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Architektur-Stil im 19. Jahrhundert Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die Hannoversche Architekturschule (auch verkürzt: Hannoversche Schule) bezeichnet eine vorwiegend in Norddeutschland verbreitete, historistische Architektur-Schule der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie zeichnet sich aus durch die Abkehr vom Klassizismus und Neobarock und die Hinwendung zur Neogotik. Ihr Begründer, der Architekt Conrad Wilhelm Hase, schuf allein knapp 80 Kirchenneubauten und über 60 Profanbauten. Daneben lehrte Hase 45 Jahre lang an der Polytechnischen Hochschule in Hannover und bildete währenddessen rund 1000 Voll-Architekten aus, von denen viele seine Stilprinzipien übernahmen.[1]:11 Die fortschreitende Industrialisierung begünstigte die Entfaltung der Hannoverschen Schule. In den Städten sorgte eine sprunghaft wachsende Bevölkerung für einen großen Bedarf an neuen Wohnhäusern, Schulen und Krankenhäusern.[1]:188, 275 Der Ausbau des Eisenbahnnetzes verlangte nach Hochbauwerken wie Stations- und Betriebsgebäuden[2], und aufstrebende Industriebetriebe nutzen repräsentative Fabrikbauwerke, um ihre wirtschaftliche Bedeutung abzubilden. So entstanden im namensgebenden Hannover zwischen den 1850er Jahren und dem Anfang des 20. Jahrhunderts zahlreiche große Stadtkirchen, Schul- und Fabrikgebäude sowie mehrere tausend Wohnhäuser.[1]:9 Stilistisch zeichneten sich diese Bauwerke durch ihre unverputzten Ziegelfassaden aus, was als „ehrlich“ empfunden wurde.[1]:169 Besonders für Fabrikbauten galt, dass sich bereits an der äußeren Form eines Gebäudes dessen innere Funktion erkennen lassen sollte.[1]:315 Um die Gebäude äußerlich zu verzieren, kam eine Reihe von Gestaltungsmitteln zum Einsatz: beispielsweise aus dem mittelalterlichen Kirchenbau übernommene Übereckfialengiebel, Formsteine und dekorativ gesetzte Ziegel mit glasierter Oberfläche.[1]:442
Nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhren die erhaltenen Bauwerke besonders in Hannover lange Zeit nur wenig denkmalpflegerisches Interesse. Groß angelegte Umgestaltungsmaßnahmen, die Umwandlung Hannovers zur „autogerechten Stadt“, führten zu zahlreichen Abrissen.[3]:234
Der Begriff „Hannoversche Architekturschule“ tauchte vermutlich erstmals 1882 bei Theodor Unger auf.[4]:107[5] Seinerzeit bezog sich der Ausdruck jedoch gleichermaßen auf den vorangegangenen Rundbogenstil und die durch Einfluss Hases geprägten Bauten, während in späterer Zeit nur die Bauwerke nach Hases Lehre zur „klassischen“ Hannoverschen Schule gerechnet werden.[6]:95
Der Hannoverschen Schule ging die Phase des Rundbogenstils voraus, die etwa von 1835 bis 1865 andauerte. Auch bei dieser Strömung handelte es sich um eine Ausprägung des Historismus, also ein Aufgreifen und Rekombinieren von Elementen älterer Stilrichtungen. Verbreitung fand die hannoversche Form des Rundbogenstils nicht nur in der Stadt selbst, sondern auch im Königreich Hannover. Zwei Ausprägungen lassen sich hier unterscheiden: Der von Hofbaurat Christian Heinrich Tramm entwickelte Tramm-Stil, charakterisiert durch Stabwerk und Eckstabtürmchen, und der von Stadtbaumeister August Heinrich Andreae begründete Stil mit plastisch-räumlich eingesetzten Backsteinen.[1]:10–11
