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polnischer Philosoph, Essayist, Futurologe und Science-Fiction-Autor (1921–2006) Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Stanisław Herman Lem (kurz auch Stanislaw Lem, Aussprache: [12. September 1921 in Lwów, Polen; † 27. März 2006 in Krakau) war ein polnischer Schriftsteller, bekannt vor allem als Science-Fiction-Autor, sowie Philosoph und Essayist. Lems Werke wurden in 57 Sprachen übersetzt und insgesamt mehr als 45 Millionen Mal verkauft. Er gehört zu den meistgelesenen Science-Fiction-Autoren, wobei er sich selbst wegen der Vielschichtigkeit seines Wirkens nicht so bezeichnen mochte. Aufgrund der zahlreichen Wortspiele und Wortschöpfungen gelten seine Werke als schwierig zu übersetzen.
] ; *Lem gilt als brillanter Visionär und Utopist, der zahlreiche komplexe Technologien Jahrzehnte vor ihrer tatsächlichen Entwicklung erdachte. So schrieb er bereits in den 1960er und 1970er Jahren über Themen wie Nanotechnologie, neuronale Netze und virtuelle Realität. Ein wiederkehrendes Thema sind philosophische und ethische Aspekte und Probleme technischer Entwicklungen, wie etwa der künstlichen Intelligenz, menschenähnlicher Roboter oder der Gentechnik. In zahlreichen seiner Werke setzte er Satire und humoristische Mittel ein, wobei er oft hintergründig das auf Technikgläubigkeit und Wissenschaft beruhende menschliche Überlegenheitsdenken als Hybris entlarvte. Einige seiner Werke tragen auch düstere und pessimistische Züge in Bezug auf die langfristige Überlebensfähigkeit der Menschheit. Häufig thematisierte er Kommunikationsversuche von Menschen mit außerirdischen Intelligenzen, die er etwa in einem seiner bekanntesten Romane, Solaris, als großes Scheitern verarbeitete.
In den 2000er Jahren wurde der vielseitig gebildete Lem zum Kritiker des – von ihm teilweise vorhergesagten – Internets und der Informationsgesellschaft, weil diese die Nutzer zu „Informationsnomaden“ machten, die nur „zusammenhangslos von Stimulus zu Stimulus hüpfen“ würden. „Es erweise sich als immer schwieriger, unterschiedliche Quellen und Sichtweisen zusammenzubringen, um ein rundes, vollständiges Wissensbild einer Sache zu erhalten.“[1]
Stanisław Lem kam als Sohn einer polnisch-jüdischen Arztfamilie auf die Welt, sein Vater Samuel Lem war Hals-Nasen-Ohren-Arzt; der Satiriker Marian Hemar war sein Cousin.[2]
Lem hatte eine behütete Kindheit. Er studierte von 1940 bis zur Besetzung Lembergs durch deutsche Truppen 1941 Medizin an der Universität Lemberg. Durch den Zweiten Weltkrieg wurden seine Studien unterbrochen. Lem konnte mit gefälschten Papieren seine jüdische Herkunft verschleiern; der Großteil seiner Familie kam im Holocaust ums Leben.
„Ich hab Hitler gebraucht, um draufzukommen, dass ich jüdisch bin.“
Während des Krieges arbeitete er als Hilfsmechaniker und Schweißer für eine deutsche Firma, die Altmaterial aufarbeitete. Er half dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Als gegen Ende des Krieges Polen durch die Rote Armee von den Nazis befreit wurde und das Land zum Einflussbereich der Sowjetunion gehörte, setzte er sein Studium in Lemberg fort. 1945 musste er, nachdem seine Heimatstadt an die Sowjetunion gefallen war, nach Krakau ziehen.[3]
An der Jagiellonen-Universität in Krakau nahm er sein Medizinstudium zum dritten Mal auf. Hier arbeitete er zwischen 1948 und 1950 am Konserwatorium Naukoznawcze als Forschungsassistent bei Mieczysław Choynowski an Problemen der angewandten Psychologie. Zur gleichen Zeit lernte er den Redakteur des Tygodnik Powszechny Jerzy Turowicz kennen, der neben Choynowski eine prägende Figur wurde. Zu seinem damaligen Freundeskreis gehörte auch Wisława Szymborska. In diese Zeit fielen auch seine ersten literarischen Versuche, und er begann in seiner Freizeit Geschichten zu schreiben, darunter die Theaterstücke Jacht „Paradise“ (mit seinem Freund Roman Husarski) und das erst nach Lems Tod wiedergefundene und 2009 herausgegebene Korzenie. Drrama wieloaktowe, eine antistalinistische Satire. 1948 entstand sein erster Roman Szpital Przemienienia (dt. Die Irrungen des Dr. Stefan T.), der wegen der Zensur erst acht Jahre später erscheinen konnte.[4] Ebenfalls in dieser Zeit lernte er seine künftige Frau Barbara Leśniak – eine Radiologin – kennen, die er 1953 heiratete.[5]
Lem erhielt das Zertifikat, sein Studium vollständig abgeschlossen zu haben. Allerdings weigerte er sich in seinem letzten Examen, Antworten im Sinne des Lyssenkoismus zu geben, weil er diesen ablehnte. Durch diese Weigerung konnte er einem Dasein als Militärarzt entgehen, denn die Prüfer ließen ihn dafür durchfallen.
