmed Ziwar Pascha führte den Modernisierungskurs fort und er und seine Nachfolger legten die endgültigen Grenzen des Königreichs Ägypten zu seinen Nachbarstaaten italienisch-Eritrea und Abessinien im Osten, Britisch-Uganda und Kenia im Süden, Belgisch-Kongo, Französisch-Äquatorialafrika und Italienisch-Libyen im Westen, fest.
Im März 1925 wurde auf britische Intervention das Parlament durch den Monarchen aufgelöst um nach dem Wahlsieg der Wafd-Partei Ahmed Ziwar Pascha weiter an der Macht zu halten.[12]
1926 trat Ägypten, trotz breiten Widerstandes bis ins Königshaus hinein und Unruhen in der Bevölkerung, die Kufra-Oasen und mit Teilen der der heutigen libyschen Provinzen al-Kufra, Murzuq und al-Wahat an italienisch-Libyen ab. Die Gebiete wurden aber erst 1931 von italienischen Truppen erobert. Nach einem Vertrag zur endgültigen ägyptisch-libyschen Grenzbereinigung wurde auf Vorschlag Großbritanniens die Kleinstadt al-Dschaghbub mit dem al-Butnan 1926 noch abgetreten. In einem ägyptisch-französischen Grenzabkommen trat Ägypten im gleichen Jahr ein 152,436 km² großes Territorium, das den Norden der heutigen tschadischen Regionen Ennedi und Borkou umfasste, an die Kolonie Französisch-Äquatorialafrika ab.
1934 wurde vom Anglo-Ägyptischen Sudan das Sarra-Dreieck, das die Oase Ma'tan as-Sarra umfasste, abgetrennt und an Libyen angeschlossen. Insgesamt trat die ägyptische Monarchie mit dem Sudan bis 1934 ein Gebiet von der Größe von 855,370 km² an Libyen ab.[13] Dennoch blieb die Landmasse des Reiches mit über 3,5 Millionen Quadratkilometern enorm. Das Königreich war der mit Abstand größte Staat Afrikas, gefolgt von Belgisch-Kongo mit über 2,3 Mio. km², das größte arabische und muslimische Land und 1930 nach der Sowjetunion, der Republik China, den Vereinigten Staaten und Brasilien der viertgrößte zusammenhängende unabhängige Staat weltweit.
Innenpolitisch strebte die regierende Wafd-Partei ab 1925 eine Säkularisierung und, trotz der Bewahrung der Aristokratie, eine Modernisierung der bisherigen Gesellschaftsordnung an. Obwohl in der Verfassung von 1923 der Islam formal Staatsreligion blieb, setzte sich faktisch das Prinzip der Trennung zwischen Staat und religiösen Institutionen durch und das Königreich kann als laizistischer Staat betrachtet werden.[14] Die Wafd-Partei ging noch weiter. Sie leitete eine grundlegende Umwälzung der bisherigen religiösen Strukturen ein. Unter anderem wurde das öffentliche tragen der Burka verboten (jedoch meist toleriert) und eine Neuordnung des ehelichen Scheidungsrechts durchgeführt, wobei den Frauen aber das Wahlrecht trotzdem bis 1956 verwehrt blieb. Für die Wafd-Partei war der seit der Revolution von 1919 andauernde Prozess der Gleichstellung von Mann und Frau weitgehend abgeschlossen. Weitere Reformen waren die Abschaffung des islamischen Kalenders und die Einführung des europäischen gregorianischen Kalenders, was vor allem auf Adli Yakan Pascha und Mustafa an-Nahhas Pascha zurückzuführen war. Auch im ägyptischen Schulsystem gingen die verschiedenen säkularen und teilweise anti-religiösen Regierungen des Wafd auf Konfrontationskurs mit dem Islam.[15] Sämtliche religiöse Einflüsse wurden bis zu Fu'āds I. Tod 1936 aus den Schulen verbannt und der Religions – und Koranunterricht abgeschafft. Die Wafd-Regierungen verwiesen verstärkt ab 1930 zahlreiche Geistliche des Landes, da die Partei sie als Gefahr für die Nation und das Königtum betrachtete und ersetzten 1923 die am Koran orientierte Rechtsprechung der Scharia durch ein bürgerliches Gesetzbuch. Die Rechtsnormen waren dabei nach dem Vorbild des Code civil gestaltet worden. Auch das gesamte Wirtschafts-, Straf- und Zivilrecht, das noch aus osmanischer Zeit stammte, wurde nach westlichen Vorbildern umgestaltet. Es wurden auch das moderne Erbrecht und Familienrecht des Zivilgesetzbuches und das italienische Strafrecht übernommen. Die ägyptischen Regierung orientierte sich dabei an der Türkei unter Mustafa Kemal Atatürk und am scheinbar schnell aufsteigenden Iran unter der Herrschaft des Schahs Reza Schah Pahlavi.