Der Konsistorialbaumeister und Architekturprofessor Conrad Wilhelm Hase (1818–1902) griff ab etwa 1853 die Variation des Rundbogenstils Andreaes auf und leitete daraus fließend das Formenprogramm der Hannoverschen Schule ab.[1]:11 Keinen Einfluss besaß hingegen die Architekturlehre des Berliners Karl Friedrich Schinkel, die Schinkelschule.[6]:93 Nach einer Übergangszeit bildete die Hannoversche Schule gegen 1860 ihre Eigenständigkeit heraus. Ihre Phase dauerte bis etwa 1900 an, in Ausnahmefällen bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges, und erstreckte sich über den norddeutschen Raum, zum Teil ins Ausland.[1]:11
Ulrike Faber-Hermann formulierte 1989 über die Hannoversche Schule, dass sich ihr „Erscheinungsbild durch bestimmte Charakteristika“ beschreiben lasse, aber eine „darüber hinausgehende Definition“ vage bleiben müsse.[6]:95 Zur Zeit ihrer Entstehung sei ihr Name „vielschichtiger“[6]:95 gewesen. Beispielsweise zählte Theodor Unger 1882 zur Hannoverschen Schule sowohl den durch von Gärtner geprägten Rundbogenstil als auch die gotischen Formen Hases. Nach Ansicht Faber-Hermanns seien später nur die letztgenannten mit dem Begriff der Hannoverschen Schule verbunden worden. Bei genauerer Betrachtung ließen sich viele Schüler Hases strenggenommen nicht als Vertreter dieser Schule charakterisieren, nur wenige der Schule zugeordnete Bauwerke seien tatsächlich „stilrein“.[6]:95
Conrad Wilhelm Hases Bautätigkeit wurde zur treibenden Kraft für die Hannoversche Schule, daneben lehrte Hase an der Technischen Hochschule in Hannover (bis 1879 noch Polytechnische Schule) und sorgte auch dadurch für die Verbreitung seiner Vorstellungen. Von 1849 bis 1894 umfasste seine Lehrtätigkeit dort unter anderem die Fächer Entwerfen öffentlicher und privater Gebäude, Höhere Baukunst, Formenlehre der mittelalterlichen Baukunst und Ornamentik.[1]:11 Hase bemühte sich in seinem Wirken um eine Loslösung von dem durch Georg Ludwig Friedrich Laves repräsentierten klassizistischen Baustil und von den aus Frankreich übernommenen neobarocken Tendenzen zugunsten mittelalterlicher Formen, die er als stilistisch rein betrachtete. Der in Wien lehrende Architekt Friedrich von Gärtner übte großen Einfluss auf Hase aus. Von Gärtner vertrat die Lehrmeinung, als Baumaterial sei der unverputzte Stein zu verwenden („Reinbau“).[6]:93 In den 45 Jahren, die Hase an der Hochschule lehrte, waren rund 35.000 Studenten in Baukunst-Fächer eingeschrieben, von denen jedoch nur rund 1000 ein komplettes Architekturstudium durchliefen und als direkte Schüler Hases betrachtet werden können.[1]:11 Die hannoversche Ausbildung in der Baukunst genoss überregionale Anerkennung, sodass Studenten aus allen norddeutschen Landesteilen kamen, außerdem aus Nord- und Südamerika, England, den Niederlanden und besonders aus Norwegen. Der Nachfolger Hases an der Hochschule, Karl Mohrmann, führte das auf die Neugotik zugeschnittene Lehrprogramm seines Vorgängers bis 1924 fort.[1]:11
Die Erfindung der Eisenbahn war für die Industrialisierung im 19. Jahrhundert von entscheidender Bedeutung.[2]:4–5 In Niedersachsen überschnitten sich der Aufbau des Streckennetzes und die Herausbildung der Hannoverschen Schule über mehrere Jahrzehnte. Viele Architekten, die dem Architekturstil anhingen, waren auch im Eisenbahnbau tätig, unter ihnen Conrad Wilhelm Hase und einige seiner Mitarbeiter.