„Die Armee nahm all meine Freunde, nicht für ein oder zwei Jahre, sondern für immer.“
Da er deswegen aber auch nicht als Arzt praktizieren konnte, arbeitete er in der Forschung und verlegte sich immer mehr aufs Schreiben.
Lem war polyglott: er beherrschte Polnisch, Latein (aus der medizinischen Schule), Deutsch, Französisch, Englisch, Russisch und Ukrainisch.[6] Lem behauptete, dass sein IQ in der Schule mit 180 getestet worden sei.[7]
Lem war bis zu seinem Tod mit Barbara Lem, geb. Leśniak, verheiratet. Sie starb am 27. April 2016.[8] Ihr einziger Sohn, Tomasz, wurde 1968 geboren. Er studierte Physik und Mathematik an der Universität Wien und machte seinen Abschluss in Physik an der Princeton University. Tomasz schrieb eine Biografie über seinen Vater, Awantury na tle powszechnego ciążenia, die zahlreiche persönliche Details über Stanisław Lem enthält. Auf dem Buchumschlag steht, dass Tomasz Lem als Übersetzer arbeitet und eine Tochter, Anna, hat.[9]
1982 zog Lem wegen der Ausrufung des Kriegsrechts in Polen nach West-Berlin um, wo er ein Fellowship am Wissenschaftskolleg zu Berlin antrat und Briefkontakt zu Siegfried Unseld pflegte. Ab 1983 lebte er in Wien. Ab 1984 bestand Lems Schreibmuster darin, kurz vor fünf Uhr morgens aufzustehen und bald darauf mit dem Schreiben zu beginnen, fünf oder sechs Stunden lang, bevor er eine Pause einlegte.[10] 1988 kehrte er nach Polen zurück.
Lem war ein aggressiver Autofahrer. Er liebte Süßigkeiten (vor allem Halva und mit Schokolade überzogenes Marzipan) und gab sie auch dann nicht auf, als er gegen Ende seines Lebens an Diabetes erkrankte. Mitte der 80er Jahre hörte er aufgrund gesundheitlicher Probleme mit dem Rauchen auf.[11]
Stanisław Lem starb am 27. März 2006 im Alter von 84 Jahren an einer Herzerkrankung im Krankenhaus der Medizinischen Hochschule der Jagiellonen-Universität in Krakau.[12] Er wurde auf dem Salwator-Friedhof, Sektor W, Reihe 4, Grab 17 (polnisch: cmentarz Salwatorski, sektor W, rząd 4, grób 17) beigesetzt.[13] Auf der Grabplatte steht:
„FECI QUOD POTUI FACIANT MELIORA POTENTES“
zu Deutsch: Ich habe getan, was ich konnte. Mögen die, die es können, etwas Besseres machen.
1951 wurde sein erster Roman Astronauci (dt. Der Planet des Todes, auch als Die Astronauten bekannt) veröffentlicht. Sein erstgeschriebener Roman Der Mensch vom Mars von 1946 erschien in Buchform erst 1989. Seinen ersten literarischen Durchbruch schaffte er 1956 mit der Veröffentlichung von Obłok Magellana (dt. Gast im Weltraum). In den darauffolgenden Jahren schrieb er seine wichtigsten Science-Fiction-Romane, darunter Sterntagebücher, Eden, Solaris, Kyberiade. Anfang der 1960er Jahre entstand auch sein wichtigstes nicht-fiktionales Werk, Summa technologiae, über dessen Inhalt er u. a. mit Leszek Kołakowski öffentlich diskutierte (bis dieser 1968 das Land verlassen musste).
