Swastika
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Eine Swastika (auch Svastika, Suastika; von Sanskrit m. स्वस्तिक svastika, deutsch ‚Glücksbringer‘) ist ein Kreuz mit vier etwa gleich langen, einheitlich abgewinkelten Armen. Sie können nach rechts oder links zeigen, recht-, spitz-, flachwinkelig oder rundgebogen und mit Kreisen, Linien, Spiralen, Punkten oder sonstigen Ornamenten verbunden sein.[1] Solche Zeichen, das älteste von etwa 10.000 v. Chr., wurden in Asien und Europa, seltener auch in Afrika und Amerika gefunden.[2]
Das Zeichen hat keine einheitliche Funktion und Bedeutung. Im Hinduismus, Jainismus und Buddhismus wird die Swastika bis heute als religiöses Glückssymbol verwendet. Im Deutschen wird ein heraldisches Zeichen, das der Swastika ähnelt, seit dem 18. Jahrhundert „Hakenkreuz“ genannt.[3]
Im 19. Jahrhundert entdeckten Ethnologen die Swastika in verschiedenen Kulturen des Altertums. Einige verklärten sie zum Zeichen einer angeblichen indogermanischen Rasse der „Arier“. Die deutsche völkische Bewegung deutete das Hakenkreuz antisemitisch und rassistisch. Im Anschluss daran machten die Nationalsozialisten ein nach rechts gewinkeltes und 45 Grad geneigtes Hakenkreuz 1920 zum Kennzeichen der NSDAP und 1935 zum zentralen Bestandteil der Flagge des Deutschen Reiches.
Weil das Hakenkreuz Ideologie, Gewaltherrschaft und Verbrechen des Nationalsozialismus repräsentiert, ist die politische Verwendung hakenkreuzförmiger Symbole seit 1945 in Deutschland, Österreich und weiteren Staaten verboten. In Deutschland dürfen Hakenkreuze nach § 86 Absatz 4 StGB nur zur „staatsbürgerlichen Aufklärung“, im Sinne der allgemeinen Kunstfreiheit und zu ähnlichen Zwecken gezeigt werden.
Am 30. August 1945 verbot der Alliierte Kontrollrat allen Deutschen, „irgendwelche militärische Rangabzeichen, Orden oder andere Abzeichen zu tragen“. Das Verbot umfasste auch NS-Hakenkreuze. Es blieb bis 1955 in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR in Kraft.[4] Am 10. Oktober 1945 verbot der Kontrollrat die NSDAP, alle ihre Gliederungen und angeschlossenen Verbände und deren Symbole. In den Nürnberger Prozessen 1946 wurde die NSDAP mit allen Untergliederungen zur „verbrecherischen Organisation“ erklärt. Somit waren auch deren Symbole verboten.
In der Bundesrepublik Deutschland galten gemäß Artikel 139 des Grundgesetzes zunächst sämtliche Gesetze der Alliierten zur „Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus“ weiter. Sie wurden durch die Aufnahme der Straftatbestände Friedensverrat, Hochverrat und Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates (§ 80 bis § 92b) in das Strafgesetzbuch abgelöst. In diesem Rahmen bedroht § 86a das öffentliche „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“ zum Zweck ihrer Verbreitung mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe. Absatz 3 nimmt Darstellungen dieser Zeichen davon aus, die „der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken“ dienen.[5]
Der Bundesgerichtshof klärte die Reichweite von § 86a StGB in Musterprozessen. Seit 1973 umfasst das Verbot Hakenkreuze auf Kriegsspielzeug und originalgetreuen Modellen von Waffen der NS-Zeit. Erlaubt wurden später aber Hakenkreuze, die den Nationalsozialismus objektiv nicht befürworten:
- in Kunstwerken, zum Beispiel politischen Karikaturen,[6]
- in Auktionskatalogen,[7]
- zur Religionsausübung, etwa der Falun Gong in Deutschland,[8]
- als Anti-Nazi-Symbole von antifaschistischen Gruppen zur Ablehnung rechtsextremer Organisationen und Ideologien. Damit hob der Bundesgerichtshof 2007 vorherige Urteile gegen Verwender von Antinazisymbolen auf.[9]
Nach geltender Rechtsauffassung verbietet § 86a StGB auch von Neonazis veränderte Symbole, manche davon wie Odalrune, Triskele und Schwarze Sonne jedoch nur als Logo verbotener Organisationen, nicht allgemein.[10] Das private Entfernen rechtswidriger Hakenkreuze vom Eigentum Dritter, etwa durch Übermalen, Abkratzen oder Überkleben, gilt meist als Sachbeschädigung.[11]
In Österreich regelt das Verbotsgesetz 1947 den Umgang mit nationalsozialistischen Organisationen, Gedankengut und deren Symbolik und bestraft den Missbrauch.
