Französische Revolution
Revolution in Frankreich Ende des 18. Jahrhunderts / aus Wikipedia, der freien encyclopedia
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Die Französische Revolution von 1789 bis 1799 gehört zu den folgenreichsten Ereignissen der neuzeitlichen europäischen Geschichte. Die Abschaffung des feudal-absolutistischen Ständestaats sowie die Propagierung und Umsetzung grundlegender Werte und Ideen der Aufklärung als Ziele der Französischen Revolution – das betrifft insbesondere die Menschenrechte – waren mitursächlich für tiefgreifende macht- und gesellschaftspolitische Veränderungen in ganz Europa und haben das moderne Demokratieverständnis entscheidend beeinflusst. Als zweite unter den Atlantischen Revolutionen erhielt sie ihrerseits orientierende Impulse aus dem amerikanischen Unabhängigkeitskampf. Die heutige Französische Republik als liberal-demokratischer Verfassungsstaat westlicher Prägung stützt ihr Selbstverständnis unmittelbar auf die Errungenschaften der Französischen Revolution.
Die revolutionäre Umgestaltung und die Entwicklung der französischen Gesellschaft zur Nation war ein Prozess, bei dem in der Geschichtsschreibung drei Phasen unterschieden werden:
- Die erste Phase (1789–1791) stand im Zeichen des Kampfes für bürgerliche Freiheitsrechte und für die Schaffung einer konstitutionellen Monarchie.
- Die zweite Phase (1792–1794) führte angesichts der inneren wie äußeren gegenrevolutionären Bedrohung zur Errichtung einer Republik mit radikaldemokratischen Zügen und zur Ausbildung einer Revolutionsregierung, die mit Mitteln des Terrors und der Guillotine alle „Feinde der Revolution“ verfolgte.
- In der dritten Phase, der Direktorialzeit von 1795 bis 1799, behauptete eine von besitzbürgerlichen Interessen bestimmte politische Führung die Macht nur mühsam gegen Volksinitiativen für soziale Gleichheit einerseits und gegen monarchistische Restaurationsbestrebungen andererseits.
Ausschlaggebender Ordnungs- und Machtfaktor wurde in dieser Lage zunehmend das in den Revolutionskriegen entstandene Bürgerheer, dem Napoleon Bonaparte seinen Aufstieg und den Rückhalt bei der Verwirklichung seiner sich über Frankreich hinaus erstreckenden politischen Ambitionen verdankte.
Als ein Gründungsereignis, das so tief wie kaum ein anderes die Geschichte der Moderne geprägt habe, wird die Französische Revolution in einer neueren Überblicksdarstellung bezeichnet.[1] Nicht nur im Bewusstsein der Franzosen hat diese Revolution eine enorme Bedeutung. Mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 wurden auf dem europäischen Kontinent jene Prinzipien bekräftigt und gegen absolutistische Monarchien in Stellung gebracht, die in der Unabhängigkeitserklärung der nordamerikanischen Kolonisten angelegt waren und die heutzutage von den Vereinten Nationen weltweit propagiert und eingefordert werden.
Für Staaten mit schriftlich fixierter Verfassung und entsprechenden Bürgerrechtsgarantien hat die dreiphasige Revolution gleich mehrere Modelle hervorgebracht, die jeweils abweichende Akzente hinsichtlich Freiheit, Gleichheit und Vermögensdifferenzierung (etwa beim Wahlrecht) aufwiesen. Zeitgenossen des Revolutionsgeschehens meinten schon bald nach dem 14. Juli 1789 (Sturm auf die Bastille): „Wir haben in drei Tagen den Raum von drei Jahrhunderten durchquert.“[2] Dem schloss sich ein sozialer und politisch-kultureller Umbruch an, in dem für politische Fraktionen wie auch teils für benachteiligte Bevölkerungsschichten wie die Sansculotten durch gedruckte Medien Öffentlichkeiten geschaffen wurden, die mitbestimmend wurden auch für das politische Geschehen im nachfolgenden 19. Jahrhundert.[3] Der revolutionäre Prozess wurde laut Johannes Willms fortlaufend von widerstreitenden Interessen und Kräften angetrieben. „Sie alle suchten Antworten auf Entwicklungen, die von der schieren Dynamik der Abläufe freigesetzt wurden.“ Es habe sich ausnahmslos um neue Herausforderungen gehandelt, „die nach Lösungen verlangten, für die es kein Vorbild gab.“[4]
In wirtschaftlicher Hinsicht wurden durch die Abschaffung ständischer Privilegien sowie der Zünfte und Gilden die Unternehmensfreiheit und das Leistungsprinzip gefördert. Kulturell bewirkte die Französische Revolution eine weitgehende Auflösung des überkommenen Bündnisses von Kirche und Staat, indem der Laizismus den Religionslehren die Grenzen aufzeigte. Über Frankreich und den europäischen Kontinent hinaus regte das Revolutionsgeschehen neue revolutionäre Bewegungen an, die sich teils in Übereinstimmung mit der Entwicklung in Frankreich sahen, sich teils aber auch in Abgrenzung dazu formierten. Dabei waren es auch Vertreter benachteiligter sozialer Schichten, die die Losungen von Freiheit und Demokratie ihren eigenen Bedürfnissen entsprechend auffassten und umzusetzen suchten: im atlantischen Raum nicht zuletzt Sklaven, Mulatten und Indios.[5]
Als Erfahrungs- und Forschungsobjekt für die Wechselwirkungen von Innen- und Außenpolitik wie von Krieg und Bürgerkrieg, als ein Beispiel für Gefährdungen und Labilität einer demokratischen Ordnung wie für die Eigendynamik revolutionärer Prozesse bleibt die Französische Revolution auch künftig ein ergiebiges Studienfeld.
Bei der Vielzahl der Ursachen, die im Zusammenhang mit der Französischen Revolution in der Geschichtsforschung diskutiert werden, kann zwischen kurzfristig-akut wirksamen und längerfristig-latenten unterschieden werden. Zu den letzteren werden z. B. sozioökonomische Strukturveränderungen wie der in Entwicklung befindliche Kapitalismus gezählt, der mitsamt der sich seiner bedienenden Bourgeoisie durch das feudalabsolutistische Ancien Régime in seiner Entfaltung eingeengt war. Der Wandel des politischen Bewusstseins, der mit der Aufklärung vor allem im Bürgertum Rückhalt fand, konnte so gesehen von diesem als Instrument zur Durchsetzung eigener wirtschaftlicher Interessen genutzt werden. Für die konkrete Entstehung der revolutionären Ausgangssituation des Jahres 1789 waren aber vor allem die in aktueller Zuspitzung wirksamen Faktoren ausschlaggebend: die Finanznot der Krone, die Opposition des Amtsadels (und damit zusammenhängend die Reformunfähigkeit des Landes, weil der Adel nötige Reformen blockierte) sowie die teuerungsbedingte Brotnot speziell in Paris.
