Geschichte der Stadt Zürich
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Die Stadt Zürich bestand als Turicum schon zu römischer Zeit, stieg aber erst im Mittelalter in die Reihe der grösseren Schweizer Städte auf. Die Herrscher des Heiligen Römischen Reiches erwählten die Stadt an der Limmat als Standort für zwei bedeutende geistliche Stiftungen um die Kultstätten der Stadtpatrone Felix und Regula, die Zürich prägten: Das Grossmünster- und das Fraumünsterstift.
1262 sicherte das Privileg der Reichsunmittelbarkeit die nicht fühlbare Herrschaft eines fernen deutschen Königs. Zürichs Beitritt in verschiedenste Bünde – unter anderem in die entstehende Eidgenossenschaft 1351 und den Konstanzer Bund 1385 – schützte die Stadt längerfristig vor den Expansionsgelüsten lokaler Adelsgeschlechter, allen voran der Habsburger. Zusammen mit Bern bestimmte Zürich zeitweise als Vorort die Politik des aufstrebenden Staatenbundes der Eidgenossenschaft.
Seit der Reformation Ulrich Zwinglis gehört Zürich zu den geistigen Zentren des reformierten Bekenntnisses. Dem Status des «Rom an der Limmat» kam es zu, dass sich Zürich seit 1648 im gleichen Rang wie Venedig als souveräne Stadtrepublik betrachtete. Im 18. Jahrhundert galt Zürich hingegen eher als «Athen an der Limmat», dank vieler Gelehrter wie etwa Johann Heinrich Pestalozzi, Johann Kaspar Lavater und Johann Jakob Bodmer sowie seiner wichtigen Position als Handelsstadt.
Erst nach massivem äusseren Druck erlangte die beherrschte Landschaft mit der Gründung des Kantons Zürich schrittweise Gleichberechtigung. Seit dem 19. Jahrhundert ist Zürich das Wirtschafts- und Finanzzentrum der Schweiz.
Hauptartikel: Wappen des Kantons und der Stadt Zürich
Das älteste Indiz für den Namen Zürich in seiner lateinischen Form stammt aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. und ist auf einem Grabstein zu lesen, der 1747 auf dem Lindenhof in Zürich gefunden wurde. Auf diesem Stein wird mit der Bezeichnung STA{TIONIS} TURICEN{SIS} auf eine römische Zollstation Turicum hingewiesen. Die Herkunft des Namens ist nicht endgültig geklärt, er ist aber auf alle Fälle vorlateinisch. Am wahrscheinlichsten ist eine Ableitung *Turīcon zum keltischen Personennamen Tūros.[1]
Die bekannten frühmittelalterlichen lateinischen Namensformen für Zürich sind Turigum (807), T(h)uregum und Thuricum (898). Der erste Beleg für eine deutsche Namensform, nämlich Ziurichi, erscheint im 7. Jahrhundert beim Geographen von Ravenna; später finden sich Schreibungen wie Zurih (857) und Zurich (924). Im zürichdeutschen Dialekt heisst die Stadt Züri [ˈt͡sʏrɪ].[2] Der vor allem im 17. und 18. Jahrhundert verwendete Name Tigurum war eine zeitgenössische Neuschöpfung und sollte auf die Tiguriner verweisen, einen Teilstamm der Helvetier.
Die ersten bekannten Siegel des Stadtrates von Zürich hängen an zwei Urkunden von 1225 und 1230. Sie tragen die Umschrift sigillum consilii thuricensium und führen die beiden Stadtheiligen Felix und Regula aus der Thebäischen Legion. In den Händen tragen sie ihre Köpfe, die von einem Nimbus umgeben sind. Sicher ab 1348 tritt noch Exuperantius, der Diener von Felix und Regula, zum Stadtsiegel hinzu. Die definitive Umschrift dieses Siegels lautet sigillum civium thuricensium. Die Stadtgemeinde Zürich führt seit 1798 in ihrem Siegel den schräg geteilten Schild, überhöht von einer Mauerkrone, mit einem oder zwei Löwen als Schildhalter.[3]
Das Stadtwappen, der von Silber und Blau schräg geteilte Schild, ist zum ersten Mal auf einem Siegel des Hofgerichts Zürich von 1389 nachgewiesen. Sicher belegt ist die bis heute gebräuchliche Fahne erst seit 1434. Auf den Münzen und Stadtansichten von Zürich war der Wappenschild der Stadt ursprünglich vom Reichswappen und der Reichskrone bekrönt. Der Wappenschild wird seit dem 15. Jahrhundert von zwei Löwen gehalten. Zuweilen halten die Löwen je ein blau-weisses Banner, wobei eines die drei Stadtheiligen zeigt. Gegen 1700 fallen Reichswappen- und krone weg, während die Löwen als Schildhalter bleiben. Der Löwe wurde als «Zürileu» zum Zürcher Wappentier. Das aktuelle Wappen der Stadt zeigt den schräg geteilten Schild, überhöht von einer Mauerkrone, mit zwei Löwen als Schildhalter.[3]
Die Stadt Zürich war sowohl königliche wie herzogliche Münzstätte. Die älteste urkundliche Erwähnung der Münzstätte stammt aus dem Jahr 972, die älteste Münze ist ein karolingischer Denar mit der Aufschrift LUDOVICUS REX, RS. HADTUREGUM. König Heinrich III. verlieh im 11. Jahrhundert auch der Fraumünsterabtei das Münzrecht. Ihr Münzbann umfasste den Zürichgau und das Gebiet um den Walensee bis Sargans, die Innerschweiz bis zum Gotthard, den Aargau bis Huttwil und den Thurgau bis zur Mur. Die Münzen, die in Zürich geprägt wurden, weisen verschiedene Symbole und Beschriftungen auf. Die Fraumünsterabtei prägte nur Pfennige, die zuerst viereckig, dann nach 1400 rund waren. 1524 ging das Münzrecht der Abtei an die Stadt über. Dieser hatte König Sigmund 1425 bereits das Münzrecht bestätigt. Ab dem 16. Jahrhundert erschien das Wappen der Stadt mit dem Reichswappen auf den Münzen, etwa auf dem Zürcher Taler und dem Dukat, teilweise bereits mit den beiden Löwen als Schildhalter. Die Umschrift lautete MONETA TURICENSIS CIVITATIS IMPERIALIS. Später verschwand das Reichswappen und die Umschrift änderte in MONETA REIPUBLICÆ TIGURINÆ. Der Zürcher Schild wurde nun von einem oder zwei Löwen gehalten, der einzelne Löwe hielt entweder ein Schwert oder eine Reichsapfel. Auf der Kopfseite wurden meist entweder Ansichten von Zürich oder Sprüche aufgeprägt, etwa DOMINE CONSERVA NOS IN PACE, IUSTITIA ET CONCORDIA oder PRO DEO ET PATRIA. Die selbständige Münzprägung der Stadt Zürich endete 1798.[4]
Die frühesten Spuren menschlicher Siedlungstätigkeit im Bereich der heutigen Stadt Zürich sind Reste von Feuchtbodensiedlungen der Egolzwiler Kultur (4430–4230 v. Chr.), die sich im Gebiet des westlichen Seebeckens nachweisen lassen. Die Fundplätze, die auch während der späteren Jungsteinzeit, während der Bronzezeit und der frühen Eisenzeit bis 700 v. Chr. besiedelt waren, erstrecken sich vom Uferbereich teilweise bis 500 m in den heutigen See hinaus.[5] Siedlungsstellen konnten archäologisch nachgewiesen werden am linken Seeufer beim Alpenquai, Bauschänzli, der Breitingerstrasse und in Wollishofen (Haumesser, Bad) sowie am rechten Seeufer beim Kleinen und Grossen Hafner, am Utoquai und an der Seehofstrasse.[6] Zwischen Rentenanstalt und Mythenschloss am linken Seeende wurden 1994 gut erhaltene neolithische Kulturschichten von drei ehemaligen Seeufersiedlungen archäologisch untersucht. Sie konnten der Pfyner Kultur (3800–3600 v. Chr.), der Horgener Kultur (3150 v. Chr.) und der Schnurkeramischen Epoche (2680–2548 v. Chr.) zugeordnet werden. Von 250 Holzproben für die dendrochronologische Datierung sind deren 128 so genau, dass sie Schlagdaten der Eichenpfähle zwischen 2972 und 2681 v. Chr. sichern. Viele angekohlte, liegende Hölzer und fundreiche Holzkohleschichten belegten eine Brandkatastrophe auf dem ganzen Siedlungsareal, das sich über 240 m erstreckte. Die «Pfahlbaudörfer» bestanden aus zweischiffigen, 5 × 3 m messenden Hütten, wie sie noch 100 Jahre später am gegenüber liegenden Ufer an der Mozartstrasse nach dem gleichen Bauschema gebaut wurden. Der grösste Teil dieser Ufersiedlungen versank in der Spätbronzezeit im See, als der Pegel von ca. 404 auf ca. 407 m ü. M. anstieg, wahrscheinlich weil der Schuttkegel der Sihl im Bereich des Hauptbahnhofs den See aufstaute.[7]
In der Eisenzeit verlagerte sich im Raum Zürich die Siedlungstätigkeit auf Terrassen entlang der Flüsse und des Sees. Aus der Hallstattzeit (8. bis 5. Jh.) sind Funde und Grabhügel in Riesbach (Burghölzli), und Witikon (Egglen), Höngg (Heiziholz), Altstetten (Hard), Affoltern-Seebach (Jungholz) dokumentiert. Aus der Latènezeit (5. bis 1. Jh.) sind Funde und Gräber in Aussersihl (Bäckerstrasse), Enge (Gablerschulhaus), Altstetten (Hard) und Witikon nachgewiesen. Aus dem 1. Jh. stammen Einzel- und Münzfunde aus dem Bereich der Altstadt. Im Kanton Zürich ist bis heute nur eine Zentralsiedlung aus der Eisenzeit sicher belegt, die sich auf dem Plateau des Uto-Kulm auf dem Üetliberg befand und mit Wallanlagen geschützt war.[8]