Das Europäische Parlament schlug auf deutsche Initiative 2005 ein europaweites Verbot der Swastika vor. Anlass war eine Fotografie des britischen Prinzen Harry in einer NS-Uniform mit Swastika-Armbinde, die er bei einer privaten Kostümparty am 14. Januar 2005 getragen hatte.[12] In Großbritannien demonstrierte das Hindu-Forum, das etwa 700.000 Hindus vertritt, gegen das Verbot.[13] Im Januar 2007 zog Deutschland seinen Vorstoß zurück.[14] Die Europäische Union lehnte das Verbot im April 2007 ab. Einen Verbotskonsens verhinderten vor allem Großbritannien und Dänemark mit ihrer traditionell weiten Auffassung von Meinungsfreiheit sowie Litauen, das auch Symbole des Stalinismus verbieten wollte.[15]
2013 hob das Verfassungsgericht Ungarns ein dort seit 1993 bestehendes Verbot von Symbolen der „Willkürherrschaft“ (Roter Stern und Hakenkreuz) auf: Das Verbot sei gesetzlich neu zu regeln.[16] Lettland dagegen verbot diese beiden Symbole.[17]
In den USA plädieren namhafte Verfassungs- und Völkerrechtler dafür, Neonazis das Zeigen der Swastika generell zu verbieten, weil sie historisch singulär belastet sei, zum Völkermord aufrufe und für die Vernichtung einer Gruppe werbe. Das sei keine schutzwürdige politische Rede, sondern Anstiftung zu Aufruhr und Störung der öffentlichen Ordnung.[18]
Der Ausdruck „Svastika“ taucht erstmals in der Sanskritgrammatik des Inders Panini (um 400 v. Chr.) als Name eines Brandzeichens für Vieh auf.[19] Er besteht aus den Silben su („gut“) und asti („es ist“, „es sei“, vom Verb as- „sein“). Die entsprechenden Silben auf Pali bilden zusammen ein Monogramm der Swastika.[20] Das Substantiv bedeutet „das (zum) Gutsein (gehörige)“, „das Heilbringende“. Das Kompositum svastí- bedeutet schon im ältesten Sanskrit „Glück“, „Heil“, „Segen“.[21] Als Aussage wird es mit „Alles ist/sei gut“ übersetzt. Das Substantiv ist im Sanskrit männlich („der Swastika“).[22] In deutschsprachiger Literatur wird es meist mit weiblichem, selten mit sächlichem Artikel bezeichnet. Der englische Plural lautet „Swastika(s)“, der deutsche „Swastiken“.[23]
In China heißt die Swastika wan, in Japan manji, in Tibet gyung-drung.[24] Bei den nordamerikanischen Navaho steht sie für das „wirbelnde Rundholz“.[25] Im Altnordischen hieß ein ähnliches Zeichen sólarhvél („Sonnenrad“).[26] Im Altenglischen hieß ein Kreuz mit vier gleichgerichteten Außenhaken fylfot („Vierfuß“). Gemeint war ein Kreuz, das auf einem der Haken steht. Die Gleichsetzung der Swastika (drehend) mit dem Fylfot (stehend) und dem NS-Hakenkreuz (geneigt) gilt als Irrtum.[27]
Die rechtwinklige Form wurde als Kombination aus vier griechischen Buchstaben Gamma aufgefasst und darum auf Lateinisch crux gammata, gräzisiert Gammadion genannt. Der davon abgeleitete französische Ausdruck croix gammée bezeichnet auch das NS-Hakenkreuz,[28] ebenso das Wort croix cramponnée.[29] Das Gammadion wurde im Unterschied zur verwandten Form der Triskele auch Tetraskele („Vierbein“) genannt.[30]
In der deutschsprachigen Wappenkunde (Heraldik) bezeichnete man ein Kreuz mit vier gleichgerichteten Haken als „Hakenkreuz“ (so Johann Christoph Adelung in seinem Wörterbuch des Hochdeutschen ab 1796)[31] oder als „Winkelmaßkreuz“ (so Christian Samuel Theodor Bernd in Die Hauptstücke der Wappenwissenschaft 1841).[32] Die völkische Bewegung deutete das Zeichen als Sonnenrad und nannte es „Hakenkreuz“. Diese Bezeichnung ging in die Sprache des Nationalsozialismus ein.[33] Im englischen und französischen Sprachraum wird auch das nationalsozialistische Hakenkreuz als „Swastika“ bezeichnet. Diesen Ausdruck bevorzugt archäologische Fachliteratur für historische Zeichen, um sie vom NS-Hakenkreuz abzugrenzen.[34]
- Zoomorphes Nephrit-Amulett aus Kardschali, Bulgarien, ≈ 6000 v. Chr.
- Rekonstruierte Schale aus Samarra, etwa 4000 v. Chr.
- Siegel aus Harappa, etwa 3000 v. Chr.
Asien
In Tell es-Sultan bei Jericho fand man einen vorkeramischen Stempel mit runder Stempelfläche, in den eine symmetrische Swastika eingraviert ist. Er wird auf 7000 v. Chr. datiert. Ähnliche Swastikamotive fanden sich auf einem Anhänger vom Tappa Gaura im Irak (vor 4000 v. Chr.) und auf einem Siegel in Byblos (etwa 3500–3000 v. Chr.).[35]
Auf Samarra-Ware (etwa 5000–3000 v. Chr.) aus dem heutigen Irak fand man Swastiken, einzeln oder als Teil einer ornamentalen Komposition, verbunden mit Pflanzen-, Tier- und Menschenbildern.[36] Eine Schale zeigt im Zentrum ein Kreuzzeichen mit vier mehrfach rechtwinklig abgeknickten Armen, umgeben von Abbildern von fünf Skorpionen. Es wird auf 5500 v. Chr. datiert.[37]
In der Indus-Kultur ist die Swastika seit etwa 3000 v. Chr. belegt. Die ältesten bekannten Beispiele sind Siegel oder Stempel, die 1924 bei den Dörfern Mohenjo-Daro und Harappa im heutigen Pakistan gefunden wurden. Sie zeigen rechts- und linksgewinkelte Swastiken.[38] Somit war die Swastika schon etwa 1000 Jahre vor der Ausbreitung „arisch“ sprechender Stämme in Indien üblich.[39]
In Belutschistan und in Susa fand man in den 1930er Jahren dekorative Swastiken auf Tongefäßen. Sie werden auf etwa 3000 v. Chr. datiert.[40]
Osteuropa
Auf dem archäologischen Fundplatz Mesyn in der Ukraine wurden sechs aus Mammut-Elfenbein geschnitzte Venusfigurinen und mehrere Armbänder gefunden, in die verschiedene Linien und geometrische Formen eingraviert sind. Sie werden auf ca. 10.000 v. Chr. datiert und dem osteuropäischen Epigravettien (Jungpaläolithikum) zugeordnet. Eine dieser Figuren trägt ein aus parallelen Mäanderlinien geformtes Kreuzzeichen mit vier mehrfach rechtwinklig abgeknickten, eingerollten Armen. Dasselbe Motiv ist auf einem der Armbänder eingraviert. Es handelt sich um die ältesten bekannten Beispiele des Zeichens. Der Forscher Karl von den Steinen (Prähistorische Zeichen und Ornamente, 1896) deutete sie als stilisiertes Abbild eines Vogels, besonders des Storchs, und somit als Symbol für Fruchtbarkeit, Leben, Frühling und Licht.[41]
Manche Keramikfragmente der neolithischen Vinča-Kultur (Verbreitungsgebiet im heutigen Bulgarien, Rumänien und Serbien) sind mit einer Swastika aus weißer Humusfarbe bemalt.[42] Sie werden auf das 6. Jahrtausend v. Chr. datiert und als dekoratives Element aufgefasst, das Kraft und Bewegung der Sonne abbilden soll.[43]
Mittelmeerraum
- Minoische Vase aus Kreta, Archäologisches Museum Iraklio
- Terrakottakugeln aus Troja nach Skizzen Schliemanns, ~1300 v. Chr.