Finanznöte als Dauerproblem
Als der Generalkontrolleur der Finanzen Jacques Necker 1781 erstmals die Zahlen des französischen Staatsbudgets (französisch Compte rendu) veröffentlichte, war dies gemeint als Befreiungsschlag zur Herstellung allgemeiner Reformbereitschaft in einer ansonsten ausweglosen Finanzkrise. Seine Amtsvorgänger hatten da bereits vergebliche Anläufe zur Stabilisierung der Staatsfinanzen unternommen. Neckers Zahlenwerk schockierte: Einnahmen von 503 Millionen Livres (Pfund) standen Ausgaben von 620 Millionen gegenüber, wovon allein die Hälfte auf Zins und Tilgung für die enorme Staatsverschuldung entfiel. Weitere 25 % verschlang das Militär, 19 % die Zivilverwaltung und ca. 6 % die königliche Hofhaltung. Dass für höfische Feste und Pensionszahlungen an Höflinge eine Summe von 36 Millionen Livres (5,81 % der gesamten Staatsausgaben) anfiel, wurde als besonders skandalös angesehen.[6]
Zu dem Schuldenberg erheblich beigetragen hatte auch die Beteiligung der französischen Krone am Unabhängigkeitskrieg der amerikanischen Kolonisten gegen das britische Mutterland. Zwar war die beabsichtigte Niederlage und machtpolitische Schwächung des Handels- und Kolonialmacht-Rivalen eingetreten, aber der Preis für das Regime Ludwigs XVI. war ein doppelter: Nicht nur wurden die Staatsfinanzen dadurch zusätzlich enorm belastet, sondern die aktive Beteiligung französischer Militärs an den Befreiungskämpfen der amerikanischen Kolonisten und die Beachtung von deren Anliegen in der meinungsbildenden französischen Öffentlichkeit schwächten die Position der absolutistischen Herrschaft auch auf ideologischer Ebene nachhaltig.
Reformblockade der Privilegierten
Wie alle Amtskollegen vor und nach ihm stieß Necker mit seinen Plänen zur Verbesserung der Staatseinnahmen auf energischen Widerstand, der einen bereits geschwächten monarchischen Absolutismus schließlich zu Konsequenzen zwang. Das Einnahmen- und Verwaltungssystem des Ancien Régime war trotz zentralistischer Tendenzen, wie sie vor allem von den Intendanten als königlichen Verwaltungsbeauftragten in den Provinzen verkörpert wurden, uneinheitlich und zum Teil ineffektiv (vgl. Historische Provinzen Frankreichs). Neben solchen Provinzen, in denen die Besteuerung unmittelbar durch königliche Beamte geregelt werden konnte (pays d’Élection), gab es andere, wo die Zustimmung der Provinzialstände für Steuergesetze nötig war (pays d’État). Von direkten Steuern ausgenommen waren dabei die ersten Stände, Adel und Klerus. Die Hauptsteuerlast trugen die Bauern, die zusätzlich Abgaben an Grundherrn und Kirchensteuern aufzubringen hatten. Für die Steuereintreibung waren Steuerpächter zuständig, die gegen einen an die Krone abzuführenden Festbetrag die Abgaben bei den Steuerpflichtigen erhoben und dabei Überschüsse für sich behalten konnten – eine gleichsam institutionalisierte Einladung zum Missbrauch. Die Haupteinnahmen wurden bei der Salzsteuer (Gabelle) erzielt, die dafür nach zahlreichen Erhöhungen besonders verhasst war.
Von ausschlaggebender Bedeutung als Reformbremse waren schließlich die Obersten Gerichtshöfe (Parlements), die den von der monarchischen Regierung erlassenen Gesetzen durch Einregistrierung Gültigkeit verleihen, Einwände erheben oder ihnen die Zustimmung verweigern konnten. Die Parlamente waren eine Domäne des Amtsadels (Noblesse de robe). Innerhalb ihres Standes waren die Amtsadligen Emporkömmlinge, die sich zumeist durch Ämterkauf den Adelsstatus erworben hatten. Bei der Wahrung ihrer Privilegien und Interessen waren sie aber nicht weniger engagiert als der alteingesessene Schwertadel (noblesse d’épée). Die in den Parlamenten praktizierte zunehmende Verweigerungshaltung gegenüber Steuergesetzen der Krone fand Rückhalt auch im Volk. Nachdem alle Einschüchterungsversuche des Hofes erfolglos geblieben waren und auch die Initiative Ludwigs XVI. gescheitert war, die Privilegierten in einer 1787 und 1788 eigens zusammengerufenen Notabelnversammlung auf seinen Kurs zu verpflichten, versuchte die Regierung, die Privilegien der Parlamente zu beschneiden. Es kam daraufhin zu einer breiten Solidarisierung mit den Parlamentsangehörigen. Diese gipfelte in Unruhen, die in Grenoble am „Tag der Ziegel“ Verlauf und Forderungen der späteren Revolution in mancher Hinsicht vorausnahmen. Letztlich kam der König an der Wiedereinberufung der seit 1614 ausgesetzten Generalstände nicht mehr vorbei, wollte er die Krise der Staatsfinanzen nicht weiter eskalieren lassen.
Aufklärerisches Denken und Politisierung
Nicht nur auf einem zentralen Feld praktischer Politik und im institutionellen Bereich wies der vorrevolutionäre französische Absolutismus Schwächen auf. Aufklärerisches politisches Denken stellte auch seine Legitimationsgrundlage in Frage und eröffnete neue Optionen der Herrschaftsorganisation. Aus der französischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts ragen zwei Denker wegen ihrer besonderen Bedeutung für unterschiedliche Phasen der Französischen Revolution hervor: Montesquieus Modell einer Gewaltenteilung zwischen gesetzgebender, ausführender und richterlicher Gewalt kam im Laufe der ersten Revolutionsphase zur Anwendung, die in die Schaffung einer konstitutionellen Monarchie mündete.
Für die radikaldemokratische zweite Revolutionsphase hat Rousseau wichtige Impulse geliefert, unter anderem, indem er das Eigentum als Ursache der Ungleichheit zwischen den Menschen ansah und Gesetze kritisierte, die ungerechte Besitzverhältnisse schützten. Er propagierte die Unterordnung des Einzelnen unter den allgemeinen Willen (Volonté générale), sah von einer Gewaltenteilung ab und die Richterwahl durch das Volk vor. Verbreitung fand aufklärerisches Denken im 18. Jahrhundert zunehmend in Debattierclubs und Freimaurerlogen sowie durch Lesezirkel, Salons und Kaffeehäuser, die im geselligen Rahmen zur Lektüre und Diskussion der Lesefrüchte anregten. Auch der Meinungsaustausch zu aktuellen politischen Fragen hatte hier zwanglos-selbstverständlich seinen Ort. Hauptnutzer waren bildungsbürgerliche Schichten und Berufsstände, wie z. B. Juristen, Ärzte, Lehrer und Professoren.
