Nationalratswahl in der Slowakei 2010
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Die Parlamentswahl in der Slowakei 2010 zum Nationalrat fand am Samstag, den 12. Juni 2010 statt, volle vier Jahre nach der vorgezogenen Neuwahl im Jahr 2006.[2] Es war die fünfte Nationalratswahl seit der slowakischen Unabhängigkeit 1993. 4,36 Millionen berechtigte Wähler im In- und Ausland konnten über die 150 Mitglieder des Nationalrats für die nächsten vier Jahre entscheiden. Bei der Wahl stellten sich 18 politische Parteien und Bewegungen mit insgesamt 2.401 Kandidaten den slowakischen Wählern.
Die Wahl endete mit einem klaren Sieg der stärksten Koalitionspartei Smer-SD; dennoch verlor die bisherige Koalition ihre Parlamentsmehrheit, da die Koalitionspartner massive Stimmenverluste erlitten. Die SNS konnte sich nur noch knapp über der 5-%-Hürde halten und die in den 1990er Jahren dominierende ĽS-HZDS des ehemaligen Ministerpräsidenten Vladimír Mečiar verpasste erstmals den Einzug in den Nationalrat. Die Mitte-rechts-Opposition (SDKÚ-DS, SaS, KDH und Most–Híd) konnte hingegen zusammen mehr Mandate erhalten und hatte damit bessere Chancen zur Bildung einer neuen Regierung. Als eine Überraschung wurde das Scheitern der ungarischen Oppositionspartei SMK-MKP gewertet.
Am 8. Juli 2010, 26 Tage nach der Wahl, wurde die Wahlkampfleiterin von SDKÚ-DS, Iveta Radičová als Premierministerin der neuen Regierung ernannt. Am Tag darauf wurden auch die neuen Minister ernannt.[3]
Der Nationalrat wurde nach dem Verhältniswahlverfahren gewählt. Es gab eine Sperrklausel von 5 % für einzelne Parteien, für eine Koalition von zwei bis drei Parteien 7 % und für vier und mehr Parteien 10 %. Die Legislaturperiode betrug 4 Jahre.
Der Termin der Nationalratswahl wurde am 1. Februar 2010 vom Nationalratspräsidenten Pavol Paška bekannt gegeben.
Die Hauptthemen des Wahlkampfes waren ursprünglich die Auswirkungen der globalen Wirtschaftskrise auf die slowakische Wirtschaft und die komplizierten slowakisch-ungarischen Beziehungen. Einige Wochen vor der Wahl kamen auch die Hochwasserprobleme und ein neun Jahre alter Fall der Schattenfinanzierung der Partei Smer-SD hinzu.[4] Aber von beiden Seiten waren auch verschiedene Themen und Stile zu erwarten: von den Koalitionsparteien Themen wie ein starkes soziales Programm, Schutz des Staates gegen die „Feinde“ (Ungarn, Opposition, Medien), Roma-Problematik (SNS) und im Allgemeinen eine aggressive Führung der Wahlkampagne. Von den Oppositionsparteien war eine Mischung zu erwarten: bei SaS (Wirtschaft und Liberalismus), Most-Híd (Zusammenarbeit der Slowaken und Ungarn) und KDH (traditionelle Werte, Recht, Korruption und teilweise Wirtschaft) eine passive und positive Führung; bei SMK-MKP (Interesse der Ungarn, Regionalentwicklung) und SDKÚ-DS (Wirtschaft, Schul- und Gesundheitswesen, Korruption, Alternative gegenüber der Smer-SD) vermuteten die Politologen teilweise auch Konfrontation, gemischt mit positiver Führung.[5]
Die Regierung Fico hat die Einführung des Euro am 1. Januar 2009, Verstärkung der sozialen Programme (z. B. Weihnachtsrente, keine Steuererhöhung) und Rücksetzung einiger „antisozialer“ Maßnahmen der Mitte-rechts-Regierung 1998–2006 als ihre Erfolge gelistet. Die Opposition hingegen wies auf das wachsende Haushaltsdefizit (6,3 % des BIP in 2009), höhere Arbeitslosigkeit (14,2 % in 2009), Stillstand des Wachstums des BIP (−5 % im Jahr 2009) und niedrigere Auslandsinvestitionen in der Slowakei hin.[6] Auch die griechische Finanzkrise war ein Thema; SDKÚ-DS, SaS und SNS hatten das Darlehen für den griechischen Staat im Wert von 816 Mio. Euro abgelehnt. Die Smer-SD hatte nur unter Bedingungen zugestimmt; nur die ĽS-HZDS war dafür. Nach Richard Sulíks (SaS) Aussage war jedoch auch die Slowakei unter Ficos Führung auf dem „griechischen Weg“ (Steigerung von Staatsverschuldung).[7]