- Vasenmalerei der geometrischen Periode, Kantharos, ~780 v. Chr.
- Silbermünzen aus Korinth, ~550–500 v. Chr.
- Soldatenhelme, ~350 v. Chr.
Die Minoische Kultur auf Kreta (ab etwa 2600 v. Chr.) hinterließ Vasen, von denen manche mit einzelnen Swastiken bemalt sind. Die griechische Vasenmalerei der geometrischen Periode setzte diese Ornamentik fort. Hier kommen links- wie rechtsgewinkelte Swastiken vor. Sie stehen in der Entwicklung dem Mäandermuster nahe. Beide Ornamente sind wohl abstrakte Abbilder natürlicher Formen, etwa aus der Pflanzenwelt. In der zum Teil griechisch beeinflussten lokalen Kunst Apuliens des 7. bis 5. vorchristlichen Jahrhunderts sind Swastiken häufig. Seit der Zeit Alexanders erscheinen sie auch auf Soldatenhelmen.[44]
Ab 1870 fand der deutsche Archäologe Heinrich Schliemann auf dem Hügel Hissarlik (Troja, Türkei) Swastiken auf Alltagsgegenständen, etwa Keramik, Handspindeln und Terrakotta. Ihre Zuordnung und Datierung sind umstritten. Heute werden sie jüngeren Grabungsschichten (VII bis IX, ab etwa 1300 v. Chr.) zugeordnet.[45]
- Urne der Villanova-Kultur
- Etruskischer Goldanhänger, Bolsena, ~700–650 v. Chr.
In der Villanovakultur (~1000 v. Chr.) fand man Graburnen mit geometrischen Mustern, darunter Swastiken mit mehrfach geknickten Enden und Wellenbändern. Die Etrusker (~900–260 v. Chr.) und die Falisker setzten die Nutzung der Symbole fort.
- Römisches Bodenmosaik in Pula, Istrien, ~1. Jh. v. Chr.
- Bodenmosaik in einem Bad aus Herculaneum, vor 79
- Ziegelstempel aus Vicus Mülfort, ~200
- Bodenmosaik im Haus des Dionysos in Paphos (Zypern), ~200-300
- Contiomagus, Fußboden der Villa Hylborn
Im Römischen Reich findet sich die Swastika meist als eins von vielen variierten, wiederholten und komplex ineinander verschachtelten Formelementen der Mäander-Ornamentik. Oft sind Swastikamuster Bestandteil von Fußboden- und Wandmosaiken aus Tessera, von Fresken oder Stuck. Solche Bodenmosaike entstanden seit der Epoche des Hellenismus (ab etwa 300 v. Chr.) im ganzen Römischen Reich, so auch im römisch besetzten Syrien-Palästina. Man fand sie dort zum Beispiel in einer Synagoge in En Gedi aus der Hasmonäer-Zeit,[46] im Vorzimmer einer Villa in Masada, in einem Empfangsraum des Palastes von Caesarea Maritima und im Vestibül einer Villa in der Oberstadt von Jerusalem. Sie gehörten zur allgemeinen Prachtentfaltung und geometrischen Ästhetik damaliger Architektur, nicht aber zu jenen spezifischen Mustern, an denen sich vom Judentum oder später vom Christentum genutzte Gebäude unterscheiden lassen.[47]
Römische Swastiken finden sich auch auf Fibeln (Spangen zum Gewandschließen), auf drei Kontorniaten, Kleidungsstücken, einem Mithras-Denkmal und christlichen Grabinschriften. Sie werden als Dekoration und apotropäisches (übelabwehrendes) oder magisches Schutzzeichen gedeutet.[48]
Mittel- und Nordeuropa
In einen Megalith-Felsen des Ilkley Moor (West Yorkshire, England), genannt Swastikastein, ist eine serpentinische, schlangenartige Mäanderlinie mit neun runden Vertiefungen eingraviert, die eine vierteilige Swastika-artige Figur umschließt. Manche ordnen sie den spiralischen Cup-and-Ring-Markierungen der Stonehenge-Kultur in der Umgebung zu und datieren sie auf etwa 3300 v. Chr.,[49] andere ordnen sie den Kelten zu und datieren sie in die späte Bronzezeit (≈1600–1100 v. Chr.). Man fand ähnliche Muster auf skandinavischen Metallgefäßen jener Zeit und auf Gefäßen der mykenischen Kultur.[50]
Eine brettchengewebte Borte aus dem keltischen Grab von Hochdorf an der Enz aus der Hallstattzeit (≈500–450 v. Chr.) trägt eine Reihe von Swastiken.[51] Ob die Träger der Hallstattkultur mit den Kelten gleichzusetzen sind, ist in der Forschung noch umstritten. Auf deren streng geometrische Formen folgte der kurvenreiche, verschlungene Stil der Latènezeit (≈450 v. Chr. bis zur Zeitenwende).[52] Damit erklären manche, dass Swastiken bei den Kelten sehr selten gefunden wurden. Sie werden wie das Radkreuz, das „Keltenkreuz“, die Triskele und der Wotansknoten als Kraftzeichen mit magischem Bezug zum Totenkult gedeutet. Aus verschiedenen, oft farbenfrohen Darstellungen auf Alltagsgegenständen, etwa Bekleidungsstoffen, wird gefolgert, dass die Swastika bei den Kelten keine spezifisch symbolische Bedeutung hatte.[53]
- Fibel, römisch (Museum Laureacum, Österreich)
- Speerblatt von Dahmsdorf mit Swastika (rechts) und Runen, ≈250
- Beinkamm aus dem Nydam-Moor, 3./4. Jahrhundert
- Fibel mit Runeninschrift, ≈300 (Værløse, Dänemark)
- Djupbrunns C-Brakteat-II (IK 44) 5. Jahrhundert, Gotland
- Urne, North Elham, ≈5./6. Jh.
