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Thorner Blutgericht

Hinrichtung des Bürgermeisters und mehrerer Bürger der Stadt Thorn Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Thorner Blutgericht
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Das Thorner Blutgericht war die Hinrichtung von zehn Bürgern in Thorn in Polnisch Preußen am 9. Dezember 1724 nach vorangegangenen Ausschreitungen gegen das dortige Jesuitenkloster (Thorner Tumult).

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Zeitgenössische Darstellung der Exekutionen des Thorner Blutgerichts

Vorgeschichte

Zusammenfassung
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Thorn war mit seiner meist deutschen Bevölkerung seit 1557 größtenteils protestantisch (zumeist lutherisch). Noch während des 16. Jahrhunderts hatte unter den letzten beiden Jagiellonenkönigen, Sigismund I. und Sigismund II. August, im Königreich Polen beziehungsweise in Polen-Litauen (ab 1569) durchaus ein vergleichsweise hohes Maß an religiöser Toleranz vorgeherrscht[1] und das Königreich Polen galt auch als ein Land „ohne Scheiterhaufen“.[2]

In 1573 wurde Konföderation von Warschau abgeschlossen und wird als der Beginn der durch das Staatsrecht gesicherten Religionsfreiheit in Polen-Litauen betrachtet. In der Folge garantierte sie den konfessionellen Randgruppen, den sogenannten Dissidenten, die nicht der dominierenden katholischen Staatsreligion folgten, religiöse Toleranz, Bürgerrecht und politische Gleichstellung.

Unter König Stephan Báthory und seinem Nachfolger Sigismund III. Wasa jedoch setzte die Gegenreformation in Polen-Litauen ein. Mit der Gründung des Jesuitenklosters mit Gymnasium 1593 sollte der katholische Einfluss in der Stadt gestärkt werden. Im Verlauf der folgenden Jahrzehnte wurden der konfessionelle und der politische Druck von Seiten des polnischen Staates erhöht. Eine polnische Garnison, die Krongarde, kam in die Stadt und legte ihr drückende Lasten auf. Es kam wiederholt zu Konflikten zwischen der protestantischen Bevölkerung und katholischen Gymnasiasten. Zu den Maßnahmen der Gegenreformation kam im Verlauf des 17. Jahrhunderts und des frühen 18. Jahrhunderts noch der Umstand hinzu, dass Polen-Litauen sowohl im Zweiten Nordischen Krieg (1655 bis 1660) als auch im Großen Nordischen Krieg (1700 bis 1721) von (protestantischen) schwedischen Truppen zeitweise besetzt und systematisch ausgeplündert worden war – diese brutalen Besatzungszeiten wurden auch als die „Kriege der Sintflut“ beziehungsweise als die „schwedische Sintflut“ (polnisch potop szwedzki) bezeichnet.[3] Die Ressentiments in der Bevölkerung gegenüber dem Protestantismus wurden hierdurch entsprechend befeuert.

Diese Ereignisse bewirkten zudem, dass sich im Laufe der Gegenreformation und der sukzessiven Kriege eine stark national geprägte Auffassung vom Katholizismus in Polen formte[4] und dass der polnische Katholizismus „etwas Eiferndes“ bekam.[5] Eine direkte Auswirkung hiervon war, dass der überwiegende Teil des polnischen Adels, der im 16. Jahrhundert durchaus mit dem Protestantismus sympathisiert hatte, im Verlauf des 17. Jahrhunderts wieder mehrheitlich zum Katholizismus zurückkehrte (Ausnahmen gab es in Litauen), während sich der Protestantismus vor allem unter der deutschstämmigen Stadtbevölkerung in Westpreußen weitestgehend halten konnte.[6]

Im Verlauf des frühen 18. Jahrhunderts nahmen die konfessionellen Spannungen und der staatliche Druck auf die Protestanten deutlich zu, so fanden 1713 erste Enteignungen von protestantischen Kirchen statt und im Jahr 1716 wurde im sogenannten Warschauer Pazifikationstraktat (ein Abkommen, das die Revolte der Konföderation von Tarnogród beendete) ein Artikel mit aufgenommen, welcher allen nach 1632 in Polen-Litauen gebauten protestantischen Kirchen die Rechtsgrundlage entzog und der ihre Schließung verlangte.[7]