In der Opposition zu den Gesellschaftsreformen stand die Muslimbruderschaft. Sie wurde 1928 von Hasan al-Bannā gegründet und setzte sich für das Ende der Vorherrschaft der Briten in Ägypten und eine Durchdringung aller Lebensaspekte durch die islamische Religionslehre. Die Bruderschaft gewann nach der Weltwirtschaftskrise 1929 zunehmend an Zulauf.[16] Zudem forderte sie die Abschaffung der Aristokratie und das Ende der Monarchie, womit sie im Konflikt mit dem weltlich orientierten ägyptischen Staat stand. Ihr Zulauf blieb daher in den ersten Jahren nach ihrer Gründung begrenzt. Auch inszenierte Boykotte von jüdischen und koptischen Geschäften blieben erfolglos.
Wirtschaftlich bildete sich eine Bewegung aus ägyptischen Landbesitzern und vermögenden Angehörigen der jüdischen und christlichen Minderheiten eine Bewegung zur Industrialisierung des Landes. Ab 1911 propagierte der Unternehmer Talʿat Harb mit der Banque Misr die Gründung einer einheimischen Bank zur Finanzierung von Industrieunternehmen, welche sich 1920 realisierte. 1921 folgte die Gründung einer nationalen Industrievereinigung. Im selben Jahr folgte die eines Syndikats der Baumwollexporte unter Führung des Großgrundbesitzers Yusuf Nahas mit dem Ziel die Preisfluktuationen des Exportguts zu begrenzen.[17]
Wirtschaftsaufschwung, Versagen des liberalen Staates ab 1930, Instabilität
Im Jahr 1929 gewann der Wafd wieder einen klaren Wahlsieg und der Führer der Partei Mustafa an-Nahhas Pascha wurde am 1. Januar 1930 zum zweiten Mal zum Premierminister ernannt.[18]
Während seiner Amtszeit kam es zu Konflikten mit König Fu'ād I., da sich Nahhas Pascha als Verteidiger der verfassungsmäßigen Ordnung betrachtete und bereits 1928 vom Monarchen abgesetzt worden war, als er sich gegen die Suspendierung der Verfassung durch den König aussprach.[19] Er begann auch, die bereits 1924 von der Wafd-Partei versprochene Modernisierung des Landes. Er war für die Neuorganisation der Kairoer Börse, die danach zu den fünf größten Börsen der Welt gehörte, verantwortlich, führte eine Steuer- und Agrarreform durch. Das Hauptanliegen von Nahhas Pascha war aber eine verstärkte Industrialisierung des Landes, um den europäischen Nationen ebenbürtig zu sein. Es entstanden neue Industrieanlagen in Kairo, Alexandria und Gizeh. Die meisten Hafenstädte wie Port Said oder Suez wurden stark ausgebaut und neue Straßen und Eisenbahnstrecken, die teilweise bis in den heutigen Südsudan reichen, errichtet. Auch neue Stromnetze und ein erneuertes Kommunikationssystem wurden gebildet, um das ganze Königreich mit Strom beziehungsweise Informationen zu versorgen. Ägypten war damit der erste Industriestaat Afrikas überhaupt und das modernste Land des Nahen Ostens.