Die Eisenbahn erlaubte den raschen Transport von Waren und Personen, erschloss ländliche Regionen und sorgte für einen starken wirtschaftlichen Aufschwung.[2]:4–5 Anfangs spielten vor allem ökonomische Gesichtspunkte eine Rolle und der Gütertransport genoss das größere Interesse, ehe einige Jahre später auch der Personenverkehr an Bedeutung gewann.[7]:16 Die von der Eisenbahn ausgehenden technischen Neuerungen wirkten auch auf Kunst und Architektur, außerdem bestimmten sie die Dorf- und Stadtentwicklung. Vielerorts prägten die Empfangsgebäude der Bahnhöfe des Stadtbild. In Niedersachsen war es die Ziegelbauweise, die in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts im Bahnhofsbau überwog.[2]:4–5 Nach einer Reise durch Deutschland 1857 äußerte der britische Architekt George Gilbert Scott dazu anerkennend: „The best developments of railway architecture I have seen are on the Hanoverian lines“[8], deutsch: „Die besten Entwicklungen der Eisenbahnarchitektur, die ich gesehen habe, gibt es bei den hannoverschen Strecken“. Die Entwicklung der Eisenbahn in Niedersachsen hatte bereits einige Zeit früher begonnen: Als erstes Teilstück nahm Ende 1838 die Strecke von Braunschweig nach Wolfenbüttel den Betrieb auf.[2]:16 Gegen 1880 waren alle wichtigen Strecken gebaut, in der Folgezeit entstanden nur noch zusätzliche Linien und Nebenbahnen.[2]:21
Wissenschaftler des Instituts für Bau- und Kunstgeschichte der Universität Hannover identifizierten Anfang der 1980er Jahre insgesamt 480 Hochbauten in Niedersachsen, die sie als „wissenschaftlich bemerkenswert“ einstuften.[7]:10-1 Neben Empfangsgebäuden betrachteten sie auch andere, dem Betrieb dienende Bauten, wie beispielsweise Stellwerke, Ausbesserungshallen, Postenhäuser und Eisenbahner-Wohnungsbauten. Die Untersuchung ergab verschiedene architektonische „Stilentwicklungsstufen“, nach denen die Bauwerke gestaltet wurden. Gemäß der 1983 veröffentlichten Bestandsaufnahme bildete sich von 1852 bis 1865 eine „eigenständige Formensprache in Anlehnung an den Rundbogenstil der Hannoverschen Schule“[7]:10 heraus, in den folgenden zwanzig Jahren kam die Neugotik der Hannoverschen Schule dann „punktuell“[7]:10 zur Anwendung. Laut dieser Untersuchung fanden Innovationen besonders oft im Bereich der „Kleinarchitektur“[2]:5 weniger wichtiger Haltestellen statt, ebenso bei den Anlagen erster Generation, die später durch größere Nachfolgebauten ersetzt wurden (beispielsweise die Bahnhöfe in Hannover, Uelzen oder Oldenburg). Die Innovationen betrafen sowohl die Architektur als auch die Stadtplanung und die Technik.[2]:5
Viele Bahnhofsgebäude im Stile der Neugotik entstanden entlang der Hannöverschen Südbahn von Hannover nach Göttingen. Die Strecke wurde bereits 1845 geplant, wegen der unsicheren politischen Situation des Vormärz verzögerte sich die Realisierung jedoch.[7]:19 Das erste Teilstück, von Hannover bis Alfeld, konnte im Mai 1853 eingeweiht werden, der Abschnitt bis Göttingen folgte ein gutes Jahr später. Mit der Planung zahlreicher Gebäude war Conrad Wilhelm Hase beauftragt, vermutlich unter Mitarbeit von Julius Rasch und Adolf Funk. Stilistisch bilden diese Bauten den Übergang vom Rundbogenstil zur Hannoverschen Schule ab, so beispielsweise das Empfangsgebäude in Sarstedt von 1855.[7]:96 Der heute angestrichene Backsteinbau ist in der Vertikalen mit Lisenen gegliedert. Am mittigen Querbau erhielt das Haus einen Blendgiebel, der an Stabwerk angelehnte Verzierungen bekam.[7]:96 Weitere Bahnhöfe Hases an dieser Strecke finden sich in Nordstemmen (ausgeführt 1858/1860),[7]:97 Elze (1855),[7]:98 Einbeck (damals Salzderhelden, 1855)[7]:103 und Göttingen (1855)[7]:105. In Banteln[7]:99 und Freden[7]:100 zeigen die Empfangsgebäude Elemente des Rundbogenstils, entstanden aber vermutlich erst zwischen 1865 und 1870.