Die keltischen Helvetier siedelten in und um Zürich, wie Funde beim Rennweg zeigen. Auf dem Lindenhof und auf dem Uetliberg bestanden wahrscheinlich keltische Oppida.[9] Die strategisch und handelstechnisch günstige Lage sowie Münzfunde lassen auf die Existenz eines Handelsplatzes schliessen. Die keltische Siedlung von ca. sieben Hektaren lag um den Lindenhofhügel.[10]
Aus der Zeit der römischen Eroberung des östlichen Helvetiens 15 v. Chr. stammt ein frühaugusteischer Militärstützpunkt auf dem Lindenhof, an den sich später eine Zivilsiedlung mit Militärstation anschloss. Der offene Marktflecken (vicus) Turicum gehörte nach der Sicherung der römischen Herrschaft zunächst zur Provinz Gallia Belgica dann nach ihrer Gründung um 85 v. Chr. zur Provinz Germania superior. Turicum war als vicus nicht befestigt, hatte aber eine Zollstation des gallischen Zolls (Quadragesima Galliarum). Waren und Reisende wurden dort vor dem Übertritt in die Provinz Raetia abgefertigt, wenn sie auf der Römerstrasse zwischen Vindonissa und Curia bzw. auf der schiffbaren Route zwischen Walensee und Rhein verkehrten, und ein Zoll von 2,5 Prozent erhoben. Die Bedeutung von Turicum liegt jedoch fast ausschliesslich in seiner Lage am Ausfluss des Zürichsees begründet, da hier die Güter von See- auf Flussschiffe umgeladen werden mussten. Auch lag Turicum an keiner wichtigen römischen Hauptstrasse.[11] Der antike Name Turicum und die Tatsache, dass dort eine Zollstation vorhanden war, ist nur dank der Grabinschrift für Urbicus, Sohn des lokalen Zollvorstehers, überliefert, die 1747 auf dem Lindenhof gefunden wurde.[12] Bedeutend war wahrscheinlich auch der Hafen, da damals Waren auf Kähnen wahrscheinlich bis nach Walenstadt geführt werden konnten. Der römische Ort lag am Fuss des Lindenhofs, eines zentralen Hügels, auf einer Insel zwischen den Flüssen Sihl, und Limmat bzw. dem Zürichsee.
Bis heute konnten nur wenige archäologische Spuren des römischen Zürich ergraben werden. Darunter befinden sich Überreste einer Thermenanlage (Thermengasse), Gräbern und Spuren von Handwerksbetrieben, Wohnhäusern sowie von Gebrauchsgegenständen und Schmuck aber auch von Kultanlagen, so einem Rundbau an der Storchengasse, ein Viergötterstein auf dem Lindenhof sowie eine Kultanlage auf der Wasserkircheninsel. Wahrscheinlich befanden sich auf dem St.-Peter-Hügel und dem Sihlbühl Tempelanlagen, ein Heiligtum stand weiter auch auf dem Grossen Hafner, einer ehemaligen Insel im See. In der Nähe des heutigen Rathauses befand sich eine Brücke. Aus spätrömischer Zeit stammen die Überreste eines mit acht bis zehn Türmen bewehrten Kastells auf dem Lindenhof. Teile der Lindenhof-Stützmauer stammen ebenfalls aus römischer Zeit.[13] Um den römischen Vicus, der von ca. 250 bis 350 Menschen bewohnt war, gruppierten sich eine Reihe von Gutshöfen, die im 1. Jahrhundert angelegt wurden. Nachgewiesen sind auf dem Gebiet der heutigen Stadt solche Anlagen in Albisrieden (Hochfeld/Galgenacker), Altstetten (Loogarten), Oerlikon (Irchel), Wipkingen (Waidstrasse) und Wollishofen (Gässli/Seestrasse).[11]
Ab 260 n. Chr. begannen die Einfälle der Alamannen in das Gebiet der heutigen Schweiz. Nach der Reichsreform von Kaiser Diokletian ab 286 kam Turicum zur Provinz Maxima Sequanorum in der Präfektur Gallia. Auf dem Lindenhof wurde im 4. Jahrhundert unter Diokletian oder Konstantin I. im Rahmen der Befestigung der Rheingrenze ein Kastell errichtet. Auch der Üetliberg wurde wieder als Beobachtungsposten und Zufluchtsort genutzt. Im Jahr 401 wurde das Kastell wie das ganze Gebiet nördlich der Alpen von den römischen Truppen geräumt. Über das weitere Schicksal der gallo-römischen Bevölkerung und der Siedlung Turicum gibt es keine gesicherten Erkenntnisse. Der vicus und das Kastell bestanden wohl in bescheidenem Rahmen als romanische Kontinuitätsinsel weiter und wurde schrittweise durch neue Bevölkerungsschichten alemannisch-fränkischer Herkunft aufgesiedelt.[14] Aufgrund der archäologischen Befunde kann eine Zerstörung der Siedlungsstrukturen in Zürich ausgeschlossen werden. Die römische Siedlung hat sich wohl bis ins Frühmittelalter kaum verändert. Römische Strassen, Gebäude und Infrastruktur wurden weiterbenutzt. Belege für die Kontinuität der ansässigen romanischen Bevölkerung und für eine Zuwanderung im Frühmittelalter liefern vor allem die in Zürich gefundenen Gräberfelder aus dieser Zeit, u. a. in Aussersihl (Bäckerstrasse), bei St. Peter (Chormauern, St.-Peter-Hügel) sowie im sog. Hofgräberfeld an der Spiegelgasse/Obere Zäune. Diese Gräberfelder wurden offenbar im 11./12. Jh. zugunsten der Friedhöfe von St. Peter, des Grossmünster und des Fraumünsters aufgegeben.[15]
Während der Einwanderung der Alamannen in den heutigen Kanton Zürich blieb das Kastell auf dem Lindenhof bestehen. Die älteste schriftliche Quelle, die auf ein Castrum Turico verweist, ist eine Vita der Heiligen Felix und Regula aus dem späten 8. Jahrhundert n. Chr. Neben dem Kastell könnte aber auch die eigentliche Siedlung Zürich mit diesem Verweis gemeint gewesen sein.[16] Auch in der Vita S.Galli führt die Missionsreise des Columbans durch Alamannien im Jahr 610 durch das castellum Turegum.[17] Der Geograph von Ravenna führt schliesslich in der erhaltenen lateinischen Übersetzung aus dem 9. Jahrhundert ein Ziurichi im Ortsverzeichnis für das Gebiet der Alamannen. Die älteste urkundliche Erwähnung Zürichs findet sich in einer Urkunde des Klosters St. Gallen vom 27. April 806/07/09/10, die in vico publico Turigo ausgestellt wurde.[18] Das heisst also nicht im Kastell, sondern wahrscheinlich in der dörflichen Siedlung Zürich, die noch nicht ummauert war. Das Kastell blieb im Frühmittelalter und teilweise im Hochmittelalter einer der wesentlichen Kristallisationspunkte der Besiedlung Zürichs, da sich hier in der Pfalz der Sitz der weltlichen Herrschaft befand.[19]
Nach der definitiven Eingliederung Alamanniens in das Reich der Franken 730 wurde das Gebiet um Zürich bei der fränkischen Reichsteilung dem östlichen Teilreich Ludwig des Deutschen zugeordnet. Für 741/46 lässt sich ein erster Graf im karolingischen Zurihgauuia nachweisen. Das Kastell Zürich bildete den Mittelpunkt eines umfangreichen Reichsgutskomplexes, der vom Aargau über Uri bis in die Ostschweiz reichte.[20] In dieser Zeit erstarkte vermutlich das zwischenzeitlich zurückgedrängte aber nie völlig aus den alten Siedlungszentren verdrängte Christentum erneut.[17] Leider gibt es aus dieser Übergangszeit neben archäologischen Funden nur spärliche Quellen und einige Legenden. Eine besagt, der alamannische Herzog Uotila habe auf dem Üetliberg residiert und diesem so den Namen gegeben. Eine andere erzählt davon, dass Karl der Grosse in Zürich eine Pfalz gehabt und sogar dort residiert habe.[21] Nicht nur durch eine Sage,[22] sondern auch urkundlich ist belegt, dass der ostfränkische König Ludwig der Deutsche am 21. Juli 853 mit einer in Regensburg ausgefertigten und besiegelten Urkunde ein bestehendes Frauenkloster in vico Turegum mit grossem Landbesitz, Immunität und einer eigenen Gerichtsbarkeit ausstattete und seiner ältesten Tochter Hildegard überschrieb. Damit begründete er das königliche Eigenkloster Fraumünster. Die entsprechende Stiftungsurkunde ist die älteste Urkunde im Besitz des Staatsarchivs Zürich.[23] Zur gleichen Zeit wurde wahrscheinlich auch eine karolingische Pfalz auf der Basis der römischen Befestigungsanlagen auf dem Lindenhof errichtet.[24] Die übrigen kirchlichen und klösterlichen Zentren der frühmittelalterlichen Siedlung Zürich, das Grossmünster, Fraumünster und St. Peter waren zu dieser Zeit wohl nur von einfachen Einfriedungen mit Wall und Graben umgeben.[25] Jedenfalls scheint die Begründung der städtischen Siedlung Zürich im Frühmittelalter auf die Franken und nicht auf die Alamannen zurückzugehen.