Trotz großer Unterstützung in der Bevölkerung erlitt die Wafd-Partei zwischen 1930 und 1935 auf innen- und außenpolitischer Ebene zwei entschiedene Niederlagen. Die erste war das Versäumnis, sich mit Großbritannien auszusöhnen, das zu ernsthaften Zugeständnissen bereit war. Die Gespräche dazu verliefen zunächst erfolgreich, wurden aber aufgrund von Uneinigkeiten über den umstrittenen Status des Sudans abgebrochen. Zur gleichen Zeit drängte die aufkommende Weltwirtschaftskrise den König, die politische Initiative zu ergreifen. Fu'ād I. löste das Parlament auf und ernannte am 20. Juni 1930 Ismail Sidqi Pascha zum neuen Premierminister. Ismail Sidqi war Parteichef der Hizb ash-Shaab („Volkspartei“), einer monarchistischen Partei, die sich für mehr politische Rechte des Königs einsetzte. Fu'ād I. ließ die Partei gewähren und Sidqi begann mit der Aushöhlung der bisherigen demokratischen Institutionen zugunsten des Königtums.[20] Seine erste Amtshandlung war sein Austritt aus der von ihm gegründeten Partei, die seinen Kurs nicht mittragen wollte. Auch das Parlament weigerte sich, ihn zu unterstützen. Als im Sommer 1933 Sidqi dem damaligen Parlamentspräsidenten Wisa Wasif ein verfassungswidriges Dekret vorlegte, und dieser sich weigerte es zu unterzeichnen, kam es zu Unruhen in den Städten und Dörfern. Zudem hinzu kamen Aufrufe zur Gewalt der Muslimbrüder, die gegen Juden und koptischen Christen hetzten.
Sidqi zerschlug die Revolte mit Polizeigewalt. Im Parlament konnte er durch Bestechung die Mehrheit der Abgeordneten hinter sich bringen. Er verurteilte die führenden Protestler zu hohen Geldstrafen und verbannte sie teilweise in den Sudan. Am 27. Oktober 1930 kündigte er an, eine neue Verfassung aufzusetzen, die die Befugnisse des Königs und der Regierung deutlich erweitern sollte. Er stieß dabei aber auf heftige Kritik in der Presse und die Oppositionsparteien verweigerten ihm jede Form der Zusammenarbeit. Sie boykottierten die Parlamentswahlen von 1931 und es kam erneut zu Gewaltausbrüchen. Sidqi ernannte daraufhin eigenmächtig von ihm ausgesuchte Personen zu neuen Parlamentsabgeordneten.
Ab 1932 radikalisierte sich politisch Sidqi zunehmend und begann mit der Errichtung einer Diktatur. Die Arbeit von oppositionellen politische Parteien und Vereinigungen wurde unter seiner Herrschaft eingeschränkt, eine Pressezensur eingeführt und zahlreiche vermeintliche und tatsächliche Gegner verhaftet oder ermordet. Ab 1933 war Sidqi befugt, Dekrete mit Gesetzeskraft zu erlassen und war formal nur gegenüber dem Monarchen verantwortlich. Während dieser Zeit ließ er auch um sich einen Personenkult betreiben.
Die schleichende Machtübernahme stieß bei Fu'ād I., der von Sidqi faktisch an die Wand gespielt wurde und kein Gewicht im politischen Leben Ägyptens mehr hatte, auf Widerstand. Auch Teile der Regierung unter der Führung des Justizministers Ali Maher Pascha wendeten sich gegen die Diktatur.[21] Im September 1933 wurde Sidqi vom König entlassen und anstelle der Diktatur trat eine autoritär geführte Monarchie.