Ein breitenwirksames Produkt und Kompendium aufklärerischen Denkens stellte die von Denis Diderot und Jean Baptiste le Rond d’Alembert herausgegebene Encyclopédie dar, die erstmals zwischen 1751 und 1772 erschien. Sie wurde – in mehrere Sprachen übertragen – zu dem Aufklärungslexikon schlechthin für die europäische Bildungswelt des 18. Jahrhunderts: „Verpackt zwischen vielen Bildtafeln und Artikeln über Technik, Handwerk und Gewerbe standen die geisteswissenschaftlichen Artikel, die die modernen Ideen vertraten und Sprengstoff enthielten, um mehr als ein Ancien Régime zu unterminieren.“[7]
Teuerung als sozialer Treibsatz
Der Großteil der Bevölkerung im Ancien Régime war an Aufklärungsdenken und Politisierung wenig interessiert, am Brotpreis umso mehr. Die Bauern, die vier Fünftel der Bevölkerung stellten, hatten 1788 infolge der Kleinen Eiszeit eine schlimme Missernte erlitten und danach einen harten Winter durchlebt. Die klimatischen Extrema dieser Dekade könnten auch durch den Vulkanausbruch vom 8. Juni 1783 auf Island verstärkt worden sein. Während es den Bauern am Nötigsten fehlte, sahen sie die Speicher der weltlichen und geistlichen Grundherren, denen sie Abgaben zu entrichten hatten, noch gut gefüllt. Es kam zu Protesten und Forderungen nach Verkauf zu einem „gerechten Preis“, als die Getreidepreise stark gestiegen waren. Auch die kleinen Leute in den Städten wurden von den Preissteigerungen der Lebensmittel hart getroffen. Zur Jahresmitte 1789 war Brot teurer als zu jedem anderen Zeitpunkt des 18. Jahrhunderts in Frankreich und kostete das Dreifache des Preises der besseren Jahre. Handwerker in Städten mussten etwa die Hälfte ihres Einkommens allein für die Brotversorgung ausgeben. Jede Preissteigerung wirkte existenzbedrohend und ließ die Nachfrage nach anderen Gütern des täglichen Bedarfs sinken. „Nun erreichten Unzufriedenheit und Erregung auch diejenigen, die von der öffentlichen Auseinandersetzung um die Finanzmisere und die Funktionsunfähigkeit des Staates noch nicht unmittelbar erreicht und mobilisiert worden waren. Die wirtschaftliche Not, die infolge der Teuerung und Unterproduktion die städtischen Konsumenten und dann auch Handel und Gewerbe betraf, brachte die ‚Massen’ auf die politische Bühne.“[8]
Im allgemeinen Bewusstsein ist 1789 das am engsten mit der Französischen Revolution verknüpfte Jahr, nicht nur, weil es den Beginn eines großen politischen und sozialen Umwälzungsprozesses markiert, sondern auch, weil in diesem Jahr die maßgeblichen Voraussetzungen für das Bewusstsein der nationalen Zusammengehörigkeit aller Franzosen geschaffen wurden. Möglich war dies auch wegen der Mehrgleisigkeit des revolutionären Geschehens, das nach und nach die gesamte Bevölkerung in seinen Bann schlug und bei dem drei Komponenten zusammen- und ineinanderwirkten: die Wendung der Volksvertreter gegen die absolutistische Monarchie, die Erhebung der städtischen Bevölkerung gegen die überkommenen Herrschafts- und Verwaltungsorgane und die Revolte der Bauern gegen das ländliche Feudalregime. Ohne die mit je besonderen Motiven verbundenen Volksaktionen wären die aufklärerisch inspirierten, zu Reformen entschlossenen Vertreter des Bildungs- und Besitzbürgertums mit ihren politischen Vorstellungen 1789 kaum weit gekommen.
Von den Generalständen zur Nationalversammlung
Zur Einberufung der Generalstände war es durch die Blockadehaltung und auf Druck der Privilegierten in Parlamenten und Provinzialständen gekommen. Positive Erwartungen daran knüpften aber vor allem die Mitglieder des Dritten Standes, die mehr als 95 % der Bevölkerung ausmachten. In den Beschwerdeheften, die bei solcher Gelegenheit traditionell verfasst und den Abgeordneten zur Versammlung mitgegeben wurden, forderten die Bauern Erleichterungen bei den Abgaben und Sonderrechten, die ihre Grundherren beanspruchten, während die von aufklärerischen Vorstellungen bestimmten Teile des Bürgertums bereits auf die Umgestaltung der Monarchie nach englischem Vorbild zielten. Als gemeinsames Anliegen wurde die Forderung formuliert, dass der Dritte Stand in den Generalständen eine Aufwertung gegenüber Klerus und Adel erfahren müsste. Noch bei ihrer letzten Zusammenkunft 1614 war jeder der drei Stände mit etwa 300 Köpfen vertreten, wobei das Votum jedes Standes einheitlich abgegeben werden musste, was letztlich auf eine 2:1-Entscheidung für die privilegierten Stände hinauslief.
Ludwig XVI. reagierte auf die Forderungen taktierend: Dem Dritten Stand wurde zwar die Verdoppelung der Abgeordnetenzahl zugestanden, der Abstimmungsmodus in den Generalständen blieb aber offen. Das Eröffnungszeremoniell am 5. Mai 1789 in Versailles verhieß nichts Gutes: Die beiden ersten Stände kamen in großer Festgarderobe auf reservierten Plätzen zu sitzen; die Abgeordneten des Dritten Standes, denen einfacher schwarzer Anzug vorgeschrieben war, mussten selbst sehen, wie sie sich platzierten. In den Ansprachen gab es von Seiten des Hofes noch immer keinen Hinweis auf die Geschäftsordnung. Mehr als ein Monat verging danach mit ergebnislosen Debatten, da die privilegierten Stände mehrheitlich auf dem alten Tagungs- und Abstimmungsmodus beharrten: getrennte Beratung der Stände, je einheitliche Stimmabgabe pro Stand.
Doch vor allem beim volksnahen niederen Klerus, den Dorf- und Gemeindepfarrern, begann die Front massiv zu bröckeln, als sich seit dem 12. Juni einige dem Dritten Stand anschlossen und dessen Beratungen zu folgen begannen. Von da an überstürzten sich die Ereignisse. Auf Antrag des Abbé Sieyès, der die überragende Rolle des Dritten Standes schon vordem wirksam propagiert hatte, erklärten dessen Vertreter sich am 17. Juni zu Repräsentanten von mindestens 96 % der französischen Bevölkerung, gaben sich den Namen Nationalversammlung und forderten beide anderen Stände auf, sich ihnen anzuschließen. Diesem Aufruf folgte der Klerus am 19. Juni mit knapper Mehrheit, während der Adel bis auf 80 seiner Vertreter die Unterstützung des Königs zur Erhaltung der alten Ordnung suchte.
Ludwig XVI. beraumte für den 23. Juni eine königliche Sitzung an und sperrte bis dahin den Sitzungssaal. Die nunmehr entschlossenen Deputierten organisierten aber am 20. Juni ein Treffen im Ballhaus, bei dem sie schworen, sich nicht zu trennen, bevor eine neue Verfassung geschaffen wäre. Sie widerstanden, aufgerührt von Mirabeau, dann auch allen Drohungen des Königs in der Sitzung vom 23. Juni. Bailly als gewählter Präsident der Versammlung verweigerte dem die Auflösungsorder überbringenden Zeremonienmeister den Gehorsam mit dem markanten Ausspruch, dass die versammelte Nation von niemandem Befehle entgegenzunehmen habe. Dem Gebrauch von Waffengewalt gegen den Dritten Stand stellten sich auch einige Adlige in den Weg. Als der Herzog von Orléans, Cousin des Königs, sich mit einer ganzen Reihe weiterer Adliger auf die Seite der Nationalversammlung stellte, gab Ludwig XVI. am 27. Juni nach und befahl nunmehr seinerseits beiden privilegierten Ständen die Mitwirkung.
Vom Sturm auf die Bastille zum Kampf gegen die Feudalherrschaft
Die politischen Erfolge des Dritten Standes waren einstweilen vorläufige, denn zeitgleich mit seinem Nachgeben hatte der König Truppen nach Paris beordert, die die Öffentlichkeit beunruhigten und das Volk – zumal angesichts des wie nie zuvor teuren Brotes – eine nochmalige Verschlechterung der Nahrungsmittelversorgung fürchten ließen. Als der beim Dritten Stand als sein Interessenwahrer bei Hofe relativ angesehene Finanzminister Necker am 11. Juli vom König entlassen wurde, galt dies der Pariser Bevölkerung als unheilvolles Signal. Der Rechtsanwalt Camille Desmoulins trat als Wortführer des Volkszorns hervor: „Die Entlassung Neckers ist die Sturmglocke zu einer Bartholomäusnacht der Patrioten! Die Bataillone der Schweizer und Deutschen werden uns noch heute den Garaus machen. Nur ein Ausweg bleibt uns: zu den Waffen zu greifen!“[9] Zahlreiche Stadtzollhäuser wurden spontan zerstört, die königlichen Zolleinnehmer verjagt.