Kirchen und Klöster in Zürich auf dem Murerplan von Jos Murer von 1576 | |
1 Predigerkloster (Dominikaner) | 6 Kloster Fraumünster (Benediktinerinnen) |
2 «Sammlung» der Heiligen Verena (Beginen) | 7 Pfarrkirche St. Peter |
3 Barfüsserkloster (Franziskaner) | 8 Augustinerkloster |
4 Chorherrenstift Grossmünster | 9 Kloster Oetenbach (Dominikanerinnen) |
5 Wasserkirche |
Das wohl älteste sakrale Zentrum der Zürcher Altstadt ist die archäologisch seit dem ausgehenden 8. oder frühen 9. Jahrhundert fassbare und seit 857 urkundlich belegte Kapelle und später Kirche St. Peter. Sie krönt den südlichen Ausläufer des Lindenhofhügels und hat damit den prominentesten Platz der Zürcher Kirchen. Ihr Sprengel umfasste die Stadt am linken Ufer mit Ausnahme der näheren Umgebung des Fraumünsters und das Umland von Kilchberg bis Schlieren.[26] Die Chronisten Heinrich Brennwald und Gerold Edlibach bezeichneten die ausserhalb der Stadtmauern (St. Annagasse) gelegene, 1218 erstmals erwähnte, St. Stephanskirche bzw. -kapelle als die älteste Pfarrkirche Zürichs. Sie war zweifellos frühen Ursprungs, ob sie jedoch die wirklich die erste Kirche Zürichs war, lässt sich nicht belegen. Die letzten Reste der 1528 abgebrochenen Gebäude verschwanden 1909.[27]
Etwa zur selben Zeit entstand wohl ein erster Konvent bei den Gräbern der Heiligen Felix und Regula an der Stelle des heutigen Grossmünsters. Die beiden Heiligen seien der Legende zufolge auf der Wasserkirchen-Insel hingerichtet worden und dann kopflos den Hang hinaufgewandelt bis an die Stelle des Grossmünsters, wo sie begraben worden sein sollen. Ob der Legende ein wahrer Kern zugrunde liegt ist umstritten.[28] Etwa um 1480 kam noch die Episode zur Legende hinzu, die Heiligen seien am Standort von St. Stephan gerädert worden. Die Propstei St. Felix und Regula, seit 1322 bekannt unter der Bezeichnung «Grossmünster», ist zwar urkundlich erst seit 924/31 belegt, geht aber wohl ins 8. Jahrhundert zurück. Die Legende von Felix und Regula aus dieser Zeit berichtet bereits von einer seit alters bestehenden Wallfahrt, was die Existenz eines Konvents bei den Gräbern nahelegt. Um 870 wandelte der ostfränkische König Karl III. den Konvent in ein Chorherrenstift um, wahrscheinlich zur selben Zeit, als die wichtigsten Reliquien von Felix und Regula in die 874 geweihte Kirche der Abtei Fraumünster übertragen wurden.[29] Die Gründungslegende des Grossmünsterstifts um Karl den Grossen bezieht sich also wahrscheinlich auf seinen Urenkel Karl III., dessen Präsenz in Zürich jedoch urkundlich nicht nachgewiesen werden kann.[30] Zwischen Grossmünster und Fraumünster entstand damit eine «Prozessionsachse» zwischen der Grablege der Heiligen im Grossmünster, der Hinrichtungsstätte auf der Wasserkirchen-Insel zu den Reliquien in der Fraumünsterkirche.
Als königliche Stiftungen besassen das Grossmünster wie das Fraumünster ausgedehnte Ländereien. Neben Albisrieden, Schwamendingen, Fluntern, Höngg, Meilen besass das Grossmünsterstift Streubesitz bis an den Rhein, die Reuss und den oberen Zürichsee. Neben der Kathedrale war das Grossmünster im Mittelalter das bedeutendste Stift im Bistum Konstanz. Sein Sprengel umfasste ursprünglich das Gebiet rechts der Limmat bis zur Glatt.[29] Die Abtei Fraumünster besass neben dem Grundbesitz in und um die Stadt Zürich beträchtlichen Landbesitz im Urnerland, den Hof Cham, den Albiswald, d. h. den heutigen Sihlwald inklusive des Gebiets zwischen Horgen und Albisrieden am östlichen Hang des Albis, Langnau und das Reppischtal. Sein Sprengel beschränkte sich jedoch auf seine nähere Umgebung in der Stadt.[31] Die Güter der Abtei Fraumünster und des Chorherrenstiftes Grossmünster um Zürich wurden durch Ministeriale aus der Umgebung verwaltet: Die Herren von Hottingen, Mülner, Manesse, Biber, Brun, Kloten, Trostberg, Schönenwerd u. a. Die Vogteigewalt über das Reichsgut und die Güter der beiden Stifte übte ein Reichsvogt aus, der nicht den Grafen des Zürichgaus, sondern direkt dem deutschen König unterstand.
Die frühmittelalterliche Stadt stellen sich die Archäologen heute als einen Ort mit mehreren Zentren vor. Das Fraumünster, das Grossmünster, die Peterskirche und die Pfalz waren mit Einfriedungen und Wallanlagen umgeben. Dazwischen entwickelte sich im 9./10. Jahrhundert eine städtische Siedlung, die ab dem 10. Jahrhundert als civitas bezeichnet wurde.[34] Die Bedeutung der befestigten Pfalz zeigt unter anderem auch, dass um 940 herum das Kloster Disentis seine Reliquien und Bücher vor den Ungarn in Zürich in Sicherheit brachte. Impulse für die Stadtentwicklung gab eine Vergrösserung der Pfalz im 11./12. Jahrhundert unter den Ottonen und den Saliern. Zürich war seit der Eroberung durch den Herzog von Schwaben nach der Schlacht bei Winterthur 919 mit seiner Pfalz einer der Hauptorte des Herzogtums in Schwaben.[35]
Dass die Herrschaft über Zürich von verschiedensten weltlichen und geistlichen Gewalten beansprucht wurde, veranschaulicht die Münzprägung. Die ältesten aufgefundenen Münzen, die in Zürich geprägt wurden, tragen den Namen des ostfränkischen Königs Ludwig IV., daneben zeigte König Rudolf II. von Burgund seine Herrschaftsansprüche auf Zürich durch entsprechende Münzen an, abgelöst von den schwäbischen Herzögen Hermann I. bis Ernst II. sowie den deutschen Königen aus der Dynastie der Ottonen. König Heinrich III. übertrug schliesslich das Münzrecht anlässlich der Neuverleihung der schwäbischen Herzogswürde um 1045 an das Fraumünster. Neben dem Münzrecht zeichneten auch der seit alters vorhandene Zoll und das Marktrecht Zürich bereits im Frühmittelalter als überregionales Handelszentrum aus.[36] Unter den deutschen Königen und Zähringer Herzögen entwickelte sich Zürich im 11. und 12. Jahrhundert zum bedeutendsten Marktort für die Zentral- und Ostschweiz mit Handelsverbindungen nach Norditalien und über den Rhein bis nach Holland und Flandern.[37]
Die Herzöge von Schwaben, die sich im 10. und 11. Jahrhundert oft an der Limmat aufhielten, standen in direkter Konkurrenz zu den deutschen Königen. Während für die karolingische Zeit keine königliche Anwesenheit in Zürich belegt ist, zeichneten ab 952 bzw. 1027 die ottonischen und salischen Könige und Kaiser die Stadt durch ihre häufige Anwesenheit aus. Zuerst Otto I. und Heinrich II. nur in schwäbischen, dann ab 1018 von letzterem erstmals in Angelegenheiten des Reiches.[38] Mehrfach fanden Feste und Reichstage in der Pfalz auf dem Lindenhof statt, so der Reichstag an Pfingsten 1052, den Kaiser Heinrich III. mit Adligen aus der Lombardei abhielt, oder die Verlobung seines Sohnes Heinrich IV. an Weihnachten 1055.[39] Wahrscheinlich liess Heinrich III. in Zürich nach dem Vorbild der Pfalz in Goslar einen Neubau mit Palas und Saal errichten. Die Pfalz Zürich trat damit von der Rolle eines schwäbischen Vorortes in die Rolle eines Vorortes des Reiches, besonders für Reichstage in Angelegenheiten der Teilreiche Burgund und Italien nördlich der Alpen zu beraten waren.[40] Bischof Otto von Freising nannte Zürich in den Gesta Friderici imperatoris im Rückblick auf diese Zeit nobilissimum Sueviae oppidum, also die vornehmste Stadt Schwabens. An ihrem Stadttor prange die Inschrift Nobile Turegum multarum copia rerum – Zürich, edel durch Fülle an vielen Dingen.[41] Ende des 12. Jahrhunderts wurde die wichtige Stellung Zürichs mit dem Bau einer ersten Stadtbefestigung unterstrichen.[42]