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Thorner Tumult

Während der Fronleichnamsprozession kam es am 16. Juli 1724 zu Handgreiflichkeiten zwischen nicht zur Thorner Bürgerschaft gehörenden katholischen Gymnasiasten und Thorner Bürgern.[8] Im Verlauf der Auseinandersetzung wurde ein Schüler des Jesuitenklosters von der Stadtwache verhaftet, ferner wurde in der Folge davon ein protestantischer Gymnasiast in die Jesuitenschule verschleppt und dort festgehalten. Eine aufgebrachte Menschenmenge versammelte sich vor der Schule und verließ den Platz auch nach der Freilassung des Jungen nicht. Alle Versuche einer Befriedung der Situation scheiterten, so dass die Menge schließlich am 17. Juli 1724 in die Schule und das Kloster eindrang und beide Institutionen verwüstete, wobei es auch zur Zerstörung von Heiligenbildnissen gekommen sein soll.[A 1]

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Prozess

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König August der Starke, Gemälde von Louis de Silvestre

Unter Missachtung der hergebrachten Rechte der Stadt erfolgte die Bereinigung des Konfliktes nicht in Thorn. Stattdessen wurden die Vorfälle auf Initiative der Jesuiten von einer königlichen Kommission ausführlich untersucht. Am 30. Oktober wurden durch das königliche Assessorialgericht in Warschau die Bürgermeister Johann Gottfried Rösner und Jakob Heinrich Zernecke sowie zwölf weitere Bürger zum Tode verurteilt.[9] Die Marienkirche als letzte protestantische Kirche wurde katholisch und dem neuen Bernhardinerkloster übergeben. Die Hälfte der Ratsherren- und Schöppensitze sollten künftig von katholischen Bürgern besetzt werden, das evangelische Gymnasium wurde aufgelöst.

Es kam zu Protesten und Petitionen, auch des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I., da die Wegnahme der Marienkirche den Bestimmungen des Friedens von Oliva widersprach.[10]

Hinrichtungen

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Johannes Gottfried Roesner, Kupferstich 1727

Den Verurteilten wurde ein Übertritt zum katholischen Bekenntnis angeboten, um der Vollstreckung zu entgehen. Einige konvertierten, Jakob Heinrich Zernecke wurde ohne Übertritt begnadigt.[11]

Am 9. Dezember 1724 wurden Johann Gottfried Rösner und neun weitere Bürger durch das Schwert enthauptet. Polnische Truppen unter dem Kommando von Jerzy Dominik Lubomirski sicherten die Hinrichtung ab. Noch am Tag der Hinrichtung wurde in der Marienkirche die erste katholische Messe festlich gefeiert.

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Nachwirkungen

Die Hinrichtungen erregten europaweit Aufsehen und fanden ihren Niederschlag in über 165 Flugschriften und hunderten von Zeitungsartikeln. Der stärkste Protest kam aus dem benachbarten Königreich Preußen. König Friedrich Wilhelm I. war sehr aufgebracht. Großbritannien entsandte einen Sondergesandten an den Reichstag in Regensburg und den Warschauer Hof. Die Ereignisse in Thorn beeinträchtigten das Bild Polens in Europa erheblich. Noch bei der späteren Teilung Polens prangerte Voltaire unter Hinweis auf die Ereignisse von 1724 die religiöse Intoleranz der Polen an.[12]

Die Ratsmehrheit in Thorn blieb protestantisch, auch das evangelische Gymnasium konnte nach einem Jahr wieder eröffnet werden.

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In der Kunst

Das Thorner Blutgericht hat zu zahlreichen literarischen Bearbeitungen angeregt. Zu nennen sind:

  • Ewald Hering: Das betrübte Thorn. Erzählung aus dem Anfange des vorigen Jahrhunderts. 1826.
  • Adolf Prowe: Das Thorner Blutgericht. Eine Erzählung, 1866.
  • Ernst Wichert:
  1. Der Bürgermeister von Thorn. Roman, 1891.
  2. Die Thorner Tragödie. Roman, 190.
  • Fritz Schawaller: Das Blutgericht zu Thorn. Ein Drama in 4 Aufzügen, 1905.
  • Julius Pederzani-Weber: Das Thorner Blutgericht. Erzählung, um 1910.
  • Karl Hans Strobl: Der dunkle Strom. Roman, 1922.
  • Arnold Krieger: Empörung in Thorn. Weichseldeutscher Roman, 1939.