1882 gab Theodor Unger eine erste umfassende Darstellung der Bauten der Hannoverschen Schule heraus. Sie erschien im ersten Architekturführer der Stadt – Hannover: Führer durch die Stadt und ihre Bauten – und bestand in einer Gegenüberstellung der Hannoverschen Schule mit den hannoverschen Bauten der Renaissance. Unger attestierte dem neuen Stil, der Stadt eine „höchst charakteristische und interessante äußere Erscheinung“[1]:9 verschafft zu haben. Die Verfechter sahen in der Hannoverschen Schule einen „Universalstil“, den es für alle Arten an Bauaufgaben einzusetzen galt, von Kirchen bis zu Zweckbauten. Wegen dieses weitreichenden Anspruchs gab es auch kritische Stimmen und Ablehnung, worauf Unger in seiner Veröffentlichung ebenso einging.[1]:9
In Ungers Architekturführer äußerte sich auch der Berliner Architekt Hubert Stier, der kurz zuvor den Hannoverschen Hauptbahnhof geschaffen hatte, über die „Renaissancebauten“ in Hannover.[1]:90 Er rechnete zu diesen „künstlerisch bemerkenswerthe“ Monumental- und Privatbauten, für die im Streben nach „gediegener Monumentalität […] echte[r] Materialien“ verwandt worden seien. Die Bauwerke seien bestimmt durch die mittelalterlichen Anklänge und zeichneten sich gegenüber anderen zeitgenössischen Bauten als „vortheilhaft“ aus.[1]:90
Beide Kritiker, Unger und Stier, beurteilten die Hannoversche Schule aus einer gewissen Distanz: Unger besaß eine Prägung der Wiener Schule um Friedrich von Schmidt, Stier gehörte der Berliner Schule an.[1]:90
Während seiner Lehrtätigkeit an der Polytechnischen Schule Hannover bildete Conrad Wilhelm Hase etwa 1000 Voll-Architekten aus. Einige seiner Schüler unterstützen Hase an der Hochschule und vertraten die Lehren der Neugotik als seine Assistenten oder als Professoren und Privatdozenten. Zu diesem Kreise zählten Wilhelm Lüer (ab 1858), Arthur Schröder (ab 1869), Werner Schuch (ab 1872), Max Kolde (ab 1883), Gustav Schönermark (ab 1885), Theodor Schlieben (ab 1890) und Eduard Schlöbcke (ab 1895). Nach Hases Ausscheiden aus der Technischen Hochschule trat Karl Mohrmann dessen Nachfolge an und vertrat die Lehrmeinung seines Vorgängers in teils abgewandelter Form bis 1924 weiter.[1]:11 Außer an der Hochschule unterrichteten Hases Schüler auch als Lehrkräfte an der Kunstgewerbeschule Hannover (Otto Bollweg[1]:519, Karl Gundelach[1]:529, Adolf Narten[1]:553, Hermann Narten[1]:553). Viele Schüler waren auch an Baugewerkschulen tätig, beispielsweise an der Baugewerkschule Eckernförde (Erich Apolant[1]:516), in Hamburg (Hugo Groothoff[1]:529) oder in Nienburg (Otto Blanke[1]:517, Wilhelm Schultz[1]:565). An der bedeutenden ersten norddeutschen Baugewerkschule in Holzminden gab es mit dem Lehrerverein Kunstclubb in den 1860er Jahren einen Kreis von Hase-Bewunderern, der bestrebt war, die Hannoversche Schule zu verbreiten (Carl Schäfer[1]:561).