Die Herrschaft über die Stadt Zürich und die geistlichen Stifte übte im Mittelalter eigentlich der deutsche König bzw. der Herzog von Schwaben aus. Die königlichen Herrschaftsrechte wurden an einen Reichsvogt delegiert. Dieses lukrative Amt war zwischen den vornehmsten Adelsgeschlechtern im damaligen Herzogtum Schwaben umstritten, namentlich den Zähringern und den Lenzburgern. Die Grafen von Lenzburg hielten seit der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts die Vogteien über das Gross- und das Fraumünster in erblichem Besitz. Erst als die Lenzburger 1172 ausstarben, fiel die Vogtei über Gross- und Fraumünster endgültig an die Zähringer. Mit ihrem Anspruch auf das Herzogtum Schwaben ab 1079 beanspruchten sie damit die gesamte politische Herrschaft über Zürich. Als die Zähringer zugunsten der Staufer auf das Herzogtum Schwaben verzichteten, erhielten sie vom Kaiser zur Entschädigung Zürich als direktes Reichslehen, so dass Zürich definitiv ganz unter zähringische Hoheit kam.[43] Damit verlor die Pfalz Zürich auch ihre wichtige Funktion an der Schnittstelle der tria regna, Deutschland, Burgund und Italien. Die staufischen Herrscher behandelten die italienischen Angelegenheiten fortan in Konstanz.[44] Herzog Berchtold IV. von Zähringen, ab 1173 Reichsvogt von Zürich, gilt als Stifter des Pfründer („Hausbrüder“) und „arme lüte, die so krank und siech an ihr libe sint, daß sy das Almusen nit gesichen mögen“, aufnehmenden[45] Heilig-Geist-Spitals am Zähringerplatz (bis 1842), aus dem 1804 das Kantonsspital hervorging.[46] Berchtold V. führte dann bereits den Titel eines Kastvogts und sah sich laut einer seiner Urkunden von 1210 als Inhaber sämtlicher Hoheitsrechte des Reichs in Zürich.[47] Als Kastvogt war wohl einerseits die noch von den Lenzburgern ausgebaute Pfalz auf dem Lindenhof sein Amtssitz, andererseits aber auch das Amtshaus «zum Loch» beim Grossmünster. Im Gegensatz zu anderen Städten unter zähringischer Herrschaft, kam es in Zürich jedoch nicht zu einer planmässigen Stadterweiterung.[48]
Nach dem Aussterben der Zähringer 1218 teilte König Friedrich II. die Reichsvogtei auf. Die Gebiete rechts der Limmat gingen an die Grafen von Kyburg, diejenigen links der Limmat an die Freiherren von Eschenbach-Schnabelburg. Das Gebiet der Stadt mit den angrenzenden Siedlungen Hottingen, Fluntern, Ober- und Unterstrass, Wiedikon, Aussersihl, Stadelhofen, Trichtenhausen, Zollikon, Küsnacht und Goldbach fielen an die Fraumünster-Abtei. Gross- und Fraumünster wurden reichsunmittelbar.[49] 1219 stellte Friedrich II. dem Fraumünster, dessen Untertanen und den Bürgern von Zürich eine Urkunde aus, die fast zwingend auch die Reichsunmittelbarkeit der Stadt impliziert, da er den Ausdruck, de gremio oppidi nostri verwendete – also von der «Schar unserer Stadt» sprach. Mit der Urkunde erhielt der Rat der Stadt Zürich erstmals formale, rechtliche und politische Kompetenzen für eine kommunale Selbstverwaltung. Zürich wurde eine Reichsstadt.[50] Das Amt eines Reichsvogtes von Zürich war nun zeitlich zuerst auf vier, dann auf zwei Jahre beschränkt. Seine Aufgabe war die Friedenswahrung und die Ausübung der Hohen Gerichtsbarkeit sowie der Schutz der königlichen Güter. In der Regel wurden die Reichsvögte aus dem Kreis der mächtigen Zürcher Geschlechter der Biber, Bockli, Brun, Glarus, Manesse, Mülner oder Wisso ernannt.[51]
Eigentliche «Stadtherrin» von Zürich war nach 1218 die jeweilige Äbtissin des Fraumünsters. Friedrich II. verband den Titel einer Fraumünsteräbtissin 1245 mit dem Reichsfürstenstand. Ihre formellen Kompetenzen umfassten das an die Stadt bzw. Ministerialgeschlechter verliehene Zoll-, Markt- und Münzrecht, sie setzte den Schultheissen als Vorsteher des Niedergerichts ein und hatte ein Mitspracherecht bei der Wahl des Reichsvogtes. Bis 1433 bestätigte sie die Stadtverfassung und vertrat die Stadt zeitweise gegen aussen. Für die entstehende Stadtgemeinde war sie neben dem Reich die wichtigste Legitimationsquelle. In Konkurrenz zum Fraumünster standen die Kaufleute der Stadt, die ein eigenes Kaufmannsrecht mit Selbstverwaltung ihrer beruflichen Interessen besassen sowie das Grossmünster, das versuchte, durch die Erhebung Karls des Grossen zum Gründervater seinen politischen Status zu erhöhen. Beide geistlichen Stifte schafften es jedoch nicht, wie beispielsweise das Kloster St. Gallen, sich im 13. Jahrhundert die Grundlagen für einen spätmittelalterlichen Territorialstaat zu verschaffen, weil sie weder die politisch-rechtliche Vormundschaft ihrer Vögte, ab dem 14. Jahrhundert die Habsburger, noch die Kontrolle durch die Stadt abschütteln konnten.[52]
1220 finden sich erstmals Spuren eines Stadtrates, der seit 1225 ein eigenes Siegel führte. Auf dem Siegel war neben Felix und Regula auch deren Diener Exuperantius abgebildet. Dieser steht wohl für den Rat und die Bürgerschaft Zürichs, die neu neben das Gross- und das Fraumünster traten. Das Siegel verkörperte die eigene Rechtspersönlichkeit der Bürgerschaft und des Stadtrates. Die Umschrift des Siegels lautete sigillum consilii et civium Thuricensium. Fortlaufend gingen verschiedene Herrschaftsrechte der Fraumünsterabtei zuerst als Pfand, später zu freier Verfügung an den Stadtrat über. Dieser Vorgang wurde durch den Kampf zwischen Kaiser Friedrich II. und dem Papsttum begünstigt. Weil die geistlichen Stifte zu Rom hielten, während die Bürgerschaft der Partei des Kaisers folgte, wurden die geistlichen Personen samt der Äbtissin 1247/49 sogar aus der Stadt vertrieben, was zur Festigung der politischen Stellung der Bürgerschaft führte. Neben dem Rat wird ab der Mitte des 13. Jahrhunderts auch die Bürgerschaft wichtiger, so dass zur Wende ins 14. Jahrhundert sich die Formel rat und die burger von Zürich in wichtigen Rechtsdokumenten bereits durchsetzte.[51]
Um 1250 wurde mit dem Richtebrief zum ersten Mal eine Sammlung aller damals in Zürich geltenden Gesetze angelegt, also das Stadtrecht schriftlich niedergelegt. Das Hauptziel der Satzung war, den Frieden und das Wohl der Bürger innerhalb der Stadtmauern zu gewährleisten. Zu diesem Zweck wurde die Ahndung der Verbrechen gegen Leib und Leben, Massnahmen gegen das Fehdewesen sowie die Kompetenzen von Rat, Gericht sowie Polizeimassnahmen geregelt. Explizit verboten waren Schwurverbände innerhalb der Bürgerschaft, was sich gegen Zünfte und Gesellschaften richtete. Durch eine spezielle Ordnung und Satzung der Pfaffheit wurde auch der Klerus dem Richtebrief unterworfen, allerdings sollten nur Laien vom Stadtrat abgeurteilt werden und Geistliche vor einem Chorgericht des Grossmünsterstifts.[53] Der Stadtrat bestand noch ausschliesslich aus Ritterbürtigen und Patriziern, d. h. ratsfähigen Bürgerfamilien, ein Bürgermeisteramt bestand noch nicht. 1262 wurde die rechtliche Stellung der Stadt noch einmal gefestigt, als der deutsche König Richard von Cornwall nicht nur wie seine Vorgänger die Privilegien der beiden geistlichen Stifte, sondern gleichzeitig auch die Reichsfreiheit der Bürgerschaft ausdrücklich bestätigte. Damit wurde Zürich definitiv zur Reichsstadt. Die entsprechenden Privilegien liess sich die Stadt später wiederholt vom jeweiligen Reichsoberhaupt bestätigen, zuletzt 1521 durch Kaiser Karl V.
