Schnebel experimentierte in den 1950er Jahren in seinen ersten Kompositionen zunächst mit seriellen Techniken und entdeckte dann, nicht zuletzt unter dem Einfluss von John Cage (seit dessen Auftritten bei den Darmstädter Ferienkursen 1958), experimentelle Möglichkeiten für das Komponieren mit Stimme, Text und Szene. Es entstanden, in höchst eigene und unkonventionelle Werk-Gruppen geordnet, Stücke mit verschiedensten Besetzungen und für verschiedenste Kontexte. Schlüsselpositionen haben hier u.a. folgende Kompositionen: Glossolalie (1959/1961)[10][11], der vierteilige Zyklus Für Stimmen (…missa est), in dem Schnebel mit Raum und Improvisation experimentiert[12], Maulwerke (1968–1974)[13] und Sinfonie X (1987–1992). In einem Teil seiner Kompositionen bezieht Schnebel sich bearbeitungsartig (Titel dieser Werk-Gruppe Re-Visionen)[14] auf Musik älterer Komponisten. Außerdem verfasste er zahlreiche musikwissenschaftliche Publikationen u.a. zu Werken von Franz Schubert, Giuseppe Verdi, Richard Wagner und Anton Webern. Bei den Weltmusiktagen der International Society for Contemporary Music (ISCM World Music Days) wirkte er 1977 und 1982 als Juror.[15][16]
Einen weiteren wichtigen, immer wieder aufgenommenen thematischen Schwerpunkt in Schnebels Werk bildet die kompositorische Auseinandersetzung mit geistlichen Themen – angefangen von der experimentellen missa der späten 1950er Jahre bis zu seinen jüngeren Beiträgen für den Kirchenpavillon der EXPO 2000 und die documenta 8. Seine entsprechenden Werke wollte Schnebel aber ausdrücklich nicht als Kirchenmusik im liturgischen Sinn verstanden wissen, sondern als autonome Werke der Neuen Musik mit einem explizit „avantgardistischen“ Anspruch.[17]
Als einer der ersten Vertreter der sogenannten Avantgarde der 1960er und 1970er Jahre schrieb Schnebel Stücke, die ausdrücklich für eine Aufführung durch musikalische Laien und insbesondere durch Schüler konzipiert waren. Darüber hinaus präsentierte er auch seine anderen Werke regelmäßig in diversen Schulen, um den Musikunterricht zu ergänzen und interessierten Schülern einen Einblick in die Kunstmusik der Gegenwart zu ermöglichen.[18]
Das Grab von Schnebel und seiner 2014 verstorbenen Frau befindet sich auf dem Friedhof Dahlem.
Totentanz, Ballettoratorium für zwei Sprecher, Sopran, Bass, Chor, Orchester und Live-Elektronik (1992–1994)
inter (1994)
O Liebe! – süßer Tod..., Fünf geistliche Lieder nach Johann Sebastian Bach für Mezzosopran, Kammerchor und kleines Orchester (1995)
Ekstasis für Sopran-Solo, Sprecher, zwei Kinderstimmen, Schlagzeug-Solo, Chor und großes Orchester (1996/1997; 2001/2002)
Kammermusik, experimentelle Stücke
Analysis für Saiteninstrumente und Schlagzeug (1953)
Stücke für Streichquartett und Streichinstrumente (1954/1955)
Fragment für Kammerensemble und Stimme ad libitum (1955)
Das Urteil nach Franz Kafka, Raummusik für Instrumente, Stimmen und sonstige Schallquellen (1959, rev. 1990)
Glossolalie 61 (1960–1965)
Zyklus Für Stimmen (… missa est): I dt 31,6 für 12 Vokalgruppen (1956–1958), II AMN für 7 Vokalgruppen (1958/1966–1967), III :! (madrasha II) für 3 Chorgruppen und Tonband ad lib. (1958/1967–1968), IV Choralvorspiele I/II für Orgel, Nebeninstrumente, Tonband und Verstärker (1966/1968–1969)
Maulwerke (1970); Inszenierung 1977 durch Achim Freyer, Musiktheaterwerkstatt Wiesbaden Version 2010
Körpersprache, Organkomposition für 3–9 Ausführende (1979/1980)
Beethoven-Symphonie für Kammerensemble (1985)
Metamorphosenmusik für Stimme und Kammerensemble (1986/1987)
Metamorphosen des Ovid oder Die Bewegung von den Rändern zur Mitte hin und umgekehrt, Bühnenmusik für 11 Streicher und Stimmen (1987)
Mit diesen Händen für Stimme und Cello mit Rundbogen (1992)[20]
Baumzucht (J. P. Hebel), Musikalische Lesung für Sprecher und Kammerensemble (1992/1995)
Nikša Gligo: Schrift ist Musik? Ein Beitrag zur Aktualisierung eines nur anscheinend veralteten Widerspruchs. in: International Review of the Aesthetics and Sociology of Music, 18, 1987, 1, S. 145–162 (1. Teil); 19,1988, 1, S. 75–115 (2. Teil) (eine Analyse von Schnebels MO-NO)
Janina Müller: Wider das zerstreute Hören. Dieter Schnebel und das Radio. In: Mitteilungen der Paul Sacher Stiftung, Nr. 34, April 2021, S. 22–27 (online).