- Angelsächsische Scheibenfibel des 6./7. Jahrhunderts, York
In der Bronzezeit in Mittel- und Nordeuropa hatten Swastika-ähnliche Zeichen vier in gleiche Richtung gebogene und spiralförmige Arme. Seit der Jungbronzezeit treten sie als Ornament auf Alltagsgegenständen auf, besonders auf Schmuck, sowie auf skandinavischen Felsbildern der Nordischen Bronzezeit. Diese Motive finden sich durchgehend von der Spätbronzezeit bis zum frühen Mittelalter auf unterschiedlichen Trägerobjekten. Daraus folgern Forscher, dass sie allgemein eine Zierfunktion mit möglicherweise apotropäischer Bedeutung hatten.
Die als Germanen beschriebenen, verschiedenen Gruppen verwendeten die Swastika als Stilelement in ihrer Alltagskultur von der römischen Kaiserzeit (RKZ) über die Völkerwanderungszeit (VWZ) und das Frühmittelalter bis zur Wikingerzeit.[54] Sie kommt in der RKZ als stilisiertes Motiv auf Urnen in Brandgräbern nördlich der Alpen vor, etwa auf vereinzelten „Schalenurnen“ der Elbgermanen des 3. oder 4. Jahrhunderts, die mit der Rollrädchentechnik als Zierbänder in den feuchten Ton eingelassen wurden.[55] Sie kommt auch als Gravur auf Waffen vor, so dem „Speerblatt von Dahmsdorf“ (gefunden 1865). Ähnliche, zum Teil ältere Speerblätter fand man bei Kowel (Ukraine), auf Gotland (Schweden), in Rozwadow (Polen), Øvre Stabu (Norwegen) und Vimose (Dänemark).[56] Rolf Hachmann zufolge sind diese Swastiken mit „Tamga“ (Siegeln, Stempeln) der Sarmaten (Iran) verwandt.[57]
Auch Fibeln sind Träger von Swastikamotiven. Auf Seeland (Dänemark) (11), im übrigen Dänemark (3), in Norwegen (3), Finnland (2), Südschweden (1) und Mecklenburg (1) fand man eine Reihe gleichartiger Swastikafibeln, genietet aus einer runden Bronzeplatte mit aus Silberblech gepressten Ornamenten darauf, vier gebogenen Armen und kleinen Plättchen am Ende. In Ungarn gefundene ähnliche Fibeln haben Tierköpfe am Ende der Arme. Sie werden gemeinsam auf ältere römische Fibeln zurückgeführt und auf 250 bis 400 n. Chr. datiert.[58]
Goldbrakteaten der VWZ aus Reichtumszentren im heutigen Dänemark enthalten Swastiken neben anderen Symbolen und schriftartigen Zeichen in bestimmten „Formularfamilien“, die der „Ikonographische Katalog“ (IK) auflistet. So zeigt der B-Brakteat von Großfahner, Landkreis Gotha (IK 259) eine Figur, die ihre leeren Hände erhebt, über denen eine Swastika und eine Triskele angebracht sind. IK 389 zeigt eine Swastika mit Triskele, Kreuz und weiteren Symbolen. In der jüngeren RKZ und VWZ treten solche Swastiken zusammen mit Runen auf, besonders bei Fibeln und Brakteaten. Bei den modellgleichen Formularfamilien der B-Brakteaten von Nebenstedt (II), Darum (IV) (IK 129,1; 129,2), Allesø, Bolbro (I), Vedby (IK 13,1-3) findet sich eine Swastika als Einschub in das magische Runenwort laukaR („Lauch“). In der linksläufigen Inschrift von Nebenstedt und Darum erscheint eine Swastika als Zeichen mit unbestimmter Funktion.[59] Solche Swastiken zwischen Runen wurden teils als besondere Schriftzeichen, teils als Symbole gedeutet, die eine magische Kraft der Runenaussage verstärken sollten.[60]
In die Wikingerzeit gehört zum Beispiel eine Swastika auf dem Runenstein von Snoldelev in Dänemark.[61]
Unter den Grabbeigaben im Oseberg-Schiff (um 830) wurde 1904 ein kleiner Kübel mit zwei Bronzegriffen gefunden. Beide zeigen eine identische menschliche Figur mit geschlossenen Augen im Lotussitz, die ein blau emailliertes Kreuz und vier rote Swastiken auf gelbem Grund auf der Brust trägt. Sie sind abwechselnd rechts- und linksgewinkelt und füllen die freien Flächen um das Kreuz zu einem Quadrat aus. Obwohl die Figur an eine meditierende Buddha-Figur erinnert, die Wikinger auf ihren Handelsrouten kennengelernt haben könnten, wird dieses Exemplar wegen sehr ähnlich geformten und gefärbten Handgriffen von keltischen Hängegefäßen eher als Beutegut aus Irland gedeutet.[62]
Swastiken germanischer Kulturen werden bis heute unterschiedlich gedeutet. Christian Jürgensen Thomsen und Oscar Montelius deuteten sie ausgehend von Brakteaten 1855 als „Zeichen Thors“. Das wurde durch Funde ähnlicher Zeichen namens þórshamarr auf Island im 16. Jahrhundert begünstigt, die eine Verwandtschaft mit dem Mjölnir (Thorshammer) nahelegten.[63] Der schwedische Archäologe Carl Bernhard Salin dagegen bestritt diese Zuordnung, da diese Brakteaten sich wegen anderer Merkmale ebenso gut der Gottheit Odin zuweisen ließen.[64] Auch Karl Hauck bringt die Swastiken auf Brakteaten mit Thor oder Odin in Verbindung.[65] Der Sprachwissenschaftler Wolfgang Meid dagegen sieht keine linguistischen Hinweise auf eine religiös-kultische Verwendung des Symbols.