Während des Interregnums 1256–1273 suchte Zürich Schutz bei Graf Rudolf IV. von Habsburg und schloss sich dem Rheinischen Städtebund an und beschwor den ersten schwäbischen Landfrieden von 1281. Mit aller Deutlichkeit kam die selbständige Stellung der Stadt 1267 in der Fehde mit den Freiherren von Regensberg zum Ausdruck. In einem langen Kleinkrieg konnte Zürich mit Unterstützung der Habsburger seine Position gegen die Regensberger behaupten. Dabei wurden 1268 unter anderem die regensbergische Stadt Glanzenberg beim Kloster Fahr und vielleicht auch die Üetliburg zerstört. Nachdem Rudolf 1273 deutscher König geworden war, kam es jedoch zu einer schnellen Entfremdung Zürichs von den Habsburgern, da Rudolf habsburgische Ministeriale als Reichsvögte einsetzte und in ungewohnter Weise Reichssteuern einzog.[53] Nach Rudolfs Tod 1291 schloss Zürich deshalb eine befristete Koalition mit Uri und Schwyz gegen Habsburg.[54] Herzog Albrecht I. von Österreich eröffnete deshalb eine Fehde gegen Zürich,[51] aus welcher der Chronist Johannes von Winterthur folgende Episode überliefert: Die Zürcher zogen zu einem Kriegszug gegen Winterthur, der zu einem regelrechten Desaster wurde. Es seien so viele Männer gefallen, dass Zürich praktisch schutzlos zurückgeblieben sei. Herzog Albrecht I. versuchte deshalb Zürich einzunehmen und legte ein Heer vor die Stadtmauern. In dieser verzweifelten Situation hätten sich die Zürcherinnen als Krieger verkleidet und seien geführt von Hedwig ab Burghalden mit langen Spiessen auf den Lindenhof gezogen. Die Belagerer hätten geglaubt, ein starkes Heer sei irgendwie in die Stadt gelangt und hoben die Belagerung auf. Tatsächlich zog Zürich im April 1292 gegen die habsburgische Stadt Winterthur ins Feld, musste dann aber nach sechsmonatiger Belagerung vor Albrecht I. kapitulieren.[55] Danach wurde der Einfluss der Ritter auf den Stadtrat stark zugunsten der habsburgfreundlichen Kaufleute eingeschränkt, die seit 1293 die Mehrheit im Rat stellten.[56] Zürich musste als Folge der Niederlage auch das Bündnis mit Uri und Schwyz aufgeben, erhielt aber von Albrecht den Sihlwald, der bisher den Herren von Eschenbach als Vogtei zugewiesen war. Zürich hielt danach während längerer Zeit die Treue zu Habsburg und unterstützte unter anderem auch Herzog Leopold I. von Österreich im Morgartenkrieg gegen die Eidgenossenschaft.[51]
Der rechtliche und wirtschaftliche Aufstieg der Stadt Zürich im 12. Jahrhundert spiegelte sich in einer bedeutenden baulichen Erweiterung. Als sichtbare Zeichen der sich entwickelnden städtischen Autonomie entstanden die ersten Steinhäuser und Adelstürme, vier grosse Klöster der Bettelorden der Dominikaner (Predigerkloster, Oetenbach), Franziskaner (Barfüsserkloster), Augustiner in Konkurrenz zu den etablierten geistlichen Zentren Grossmünster und Fraumünster und ein erstes Rathaus an der Limmat.[57] Ende des 13. Jahrhunderts wurde das ganze Stadtgebiet mit der zweiten Stadtbefestigung (→Stadtbefestigung von Zürich) umgeben, wie sie auf dem Murerplan von 1576 dokumentiert ist. In dieser Zeit war Zürich wahrscheinlich unter Patronage der Fraumünsteräbtissin Elisabeth von Wetzikon ein Zentrum des Minnegesangs, dokumentiert durch die die berühmte Manessische Liedersammlung, die durch eine Sammlung der städtischen Patrizierfamilie Manesse in Zürich begründet wurde. Die Zürcher Adelsinventare der Zeit zählen im Umfeld der Stadt fünf hochadlige Familien (Zähringer, Nellenburger, Lenzburger, Kyburger, Habsburger), rund 25 Adelsgeschlechter freiherrlichen und gut 90 Geschlechter ritterlichen Standes, letztere überwiegend Ministeriale der geistlichen und weltlichen Herren der Region.[58] Um 1300 hatte Zürich zwischen 8'000 und 9'000 Einwohner. Die Bevölkerung bestand aus «Stadtadligen», d. h. in der Stadt ansässigen Ministerialen und Rittern, «Burgern», d. h. reichsunmittelbaren Fernkaufleuten und zu Reichtum gelangten Bürgerfamilien, sowie fast rechtlosen Handwerkern und Leibeigenen. Eine spezielle Gruppe bildeten die rund 200–300 Juden, Cawertschen und Lombarden (südfranzösische und italienische Geldverleiher), die durch Kreditwesen und Geldhandel zum Teil zu Wohlstand gekommen waren, aber keine politischen Rechte hatten.[59]
Die wirtschaftliche und demographische Entwicklung Zürichs erreichte im 13. und 14. Jahrhundert einen ersten Höhepunkt. Zürich war einer der bedeutendsten Marktorte im oberdeutschen Raum mit Handelsverbindungen nach Norditalien und über den Rhein in den niederdeutschen Raum. Die Zürcher Münzen und Masse waren zwischen Oberrhein und Alpen bestimmend und die Stadt hatte eine eigene Textilindustrie ausgebildet. Wollwaren, Leinenstoffe und verarbeitete Seidenprodukte wurden weiträumig exportiert. Ausdruck bzw. Folge dieser wachsenden wirtschaftlichen Potenz war die wachsende jüdische und lombardische Minderheit, die den für den Handel wichtigen Kredit verfügbar machten. Folge dieser Entwicklung waren die zunehmende kulturelle Bedeutung Zürichs, da wohlhabende Familien das Kunstschaffen förderten, und eine zunächst friedliche territoriale Expansion durch systematische Käufe von Land und Rechten entlang der Handelswege. Voraussetzung für diese Blüte war ein gutes Einvernehmen mit den regional bedeutenden Adelsgeschlechtern, vor allem den Habsburgern, und der überregionalen Reichsgewalt.[37]
Wie in vielen Städten entlud sich auch in Zürich im 14. Jahrhundert die Spannung zwischen den wirtschaftlich aufstrebenden, rechtlosen Handwerkern und den politisch bestimmenden alten Ritter- und Bürgergeschlechtern in einem politischen Umsturz. 1336 erhoben sich die Handwerker unter der Führung des Ritters Rudolf Brun und mit finanzieller Unterstützung des reichsten Zürchers Gottfried Mülner und vertrieben den bisherigen Stadtrat von der Macht. Im Ersten Geschworenen Brief wurde am 16. Juli 1336 durch Brun nach dem Vorbild des Strassburger Schwörbriefs eine neue Verfassung für Zürich vorgelegt, die 1337 von wittelsbachischen Kaiser Ludwig IV. bestätigt wurde (→Brunsche Zunftverfassung): Die Handwerker wurden in 13 neu gegründeten Zünften organisiert, die Ritterschaft und die Geldaristokratie in der sog. Konstaffel. Der 26-köpfige Stadtrat bestand fortan aus je 13 Vertretern der Zünfte sowie der Konstaffel, die halbjährlich neu bestellt wurden. Im Zentrum der neuen Ordnung stand das Amt des auf Lebzeiten gewählten Bürgermeisters, der überdies weitreichende Kompetenzen bei der Bestellung der Stadträte erhielt und dem die Bürgerschaft Gehorsam schwören musste. Das Hauptresultat der sog. Zürcher Zunftrevolution war also neben der Zulassung der Handwerkerzünfte der Aufstieg Rudolf Bruns zum zeitweiligen Alleinherrscher Zürichs. Die durch Brun geschaffene Verfassung blieb trotz mehrfacher Revisionen des Geschworenen Briefs in ihren Grundzügen bis 1798 in Kraft.[60]
Die abgesetzten Räte und ihre Familien wurden aus der Stadt verbannt, organisierten aber mit der Unterstützung der Grafen von Rapperswil den Widerstand gegen Brun und die neue Zürcher Verfassung. Rudolf Brun scharte derweil die Stadtbürger durch Hetze gegen die ansässigen Juden hinter sich, die im Richtebrief zur Gewährung von Darlehen an die Bürger verpflichtet waren. Am 24. Februar 1349 wurden alle männlichen Juden Zürichs in einem Pogrom getötet.[61] Wahrscheinlich wurden sie in ein Haus gesperrt, das dann in Brand gesetzt wurde. Frauen und Kinder überlebten und flohen. Die Synagoge an der heutigen Froschaugasse wurde zerstört. Den Besitz der Juden teilten sich Stadt und König, alle Schulden der Bürger bei den Juden wurden aufgehoben. Bald siedelten sich jedoch erneut Juden in Zürich an. 1436 beschloss dann der Rat, die Juden endgültig auszuweisen.[62] 1350 misslang ein Handstreich der Opposition gegen Brun auf die Stadt, die Mordnacht von Zürich.
Angesichts zunehmender aussenpolitischer Schwierigkeiten suchte Brun schliesslich Unterstützung bei den Habsburgern. Die Zerstörung und Plünderung der Stadt Rapperswil durch Brun veranlasste jedoch Herzog Albrecht II. zum Vorgehen gegen Zürich, da er der Schutzherr und ein Verwandter des Rapperswiler Grafen Johann II. aus dem Haus Habsburg-Laufenburg war. In dieser Situation suchte Brun ein Bündnis mit den zu dieser Zeit politisch isolierten vier Waldstätten. Am 1. Mai 1351 beschworen die Bürger von Zürich ein ewiges Bündnis mit der Eidgenossenschaft. Die Hauptlast im Krieg mit Herzog Albrecht II. von Habsburg trug trotzdem Zürich. 1351, 1352 und 1354 wurde die Stadt erfolglos von habsburgischen Truppen belagert. Erst 1355 kam ein Friede zwischen Zürich und Habsburg zustande. Brun erwies sich als rücksichtsloser Taktiker, denn er schloss den Frieden ohne die Eidgenossen zu beteiligen.