Angesichts der aufgeheizten Stimmung formierten die unterdessen in die königliche Pariser Stadtverwaltung integrierten Wahlmänner des Dritten Standes am 13. Juli eine Bürgermiliz als ordnendes Element, die spätere Nationalgarde. Das Volk aber drängte zur Bewaffnung. Nach Plünderung eines Waffenlagers zog man am 14. Juli zur Bastille, um dort zusätzlich Waffen und Pulver zu beschaffen. Hier fanden sich weitere Aufstandsbereite zu gemeinsamer Aktion gegen dies Negativsymbol der absolutistischen Herrschaft ein, eine etwa 5000-köpfige Menge insgesamt. Das Stadtgefängnis beherbergte zu diesem Zeitpunkt allerdings nur sieben Gefangene ohne politischen Hintergrund.
Der nur mit kleiner Besatzung operierende Bastille-Kommandant Launay ließ die Menge ungehindert in die Vorhöfe eindringen, dann aber unter Feuer nehmen. 98 Tote und 73 Verwundete hatten die Belagerer am Ende des Tages zu beklagen. Als die erregte Menge die Stadtverwaltung unter Druck setzte, wurden mit Hilfe von Militärs vier Kanonen vor der Bastille in Stellung gebracht; Launay kapitulierte. Die über die heruntergelassenen Brücken einströmenden Massen, denen die vorherige Beschießung als Verrat galt, töteten drei Soldaten und drei Offiziere; Launay wurde erst weggeschleift, dann umgebracht, sein Kopf ebenso wie der des Vorstehers der königlichen Stadtverwaltung Flesselles auf Piken gespießt und zur Schau gestellt.
Die Spitzen des Ancien Régime reagierten schockiert-defensiv. Die Pariser Truppen wurden zurückgezogen und der Nationalversammlung Anerkennung und Schutz zugesichert. An die Spitze der Pariser Verwaltung trat als Bürgermeister nun Bailly; Befehlshaber der Nationalgarde wurde der vom Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg mitgeprägte liberale Marquis de La Fayette. Ähnlich umgestaltet wurden in der Folge auch die Stadtverwaltungen in den Provinzen Frankreichs (munizipale Revolution). Am 17. Juli morgens verließ der Graf von Artois, Bruder des Königs, als erster Emigrant das Land, während sich Ludwig XVI. unter Druck des Volkes nach Paris begab und zum Zeichen der Billigung des Geschehenen sich die blau-weiß-rote Kokarde[10] an den Hut steckte.
„Bis zum 14. Juli war so gut wie nicht von den Bauern die Rede gewesen“, so der Historiker Lefèbvre; doch ohne ihre Unterstützung, meint er, wäre die Revolution schwerlich gelungen.[11] Der bäuerliche Eigenbesitz an Grund und Boden machte gegenüber dem von Adel, Klerus und Bürgertum etwa 30 Prozent aus. Leibeigene gab es nur noch in einzelnen Regionen. Der Anteil der landlosen Bauern, die Abgaben an den Grundherrn zu entrichten hatten, schwankte regional zwischen 30 und 75 Prozent. „Im allgemeinen stand dem Besitzer die Hälfte vom Viehzuwachs und der Ernte zu, aber er setzte immer häufiger alle möglichen anderen Abgaben durch…“[12] Vielfach wurden im Laufe des 18. Jahrhunderts von den adligen und bürgerlichen Grundherren Rechte wieder geltend gemacht und in die Grundbücher eingetragen, die teilweise bereits in Vergessenheit geraten waren. Eine neuere Deutung dieses häufig als „feudale Reaktion“ bezeichneten Phänomens lautet: „Der Kapitalismus drang überall durch die Ritzen der alten Ordnung und bediente sich ihrer Möglichkeiten.“[13]
Missernten und Teuerung trafen viele kleinbäuerliche Existenzen, deren Produktion zur Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln nicht ausreichte, doppelt, da die Teuerung auch die bäuerlichen Zuverdienstmöglichkeiten in der Stadt minderte. „Im Frühjahr 1789 tauchten überall organisierte Bettlerbanden auf, die von Hof zu Hof zogen, bei Tag und bei Nacht, und mit heftigen Drohungen auftraten.“[14] Im Reizklima der Wahlen zu den Generalständen und in Reaktion auf die Ereignisse in Versailles und Paris entwickelte sich auf dem Lande die sogenannte „Große Furcht“ (Grande Peur) vor dem „aristokratischen Komplott“, das für alle misshelligen Entwicklungen und Umtriebe verantwortlich gemacht wurde und in vielerlei bloßen Gerüchten zusätzlich Gestalt annahm. Das Phänomen der Grande Peur herrschte zwischen Mitte Juli und Anfang August 1789, erfasste für drei Wochen nahezu ganz Frankreich und begleitete die massiven bäuerlichen Angriffe auf Schlösser und Klöster, die vom 17./18. Juli an geplündert und in Brand gesteckt wurden mit dem Ziel, die Archive mit den Urkunden über die Herrenrechte zu vernichten und den Verzicht der Grundherren auf ihre feudalen Rechte zu erzwingen.[15]
Ende der Ständegesellschaft, Erklärung der Menschenrechte und Triumphzug der Pariser Frauen
Die Heftigkeit und das Ausgreifen der Revolution auf dem Lande alarmierten auch Hof und Nationalversammlung in Versailles. Letztere war infolge der Ereignisse des 14. Juli zur allein maßgeblichen politischen Autorität geworden, von der die Neuordnung der Verhältnisse erwartet wurde. Nun geriet sie unter Zugzwang: Die bis dahin bereits kontrovers diskutierte Frage, ob eine Menschenrechtserklärung schon vor Abschluss der Verfassungsberatungen verkündet werden sollte, wurde plötzlich akut.
Etwa 100 Abgeordnete des Dritten Standes, die sich zu gemeinsamen Beratungen im Bretonischen Klub zusammengefunden hatten, bereiteten einen Überrumpelungscoup in der Versammlung vor, mit dem der hinhaltende Widerstand der privilegierten Stände, die auf wieder etwas günstigere Zeiten zur Wahrung ihrer Besitzstände hofften, ausgehebelt werden sollte. Das Manöver gelang mit Unterstützung von liberalen Adligen, die in der Nachtsitzung vom 4./5. August 1789 mit großer Geste als Vorreiter des Verzichts agierten. Dieser betraf alle an die Person gebundenen Dienste, Hand- und Spanndienste, die grundherrliche Gerichtsbarkeit, den privilegierten Ämterzugang, die Abschaffung des Ämterkaufs und des Kirchenzehnten, dazu Vorrechte wie das der Jagd und der Taubenhaltung. Die Leibeigenschaft, die Steuerbefreiung der privilegierten Stände sowie alle Sonderrechte der Provinzen und Städte wurden aufgehoben: „In wenigen Stunden hatte die Versammlung die Einheit der Nation vor dem Recht hergestellt, hatte grundsätzlich mit dem Feudalsystem und der Herrschaft der Aristokratie auf dem Lande aufgeräumt, hatte das Element ihres Reichtums, das sie vom Bürgertum unterschied, beseitigt und die Finanz-, Justiz- und Kirchenreform jedenfalls eingeleitet.“[16] Es war das Ende des ständestaatlich organisierten Ancien Régime.