Wirtschaftskrise, Rückkehr zur Demokratie, Ausgleich mit Großbritannien
Nach dem New Yorker Börsenkrach im Oktober 1929 traf ab 1930 auch Ägypten die Weltwirtschaftskrise. Der Außenhandel ging erheblich zurück und das Land konnte kaum noch Baumwolle exportieren. Auch die Industrieproduktion sank um mehr als 60 %. Es kam zu einer kurzzeitigen Hyperinflation und die Arbeitslosigkeit stieg bis 1935 auf einen Viertel der Bevölkerung an. Besonders für die Bauern war die Situation katastrophal. Die Erzeugerpreise für landwirtschaftliche Produkte fielen von 1929 bis 1933 um 50 %, wodurch die Produktion zurückging und viele Menschen verarmten.
Die starke wirtschaftliche Krise in Ägypten sollte Abdel Fattah Yahya Ibrahim Pascha lösen. Am 22. September 1934 ernannte ihn Fu'ād I. zum neuen Premierminister. Er versuchte in seiner Amtszeit durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und der Regulierung der Finanzmärkte und die Einführung von Sozialversicherungen zu bewältigen. Jedoch blieben die Löhne der ägyptischen Arbeiterschaft niedrig. Es kam daraufhin zu Arbeiterunruhen und die 1921 gegründete ägyptische Kommunistische Partei trat zum ersten Mal als bedeutende politische Kraft hervor. Im November 1934 setzte Fu'ād I. Abdel Fattah Yahya Ibrahim Pascha ab. Neuer Premierminister wurde am 15. November Muhammad Tawfiq Nasim Pascha, der die Maßnahmen seines Vorgängers aber fortführte, anstatt einen neuen Kurs einzuschlagen.
Durch die nationalsozialistische Machtübernahme im Deutschen Reich 1933 kam es auch in Ägypten zu einem Aufkeimen des Faschismus. Bereits seit 1926 bestand die Landesgruppe Ägypten der nationalsozialistischen Auslandsorganisation NSDAP/AO in Ägypten. Da die Gruppe zunächst wenig erfolgreich war, drohte Hitler nach der Machtübergabe erfolgreich mit einem Boykott der ägyptischen Baumwolle. Die ägyptische Regierung nahm daraufhin eine Kehrtwendung ihrer zuvor antinazistischen Politik vor und verurteilte die antideutsche Boykottbewegung im Land. Auch die ägyptische Presse stellte jetzt angesichts der deutschen Drohung die Juden als Zerstörer der ägyptischen Wirtschaft an den Pranger, wobei solche Kampagnen bereits 1936 wieder aufhörten. 1935 eröffneten die Nationalsozialisten in Kairo eine Zweigstelle des Deutschen Nachrichtenbüros als Propaganda- und Nachrichtendienst-Zentrale. Schon drei Jahre später war das Deutsche Reich zum zweitgrößten Importeur für ägyptische Waren aufgestiegen.
Im Oktober 1933 gründete Ahmed Husayn die ultranationalistische Jungägyptische Partei, die die Gründung eines neuen ägyptischen Reiches befürwortete beziehungsweise Ansprüche auf die Grenzen Ägyptens von 1922 erhob.[22] Die Partei verfügte mit den sogenannten Grünhemden über eine paramilitärische Organisation und orientierte sich vorwiegend am Nationalsozialismus mit seinem radikalen Antisemitismus. Sie und die Muslimbrüder erhielten danach immer mehr Zulauf und gewannen an politischem Gewicht. Daraufhin drängten die Wafd-Partei und das ägyptische Parlament Fu'ād I. 1935 zur Außerkraftsetzung der Verfassung von 1930, um angeblich eine weitere Diktatur verhindern zu können. Der König stimmte nach anfänglichem Zögern zu.