Nach Bruns Tod 1360 führten seine Nachfolger dessen Territorialpolitik weiter. Im 15. Jahrhundert profitierte Zürich schliesslich von der Gegnerschaft der Luxemburger und der Habsburger im Reich. Mehrere Herrscher aus dem Haus Luxemburg überliessen Zürich wichtige Hoheitsrechte, um die Stadt gegenüber den Habsburgern zu stärken. Noch unter Brun gelang es 1353 das kaiserliche Privileg zu erhalten, dass Zürich nicht mehr vor auswärtige Gerichte geladen werden konnte. Ein weiterer wichtiger Schritt war die Übertragung einer ganzen Reihe von Reichsrechten durch Kaiser Karl IV. 1362 und 1365. Unter anderem überliess der Kaiser Zürich den Zürichsee bis nach Hurden samt Fischerei- und Schifffahrtsrechten, die Anwartschaft auf das Erbe der Rapperswiler Grafen, ferner das Recht, adlige Herren der Landschaft ins zürcherische Burgrecht aufzunehmen, und die sehr wichtige Befugnis, im Umkreis von drei Meilen ledig gewordene Reichslehen einzuziehen und neu zu besetzen. Damit war die Möglichkeit gegeben, die umliegenden Gebiete der einstigen Reichsvogtei Zürich unter die Oberhoheit der Stadt zu bringen. Durch das Bündnis mit der Eidgenossenschaft bezog Zürich denn auch wiederholt eine anti-habsburgische Position, so im Sempacherkrieg 1386–1388. Im Jahr 1400 verlieh König Wenzel dem Stadtrat das Recht, den Reichsvogt als Vorsitzenden des Blutgerichtes selbst zu wählen und befreite Zürich von der Reichssteuer. 1415 folgte die Befreiung vom Reichs- und Landgericht, 1431 das Privileg, die Blutgerichtsbarkeit in seinem Herrschaftsgebiet selbst verleihen zu dürfen. Kaiser Sigismund krönte diese Privilegierung schliesslich 1433 mit dem Recht, Erlasse jeder Art letztinstanzlich und gültig zu verabschieden und der Verleihung der Lehenshoheit über die Reichslehen Kyburg, Regensberg und Grüningen. Damit wurde die Stadt durch geschicktes Taktieren zwischen den Luxemburgern, Habsburgern und der Eidgenossenschaft in ihrem Herrschaftsbereich durch kaiserliche Privilegierung faktisch unabhängig.[63]
Als Folge der Auseinandersetzungen zwischen der Eidgenossenschaft und Habsburg kam es in der Stadt zu Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern beider Seiten. Die eidgenössisch gesinnten Zünfte erwirkten eine Reihe von Beschlüssen, den Zweiten Geschworener Brief von 1393, um die Macht der habsburgfreundlichen Stadtadligen und Kaufleute zu brechen. Seit dieser Zeit wurde Zürich von zwei Räten, dem «Kleinen» und dem «Grossen» Rat (auch Rat der Zweihundert genannt) aus Vertretern der Zünfte, der Stadtadligen und der Kaufleute regiert. Die Mitglieder beider Räte waren faktisch lebenslang gewählt und ergänzten sich selbst durch Kooptation. Zürich wurde damit zu einer «Zunftaristokratie». Der Preis der Brunschen Politik war der Zusammenbruch des Zürcher Fernhandels und der Seidenindustrie. Durch die politische Entmachtung der bisher dominierenden Kaufleute wurde dieser handelsfeindliche und handwerksfreundliche Trend bestätigt.[37]
Hauptartikel: Territoriale Entwicklung Zürichs
Die endgültige Abwendung von Habsburg und die Sicherung des Übergewichts der Handwerkerzünfte führte zu einem Rückgang der Exportindustrie und des Handels.[64] Der alte, von Kaufleuten beherrschte Rat hatte versucht, von der aus der Westschweiz und von Basel limmataufwärts nach Zürich und von da über Chur nach Italien führenden Handelsstrasse eine möglichst grosse Strecke unter zürcherische Kontrolle zu bringen. Die Zünfte wollten hingegen ein möglichst grosses Hinterland um die Stadt herum beherrschen, das einen Teil der Produktion der städtischen Zünfte aufnehmen konnte und die Versorgung der Stadt mit Rohstoffen und Getreide sicherstellte. Ende des 14. Jahrhunderts verfügte die Stadt jedoch erst über wenige direkte Herrschaftsgebiete ausserhalb der Stadt, vor allem entlang des Zürichsees und im Limmattal. Diese Besitzungen waren das Resultat einer manchmal eher zufälligen Erwerbspolitik.[65] Die Stadt Zürich sicherte ihren Einfluss ausserhalb ihrer Mauern durch die Vergabe von Pfahlbürgerrechten an Bewohner umliegender Dörfer und Kleinstädte und den Abschluss von Burgrechten mit Adligen und Klöstern. Ein weiteres Mittel zur Ausdehnung des städtischen Einflusses war der Erwerb von Herrschaftsrechten durch städtische Adelsgeschlechter (Gerichtsherrschaften). Unter Bürgermeister Rudolf Brun begann Zürich dann direkt Untertanengebiete zu erwerben. Dies wurde dadurch möglich, dass die Habsburger aus Geldnot ihren rechtsrheinischen Besitz in kleineren Bestandteilen an regionale und stadtzürcherische Adelsgeschlechter verpfändeten wie z. B. die Brun und Mülner. An der Wende des 14. zum 15. Jh. kamen etliche dieser Adelsgeschlechter ihrerseits in Geldnot und gaben ihre habsburgischen Pfandschaften gegen Geld an die Stadt Zürich weiter. Die Stadt gelangte so in den Besitz der Herrschaften Greifensee, Grüningen und Regensberg und Maschwanden-Eschenbach-Horgen. Ergänzt wurden diese Gebiete durch den Kauf der Reichsvogteien in und um Zürich um 1400. Dazu kam die wachsende Nachfrage nach Burgrechten mit Zürich bei Klöstern, Städten, Gemeinden und Adligen, weil die Verlagerung der habsburgischen Politik weg von der Ostschweiz und die Krise der habsburgischen Macht überhaupt den landesherrlichen Schutz Zürichs effektiver und die Karrieremöglichkeiten attraktiver erscheinen liess. Die Burgrechte beinhalteten oft nicht nur gegenseitigen militärischen Beistand, sondern verpflichteten den Schutznehmer auch seine Burgen für Zürich offenzuhalten, sich der städtischen Gerichtsbarkeit unterzuordnen und enthielten manchmal auch ein Vorkaufsrecht der Stadt.[66]
Im Zusammenhang mit dem vom König Sigismund ausgerufenen Reichskriegs gegen Herzog Friedrich IV. von Österreich besetzte die Stadt Zürich 1415 Teile des habsburgischen Aargaus (Kelleramt, Freiamt Affoltern) und begann mit einer zielstrebigen Territorialpolitik, die ebenfalls mit königlicher Unterstützung zur Übernahme der habsburgischen Grafschaft Kyburg und der landenbergischen Herrschaft Andelfingen führte. Sigismund verlieh Zürich 1433 auch den Blutbann über alle ehemals habsburgischen Gebiete.[67] Weiter machte die Stadt Zürich ihr Hoheitsrecht über alle Gebiete geltend, mit deren Besitzern sie in einem Burgrecht stand, z. B. die Herrschaft Wädenswil des Johanniterordens oder die Gemeinden Rüschlikon, Meilen, Fluntern und Albisrieden des Chorherrenstifts Grossmünster. Wenn der Stadtrat ein Gebiet für Zürich kaufte, musste er die althergebrachten Rechte und die Verwaltungsordnung des erworbenen Gebiets respektieren. So wurde jede Erwerbung zu einem eigenen Verwaltungsbezirk, was eine recht uneinheitliche und unübersichtliche Verwaltungsgliederung des städtischen Herrschaftsgebiets ergab. Es wurde nach der Art der Verwaltung zwischen Ober- und Landvogteien unterschieden. Jeder Versuch der Stadt, eine Vereinheitlichung ihres Herrschaftsgebiets zu erreichen, wurde von den Bewohnern der betroffenen Gebieten als Eingriff in ihre «alten Freiheiten» gesehen und heftig bekämpft. Das uneinheitliche Bild wurde dadurch vervollständigt, dass innerhalb des Herrschaftsgebiets der Stadt zahlreiche Gerichtsherrschaften fortbestanden, in denen Private oder Klöster die niedergerichtlichen Kompetenzen innehielten.