Andreas Münzmay, Immer Neue Musik im kirchenmusikalischen Raum. Zum Verhältnis von Improvisation, Interpretation und Determination im Vokal- und Orgelwerk von Dieter Schnebel. In: Musikalische Interpretation im Dialog. Musikwissenschaftliche und künstlerische Praxis, hg. von Marion Saxer und Andreas Münzmay, München: text+kritik, 2017, S. 199–216.
MusikTexte 57/58, März 1995, 23–117 (Schnebel-Themenschwerpunkt mit Beiträgen von Dieter Schnebel, Ulrich Dibelius, Martin Wilkening, Hanns-Werner Heister, Reinhard Oehlschlägel, Gisela Gronemeyer, Hartmut Lück, Max Nyffeler, Peter Ruzicka, Theda Weber-Lucks, Alexander Kopp, Gisela Nauck, Hans Wüthrich, F. W. Bernstein, Clytus Gottwald, Bernd Leukert und Werkverzeichnis).
Gisela Nauck: Schnebel. Lesegänge durch Leben und Werk. Schott, Mainz u.a. 2001, ISBN 3-7957-0303-4.
Simone Heilgendorff: Experimentelle Inszenierung von Sprache und Musik. Vergleichende Analysen zu Dieter Schnebel und John Cage. Rombach Verlag, Freiburg i. Br. 2002, ISBN 3-7930-9267-4. (Reihe Cultura Bd. 16)
Asja Jarzina: Gestische Musik und musikalische Gesten. Dieter Schnebels „visible music“. Weidler Buchverlag, Berlin 2005, ISBN 3-89693-258-6. (= Körper Zeichen Kultur Bd. 14.)
Theo Rommerskirchen: Dieter Schnebel. In: viva signatur si! Remagen-Rolandseck 2005, ISBN 3-926943-85-8.
Andreas Weiland: KÖRPERSPRACHE. Eine ‚Organkomposition’ von Dieter Schnebel, uraufgeführt in der Neuen Galerie in Aachen am 24. März 1986. in: Art in Society, No. 11 (Spring/Summer, 2011) .
Andreas Weiland: Die Metamorphosen für Mezzosopran und kleines Orchester Dieter Schnebels, uraufgeführt in der Neuen Galerie in Aachen. ebenda .
Ariane Jeßulat: Handwerk als Text. Zu Dieter Schnebels Kontrapunkt. In: Mythos Handwerk. Zur Rolle der Musiktheorie in aktueller Komposition, hrsg. von Ariane Jeßulat, Königshausen & Neumann, Würzburg 2015, ISBN 978-3-8260-5488-4, S. 317–344.
Theda Weber-Lucks (Hrsg.): Dieter Schnebel. Querdenker der musikalischen Avantgarde. edition text + kritik, München 2015, ISBN 978-3-86916-395-6.
Eleonore Büning: Das Glück der Reprise. Zum Tod von Dieter Schnebel. In: nmz, 6/2018, Nachruf, Magazin S. 6.
Eva Lorenz: Die gewandelte Rollenverteilung von Komponist, Interpret und Rezipient in der Neuen Musik. Dargestellt am Beispiel von Dieter Schnebel, Mauricio Kagel und Vinko Globokar. (= Forum Musikwissenschaft, hrsg. von Peter Ackermann, Band 5). Fernwald 2016, ISBN 978-3-929379-42-6.
Suguru Goto:„Musik zum Sehen, Sichtbares zum Hören“. Meine Begegnung mit Dieter Schnebel. In: Theda Weber-Lucks (Hrsg.): Dieter Schnebel. Querdenker der musikalischen Avantgarde. edition text + kritik, München 2015, ISBN 978-3-86916-395-6, S.244.