Am 30. Januar 1936 wurde Ali Maher Pascha von der Wafd-Partei von Fu'ād I. zum Premierminister ernannt. Am 28. April 1936 starb, nach 14 Jahren Herrschaft und im Alter von 68 Jahren, der König. Sein Nachfolger wurde sein sechzehnjähriger Sohn Faruq. Am 6. Mai kehrte er von seinem Studium in Großbritannien nach Ägypten zurück. Zuerst übernahm ein Regentschaftsrat, bestehend aus Muhammad Ali Tewfik, Adli Yakan Pascha, Tawfiq Nasim Pascha, Aziz Ezzat Pascha und Sherif Sabri Pascha, die Vormundschaft für den jungen König. Am 29. Juli 1937 wurde der Rat aufgelöst und Faruq für regierungsfähig erklärt.
In den Parlamentswahlen vom Mai 1936 gewann die Wafd-Partei wieder die Mehrheit im Parlament und Faruq, der wie sein Vater die demokratische Staatsordnung ablehnte, musste am 6. Mai Mustafa an-Nahhas Pascha zum Premierminister ernennen. Dennoch kam es zu einer gewissen Zusammenarbeit zwischen dem Monarchen und der Regierung. Faruq kündigte zu Beginn seiner Regierungszeit ein umfassendes Reformprogramm an und beauftragte Nahhas Pascha mit der Umsetzung. Die Regierung amnestierte alle Teilnehmer an politischen Protesten, die zwischen 1930 und 1933 verhaftet wurden, gewährte allen Bauern einen finanziellen Kredit und senkte für alle Bürger die Steuern. Außenpolitisch setzte man auf einen Ausgleich mit Großbritannien. Nahhas Pascha nahm mit den Briten wieder Gespräche auf und konnte erfolgreich einen Vertrag aushandeln, der den seit 1924 andauernden Streit zwischen den beiden Nationen beilegte und sie zu Verbündeten machte. Durch den Anglo-Ägyptischen Friedensvertrag vom 26. August 1936 verzichtete Großbritannien auf bestimmte vorbehaltene Rechte in Ägypten und zog seine Truppen schrittweise bis auf die Suezkanalzone zurück, wobei es sich aber das Zugriffsrecht auf das ägyptische Transport- und Kommunikationssystem im Kriegsfall sicherte.[23] Zudem wurde die ägyptische Armee dem Oberbefehl des Königs unterstellt und das bisherige Amt des Sirdar abgeschafft und anstatt ein Hochkommissar ein Botschafter als britische Vertretung nach Ägypten entsandt. Am 14. November 1936 musste Miles Lampson (Hochkommissar) und 1937 Charlton Watson Spinks (Sirdar) ihren Posten räumen und das Königreich Ägypten konnte die britische Herrschaft endgültig abschütteln, wobei der britische Einfluss beträchtlich blieb.[24]
Neue Außenpolitik, Vollbeschäftigung, Vorabend des Zweiten Weltkriegs
Am 26. Mai 1937 trat Ägypten dem Völkerbund bei und orientierte sich außenpolitisch neu. Es kam zu einer Anlehnung an die westlichen Demokratien und erneut zu einem Abrücken vom faschistischen Königreich Italien und dem nationalsozialistischen Deutschen Reich, an die sich Ägypten seit 1933 verstärkt angelehnt hatte. Verantwortlich dafür war Mohamed Mahmoud Khalil, der am 29. Dezember 1937 von Faruq zum neuen Premier ernannt wurde, nachdem Nahhas Pascha fast einem Attentat der jungägyptischen Partei zum Opfer gefallen wäre.[25] Mahmoud pflegte gute Beziehungen zum britischen Königshaus und war ein Unterstützer des ägyptisch-britischen Bündnisses von 1936. Unter seiner Regierung verurteile Ägypten den Anschluss Österreichs 1938 und die vorherige italienische Eroberung Äthiopiens 1935/1936. Mit Italien kam es danach zu Spannungen und zwischen den beiden Ländern flammte wieder ein Konflikt um die endgültige Grenzziehung Ägyptens mit der Kolonie italienisch-Libyen auf. Italien forderte zudem von Ägypten die Auslieferung von Anhängern des gestürzten Freiheitskämpfers Omar Mukhtar, die im Rahmen des Zweiten Italienisch-Libyschen Krieges zwischen 1923 und 1931 ins Land geflohen waren. Die ägyptische Regierung lehnte ab, und Italien errichtete an der Grenze zu Ägypten einen 270 bis 300 km langen und vier Meter breiten Stacheldrahtverhau mit befestigten Kontrollposten.