Die Expansion der Stadt Zürich führte zum Konflikt mit Schwyz am oberen Zürichsee über die Kontrolle der Grafschaft Uznach, der Grafschaft Sargans und der Herrschaft Gaster, der im Alten Zürichkrieg mündete. Zürichs Bürgermeister Rudolf Stüssi erklärte 1439 Schwyz den Krieg. Die übrigen Eidgenossen unterstützten dabei Schwyz, weshalb Stüssi 1440 auf einen vorläufigen Waffenstillstand einwilligte. Stüssi verhandelte danach mit Kaiser Friedrich III. und erreichte die Zusage, Zürich gegen eine Rückgabe der Grafschaft Kyburg an Habsburg die Grafschaften Uznach und Toggenburg zu übertragen sowie militärische Unterstützung durch Habsburg. Nach dem neuerlichen Ausbruch der Feindseligkeiten erlitt Zürich in der Schlacht bei St. Jakob an der Sihl am 22. Juli 1443 eine Niederlage, Bürgermeister Stüssi fiel. Zürich wurde letztlich nur durch den Einfall der Armagnaken in die Eidgenossenschaft gerettet. Nach deren Rückzug und dem Sieg der Eidgenossen über ein habsburgisches Heer bei Bad Ragaz kam es 1450 zum Friedensschluss: Zürich verlor die Höfe an Schwyz und musste seine Expansionspläne ins Linthgebiet aufgeben. Heftige innere proeidgenössische und prohabsburgische Auseinandersetzungen im Inneren Zürichs fanden nun ihr Ende.[68]
Der lange Krieg und die wiederholten Plünderungen der Landschaft durch die Eidgenossen fügten der Wirtschaft Zürichs empfindlichen Schaden zu. Dadurch wurde auch eine Abkehr der Zürcher Nobilität vom Fernhandel eingeleitet. Stattdessen strebten die ratsfähigen Familien nun in den Dienst der Stadt als Vögte oder Beamte und wurden zu einem «Verwaltungspatriziat». Adliger Lebenswandel, Repräsentation, die Erwerbung von kaiserlichen Wappenbriefen sowie der Ritterschlag gehörten dabei zum üblichen äusseren Merkmal dieser neuen städtischen Oberschicht.[69] Die Bevölkerung ging während des Zürichkrieges von 7000 auf unter 5000 zurück, die erste Blütezeit Zürichs war damit definitiv zu Ende, Zürich drohte in den Rang einer Kleinstadt zurückzufallen.[37]
Bei der Eroberung des Thurgaus (1460) und im Waldshuterkrieg (1468) kämpfte Zürich wieder an der Seite der Eidgenossenschaft und stieg wegen seiner wirtschaftlichen und militärischen Bedeutung gegen Ende des 15. Jahrhunderts zum Vorort der alten Eidgenossenschaft auf. Zürich berief die Tagsatzung ein und führte deren Vorsitz bis zum Ende der Alten Eidgenossenschaft 1798. Mit der Erwerbung von Winterthur (1467), Stein am Rhein (1459/84) und Eglisau (1496) wurde das Territorium abgerundet. In den Burgunderkriegen spielte Zürich unter Bürgermeister Hans Waldmann eine führende Rolle. Alle Bemühungen Waldmanns, die Stellung Zürichs in der Eidgenossenschaft weiter auszubauen, scheiterten aber am Widerstand Berns und der Landkantone. Nach dem Waldmannhandel, einer innerstädtischen Intrige, kam es 1489 zu einer Erhebung der Bauern im zürcherischen Herrschaftsgebiet und zur Hinrichtung von Hans Waldmann. Durch Vermittlung der Eidgenossenschaft kam in den Waldmannschen Spruchbriefen eine Verständigung mit der Landschaft zustande. Die Zugeständnisse an die Bauern waren unbedeutend, allerdings kamen dadurch die Bestrebungen die Herrschaft über die Landschaft zu vereinheitlichen und zu zentralisieren zu einem Ende.[70] Eine Regierungsbeteiligung der Landschaft kam zwar nicht zustande, bei wichtigen Entscheidungen wurde aber ein Mitwirkungsrecht der Landschaft etabliert. Diese Einrichtung spielte während der Mailänderkriege und der Reformation eine wichtige Rolle. Trotzdem hatte die von Zürich beherrschte Landschaft faktisch keine politischen Rechte und wurden je nach Status von lokal residierenden Landvögten oder von in der Stadt lebenden Obervögten regiert, die aus der Zürcher Nobilität stammten und vom Stadtrat eingesetzt wurden. Die feudalen Rechte der Grundherrschaft in den Untertanengebieten waren meistens in der Hand der Stadt oder von städtischen Familien und die damit verbundenen Geldzahlungen und Frondienste wurden bis ins 19. Jahrhundert nötigenfalls mit Gewalt eingefordert. Auf das Leben in der Landschaft wirkten sich zudem eine steigende Zahl von städtischen Verordnungen (→Mandate) aus, die einerseits moralische (z. B. Tanz-, Spielverbot, Kleiderordnung) andererseits wirtschaftspolitische Ziele hatten (z. B. Gewerbeordnung, Einschränkung des Reislaufens und der Auswanderung). Diese sog. «Sittenmandate» führten bisweilen zu offenem Widerstand in der Landschaft, wie im Waldmannhandel, als das Verbot zur Haltung von grossen Jagdhunden für Bauern zum Aufstand führte.[71]
Zürich vertrat auch nach Waldmanns Sturz in der Eidgenossenschaft die Interessen Habsburgs, während Bern für Frankreich Einfluss nahm. Der Versuch Kaiser Maximilians, die Eidgenossenschaft wieder enger mit dem Reich zu verbinden, veranlasste einen Frontwechsel und Zürich beteiligte sich am Schwabenkrieg 1499. Während der Mailänderkriege (1500–1522) stand Zürich auf der Seite des Papstes und bekämpfte die Werbung von eidgenössischen Söldnern für Frankreich. Die eidgenössischen Kriegszüge nach Mailand zwangen Zürich erneut, auch die Bevölkerung der Landschaft zum Kriegsdienst aufzubieten, was nach einer Volksbefragung zunächst geduldet wurde. Nach der Niederlage bei Marignano (1515), in der etwa 800 Zürcher von Stadt und Land fielen, kam es aber auf der Landschaft erneut zu einem Aufstand, da die Söldnerführer aus der Stadt für das Desaster verantwortlich gemacht wurden. Der sog. Lebkuchenkrieg konnte im Dezember 1515 durch die exemplarische Hinrichtung einiger Söldnerführer beigelegt werden.
Im Spätmittelalter war Zürich mit durchschnittlich etwa 5000 Einwohnern eine grössere Mittelstadt wie etwa Bern, Schaffhausen, Luzern oder St. Gallen. Basel und Genf hatten als Grossstädte um die 10'000 Einwohner. Nach der grossen Pest von 1348/49 ging die Bevölkerung bis Mitte des 15. Jh. bis unter 4000 Einwohner zurück, bevor wieder ein Wachstum einsetzte. Innerhalb der Stadt ging die Zahl der adligen Geschlechter zurück und auch die bürgerlichen Patriziergeschlechter nahmen stark ab zugunsten der Zunftbürger. Nach 1378 war die Mitgliedschaft in einer Zunft Voraussetzung für die Erteilung des Bürgerrechts und fast alle zünftigen Gewerbe wurden umgekehrt bis Ende des 15. Jh. an die Mitgliedschaft in einer Zunft gebunden. Das Zürcher Bürgerrecht kostete um 1400 ca. sieben Gulden, wobei auch noch ein schwankender Beitrag zu den städtischen Baukosten erhoben wurde. Zürichs Finanzkraft war im Spätmittelalter noch eher bescheiden. Gemessen am Durchschnittsvermögen von 243,6 Gulden im Jahr 1417 lag Zürich hinter Freiburg i. Ü. (320 Gulden, 1445), Bern (373 Gulden, 1448) und Basel (ca. 400 Gulden, 1429). Laut der Steuerregister des 15. Jh. gehörten etwa ein Drittel der Einwohner zur Unterschicht (Gesellen, Dienstboten, alleinstehende Frauen, arme Handwerker) mit einem Vermögen von bis zu 15 Gulden, ein weiteres Drittel zur gehobenen Unterschicht (Handwerker), rund ein weiteres Drittel zur Mittelschicht mit Vermögen bis 1000 Gulden. Übrig blieb eine Oberschicht von rund 5 Prozent der Bevölkerung mit Vermögen bis über 10'000 Gulden. Sie hielten rund zwei Drittel des Gesamtvermögens, während die Unterschicht und die gehobene Unterschicht mit rund zwei Dritteln der Bevölkerung rund fünf bis zehn Prozent des Gesamtvermögens hielten.[72]