1982, nachdem in Polen das Kriegsrecht verhängt worden war, verließ Stanisław Lem sein Heimatland vorübergehend und arbeitete in West-Berlin am Wissenschaftskolleg. Ein Jahr später ging er nach Wien, wo sein Sohn Tomasz die American International School besuchte.[15] In Berlin und Wien schrieb Lem u. a. Der Schnupfen, Der Flop und Fiasko, seinen letzten Roman. In dieser Zeit verschlechterte sich sein Gesundheitszustand deutlich; u. a. trat ein bereits einige Jahre vorher in Polen operierter gutartiger Prostata-Tumor erneut auf. Lem kehrte erst 1988 im Zuge der politischen Veränderungen nach Polen zurück.
Zu seinem engsten Freundeskreis gehörten Jan Józef Szczepański, Jan Błoński, Sławomir Mrożek und Jerzy Wróblewski, später auch Władysław Bartoszewski; auch zu seinem Englisch-Übersetzer Michael Kandel sowie zu seinen Vertretern in Österreich (Franz Rottensteiner), West-Deutschland (Wolfgang Thadewald) und Litauen (Virgilijus Juozas Čepaitis) hatte er ein enges Verhältnis. Mit all diesen Menschen korrespondierte er regelmäßig und ausgiebig. Er kannte persönlich u. a. Wisława Szymborska und Karol Wojtyła.
Stanisław Lem war Mitglied des polnischen Schriftstellerverbandes, des P.E.N.-Clubs und, seit 1972, des Komitees Polen 2000, das unter der Federführung der polnischen Akademie der Wissenschaften steht. Seit 1994 war er Mitglied der PAU (Polska Akademia Umiejętności, deutsch: „Polnische Akademie der Gelehrsamkeit“).
Durch seine utopischen Werke erwarb sich Lem den Ruf, einer der größten Schriftsteller in der Geschichte der SF-Literatur zu sein. Seine Kurzgeschichten, Romane und Essays zeichnen sich insbesondere durch überbordenden Ideenreichtum und fantasievolle sprachliche Neuschöpfungen aus, wobei auch die Kritik an der Machbarkeit und dem Verstehen der technischen Entwicklung im Kontext philosophischer Diskurse immer wieder ein zentraler Bestandteil seiner Werke ist.
„Verlage, die mich in einer mit Science-fiction etikettierten Schublade eingeschlossen haben, taten dies hauptsächlich aus merkantilen und kommerziellen Gründen, denn ich war ein hausbackener und heimwerkelnder Philosoph, der die künftigen technischen Werke der menschlichen Zivilisation vorauszuerkennen versuchte, bis an die Grenzen des von mir genannten Begriffshorizontes.“
Lems (selbst)ironische Einstellung zum Science-Fiction-Genre wird im Einleitungssatz der Kurzgeschichte „Pirx erzählt“ deutlich, in der der Ich-Erzähler sagt: „Utopische Bücher? Doch, die mag ich, aber nur schlechte.“[16]
Als seine Lieblingsschriftsteller nannte Lem Fjodor Michailowitsch Dostojewski, Rainer Maria Rilke, Franz Kafka sowie die Brüder Arkadi und Boris Strugazki. In den 1970er Jahren rief er eine Reihe von Veröffentlichungen ins Polnische übersetzter SF-Klassiker beim Wydawnictwo Literackie ins Leben (Stanisław Lem poleca, dt. Stanisław Lem empfiehlt), darunter Ursula K. Le Guin und Philip K. Dick. Mit Letzterem korrespondierte er in dieser Zeit.
Eine der Hauptpersonen in Lems Werk ist Ijon Tichy (abgeleitet von Cichy, polnisch für: „Der Stille“). Er ist die Hauptfigur in Sterntagebücher und einigen weiteren Romanen (Der futurologische Kongress, Lokaltermin und Frieden auf Erden bzw. Der Flop). Er ist eine Art Weltraum-Münchhausen, der irrwitzige Abenteuer auf fremden Welten erlebt. Im Zusammenhang mit Tichy tritt in einigen Geschichten auch sein Freund Professor Tarantoga auf. Unter anderem ist er es, der Tichy zum Futurologischen Kongress schickt.
Der Pilot Pirx erscheint in einer Gruppe von Erzählungen (unter anderen Test, Die Jagd und Terminus, gesammelt in Pilot Pirx) und in dem Roman Fiasko. Er stellt eine eher ernsthafte Figur dar, hat aber auch einige für den Leser amüsante Erlebnisse. Pirx kommt spätestens in Fiasko, einem der letzten Romane Lems, ums Leben – wobei der Leser nicht mit Sicherheit erfährt, ob er es ist, der wiederbelebt wird, oder Parvis, ein anderer Pilot, der ebenfalls in Birnhams Wald auf dem Titan verunglückt war.