Der Wahlsieg der Fidesz unter der Führung von Viktor Orbán bei der Parlamentswahl in Ungarn 2010 hatte auch die slowakische Wahlkampagne beeinflusst, wo die Slovenská národná strana (SNS) als erste die sogenannte „ungarische Karte“ spielte. Der Beschluss des ungarischen Parlaments am 25. Mai 2010 über das Doppelstaatsbürgerschaftsgesetz (mit Gültigkeit ab 1. Januar 2011), nach dem auch Ungarn im Ausland die ungarische Staatsbürgerschaft erhalten können, verursachte schnelle Reaktionen der slowakischen Regierung. Nur einen Tag darauf verabschiedete der slowakische Nationalrat ein Gesetz, nach dem Einwohner die slowakische Bürgerschaft verlieren können, wenn sie eine andere akzeptieren.[8] Premierminister Fico bezeichnete das Vorgehen der ungarischen Regierung noch vor dem Beschluss als eine „Zeitbombe“ und Gefahr für die ganze Europäische Union,[9] während die Oppositionsparteien beschuldigten die Regierung des Populismus, um mehr Stimmen zu gewinnen.[10]
Etwa vier Wochen vor der Wahl begann auch ein Skandal um die Finanzierung der Koalitionspartei Smer-SD im Zusammenhang mit den Vorbereitungen zu der Nationalratswahl im Jahr 2002. Die Zeitungen Nový Čas und SME hatten einen Darlehensvertrag von 2001 in Höhe von 1,06 Mio. Euro zwischen einem Energieunternehmer und dem Wahlkampfleiter der Partei veröffentlicht. Dabei hatte auch das ehemalige Mitglied und Mitgründer der Smer-SD Bohumíl Hanzel berichtet, dass Fico selbst von verdeckten Spendern etwa 100 Mio. SKK (3,33 Mio. Euro) eingesammelt hatte, mit der Absicht deren Vertrauenspersonen hohe Positionen im Staat und den Unternehmen selbst Staatsaufträge zuzuteilen. Daneben berichtete er, dass zwar offiziell die Wahlkampagne 2002 der Smer-SD nur 352.000 Euro gekostet hätte, es aber tatsächlich 9,4 Mio. Euro wären.[11] Als Reaktion belangte die Partei die beiden Tageszeitungen und wehrte sich mit dem Hinweis auf einen ähnlichen Spendenskandal der SDKÚ-DS von 2000 und 2003.[12] Zwei Tage vor dem Wahltag wurde eine Audioaufnahme veröffentlicht, wo vermutlich Fico erzählte, wie er selbst an der offiziellen Buchhaltung vorbei 75 Mio. SKK (2,5 Mio. Euro) für die Partei gesammelt hatte. Laut Fico waren alle diese Anklagen „die größten Schweinereien“ gegen seine Partei und Teil der gegnerischen Wahlkampagne, er lehnte aber auch ab über die Finanzierungssituation zu diskutieren.[13]
Auch das Hochwasser hatte Auswirkungen auf die Wahlkampagnen der Parteien. Im Zentrum stand dabei die angeblich leere Notreserve des Premierministers. Die liberale Zeitung SME berichtete, dass Fico mehr als das ihm zustehende Geld gespendet habe und dies auch nicht für Notsituationen, obwohl auch beim vorherigen Premierminister dieselbe Praxis galt. Die Empfänger waren unter anderem Gemeinden unter Führung von Koalitionsbürgermeistern (meistens für den Bau neuer Fußballplätze), Gemeinden im Okres Topoľčany (Ficos Heimatbezirk) und ein Fitnessmodel.[14] Fico dementierte die Meldung und verlautbarte, dass nur die Hälfte seiner Notreserve aufgebraucht sei.[15] Mit dem Ausgeben von Geld nach Parteienzugehörigkeit hat der Premierminister laut SDKÚ-DS zugegeben, dass er nichts für Hochwasseropfer übrig habe und die Notreserve „ausplünderte“.[16]
Manchen Medienberichten zufolge hätten sich die Oppositionsparteien SDKÚ-DS, KDH, Most-Híd, SaS und SMK-MKP darauf geeinigt, nicht mit den derzeitigen Regierungsparteien zu koalieren.[17] Nach anderen Berichten jedoch hätten die „Christdemokraten und die beiden ungarischen Parteien nicht ausgeschlossen, mit Fico zu koalieren.“[18][19] Darüber hinaus gibt es Gerüchte, dass sich Fico mit der SPE darauf geeinigt hätte, wenn möglich, nicht wieder mit den Nationalisten zusammenzuarbeiten.[18] Zuletzt war SNS-Anführer Ján Slota auch ausfallend gegenüber seinem Koalitionspartner Smer-SD und vor allem dessen Vorsitzenden Robert Fico geworden.[20]
Richtung – Sozialdemokratie (Smer-SD)
Die seit dem Juli 2006 regierende sozialdemokratische Smer-SD, trat bei der Wahl als die stärkste Regierungspartei an. Sein Parteivorsitzender und zugleich Premierminister Robert Fico war auch Wahlkampfleiter.