Der in Windeseile sich verbreitende und die Revolution auf dem Lande nahezu schlagartig beendende Eingangssatz des die Beschlüsse dieser Nachtsitzung zusammenfassenden Dekrets lautete: „Die Nationalversammlung zerbricht vollständig das Feudalregime.“[17] Die frohe Kernbotschaft enthielt für die Bauern allerdings nicht die ganze Wahrheit. Zwar waren Leibeigenschaft und Frondienste ersatzlos abgeschafft, aber die übrigen Herrenrechte wurden lediglich rückkäuflich bzw. ablösbar gemacht, bei jährlich 3,3 Prozent Zinsen: „das politische Kalkül liegt darin, dass man das alte Herrenrecht in gutes bürgerliches Geld umrechnet und den Zins so lange zahlen lässt, wie das Kapital nicht zurückgezahlt ist. Die Adligen retten, was überhaupt zu retten ist, und die Grundbesitzer des Dritten Standes haben einen großen Vorteil durch die Gleichstellung von adeligen und bürgerlichen Gütern.“[18]
Nachdem auf diese Weise die ländliche Bevölkerung hatte beruhigt werden können, setzte die Nationalversammlung ihre Arbeit an einer Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte fort, die am 26. August 1789 verabschiedet wurde und mit der Zusicherung beginnt: „Von ihrer Geburt an sind und bleiben die Menschen frei und an Rechten einander gleich.“[19] Verbürgt werden u. a. auch Eigentum, Sicherheit und das Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung, rechtsstaatliche Prinzipien, Religions-, Meinungs- und Pressefreiheit sowie Volkssouveränität und Gewaltenteilung. Furet/Richet urteilen: „Diese siebzehn kurzen Artikel von wunderbarem Stil und geistiger Dichte sind nicht mehr Ausdruck des vorsichtigen Taktierens und der Ängstlichkeit des Bürgertums: indem die Revolution ihre Ziele und ihre Errungenschaften frei definiert, gibt sie sich in der natürlichsten Weise eine Fahne, die von der ganzen Welt respektiert werden muß.“ Der bürgerliche Individualismus habe damit seine öffentlich-rechtliche Magna Charta erhalten.[20]
Dass sich die Erklärung nur auf Männer bezieht, wird im Text nicht ausdrücklich erwähnt, verstand sich jedoch dem Zeitgeist entsprechend nahezu von selbst – nicht jedoch für die französische Rechtsphilosophin und Schriftstellerin Olympe de Gouges, die 1791 die Déclaration des droits de la femme et de la citoyenne („Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“) veröffentlichte, in der sie die völlige Gleichstellung der Frau mit dem Mann forderte.
Auch den Juden wurde die Anerkennung als gleichberechtigte Bürger zunächst versagt. Wiederholte Versuche scheiterten am Widerstand von Jean-François Reubell und anderen Abgeordneten, die zumeist aus dem Elsass oder Lothringen stammten. Sie führten traditionelle judenfeindliche Stereotype an wie den angeblichen Wucher und die Ausbeutung der Landbevölkerung durch die Juden, ihren Kosmopolitismus und die angebliche Gefahr einer jüdischen Fremdherrschaft. Einzig den akkulturierten sephardischen Juden Südfrankreichs wurden im Januar 1790 die Bürgerrechte zuerkannt.[21]
Ludwig XVI., dessen Unterschrift gebraucht wurde, damit die Dekrete der Nationalversammlung in Kraft treten konnten, machte allerlei juristische Vorbehalte geltend und versuchte, als Gegenleistung für seine Zustimmung eine möglichst starke Veto-Position in der künftigen Verfassung herauszuschlagen. Zudem beorderte er neuerlich ein auswärtiges flandrisches Regiment (Régiment de Flandre) nach Versailles, dessen Offiziere bei einem königlichen Bankett am 1. Oktober die blau-weiß-rote Kokarde unter ihren Stiefeln zertraten. Der Vorgang wurde in Paris bekannt und heizte eine bei anhaltend hohem Brotpreis und Versorgungsmängeln ohnehin aufgeladene Stimmung weiter an. Jean-Paul Marat, der im September 1789 seine Zeitung „Der Volksfreund“ gegründet hatte, hielt mit anderen gemeinsam die Pariser auf dem Laufenden und mit Warnhinweisen auf die „Verschwörung der Aristokraten“ gegen das Volk in revolutionärer Spannung.
Am 5. Oktober versammelte sich vor dem Rathaus eine hauptsächlich aus Frauen (Poissarden) bestehende mehrtausendköpfige Menge in der Absicht, nach Versailles zu ziehen, um ihre Forderungen vor Ort geltend zu machen. Unter dem Geläut der Sturmglocken verließen sie Paris; später folgten ihnen 15.000 Nationalgardisten und zwei Vertreter der Stadtverwaltung mit dem Auftrag, den König nach Paris zu bringen. Ludwig XVI. empfing die Frauen, versprach Lebensmittellieferungen und unterschrieb unter dem Eindruck der Bedrängnis die Dekrete der Nationalversammlung. Die Lage schien entspannt; doch die Frauen blieben über Nacht, bewachten das Schloss und setzten auch der Nationalversammlung mit ihren Brotforderungen und Zwischenrufen zu.
Am darauffolgenden Vormittag drängten sie ins Schloss und erzwangen gemeinsam mit Stadtbeauftragten und Nationalgardisten das Zugeständnis des Königs, nach Paris umzuziehen. Die Nationalversammlung schloss sich an. „Am frühen Nachmittag machte sich der endlose Zug lärmend auf den Weg nach Paris. An der Spitze marschierten Einheiten der Nationalgarde; auf jedem Bajonett steckte ein Brotlaib. Dann folgen die Frauen, mit Piken und Flinten bewaffnet oder Pappelzweige schwingend; sie begleiten die Getreidewagen und die Kanonen. Hinter den entwaffneten königlichen Soldaten mit der Trikoloren-Kokarde der Leibgarde, dem (Régiment de Flandre) und der Schweizergarde rollt langsam wie ein Leichenwagen die Karosse mit der königlichen Familie […] Daran schließen sich die Wagen der Abgeordneten und den Schluss bildet die riesige Volksmenge mit dem Hauptteil der Nationalgarde. Als sei die Symbolkraft dieses Zuges noch nicht einleuchtend genug, rufen die Leute: ‚Wir bringen den Bäcker, die Bäckersfrau und den Bäckerjungen!’“[22] Monarch und Nationalversammlung würden fortan den Pressionen des Volkes in der Kapitale Paris ausgesetzt sein.
Der Umzug von König und Hofstaat nach Paris, gefolgt von einer Begrenzung der Finanzmittel, die der Krone fernerhin im Rahmen einer von der Nationalversammlung bewilligten sogenannten Zivilliste zur Verfügung standen, schwächte die Stellung Ludwigs XVI. zwar zusätzlich, doch blieb er eine zentrale Figur im politischen Kräftespiel. Von einer kleinen Minderheit abgesehen, beabsichtigte niemand in der Nationalversammlung die Abschaffung des Königtums. Wohl aber gab es unterschiedliche Positionen dazu, wie viel politischer Einfluss dem Monarchen im Rahmen der künftigen Verfassung zukommen sollte. Von seiner Zustimmung hing aber wiederum ab, ob die neue Verfassungskonstruktion überhaupt funktionieren könnte. An einer prinzipiellen Weigerungshaltung des Königs musste jede konkrete Fassung der konstitutionellen Monarchie scheitern.