- St.-Marineh-Kirche, Armenien, 11.–13. Jh.
- Antiker Kreuzstein mit Swastika neben einer modernen Ädikula-Heiligenfigur am katholischen Wallfahrtsort der St. Brigid Quelle bei Cliffoney, County Sligo in Irland
Im Mittelalter in Europa wurden römische und germanische Swastiken oft auf die Kreuzigung Jesu Christi oder seine Hoheit als „Licht der Welt“ bezogen. Sie erscheinen auf Fresken und Steinplatten von Kirchengebäuden, verbunden mit der Mäanderlinie, in der romanischen Ornamentik und einigen gotischen Bauwerken. Sie galten als „Schutzmittel gegen den Teufel“.[66]
Afrika
- Goldgewicht der Ashanti, Ghana, ≈1300
- Fenster der Kirche Beta Maryam, Lalibela, 12. Jh.
Swastika-Ornamente aus der Ägäis gelangten durch Handel in das Mittlere Pharaonenreich (2137 bis 1781 v. Chr.) und wurden seit 1000 v. Chr. besonders in Nubien beliebt.[67] Südlich der Sahara wurden jedoch nur wenige Swastiken gefunden. Die deutschen Forscher Leo Frobenius und Felix von Luschan belegten sie 1898 als Gravur auf Münzen oder Gewichten der Aschanti in Ghana, als Tätowierung einer Frau in Barundi (Uganda) oder als Amulett. Sie bestritten die Herkunft dieser Ornamente aus dem Mittelmeerraum und nahmen eine davon unabhängige Entstehung an.[68]
In den Felsenkirchen von Lalibela in Äthiopien (erbaut um 1200) findet man viele Swastiken in Bodenmosaiken, Wand- und Säulenverzierungen.[69] Manche haben kurvige Arme und lassen sich daher nicht von indischen oder römischen Vorbildern ableiten.[70]
Amerika
- Piktogramme, Zion-Nationalpark, Utah
- Donnervögel (Mississippi-Kultur)
- Schildkrötenpanzer (Mississippi-Kultur)
- Sicán-Krug, Huaca-Rajada, Peru
Einige indigene Völker Amerikas dekorieren Gebrauchsgegenstände seit langem auch mit Swastiken. Die Navajo woben sie in die Muster ihrer Decken, Jacken und Teppiche ein, mit denen sie handelten. Andere Stämme übernahmen diesen Brauch auch für ihre Töpferei.[71] Sie sahen die Swastika als Abbild der Rotation des Sternbilds Großer Bär um den Polarstern und Sinnbild einer mythischen Vorgeschichte: Darin seien vier Häuptlinge in jede Himmelsrichtung gesandt worden, um eine bessere Regierungsform als die eigene zu finden. Für die Hopi bildeten die Wander- und Rückwege ihrer Vorfahren eine große Swastika, die rechtsgerichtet der Bewegung der Erde, linksgerichtet der der Sonne entsprach.[72]
Die Anasazi im Südwesten der heutigen USA zeichneten Bilder mit Swastiken in den Antilopenruinen. Sie gelten als älteste Beispiele in Nordamerika.[73] Auch unter Felszeichnungen der Hohokam-Kultur im Süden Arizonas (300–1500) fanden sich dutzende Swastiken, für sich oder mit anderen Zeichnungen verbunden. Sie werden als Dekoration, nicht als religiöses Symbol gedeutet.[74] Im Mississippi River Delta fand man auf Keramiken aus dem 13. Jahrhundert einheitlich stilisierte, stämmeübergreifende farbige Muster, darunter in Sonnenkreise integrierte Swastiken.[75]
In einer der Pyramiden von Túcume der frühen Sicán-Kultur aus der Lambayeque-Zeit in Peru (≈750–1375) fand man einen Tonkrug mit einer mit Kohle gezeichneten Swastika.
19. Jahrhundert
Im 19. Jahrhundert nahm die Völkerkunde in Europa stark zu. Man entdeckte Swastiken in Indien, China, Japan, Kleinasien, Nordafrika und Amerika. Besonders Heinrich Schliemanns Funde und deren Deutung lösten eine Diskussion aus. 1872 verlangte der Antisemit Émile Burnouf in einem Brief an ihn: Die Swastika solle als Zeichen der „arischen Rasse“ betrachtet werden, das die Juden vollständig abgelehnt hätten.[76] In seinem ersten Forschungsbericht (Trojanische Altertümer, 1874) behauptete Schliemann, die Swastiken aus Troja seien mit einer Swastika von der Bischofsinsel bei Königswalde (Erzgebirge) der Form nach identisch. Er folgerte daraus eine germanische Herkunft des Zeichens.[77] Obwohl er kein Antisemit war, behauptete er in seinem Buch Ilios (1881): Die von ihm entdeckten Swastiken bewiesen, dass die ältesten Bewohner Trojas zur „arischen Rasse“ gehört hätten. Sie seien als die „heiligsten Symbole unserer arischen Vorväter“ von ungeheurer Wichtigkeit für die Archäologie. Dazu bildete er eine Göttinnenfigur aus Blei (nebenstehend) mit einer Swastika im Schamdreieck ab, obwohl diese auf dem Original fehlt. Damit schrieb er den trojanischen Swastiken eine religiöse und ethnische Bedeutung zu, obwohl die meisten sich auf alltäglichen, nicht kultischen Gegenständen befanden.[78] Die Fälschung wurde 1902 aufgedeckt, als Schliemanns Sammlung in Berlin ausgestellt wurde.[79]
Der Indologe Friedrich Max Müller widersprach Schliemann 1881 in einem von diesem erbetenen Aufsatz zur Swastika: Gleiche Formen bewiesen eine gemeinsame ethnische Herkunft in der Archäologie ebenso wenig wie gleiche Klänge eine gemeinsame sprachliche Herkunft in der Etymologie. Der britische Assyriologe Archibald Henry Sayce behauptete dennoch 1884 im Vorwort zu Schliemanns Werk Troja: „Wir“ (die Nordeuropäer) könnten Trojas Bewohner und die Griechen zur Zeit Agamemnons als „Brüder in Blut und Sprache“ begrüßen. Im Anhang behauptete der Journalist Karl Blind: Es sei nun klar bewiesen, dass die Trojaner zur „Rasse“ der Thrakier gehörten und diese von Goten und somit von Germanen abstammten.[80]
Einige Autoren versuchten, eine indogermanische („arische“) Herkunft der Swastika mit eigenen Studien zu untermauern. So zeigte der polnische Bibliothekar Michael Zmigrodzki, ein Rassist und Antisemit, bei der Weltausstellung Paris 1889 Zeichnungen von 300 Objekten mit Gravuren, die er als Swastika oder angeblich davon stammendes Zeichen interpretierte und in Kategorien wie prähistorisch, pagan oder christlich einteilte. Zudem versuchte er, aus Schliemanns Funden einen angeblich ursprünglichen Idealtypus ohne ornamentale Details und Abweichungen herauszufiltern. Damit machte er dreidimensionale Gegenstände zu bloßen Trägern einer angeblich einheitlichen, direkt erkennbaren, besonderen und wiederholten grafischen Form. Sein erklärtes Ziel war, mit der Swastika eine prähistorisch verankerte, kontinuierliche kulturelle Überlegenheit der „Arier“ zu beweisen.