Eingang fand es auch in Gustav Freytags Roman Die Ahnen, 1872.

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Gedenktag

Die Evangelische Kirche in Deutschland erinnert mit einem Gedenktag im Evangelischen Namenkalender am 7. Dezember an die Opfer des Thorner Blutgerichts.[13]

Siehe auch

  • Franz Georg Jauch, 1724 Capitaine des Infanterie-Regiments Garde des Königs und Kompaniechef in der Festung Thorn

Literatur

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Forschungsliteratur

  • Maria Adamiak: Toruń in der deutschen Literatur in der Zeit von 1793 bis 1920. Diss., Univ. Toruń 1980.
  • Maria Adamiak: Die Geschichte von Thorn in deutschen literarischen Werken (1793–1920). In: Acta Universitatis Nicolai Copernici, Filologia Germańska 7 (1981), S. 31–42.
  • Stanisław Salmonowicz: The Toruń Uproar of 1724. In: Acta Poloniae Historica 47 (1983), S. 55–79.
  • Maria Adamiak: Die Stadt Thorn und ihre Geschichte in der deutschen Literatur zwischen 1793 und 1920. In: Studia Historica Slavo-Germanica 13 (1984), S. 97–110.
  • Stefan Hartmann: Die Polenpolitik König Friedrich Wilhelms I. von Preußen zur Zeit des „Thorner Blutgerichts“ (1724–1725). In: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Neue Folge 5 (1995), S. 31–58
  • Martina Thomsen: „Das Betrübte Thorn“. Daniel Ernst Jablonski und der Thorner Tumult von 1724. In: Joachim Bahlcke, Werner Korthaase (Hrsg.): Daniel Ernst Jablonski (1660–1741). Hofprediger, Akademiepräsident, Frühaufklärer. Studien zu Leben, Werk und Wirken. Wiesbaden 2008 (Jabloniana. Quellen und Forschungen zur europäischen Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit 1), S. 1–24
  • Martina Thomsen: Der Thorner Tumult 1724 als Gegenstand des deutsch-polnischen Nationalitätenkonflikts. Zur Kontroverse zwischen Franz Jacobi und Stanisław Kujot Ende des 19. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 57 (2009), S. 293–314

Zeitgenössische Quellen

  • Johann Theodor Jablonski: Das Betrübte Thorn, Oder die Geschichte so sich zu Thorn Von Dem 11. Jul. 1724. biß auf gegenwärtige Zeit zugetragen : Aus zuverläßigen Nachrichten Unverfänglich zusammen getragen, und der Recht- und Wahrheit-liebenden Welt zur Beurtheilung mitgetheilet. Haude, Berlin 1725 (Digitalisat BSB, Digitalisat).
  • Authentische Nachricht von der zu Thoren erregten und nach Erfordernissen der Gerechtigkeit gestrafften Aufruhr ... Regensburg 1725 (Google Buch).
  • Wahrhafftige Historische Nachricht von dem am 16. Jul. 1724 zu Thorn in Preussen paßirten Tumult des gemeinen Volcks … Jena 1724. (Digitalisat).
  • Extraordinaire Gespräche In Dem Reiche derer Todten… Zwischen Dem Thornischen Ober-Praesidenten Roessner … Und Dem Stamm-Vater, auch Stiffter Des Jesuiten Ordens, Ignatio von Loyola ... 1725 (Digitalisat).
  • Johann Theodor Jablonski: Thornische Denckwürdigkeiten, Worinnen die im Jahr Christi 1724 und vorhergehenden Zeiten verunglückte Stadt Thorn Im Königl. Pohlnischen Hertzogthum Preussen Von einer unpartheyischen Feder gründlich vorgestellet wird. Haude, Berlin 1726 (Digitalisat).
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Anmerkungen

  1. Ob dies tatsächlich geschehen ist oder aber seitens der Jesuiten nur behauptet wurde, ist umstritten. Zumindest wurden die Todesurteile später auch mit diesen Zerstörungen zumindest teilweise rechtfertigt. Salmonowicz verweist in diesem Kontext darauf, dass auch in den deutschen Landen zu jener Zeit die Todesstrafe bei der Schändung von Heiligenbildnissen verhängt werden konnte. Vgl. hierzu: Stanisław Salmonowicz: The Toruń Uproar of 1724. In: Acta Poloniae Historica 47 (1983), S. 64.
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Einzelnachweise

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