Die Nationalversammlung auf dem Weg zur Verfassung
Den stürmischen Unruhen und Umbrüchen von 1789 folgte, begünstigt durch eine gute Ernte und die verbesserte Versorgungslage, das „glückliche Jahr“ 1790,[23] das seinen Höhepunkt im Föderationsfest auf dem Champ de Mars zum Jahrestag der Bastille-Eroberung hatte. Die Zahl der Teilnehmer wird unterschiedlich angegeben: Karl Griewank spricht von „Hunderttausenden jubelnder Zuschauer“, nach Jean-François Fayard nahmen 14.000 Menschen teil. Zahlreiche Nationalgardisten aus allen Teilen des Landes leisteten mit der Nationalversammlung den Eid der Treue auf Nation, Gesetz und König am ‚Altar des Vaterlandes’. Auch der König schwor Treue zur Verfassung und wurde von der Menge bejubelt.[24] Die Heilige Messe zum „Fest der Menschheit“ zelebrierte Talleyrand mit 200 Priestern in Messgewändern, bei denen die Trikolore als Gürtel diente. Unter Kanonendonner wurde gemeinsam der Eid gesprochen und dies gleichzeitig in allen Teilen Frankreichs. Ebenfalls zeitgleich gab es Feiern in London, in Hamburg und in anderen deutschen Städten.[25]
Die Verfassungsberatungen der Nationalversammlung, die sich in eine Vielzahl themenbezogener Ausschüsse gegliedert hatte, machten beachtliche Fortschritte. Noch vor Jahresende 1789 nahm man das vordringliche Problem einer Sanierung der Staatsfinanzen mit revolutionärem Elan in Angriff: Sämtliche Kirchengüter wurden verstaatlicht und in Nationalgüter umgewandelt. Die Gesamtheit dieser Nationalgüter diente als Deckung einer neuen Papiergeld-Währung, der Assignaten. Da den Geistlichen aus Kirchenbesitz nun keine Einkünfte mehr zur Verfügung standen, waren sie auf staatliche Besoldung angewiesen. Die Zivilverfassung des Klerus legte schließlich fest, dass Pfarrer wie andere Beamte zu wählen waren, und ein Dekret schrieb ihnen vor, die Verordnungen der Nationalversammlung von der Kanzel herab zu verlesen und zu kommentieren.[26] Anfang 1790 wurden die bis dahin ungleich gestellten Provinzen durch eine Neuaufteilung in 83 Départements mit einheitlicher Untergliederung und Verwaltungsstruktur abgelöst. Die Stadt- und Binnenzölle innerhalb Frankreichs wurden aufgehoben. Im Gerichtswesen wurde anstelle der Ämterkäuflichkeit die Wahl der Richter – unter juristisch Vorgebildeten – eingeführt, für Verhaftete das richterliche Gehör binnen 24 Stunden und die Pflichtverteidigung durch einen Anwalt vorgeschrieben.
Im Wahlrecht gaben die besitzbürgerlichen Vorbehalte in der Versammlung den Ausschlag; man ging hinter das für die Wahlen zu den Generalständen praktizierte allgemeine (Männer-)Wahlrecht zurück: Wählen durften nur sogenannte Aktivbürger mit einem bestimmten Steuermindestaufkommen. Als maßgebliche Begründung für diese Einschränkung diente die Überlegung, dass nur ein nicht käuflicher und damit unabhängiger Bürger das Wahlrecht ausüben sollte. Einzig der Rechtsanwalt Robespierre geißelte dies als Verstoß gegen die in der Menschenrechtserklärung garantierte Rechtsgleichheit. Das heikelste Problem der Konstituante blieb aber die Frage, ob und wie es gelingen könne, Ludwig XVI. in das neue politische System einzubauen. Vor allem in dieser Frage gab es sehr unterschiedliche Vorstellungen und den Hang zu politischer Lagerbildung, die das Rechts-links-Schema, wie es späterhin geläufig geworden ist, begründet hat. Auf den Ehrenplätzen zur Rechten des Parlamentspräsidenten saßen die „Aristokraten“, Mitglieder der beiden ersten Stände und Anhänger des Ancien Régime, die Ludwig XVI. nicht nur die ausführende Gewalt überlassen, sondern ihm auch ein absolutes Veto in der Gesetzgebung verschaffen wollten. Richtung Saalmitte und nach links hinüber folgten dann in Abstufungen jene Abgeordneten, die eine Mitwirkung des Königs im Gesetzgebungsverfahren nur in geringem Umfang befürworteten oder völlig ablehnten.
In dem Auslotungs- und Vermittlungsprozess zwischen Versammlung und König haben sich eine ganze Reihe herausragender Gestalten dieser ersten Revolutionsphase – letztlich vergeblich – engagiert und z. T. durch vermeintliche oder tatsächliche Nähe zu den höfischen Interessen kompromittiert, wie z. B. die zeitweiligen Präsidenten der Nationalversammlung Bailly, Mounier und Mirabeau, der Kommandant der Nationalgarde La Fayette und das „Triumvirat“ Barnave, Duport und Lameth. Laut Verfassungstext wurde dem König schließlich ein aufschiebendes Vetorecht eingeräumt, das ein Gesetzesprojekt für zwei Legislaturperioden blockieren konnte. Andererseits war er als Spitze der Exekutive in seinen Wirkungsmöglichkeiten eingeschränkt. Denn infolge des Wahlprinzips waren Justiz und Verwaltung vom König und seinen Ministern nicht abhängig, zumal, da die Verwaltungsvorschriften nicht von den Ministerien, sondern von der Nationalversammlung erlassen wurden. Zwar blieb er Chef der Streitkräfte, hatte das Offiziersernennungsrecht aber nur mehr für die höchsten Ränge, während die Mannschaften vielfach mit der Revolution sympathisierten und mit Aufständischen fraternisierten.[27]
Die Kräfte der Gegenrevolution
Das Revolutionsgeschehen zwischen Juli und Oktober 1789 hatte innerhalb der beiden vormals privilegierten Stände Emigrationswellen ausgelöst und zu Sammelpunkten an kleinen Fürstenhöfen etwa in Turin, Mainz und Trier geführt, von denen gegenrevolutionäre Umtriebe ausgingen, die sowohl die Destabilisierung der neuen Ordnung in Frankreich als auch die Herbeiführung einer ausländischen Intervention zum Ziel hatten. Moderate Unterstützung dafür kam von russischer, spanischer und schwedischer Seite, wo man sich in monarchischer Solidarität für die Wiederherstellung des Ancien Régime aussprach – zu mehr aber einstweilen nicht bereit war.
Die Abschaffung des Feudalwesens in Frankreich berührte auch teilweise Ansprüche ausländischer Fürsten, z. B. bei päpstlichen Besitzungen in Südfrankreich und bei denen deutscher Reichsfürsten im Elsass. Weder deren an Kaiser Leopold II., den Bruder der französischen Königin Marie-Antoinette, gerichtete Aufforderung zum Einschreiten noch eine persönliche Begegnung mit dem emigrierten Grafen von Artois, dem Bruder Ludwigs XVI., vermochten den Habsburger aber vorerst zu militärischem Handeln zu bewegen. Nicht nur er hatte wegen anderer Verwicklungen wie dem Krieg Russlands und Österreichs gegen das Osmanische Reich 1790 kein Interesse an einem Krieg gegen Frankreich und ließ sich für die Zwecke der Emigranten nicht einspannen. Die grenznahen Aktivitäten der Armee der Emigranten, die von Koblenz und Worms aus gestartet wurden, hatten vorläufig nicht die gewünschte Wirkung, auch wenn sie im Osten panische Ängste vor der Verschwörung der Aristokraten schürten.