Gemäß der damaligen Popularität solcher Theorien nahmen das Museum für nationale Antiquitäten Frankreichs und das Museum für Frühgeschichte in Saint Germain seine Sammlung auf. Im August 1889 machte Zmigrodski die Swastika unter anderem bei einem Kongress für Anthropologie und prähistorische Archäologie zum Thema. Die meisten Teilnehmer vertraten die Arierthese, darunter Schliemann (Deutschland), Ludwig Müller (Kopenhagen), Burnouf, Sayce, Joseph Déchelette und Eugène Count Goblet d’Alviella (Frankreich). Sie missachteten dabei den jeweiligen Eigenkontext der Funde sowie afrikanische und amerikanische Belege, die vor allem Thomas Wilson (USA) präsentierte. So wurden der Swastika ähnelnde grafische Zeichen unterschiedlicher Kontexte zum isolierten, angeblich für sich sprechenden Erkennungsmerkmal der angeblichen Arierrasse konstruiert.[81]
Die vermutete Herkunft der Arier aus Indien und Swastikafunde bei „Nichtariern“ widersprachen dem völkischen Rassenideal. Robert Philip Greg wollte die Swastika 1884 für die angebliche arische Rasse reservieren. Er behauptete, weder griechisch-ornamentale noch germanisch-religiöse Formen kämen bei Semiten vor.[82] Karl Penka (Origines Ariacae, 1883; Die Herkunft der Arier, 1886) und Ernst Ludwig Krause (Tuisko-Land, der arischen Stämme und Götter Urheimat, 1891) stellten Nordeuropa als ursprüngliche Heimat hochgewachsener, hellhäutiger, blauäugiger und kämpferischer Arier dar. Diese, so Penka, hätten asiatische Völker unterworfen und seien nach Indien eingewandert. Damit kehrte er die gängige Einwanderungsthese um.[83]
Thomas Wilson, Kurator für prähistorische Anthropologie der Smithsonian Institution, verfasste 1894 in deren Auftrag einen Bericht über den damaligen Forschungsstand zur Swastika. Darin belegte er ihre weite Verbreitung und wies die Annahme zurück, solche Zeichen unterschiedlicher Zeiten und Kontexte ließen sich auf eine gemeinsame Herkunft zurückführen und als Symbol einer bestimmten Religion, Mythologie oder Ethnie deuten. Er nahm ihre Ausbreitung vom Industal aus an.[84]
Die Deutung der Swastika als Symbol prähistorischer „Arier“ drang seit Schliemanns Thesen dazu auch in die akademischen Diskurse der deutschen Altertumswissenschaft, Anthropologie, Kunstgeschichte und Volkskunde ein.[85] Diese und andere Fachbereiche nahmen seit der Romantik ein „deutsches Volkstum“ mit eigenem „Nationalcharakter“ und eine „nordische Rasse“ an, die als „die Germanen“ die Vor- und Frühgeschichte Europas bestimmt habe. Einflüsse anderer Völker und Kulturen wurden dann oft als Degeneration beschrieben. Empirische Belege dafür wurden kaum geboten.[86]
1900 bis 1945
Völkische, später auch nationalsozialistische Autoren knüpften an die bereits etablierte Arierthese an und behaupteten weiter eine nordeuropäische Herkunft der Swastika und ihre Bedeutung als „Heilszeichen“ der Arier. Seit 1917 erschienen dazu viele propagandistische und pseudowissenschaftliche Schriften, darunter:[87]
- Ludwig Wilser: Das Hakenkreuz nach Ursprung, Vorkommen und Bedeutung (1917; viele Neuauflagen),
- Otto Grabowski: Das Geheimnis des Hakenkreuzes und die Wiege des Indogermanentums (1921),
- Karl Jaeger: Zur Geschichte und Symbolik des Hakenkreuzes (1921),
- Jörg Lechler: Vom Hakenkreuz. Die Geschichte eines Symbols (1921; 2. Auflage 1934); Sinn und Weg des Hakenkreuzes (1935),
- Gustaf Kossinna: Ursprung und Verbreitung der Germanen in vor- und frühgeschichtlicher Zeit (1926),
- Erwin Richter: Das Hakenkreuz als Führer zu altgermanischer Kultur: Ein Beitrag zur germanischen Wiederentdeckung (1931),
- Herman Wirth: Was heißt deutsch? Ein urgeistesgeschichtlicher Rückblick zur Selbstbesinnung und Selbstbestimmung (1931; 1934); Vom Ursprung und Sinn des Hakenkreuzes (1933),
- D. Bernardi: Das Hakenkreuz (7. Auflage 1933),
- Wilhelm Scheuermann: Woher kommt das Hakenkreuz? Berlin : Rowohlt, 1933
- Engelbert Huber: Das ist Nationalsozialismus: Organisation und Weltanschauung der NSDAP: mit zwei Tafeln Abbildungen der Abzeichen (1933),
- Theobald Bieder: Das Hakenkreuz (2. Auflage 1934),
- Eugen Fehrle: Das Hakenkreuz: von seinem Sinn und seiner Geschichte (1935),
- Friedrich Langewiesche: Sinnbilder germanischen Glaubens im Wittekindland (1935),
- Karl Theodor Weigel: Runen und Sinnbilder (1935),
- Walter Heinzel: 5000 Jahre Hakenkreuz. Vom altnordischen Sonnezeichen zum Symbol des ewigen Deutschlands (1941).