Die Partei versprach, die sozialen Maßnahmen (z. B. Weihnachtsrente) noch zu verstärken, sowie keine höheren Steuern, Preisregulation im Energiesektor und Schutz des Gesundheitswesens als öffentlichen Dienst. Als weitere Versprechungen im „Programmbotengang“ sind die Weiterführung der Großbauprojekte wie das Kernkraftwerk Mochovce, der Autobahnbau via PPP oder Bau Eisenbahnstrecke russischer Breitspur nach Wien durch Bratislava. Sie sprach sich für eine aktive Rolle des Staates in der Wirtschaft und eine Gebietsreform aus. Des Weiteren war sie für eine Außenpolitik mit guten Beziehungen zur EU, sowie auch zu Nicht-EU-Staaten und eine Wehr der slowakischen Unabhängigkeit, insbesondere gegen das „großungarische Chauvinismus“.[21] Das Programm wurde kritisiert wegen der Möglichkeit der weiteren Verschuldung des Staates.[22]
Der stellvertretende Vorsitzende Dušan Čaplovič schätzte das Wahlergebnis auf über 33 % für seine Partei.[23]
Slowakische Demokratische und Christliche Union – Demokratische Partei (SDKÚ-DS)
Die stärkste Oppositionspartei, die konservativ-liberale Slowakische Demokratische und Christliche Union – Demokratische Partei, wählte Iveta Radičová am 28. Februar 2010 als Wahlkampfleiterin,[24] obwohl Mikuláš Dzurinda noch der Vorsitzende war.
In seinem Wahlprogramm wich die Partei von ihrem ursprünglichen Ruf als Reformpartei ab und erwähnte mehr die sozialen Probleme. Als Prioritäten wurden die Haltung zu der sich vergrößernden Staatsverschuldung ohne Steuererhöhung, Verbesserung der Bedingungen für die Unternehmen, Liberalisierung der Arbeitsgesetze, vorgezogene Schaffung der Arbeitsplätze in von Arbeitslosigkeit betroffenen Regionen, ein besseres Schulwesen und Forschung, sowie der Kampf gegen Korruption und Kriminalität benannt. Auch bessere öffentliche Dienste und der Kampf gegen überflüssige Bürokratie auf nationaler und EU-Ebene wurden erwähnt. Beim Verkehr wurde auch wie bei Smer-SD der Autobahnbau (allerdings durch EU-Gelder) hervorgehoben, aber im Gegensatz der Widerruf des Breitspurstrecke-Projekts erwähnt.[25]
Die Wahlkampfleiterin Iveta Radičová erklärte als Ziel der Partei mindestens die Wiederholung der Ergebnisse von der Wahl 2006 (das sind etwa 18 %).[26]
Slovenská národná strana (SNS)
Die Prioritäten der von Ján Slota geführten nationalistischen Slovenská národná strana waren die Wehrfähigkeit des Militärs und die Unterstützung slowakischer Mittel- und Kleinunternehmer. Auch die bessere „Abwehr“ gegen Ungarn stellte eine der Hauptpunkte dar.[27]
Der Vorsitzende Ján Slota war überzeugt, dass seine Partei mindestens 10 % der Stimmen bei der Wahl erreichen würde.[28]
Christlich-demokratische Bewegung (KDH)
Die konservative Christlich-demokratische Bewegung wurde bei der Wahl vom Vorsitzenden und ehemaligen EK-Kommissar für Bildung und Kultur Ján Figeľ geleitet.
Die Hauptschwerpunkte der Christlich-demokratischen Bewegung in ihrem Programm waren soziale Maßnahmen für junge Familien, eine obere Grenze für die Staatsverschuldung (45 % des BIP) und niedrigere Kosten für die Krankenversicherung. Eine Verbesserung der slowakisch-ungarischen Beziehungen, allerdings ohne Einführung des ungarischen Doppelstaatsbürgerschaftsgesetzes, wurde auch erwähnt.