Energischen und anhaltenden Widerstand, der teilweise bald die Form offener Rebellion und eines Religionskriegs annahm, löste dagegen ein Dekret der Nationalversammlung im Zusammenhang mit der Zivilverfassung des Klerus aus, das am 27. November 1790 allen Priestern den Eid auf die neue Verfassung vorschrieb. Papst Pius VI., der bereits die Erklärung der Menschenrechte als „gottlos“ bezeichnet hatte, verbot den Eid bei Strafe der Exkommunikation. Nur knapp die Hälfte der Geistlichen, hauptsächlich aus dem niederen Klerus, leistete daraufhin den Eid. Frankreich war fortan religiös gespalten, denn insbesondere die Landbevölkerung suchte für die Taufe und andere religiöse Kernzeremonien mehrheitlich die eidverweigernden Priester auf. „Die Revolution lieferte damit dem Generalstab der Gegenrevolution, der ohne Truppen war, das nötige Fußvolk: die eidverweigernden Priester und ihre Schäflein.“[28] Was König und Adel allein nicht zu schaffen in der Lage waren, bewirkte das päpstliche Handeln: religiösen Widerstand als Haupthebel zur Herbeiführung der Gegenrevolution zu wecken.[29]
Die Flucht des Königs
Die Kirchenpolitik der Konstituante stellte auch für Ludwig XVI., der im Tuilerien-Schloss den Gottesdienst in der hergebrachten Weise praktizierte, eine zusätzliche Herausforderung dar, da er im öffentlichen Rahmen genötigt war, von eidverweigernden Priestern die Kommunion zu empfangen. Im Februar 1791 appellierte Marie-Antoinette brieflich an Leopold II., nicht länger zu säumen und der weiter rasch fortschreitenden Revolution, die sich auch auf die Österreichischen Niederlande auszubreiten drohe, mit militärischen Mitteln entgegenzutreten. Als Ludwig XVI. dann im April von der Volksmenge daran gehindert wurde, Paris für einen seiner gewohnten Kuraufenthalte in Saint-Cloud zu verlassen, dürften heimliche Fluchtpläne der königlichen Familie vordringlich geworden sein. In der Nacht vom 20./21. Juni 1791 gelang es ihr, aus dem von Nationalgardisten bewachten Schloss in Verkleidung unerkannt zu entkommen, um in Kutschen an einen königstreuen Ort, die Festung Montmédy in Grenznähe zu Luxemburg, oder gleich außer Landes in die Österreichischen Niederlande zu gelangen.[30] Einige Historiker glauben es, sei ihm dabei darum gegangen, aus sicherer Entfernung vom Pariser Unruheherd mit der Unterstützung ausländischer Mächte auf eine Wiederherstellung seiner monarchischen Machtfülle hinzuwirken.[31] Andere meinen, er habe sich dem Druck der Pariser Stadtbevölkerung entziehen wollen, um unbeeinflusst auf eine Verfassung hinwirken zu können, in der der König eine starke Position hätte.[32]
Besondere Vorsicht ließ der König während der Flucht nicht walten, sodass er bei Aufenthalten mehrfach erkannt wurde. Die ohnehin im Zeitplan nachhängende Reisegesellschaft wurde von den Meldungen ihres Unterwegsseins überholt und schließlich nicht sehr weit vor der belgischen Grenze bei Varennes gestoppt. Die Rückführung der königlichen Familie löste in Paris einen Massenauflauf aus, der auch die Häuserdächer einschloss. Von der lärmenden Begeisterung, die noch die erzwungene Ankunft des Königs im Oktober 1789 bei den Parisern ausgelöst hatte, war allerdings nichts geblieben. Ein lastendes Schweigen lag über der Szene.[33] In der Nationalversammlung, die ihr Verfassungswerk gefährdet sah, wurde an Ludwig XVI. auf widersprüchliche Weise festgehalten. Einerseits wurde wider besseres Wissen die Lesart verbreitet, der König sei entführt worden; andererseits wurde er von seinen monarchischen Funktionen so lange entbunden, bis ihm die noch zu vollendende Verfassung zur Unterschrift vorgelegt werden konnte. Barnave mahnte in der Debatte vom 15. Juli 1791: „Wollen wir die Revolution beenden oder wollen wir von neuem mit ihr beginnen? […] Mit noch einem Schritt voran würden wir Unheil und Schuld auf uns laden, ein Schritt weiter auf dem Weg der Freiheit wäre die Zerstörung des Königtums, ein Schritt weiter auf dem Wege der Gleichheit wäre die Zerstörung des Eigentums.“[34]
Bei seiner Flucht hatte Ludwig XVI. eine gegenrevolutionäre Proklamation hinterlassen, die der Öffentlichkeit vorerst unbekannt blieb. Darin hervorgehoben hatte er u. a. die aus seiner Sicht unheilvolle Rolle der politischen Klubs und deren maßgebliche Einflussnahme auf die Beschlüsse der Konstituante. Wie sich nun zeigte, war es aber gerade seine Flucht, die zu einer Neuformierung und Radikalisierung dieser außerparlamentarischen politischen Organisationen führte. Der bis zum Oktober 1789 in Versailles maßgebliche Bretonische Klub hatte in Paris als „Gesellschaft der Freunde der Verfassung“ seinen Tagungsort im Jakobinerkloster gefunden und wurde folglich Jakobiner-Klub genannt. Bereits bis Ende 1790 breitete er sich in 150 Filialen über das ganze Land aus und entfaltete als Ort der politischen Meinungsbildung tatsächlich große Wirkung, wobei das Pariser Original zugleich vorberatenden Einfluss auf die Beschlussfassung in der Nationalversammlung ausübte.
Die Flucht der königlichen Familie führte in der Frage der Absetzung Ludwigs XVI. zur Spaltung des Jakobinerklubs: Da die Linke um Robespierre für die Absetzung des Königs eintrat, zog die Mehrheit der die Linie von La Fayette und Barnave teilenden Klubmitglieder aus und gründete im ehemaligen Feuillanten-Kloster den Klub der Feuillants. Auch bei den Tochtergesellschaften kam es zu Abspaltungen; doch gelang es den Pariser Jakobinern auch mittels einer nun erst einsetzenden Kampagne für das allgemeine Wahlrecht, in den namensgleichen Filialen ein deutliches Übergewicht zu behalten. Da die Mitgliedsbeiträge im Jakobinerklub relativ hoch waren, gab es alsbald neben ihm zahlreiche weitere Klubs und Volksgesellschaften mit erleichtertem Zugang. Der einflussreichste unter ihnen war der im Franziskaner-Kloster tagende Klub der Cordeliers, ein Diskussions- und Kampf-Klub für die Durchsetzung der Menschenrechte und zur Aufdeckung von Missbräuchen der öffentlichen Gewalt. Marat, Desmoulins und Danton führten darin maßgeblich das Wort und gelangten über ihn zu politischem Einfluss. Nach der Flucht des Königs ging von hier zuerst die Forderung nach Abschaffung der Monarchie und nach Errichtung einer Republik aus. Am 14. Juli 1791 und noch einmal drei Tage später fanden Großdemonstrationen auf dem Champ de Mars statt, wo nun am Altar des Vaterlandes Unterschriften für die Absetzung des Königs gesammelt wurden. La Fayette ließ die zweite Versammlung durch die Nationalgarde mit Gewehrsalven auseinandertreiben, wobei es zahlreiche Tote gab. Ein unübersehbarer Riss trennte nun Nationalversammlung und Pariser Volksgesellschaften.