Wilser war seit 1885 mit unwissenschaftlichen Thesen zu Runen hervorgetreten und hatte eine „Urschrift“ germanischen Ursprungs behauptet.[88] Als selbsternannter „Rassenforscher“ popularisierte er die These, die Swastika sei eine germanische Rune. Scheuermann beschrieb diese als Fruchtbarkeitssymbol, wobei er sich auf die Bleifigur aus Troja mit gefälschtem Swastikazeichen berief, und als militärisches Wappen nordeuropäischer Arier, die Troja in frühgeschichtlicher Zeit erobert hätten.[89] Huber räumte offen fehlende historische Belege für die antisemitische Deutung des Hakenkreuzes ein. Erst die Völkische Bewegung habe es für ihre Ziele so gedeutet und dabei vorausgesetzt, dass es aus Indien stamme. Das sei inzwischen widerlegt. Seine ursprüngliche Bedeutung sei unbekannt, jedoch werde einhellig ein Zusammenhang mit dem Sonnenkult angenommen.[90] Autoren, die von einer „germanischen Kontinuität“ vom Altertum bis zu ihrer Gegenwart überzeugt waren, führten dazu nur wenige Belege an, darunter die Swastika, deren germanische Herkunft sie voraussetzten.[91]
Die weitgehend spekulative „Sinnbildforschung“, die um 1900 entstand, war Teil der Völkischen Bewegung. Ab 1933 förderte das NS-Regime sie stark, um die Massenwirkung der NS-Propaganda durch Rückgriff auf altgermanische Symbolik zu verstärken und das eigene Parteiabzeichen zum Symbol der völkischen Einheit und Ganzheit und zum quasi-religiösen Kultobjekt zu machen. Die Deutung der Swastika als kontinuierliches germanisches Sonnensymbol gab diesem Streben eine pseudowissenschaftliche Legitimation.[92]
Einige „Sinnbildforscher“ vertraten konkurrierende Theorien und wetteiferten ab 1933 um die politische Anerkennung ihrer Position. So erklärte Weigel, die Bedeutung der Runen könne erst geklärt werden, wenn Herkunft und Abstammung der Rasse geklärt seien, aus deren „Blut und Boden“ sie zweifellos stammten. Fehrle dagegen behauptete, das Hakenkreuz sei das „arische führende Fossil“ unter den vielen Sonnensymbolen und verkörpere das ewige „Stirb und Werde“. Es sei „wie ein Stern, der uns den Weg weist“. Die germanischen Symbole seien nie nur dekorativ, spielerisch und zweckmäßig, sondern drückten immer „Einheit mit den ewigen Mächten des Lebens“ aus. Das NS-Regime förderte diese Konkurrenz gezielt durch verschiedene Institute, da alle Varianten der Kontinuitätsthese den eigenen machtpolitischen Absichten entgegenkamen. Der „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler erklärte: Es sei ihm gleich, welche Theorie über die Vorgeschichte der Germanen wahr sei. Da Forscherhypothesen ständig wechselten, könne die NSDAP auch eine These aufstellen, die der Forschung widerspreche. Wichtig sei nur, dass die Forscher den Stolz des deutschen Volkes stärkten; dazu würden sie bezahlt.[93]
Dazu richtete Himmler 1935 die „Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe“ ein, als deren Mitgründer er den Pseudoarchäologen Herman Wirth berief. Dieser hatte die Swastika seit 1931 zum Merkmal einer matriarchalischen Erlösungsreligion erklärt, die auf Atlantis geherrscht und etwa in Megalithgräbern und skandinavischen Felsbildern Spuren hinterlassen habe. Mit ausgedehnten Projekten, etwa zu den Felsritzungen von Tanum, versuchte er diese Fiktion zu untermauern, fand aber selbst bei anderen Nationalsozialisten kaum Anerkennung.[94] Wirth gab die Swastika auch als Beleg für eine Abstammung der Hopi, mexikanischer und peruanischer Indios von der angeblichen nordisch-atlantischen Herrenrasse aus.[95] Himmler unterstellte die Deutsche Tibet-Expedition Ernst Schäfers von 1938 dem „Ahnenerbe“, um prähistorische Studien zu treiben, Rassenvergleiche anzustellen und die Tibeter eventuell als Verbündete gegen Großbritannien zu gewinnen.[96] Dahinter stand die Annahme, die tibetische Swastika weise auf Nachkommen angeblicher Arier in Tibet hin.[97]
Die Nationalsozialisten benutzten archäologische Funde in Polen, um ihre Gebietsansprüche und „Germanisierung“ zu legitimieren. Der sächsische Archäologe Walter Frenzel benutzte eine Swastika im Museum von Łódź für ein neues Wappen der in „Litzmannstadt“ umbenannten Stadt.[98]
Nur wenige Forscher der NS-Zeit widersprachen der rassistischen Deutung der Swastika. Der britische Archäologe William Norman Brown verwies dazu auf Funde in Harappa (The Swastika: A Study of the Nazi Claims of Its Aryan Origins, 1933).[99] Der Linguist und Religionswissenschaftler Jan de Vries, ein Mitarbeiter des „Ahnenerbes“, bezweifelte in der ersten Auflage seiner „Altgermanischen Religionsgeschichte“ (1935–1937) die These einer Kontinuität und nordischen Heimat der Germanen. Germanische Swastiken der Bronzezeit hätten sich zufällig aus der Spiralornamentik entwickelt. Swastiken der Eisenzeit seien aus Asien über Südosteuropa nach Mitteleuropa gelangt. Nationalsozialistische Rezensenten kritisierten dies.[100] Der Volkskundler Otto Lauffer bezeichnete den NS-„Sinnbildforscher“ Langewiesch 1937 in einer Fachzeitschrift ironisch als „Deutobold Symbolizetti Allegorowitsch Mystifizynski“. Ohne rationale Prüfung ihrer Thesen mache sich die deutsche Symbolforschung international lächerlich.[101]