Durch die Verdichtung der Herrschaft in der Hand des städtischen Rates zu Ende des Mittelalters erhielt der Stadtstaat auch immer Macht- und Kontrollbefugnisse im kirchlichen Bereich. Während des Abendländischen Schisma von 1378 bis 1417 stand Zürich mit der Eidgenossenschaft zu Papst Urban VI. und seinen Nachfolgern. Das Schisma begünstigte noch die Übernahme kirchlicher Kompetenzen durch den Rat, was sich auch im 15. Jh. fortsetzte. Der Papst gestand dem Rat eine Mitwirkung bei der Besetzung der Pfründen der geistlichen Stifte zu und 1479 erhielt die Stadt einen «Jubiläumsablass» nach dem Vorbild des Jubiläumsablass von Rom von 1475, um den Neubau der Wasserkirche zu finanzieren. Zur Propagierung dieses Ablass wurde im Predigerkloster die erste Druckerei Zürichs eingerichtet. Das enge Verhältnis Zürichs zum Papsttum begründete sich vor allem durch das Bedürfnis der Päpste nach eidgenössischen Söldnern für ihre Italienpolitik. 1512 erhielt Zürich anlässlich des Pavierzuges wie andere Orte der Eidgenossenschaft ein Juliusbanner verliehen. Da Zürich der Vorort der Eidgenossenschaft war, liess sich deshalb der päpstliche Legat Matthäus Schiner vorübergehend in Zürich nieder, womit die Stadt vorübergehend zum Zentrum der päpstlichen Politik nördlich der Alpen wurde. Noch 1514 sicherte der in der Stadt lebende päpstliche Gesandte denjenigen, die alle sieben Kirchen Zürichs besuchten, den gleichen Ablass zu wie den Besuchern der sieben Hauptkirchen Roms. Der Zürcher Bürgermeister und Heerführer Marx Röist zählte zu den grössten Pensionsbezügern der Kurie und sein Sohn Kaspar Röist wurde Kommandant der Schweizergarde und fiel 1527 im Sacco di Roma. Konfliktreicher gestaltete sich das Verhältnis zum Bischof von Konstanz, dem die Stadt kirchenrechtlich unterstand. Seine Gerichtshoheit über den Klerus und allgemein die Hoheit geistlicher Gerichte über Laien beanspruchte der Rat zunehmend für sich, auch mischte er sich in Steuerfragen und in der Besetzung von Pfründen in bischöfliche Bereiche ein. 1506 unterwarf der Rat den Klerus schliesslich offiziell der städtischen niederen Gerichtsbarkeit. Auch die Klöster und Stifte im städtischen Herrschaftsbereich waren Ende des 15. Jh. völlig unter die Vormundschaft der Stadt gefallen, selbst bei der Neuwahl der Äbtissin des Fraumünsters und bei der Besetzung der geistlichen Pfründen des Grossmünsterstift hatte der Rat nun ein Mitspracherecht.[73]
Am Übergang vom 15. zum 16. Jahrhundert war das Reislaufen für Zürich und die ganze Eidgenossenschaft das grösste politische und wirtschaftliche Problem. Einerseits profitierte zwar die Nobilität und auch der Staat finanziell vom Handel mit Söldnern, andererseits führte die mit diesem Wirtschaftszweig einhergehende Korruption, der Bevölkerungsverlust und der moralische Niedergang zu unübersehbaren Missständen. Zürich setzte sich deshalb bereits 1508 vergeblich an der Tagsatzung der Eidgenossenschaft dafür ein, die individuelle Verdingung zum Solddienst sowie den Abschluss privater Gestellungsverträge für Söldnerheere zu verbieten. Nach schweren Verlusten der Zürcher Truppen in der Schlacht von Novara 1513 und der Niederlage der Eidgenossen bei Marignano vergrösserte sich die Zahl der Kritiker am Söldnerwesen noch einmal. Deshalb wurde 1518 Ulrich Zwingli, ein bekannter Kritiker des Söldnerwesens, als Gemeindepfarrer ans Grossmünster berufen. Zwingli begann mit der Unterstützung des Rates ab 1520 im Herrschaftsgebiet Zürichs die Reformation einzuführen. Dabei liess Zwingli jeweils wichtige Schritte in Disputationen vor dem Rat durch Kirchenleute, die unterschiedliche Meinungen vertraten, kontrovers diskutieren, wonach der Rat über die Massnahmen und ihre Umsetzung selbstständig entschied. Im Zuge der zweiten Zürcher Disputation[74] im Herbst 1523 führte dieses vorsichtige und schrittweise Vorgehen zum Aufbegehren radikalerer reformatorischer Gruppen und zur Konstituierung der ersten Täufergemeinde um Felix Manz und Konrad Grebel. Die Auseinandersetzung mit den Täufern endete 1527 mit der Hinrichtung von Felix Manz durch Ertränken in der Limmat und der Ächtung und Vertreibung ihrer Anhänger aus dem Herrschaftsbereich der Stadt. 1525 verfasste Zwingli seine Ansichten in einem ersten Glaubensbekenntnis, eine Einigung mit der deutschen Reformation unter Luther scheiterte jedoch 1529 im Marburger Religionsgespräch. (→Reformation und Gegenreformation in der Schweiz)[75]
Die vom Stadtrat im Zuge der Reformation durchgesetzte Auflösung der Klöster im Herrschaftsgebiet Zürichs und die Übernahme kirchlichen Güter und Rechte in den städtischen Besitz löste Unruhen in der Landschaft aus. Die Bauern verlangten die Aufhebung der Leibeigenschaft und der mit ihr verbundenen Lasten, Ablösbarkeit der Grundzinsen, Abschaffung der kleinen Zehnten, Abschaffung aller durch den Rat in der Verwaltung der Landschaft eingeführten Neuerungen und Wiederherstellung der Sonderrechte und alten Gebräuche. Die blutige Niederwerfung der Bauernaufstände in Süddeutschland vor Augen, willigten die Bauern in einen Kompromiss mit der Stadt ein: Die Leibeigenschaft und der kleine Zehnt wurden abgeschafft, allerdings nur, falls letzterer nicht einem Herren von ausserhalb des städtischen Machtbereichs gehörte. Durch die Säkularisation der Klöster und geistlichen Stiftungen gelangte die Stadt zu ausgedehntem Grundbesitz und hohen Einkünften, so dass Steuern in Zürich bis ins 19. Jahrhundert nur noch ausnahmsweise erhoben werden mussten. Durch die Reformation ging die Aufsicht über die Kirche, die Schule und das Armenwesen von der katholischen Kirche auf die Stadt Zürich über. Die damit verbundenen Ausgaben wurden aus den Einkünften der ehemaligen Klöster und Stifte bestritten. Als staatliche Behörde über der Kirche wirkten der aus den städtischen Geistlichen bestehende und vom Antistes präsidierte Examinatorenkonvent und die Synode der Geistlichen des gesamten stadtzürcherischen Gebietes. Der Examinatorenkonvent erhielt zudem die Aufgabe, den Stadtrat bei allen wichtigen Entscheidungen zu «beraten», damit dieser keine der Bibel zuwiderlaufende Entscheidungen fällen konnte. Faktisch wurden also nach der Reformation die politischen Organe der Stadt Zürich von der reformierten Geistlichkeit kontrolliert. Zwingli selbst bekleidete in Zürich nie ein politisches Amt, er machte seinen Einfluss von der Kanzel aus geltend.
Die fünf inneren Orte der Eidgenossenschaft setzten der Reformation heftigen Widerstand entgegen und versuchten, dem «ketzerischen» Zürich die Bünde zu kündigen. Andererseits kam es zu einem stärkeren Zusammenrücken der reformierten eidgenössischen Städte St. Gallen, Schaffhausen, Basel und Bern sowie der zugewandten Städte Mülhausen und Biel. Sogar nach Konstanz und Strassburg wurden Verbindungen geknüpft. Schliesslich schlossen die reformierten Orte 1528 mit Konstanz das Christliche Burgrecht zur Verteidigung der Reformation. Die katholischen Orte schlossen ihrerseits 1529 die «Christliche Vereinigung» mit Habsburg. Als die katholischen Orte die Ausbreitung der Reformation in den gemeinen Herrschaften und in der Fürstabtei St. Gallen mit Gewalt verhinderten, erklärte Zürich auf Drängen Zwinglis den Krieg.
Der Erste Kappelerkrieg (1529) endete ohne militärische Konfrontation in einer Vermittlung (Erster Kappeler Landfriede). Zwingli und der Stadtrat führten weiter erfolglose Bündnisverhandlungen mit europäischen Mächten und unterstützten aktiv die Reformation in den gemeinen Herrschaften. Als Zürich das Toggenburg in seiner Auflehnung gegen den Abt von St. Gallen offen unterstützte, kam es 1531 zum Zweiten Kappelerkrieg gegen die katholischen Orte. Zürich erlitt bei Kappel am Albis eine Niederlage, bei der auch Zwingli ums Leben kam. Der Zweite Kappeler Landfriede von 1531 beendete die weitere Ausbreitung der Reformation in der Eidgenossenschaft.
Der neue Glaube wurde durch Zwinglis Nachfolger Heinrich Bullinger gefestigt, der 1536 das erste Helvetische Bekenntnis der reformierten Kirche und 1549 den Consensus Tigurinus mit Calvin erarbeitete. Heinrich Bullinger war 1531–1575 und Rudolf Gwalther 1575–1586 Antistes, wie der Vorsteher der damaligen reformierten Kirche Zürichs hiess. Sie pflegten zahlreiche Kontakte europaweit, besonders zu Vertretern der englischen Staatskirche. Während ihrer Zeit wurden viele evangelische Flüchtlinge aus dem Tessin, Italien, Frankreich und England aufgenommen. Diese trugen in der Folge durch Handwerk, Produktion noch unbekannter Textilien und Handel wesentlich zum wirtschaftlichen Gedeihen Zürichs bei.[76][77][78]
Die Führung der reformatorischen Bewegung ging nach der Niederlage bei Kappel allerdings an Genf und Bern über. In Zürich verbreitete sich eine politische Nüchternheit, die nach Gordon A. Craig zum Inbegriff des Zürcher Stils wurde: «eine Bescheidenheit in den Zielen, die man sich setzte, eine Bereitschaft, sich am Machbaren und Greifbaren zu orientieren und hochgesteckten Zielen und grandiosen Ambitionen abzuschwören».[79] Diese Haltung und die negative Haltung zum Söldnerwesen zogen einen Bedeutungsschwund Zürichs nach sich. Im Vergleich mit Bern, Genf oder Basel war Zürich bis ins 19. Jahrhundert von provinziellem Format, was sich insbesondere in den öffentlichen Bauten und der Lebensweise der Mehrheit der Bürger sowie im kulturellen Leben zeigte.[80]