Der neue Kurs stieß bei einem beträchtlichen Teil der Ägypter auf Ablehnung. Die Wafd-Partei, die sich seit der Ernennung von Mahmoud in der Opposition befand, lehnte ihn ebenfalls ab. Die Regierungspartei liberale Verfassungspartei (حزب الاحرار الدستوريين, Ḥizb al-aḥrār al-dustūriyyīn), die sich vom Wafd abspaltete, wurde danach von Faruq immer mehr unter Druck gesetzt und mäßigte ihren Kurs wieder. So verurteilte Ägypten nicht die deutsch-italienische Intervention im Spanischen Bürgerkrieg und hielt sich bei der Besetzung der Tschechoslowakei 1939 zurück. Dennoch hatte sich Ägypten bei den späteren Achsenmächten als auch bei den westlichen Demokratien, deren Appeasement-Politik (vor allem das Münchner Abkommen 1938) Mahmoud nicht mittragen wollte, außenpolitisch diskreditiert und pflegte nur noch gute Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, was auch eine Beendigung der Wirtschaftskrise in Ägypten ermöglichte. Mahmoud setzte dabei auf wirtschaftsliberale Strukturreformen, und Ägypten erreichte 1937/1938 wieder Vollbeschäftigung. Die liberale Regierung belebte zudem das Modernisierungsprogramm der Wafd-Partei, das 1930 ins Stocken kam und in den Wirren der Diktatur von Ismail Sidqi Pascha abgebrochen wurde, wieder und führte es fort. Der Lebensstandard, insbesondere in Kairo und auf dem Land, stieg danach erheblich an. Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von durchschnittlich 1,300 US-Dollar näherte sich das Land dem europäischen Durchschnitt. Wobei es große Unterschiede zwischen dem Norden und Süden des Landes gab. Im heutigen Südsudan war von der Entwicklung nichts zu spüren, und die Mehrheit der Bevölkerung lebte weiterhin in Armut. In Khartum fand im Auftrag von Faruq hingegen eine umfassende Stadterneuerung statt. Große Teile der Stadt wurden dabei abgerissen und zahlreiche europäische Architekten für die Umgestaltung herangezogen. Auf die internationale Bühne konnte Ägypten am 16. März 1939 wieder zurückkehren. Durch die Heirat von Faruqs Schwester Fausia mit dem iranischen Kronprinzen und späteren Schah Mohammad Reza Pahlavi war eine strategische Allianz Ägyptens mit dem Iran und der Türkei entstanden. Iran lieferte von da an umfassende Rohstoffvorräte (insbesondere Erdöl) an Ägypten, während dessen Beamte beim Aufbau der damals unterentwickelten iranischen Infrastruktur halfen. Die Allianz überstand den Zweiten Weltkrieg und hielt faktisch bis zur Scheidung des Paares am 18. November 1948.
Am 18. August 1939 wurde Mahmoud von Faruq durch Ali Maher Pascha ersetzt, der damit zum zweiten Mal Premierminister wurde. Ali Maher war zwar auch ein Mitglied der Liberalen Verfassungspartei, stand Großbritannien aber kritisch gegenüber und befürwortete eine dauernde Neutralität Ägyptens. Dennoch verurteilte er, wie sein Vorgänger, die nationalsozialistischen Nürnberger Rassengesetze und bot verfolgten deutschen Juden in Ägypten eine neue Heimat an. Aus dem aufkeimenden Nahostkonflikt versuchte er sein Land herauszuhalten.