Der Psychoanalytiker Wilhelm Reich erklärte 1930, die Swastika habe ursprünglich den Geschlechtsverkehr zweier Menschen, später die menschliche Arbeitskraft symbolisiert, die ihrerseits nur eine Form von Sexualität sei. Weil sie an unbewusste Triebe appelliere, sei sie ein massenwirksames Hilfsmittel des Faschismus geworden. Er berief sich dazu auf Herta Heinrich (Hakenkreuz, Vierklee, Granatapfel, Zeitschrift für Sexualwissenschaft, 1930), Percy Gardner (Ares as Sun-God, 1880), John Loewenthal und andere.[102] Dabei setzte er ebenfalls ahistorisch eine einheitliche, originale, versteckte Bedeutung verschiedener Swastika-Abbilder voraus.[103] Der Tiefenpsychologe Carl Gustav Jung sah 1936 die Swastika und den römischen Liktorenbündel als Archetypen, die ein kollektives Unbewusstes ausdrücken. Ihre Verwendung im Faschismus sah er als Wiederbelebung von gefährlichen Triebkräften, die schon die mittelalterlichen Judenpogrome bewirkt hätten.[104]
Seit 1945
Ab 1945 trat die volkskundliche Symbolforschung zurück. Jüngere Volkskundler und Philologen wie Fritz Paul verwarfen sie als nicht fortsetzbar und kritisierten ihre Methodik scharf: Sie habe Funde ganz unterschiedlicher Zeiten und Völker „durch oft zügelloses Analogisieren in ein willkürliches, allegorisches oder symbolisches Sinngefüge“ gebracht. Germanisten wiesen die These einer „germanischen Kontinuität“, für die auch die Swastika angeführt worden war, als sachfremd zurück. Hermann Bausinger, Wolfgang Brückner, Hans Moser und andere zeigten, dass äußerlich identisch geformte Zeichen und Objekte nur in ihrem Eigenkontext richtig zu deuten sind und historische Kontinuität nur bei gleichen Aktoren, gleichem Kulturraum, gleicher Funktion und Bedeutung anzunehmen ist. Daher hielt Rolf Wilhelm Brednich die ältere Forschung zur Swastika für großenteils unwissenschaftlich: Sie habe den Eindruck einer breit belegten germanischen Kontinuität nur dadurch erreicht, dass sich völkische Wissenschaftler laufend gegenseitig zitiert hätten und vom NS-Regime gefördert worden seien. Gleichwohl behaupten popularwissenschaftliche Autoren oft weiter, die Swastika sei ein prähistorisches kultisches Symbol der (Indo-)Germanen und besitze archetypische Kraft.[105]
Einige der am „Ahnenerbe“ beteiligten Forscher blieben nach 1945 fachlich anerkannt, so Jan de Vries. Er beschrieb die Swastika (die er „Hakenkreuz“ nannte) 1957 als Teil „fremdartiger“ Kultureinflüsse auf die Germanen. Sie habe sich seit 2500 v. Chr. von der Induskultur nach Kreta, Griechenland und Italien verbreitet und sei dabei zu einem rein dekorativen Muster „herabgesunken“. Weil sie bei „semitischen Völkern“ ganz fehle, sei sie wahrscheinlich auf indogermanische Kultur zurückzuführen. Die Germanen könnten sie in der Jungsteinzeit aus Thrakien und Mazedonien erhalten haben. In der Mäanderornamentik (1./2. Jh.) und als spiralige Form auf Töpfen und Hängegefäßen der späten Bronzezeit sei sie wohl ein „reines Schmuckmotiv“ gewesen. Erst in der Eisenzeit habe sich die rechtwinklige Form durchgesetzt, erst ab dem 4. Jahrhundert komme sie auf einer Urne als Sinnbild vor. Sie sei eine Variante des zuvor üblichen Sonnenrades, später auch ein magisches Glückszeichen und ein religiöses Symbol, oft mit dem Gott Thor verbunden.[106]
Horst Junginger kritisierte, de Vries habe in seinem Artikel „Hakenkreuz“ für die protestantische Enzyklopädie Religion in Geschichte und Gegenwart (3. Auflage 1959) dessen Gebrauch in der NS-Zeit nicht erwähnt.[107]
Laut Morten Hegewisch vermieden Volkskundler wie Ernst Grohne oder Archäologen wie Rolf Hachmann nach 1945, neuere germanische Swastikafunde überhaupt zu deuten. Dies habe dazu beigetragen, sie weiter ungeprüft als Sonnensymbole einzustufen. So verwies das Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (2005) bei den Stichworten „Hakenkreuz“ und „Swastika“ auf „Sonnensymbol“. Der Autor Andreas Nordberg stellt die uneinheitliche Bedeutung und mögliche rein dekorative Funktion europäischer Swastiken dar, wobei die Swastika als Sonnensymbol die rollende Sonne abgebildet haben kann.[108] Hegewisch legte nach erneutem Durchgang durch den Befund dar, dass die germanischen Formen die römischen Hakenkreuzfibeln infolge der Romanisierung nachgeahmt hätten, beide hätten keine erkennbare kultische Bedeutung. Kelten, Römer und Germanen hätten andere Muster viel häufiger als die Swastika und auch diese oft nur dekorativ verwendet. Bezüge zu einzelnen Gottheiten ließen sich allenfalls bei Einzelfunden vermuten, aber nicht ohne weitere analoge Belege verallgemeinern.[109]