Als Ziel setzte sich die Partei 10 % der Stimmen bei der Wahl und die Teilnahme an einer Mitte-rechts-Regierung.[29]
Partei der ungarischen Koalition (SMK-MKP)
Die Partei der ungarischen Koalition trat die Wahl mit 2007 gewählten Vorsitzenden Pál Csáky an.
Im Programm setzte sich für stärkere Autonomie der Gemeinden insbesondere in der ungarischsprachigen Südslowakei; dabei wollte sie auch die ungarische Sprache bei Ämtern stärken und ein vollständiges Schulwesen für ungarischsprachige Schüler in der Muttersprache gründen. Das Programm sah auch verbesserte Bedingungen für Roma vor. In der Wirtschaftsfrage sprach sie sich für eine wirtschaftlich verstärkte Südslowakei aus und für Unterstützungen für arme Regionen. Im Verkehr setzte sie sich für den Bau einer Südschnellstraße (Bratislava – Nové Zámky – Lučenec, Bezeichnung R7) und die Renovierung der Bahnstrecken Bratislava–Košice via Süden und Bratislava–Komárno ein.[30]
Der damalige stellvertretende Vorsitzende (heute Vorsitzende) von SMK-MKP József Berényi war gewiss, dass seine Partei die Fünf-Prozent-Hürde überschreiten könne.[31]
Volkspartei – Bewegung für eine demokratische Slowakei (ĽS-HZDS)
Die in den 1990er Jahren regierende Volkspartei – Bewegung für eine demokratische Slowakei trat zur Wahl mit dem langjährigen Vorsitzenden Vladimír Mečiar an.
Im Programm war die Partei für die volle 13. Rente, den regionalen Mindestlohn und einen niedrigeren Zinssatz bei Verkäuferkrediten für die Armschicht. Im Wirtschaftsbereich versprach sie, die neuen Technologien zu unterstützen und setzte sich für eine große Rolle des Staates in Energieunternehmen ein. Bei Kultur wollte sie die slowakische Sprache in allen Bereichen durchsetzen. In der Außenpolitik neben „glaubhaften“ Beziehungen zu den EU-Staaten setzte sie sich für gute Beziehungen zu Russland und der Ukraine und eine Ablehnung von ungarischen Ansprüchen ein.[32]
Der stellvertretende Vorsitzende der ĽS-HZDS Jozef Habánik nannte als Ziel der Partei 10 % der Stimmen oder mehr bei der Wahl zu bekommen.[29] Zusätzlich Mečiar bemerkte, dass er eine Zwei-Parteien-Koalition mit Smer-SD nach der Wahl bilden wollte.[33]
Freiheit und Solidarität (SaS)
Die erst im Jahr 2009 gegründete neoliberale Partei Sloboda a Solidarita (Freiheit und Solidarität) trat die Wahl mit ihren Vorsitzenden Richard Sulík an.
Sie versprach wie SDKÚ-DS die wachsende Staatsverschuldung zu stoppen. Des Weiteren wurden auch bessere Bedingungen für Unternehmer und eine einfachere Steuerabfuhr erwähnt, was auch das Hauptthema der Parteikampagne war.[34] Auch Reformen in der Justiz, Liberalisierung der Drogengesetze und Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe waren weitere Hauptpunkte. Weiter setzte sie sich für die Trennung von Staat und Religion, das Freimarkt-Prinzip im Gesundheitswesen, die Reduzierung der Bürokratie und eine passivere Rolle des Staates.[35]
Die Partei wollte, nach Aussage ihres Vorsitzenden, nach der Wahl 2010 in den Nationalrat einziehen, also mindestens 5 % der Stimmen holen.[36] Auf ihrer Liste traten zu dem Kandidaten der Obyčajní ľudia-Bewegung vom späteren Premier Igor Matovič an.
Most–Híd
Die Ungarn-Partei Most–Híd (Brücke) trat zur Wahl als die neueste Partei an. Ihr Vorsitzender ist Béla Bugár, der ehemalige Vorsitzende der SMK-MKP bis 2007, nachdem er ausgetauscht worden war.
Als Hauptpunkte des Programms mit dem Namen „Es ist Zeit, Sachen besser zu machen“ waren die Senkung der hohen Arbeitslosigkeit, Änderungen im Rentensystem, bessere Nutzung des landwirtschaftlichen Bodens und gleichmäßigere Anbindung der Regionen an die Autobahnen und Schnellstraßen. Auch die Verbesserung der slowakisch-ungarischen Beziehungen stellte eine der Hauptpunkte dar.
Im Gegensatz zur SMK-MKP orientierte sich die Partei auch an slowakischen Wählern. Ziel der Partei waren 8 % der Stimmen.[37]