In der Kyberiade – einer Sammlung von Kurzgeschichten – tauchen diese beiden Roboterwesen als Konstrukteure auf. Lem baut hier bewusst eine humoristische Grundstimmung mit märchenhaften Untertönen auf, um seine Gedankenexperimente frei von technischen und physischen Restriktionen durchspielen zu können. So retten Trurl und Klapauzius beispielsweise das Universum, nachdem sie es mit einer ihrer Erfindungen fast vernichtet hätten. Sie beenden Kriege und schaffen neue Welten.
Im Jahr 2013 wurde der nach ihm benannte polnische Forschungssatellit Lem im Rahmen des internationalen BRITE-Projekts mit einer russisch-ukrainischen Dnepr-Trägerrakete in eine Erdumlaufbahn transportiert. Im deutschsprachigen Raum ist ihm der Stanisław-Lem-Weg in Halle-Neustadt gewidmet.
Der polnische Sejm erklärte 2021 zum Stanisław-Lem-Jahr.[23] Die Widmung wird zwischen Lem, Stefan Wyszyński, Cyprian Norwid, Krzysztof Kamil Baczyński, Tadeusz Różewicz, sowie der Verfassung vom 3. Mai aufgeteilt. Im gleichen Jahr sollte mit The Invincible das erste Lem-Videospiel erscheinen.[24]
In Darmstadt fand von Oktober 2016 bis März 2017 das Komet Lem Festival statt.[25] Das vom Philosophischen Institut der TU Darmstadt, dem Deutschen Polen-Institut und dem Staatstheater ausgerichtete Festival widmete sich Stanisław Lem mit diversen Veranstaltungen wie Lesungen, Theaterstücken und Filmaufführungen, auch musikalische Interpretationen der Werke Lems wurden aufgeführt. Die Ausstellung Lems Tierleben nach Mróz bestand aus Zeichnungen des Illustrators Daniel Mróz rund um Lems Welten.[26]
J. Doyne Farmer bezeichnete Lem ob seiner Verdienste als „Poet Laureate des Künstlichen Lebens“.[27]
1973 wurde Lem die Ehrenmitgliedschaft der Science Fiction and Fantasy Writers of America (SFWA) verliehen. Diese wurde ihm 1976 wieder entzogen. Den Entzug hatten verschiedene amerikanische SF-Autoren, darunter Philip José Farmer, gefordert. Sie waren einerseits über Lems ablehnende Haltung gegenüber einem großen Teil der westlichen Science Fiction empört, andererseits waren unter ihnen laut Ursula K. LeGuin „kalte Krieger“, die fanden, dass ein Mann, der hinter dem Eisernen Vorhang lebe und sich über amerikanische SF unverschämt äußere, ein Commie (Kommunist) sein müsse, der in der SFWA nichts zu suchen habe.[28] LeGuin trat danach aus Protest aus der SFWA aus.[28] Ein weiteres Argument für den Entzug der Ehrenmitgliedschaft war technischer Natur; die Ehrenmitgliedschaft sollte nicht an Autoren verliehen werden, die als zahlendes Mitglied in Frage kamen. Dieses Argument brachte laut seinem Biographen Lawrence Sutin Philip K. Dick vor, der Lem für Schwierigkeiten bei den Honorarzahlungen für die polnische Ausgabe seines Romans Ubik verantwortlich machte, um es ihm, so Sutin, „mit gleicher Münze heimzuzahlen“.[29] Ähnliches berichtete auf Basis von erhaltener Korrespondenz zwischen Lem und Dick Lems Biograf, Wojciech Orliński.[30] Dick hatte sich jedoch dafür ausgesprochen, Lem als zahlendes Mitglied zuzulassen.[31] Eine solche Mitgliedschaft wurde Lem dann auch angeboten, er lehnte sie jedoch ab.[32]
Die Jahreszahlen geben das Ersterscheinungsdatum an. Einige von Stanisław Lems Werken erschienen aufgrund der seinerzeitigen politischen Verhältnisse in Polen zuerst nur in Übersetzung. Es gibt für eine Reihe von Werken zwei deutsche Übersetzungen (und oft auch Titelübersetzungen), einmal in der DDR (Volk und Welt), einmal in der Bundesrepublik Deutschland (Suhrkamp bzw. Insel Verlag).
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