Ein vielseitig motivierter Krieg
Die europäischen Höfe, mit deren Unterstützung Ludwig XVI. bei seiner Flucht gerechnet hatte, ließen sich gut einen Monat Zeit für eine Reaktion. Dann erklärten Kaiser Leopold II. und der preußische König Friedrich Wilhelm II. in der Deklaration von Pillnitz die nach der Flucht eingetretene Lage Ludwigs XVI. zum gemeinsamen Interesse für alle Könige Europas. Beide Monarchen stellten militärisches Eingreifen zugunsten Ludwigs XVI. in Aussicht, falls es zu einer großen Koalition der europäischen Mächte mit diesem Ziel käme.[35] Da absehbar war, dass das Königreich Großbritannien sich daran nicht beteiligen würde, blieb die Erklärung lediglich eine symbolische Geste.[36] Bewirkt wurde mit der Drohung allerdings, dass sich die Emigranten unter Führung des Bruders des Königs samt der in Koblenz stationierten Migrantenarmee in ihrem gegenrevolutionären Auslandsaktivitäten bestärkt sahen und dass die französischen Revolutionsanhänger eine noch größere Erbitterung gegen das „aristokratische Komplott“ hegten.[37] Bereits seit 1790 kursierte in Frankreich die Vorstellung von einem „österreichischen Komitee“: Demnach handelte es sich um eine konterrevolutionäre Einrichtung, in der Marie-Antoinette mit Feinden der Revolution konspirierte und die es auszuschalten galt.[38]
Im September 1791 trat das Verfassungswerk der Konstituante unter Mitwirkung Ludwigs XVI., der den Eid auf die Verfassung ablegte, in Kraft. Noch kurz vor dem Ende ihres Wirkens beschloss die Verfassunggebende Nationalversammlung am 27. September die vollständige bürgerliche Gleichberechtigung aller Juden in Frankreich. Nachdem sogar Ausländer die Möglichkeit bekommen hatten, französische Staatsbürger zu werden, entfiel jeder Grund, den Juden zu verweigern, was ihnen im Prinzip bereits seit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte zustand.[39]
Am 1. Oktober konstituierte sich die neugewählte Gesetzgebende Nationalversammlung (Legislative), der kein Mitglied der Konstituante mehr angehören durfte. Die Feuillants stellten gegenüber den Jakobinern eine deutliche Mehrheit; die größte Abgeordnetengruppe gehörte aber keinem der beiden Lager an. Das große Thema und die Ursache dafür, dass diese Nationalversammlung nicht einmal ein Jahr bestand, wurde der Revolutionskrieg. Unter Feuillants wie La Fayette herrschte die Vorstellung, ein kurzer, begrenzter Krieg würde die Generäle stärken und sie in die Lage versetzen, die Revolution zu stabilisieren.[40] Die linken Girondisten, wie man sie später aufgrund der geographischen Herkunft einiger ihrer prominenten Mitglieder nannte, sprachen sich aus einem innenpolitischen Grund für den Krieg aus: Sie glaubten, der König hätte der Verfassung nur zum Schein zugestimmt, und wollten diesen Verrat durch einen Krieg gegen die Heimat seiner Frau aufdecken.[41] Ihr Abgeordneter Jacques Pierre Brissot fachte eine regelrechte Kriegsbegeisterung an: „Die Kraft der Überlegung und der Tatsachen hat mich davon überzeugt, dass ein Volk, das nach 10 Jahrhunderten der Sklaverei die Freiheit errungen hat, Krieg führen muß. Es muß Krieg führen, um die Freiheit auf unerschütterliche Grundlagen zu stellen; es muß Krieg führen, um die Freiheit von den Lastern des Despotismus rein zu waschen, und es muß schließlich Krieg führen, um aus seinem Schoß jene Männer zu entfernen, die die Freiheit verderben könnten.“[42] Der Abgeordnete Maximin Isnard sekundierte: „Glaubt nicht, unsere gegenwärtige Lage verwehre es uns, jene entscheidenden Schläge zu führen! Ein Volk im Zustand der Revolution ist unbesiegbar. Die Fahne der Freiheit ist die Fahne des Sieges.“[43]
Nur Robespierre hielt im Jakobinerklub nachdrücklich dagegen: „Die ausgefallenste Idee, die im Kopf eines Politikers entstehen kann, ist die Vorstellung, es würde für ein Volk genügen, mit Waffengewalt bei einem anderen Volk einzudringen, um es zur Annahme seiner Gesetze und seiner Verfassung zu bewegen. Niemand mag die bewaffneten Missionare; und der erste Rat, den die Natur und die Vorsicht einem eingeben, besteht darin, die Eindringlinge wie Feinde zurückzuschlagen.“[44]
Gemäß der neuen Verfassung war für eine Kriegserklärung das Zusammenwirken von König und Nationalversammlung nötig – mit der Prärogative in allen außenpolitischen Angelegenheiten beim König. Für Ludwig XVI. und Marie-Antoinette war ein Krieg nach dem gescheiterten Fluchtversuch der verbliebene Weg zur Wiederherstellung für sie akzeptabler Verhältnisse. Sie rechneten mit einer schnellen Niederlage des französischen Heeres und mit der Hilfe der Sieger bei der Rückabwicklung der revolutionsbedingten Veränderungen.[45] „Mit einem Doppelspiel ohnegleichen“, heißt es bei Soboul, „wiegelten Ludwig XVI. und Marie-Antoinette die Gegner untereinander auf und machten den Krieg damit unvermeidlich.“[46]
Am 14. Dezember 1791 kam der König dem Verlangen der Legislative nach, den Erzbischof von Trier mit Frist bis zum 15. Januar 1792 ultimativ zur Unterbindung aller gegen Frankreich gerichteten feindseligen Aktivitäten der Emigranten aufzufordern; andernfalls würde ihm von Frankreich der Krieg erklärt. Dieser Kriegsgrund entfiel, als die in Koblenz lagernden Truppeneinheiten der Emigranten mit Ablauf des Ultimatums tatsächlich zum Abzug genötigt wurden. Ein neuer, nun gegen Österreich gerichtet, tat sich auf, indem der österreichische Staatskanzler Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg Frankreich im Gegenzug mit einer Militärintervention drohte, sollte Frankreich gegen die geistlichen Fürsten in Trier und Mainz vorgehen.[47]
Am 20. April 1792 stellte der König in der Nationalversammlung den Antrag, dem „König von Böhmen und Ungarn“ den Krieg zu erklären. Mit dieser Formulierung hoffte man, die übrigen Staaten des Heiligen Römischen Reiches aus dem Konflikt herauszuhalten. Die Kriegserklärung wurde mit überwältigender Mehrheit angenommen, lediglich sieben Abgeordnete stimmten dagegen. In der Euphorie der ersten Tage nach diesem Beschluss entstand für die Rheinarmee in Straßburg die Marseillaise, die bis heute Nationalhymne Frankreichs ist („Allons enfants de la patrie…“).
Die Kriegswirklichkeit zeigte sich dagegen schnell ernüchternd und verbitternd. Offiziere und Mannschaften setzten den verbündeten Österreichern und Preußen so wenig Widerstand entgegen, dass sehr bald Verrat gewittert wurde und eine Mobilisierung in den Pariser Sektionen[48] einsetzte, durch die mit Piken bewaffnete Sansculotten zum ständigen Erscheinungsbild in den Straßen und auf den Tribünen der Stadt wurden. Ein konzentrierter Vorstoß in die Tuilerien am 20. Juni 1792 endete noch friedlich damit, dass der bedrängte König, der gerade eine unliebsame neue Ministerriege aus Feuillants berufen hatte, sich die rote Jakobinermütze aufsetzte.[49]
Am 11. Juli aber erließ die Legislative eine Proklamation, durch die das „Vaterland in Gefahr“ erklärt wurde. Alle waffenfähigen Bürger wurden zur Einregistrierung als Freiwillige aufgefordert, sollten die Nationalkokarde anlegen und wurden zu den Armeen geschickt. In den Provinzen verschärfte sich die königsfeindliche Stimmung. Man sprach wegen der in wichtigen Feldern unkooperativen Haltung Ludwigs XVI. und Marie-Antoinettes gegenüber der Legislative unterdessen oft nur noch abschätzig von „Monsieur et Madame Veto“. Von Marseille aus brach ein Bataillon aus Freiwilligen nach Paris zum Föderationsfest auf. Durch ihre Gesänge wurde das Lied aus den ersten Kriegstagen als Marseillaise (Hymne der Marseiller) bekannt und verbreitet.[50]