Einen großen Einfluss übten auch Hases Schüler aus, die im Dienste der Städte als Baudirektoren wirkten (unter anderem in Bielefeld, Bremen, Düsseldorf, Duisburg, Essen, Göttingen, Hamburg, Hannover, Harburg, Hildesheim, Kassel, Kiel, Köln, Lübeck, Lüneburg, Osnabrück und Peine). Außerdem arbeiteten viele, die ihre Ausbildung in Hannover genossen hatten, anschließend als Privatarchitekten. Der Bauhistoriker Günther Kokkelink schätzte ihre Zahl in Norddeutschland auf über 500; allein für Hamburg waren 30 Architekturbüros von Hase-Schülern bekannt.[1]:12
Im November 1880 gründete Conrad Wilhelm Hase die Bauhütte zum weißen Blatt, um dem schwindenden Einfluss seines Schaffens entgegenzuwirken. In den späten 1870er Jahren hatte sich die Situation für die Hannoversche Schule gewandelt: Nach der Reichsgründung kam es zu einem Bauboom (Gründerzeit), währenddessen sich die verschiedenen Architekturschulen immer mehr vermischten. Daneben wuchs die Bedeutung des Hannoverschen Architekten- und Ingenieurs-Vereins auf Kosten von Hases Tätigkeit. Bei dem gewählte Namenszusatz „zum weißen Blatt“ handelt es sich vermutlich um eine Anspielung auf die hannoversche Freimaurerloge Friedrich zum weißen Pferde, zu deren Mitgliedern unter anderen Georg L. F. Laves zählte. Das Konzept der Bauhütte sah vor, dass ein Mitglied seine Entwürfe zunächst den Kollegen zur Prüfung vorlegen musste. Durch das Herausbilden eines vereinheitlichen Stils sollte die künstlerische Qualität der Bauwerke weiter gesteigert werden.[1]:103 Das Leitbild der Bauhütte wurde in mehreren Wahlsprüchen festgehalten, die sich mit Hases Grundsätzen deckten:[1]:105
Bereits in den 1880er und 1890er Jahren wichen jedoch mehr und mehr Schüler Hases von dessen strengen Grundsätzen ab.[6]:94
In der Mitte des 19. Jahrhunderts setzten sich die hannoverschen Architekten mehr und mehr von Laves’ klassizistischem Stil ab.[1]:31-2 Von 1845 bis 1856 errichteten Ernst Ebeling und später Hermann Hunaeus das General-Militär-Hospital (nicht erhalten) in der Calenberger Neustadt von Hannover. Während Ebeling hierfür noch eine verputzte Fassade vorsah, änderte Hunaeus nach Ebelings Tod die Pläne hin zu einer Rohbau-Version mit sichtbaren Ziegeln und Sandstein. Ludwig Droste wandte für das Lyceum (später Ratsgymnasium) am Georgsplatz (nicht erhalten) bereits den Tramm-Stil an, und auch hier wurden rote Ziegel und Sandstein offen gezeigt. Christian Heinrich Tramm selbst schuf von 1857 bis 1866 das Welfenschloss, das später zum Hauptgebäude der Universität Hannover wurde. Sein charakteristisches Stabwerk und seine baulichen Einzelheiten lassen es nach Ansicht des Bauhistorikers Günther Kokkelink als Beispiel mit der „reifsten Ausprägung“[1]:39 des Tramm-Stils erscheinen. Als „eine weitere Steigerung“ für die plastisch-räumliche Spielart des Rundbogenstils gilt Kokkelink das spätere Künstlerhaus Hannover, erbaut von 1853 bis 1856 als Museum für Kunst und Wissenschaft. Der Architekt, Conrad Wilhelm Hase, gestaltete das Äußere mit verschiedenfarbigen Ziegeln und einigen Sandsteindetails, womit er die „Schönheit des Materials“[1]:31 zur Geltung gebracht habe. Das Künstlerhaus markiere den Höhepunkt des Rundbogenstils in Hannover, der im Vergleich zu anderen Städten erst recht spät Verbreitung fand und mehr Variationen aufwies als andernorts.[1]:31-2
Weitere Beispiele für den Rundbogenstil in Hannover sind das Haus der Militär-Bekleidungskommission (Hermann Hunaeus, 1859/60),[1]:41 die zur Marienstraße gelegenen Gebäude des Henriettenstifts (Christian Heinrich Tramm, 1861–63),[1]:80 das Marstallgebäude am Welfenschloss (Eduard Heldberg, 1863–65)[1]:79 und das Doppelwohnhaus an der Prinzenstraße Nr. 4 und 6 (Georg Hägemann, 1869)[1]:53-4.
Hases Architekturstil – von Anhängern und Kritikern gelegentlich auch „Hasik“ genannt – war von der mittelalterlichen Backsteingotik geprägt, wobei die Statik der Gebäude und das verwendete, vorzugsweise heimische Baumaterial (Holz, Ziegel, Sandstein) für den Betrachter sichtbar bleiben sollten. Die durch den Verzicht auf Außenputz erkennbaren Ziegelrohbaufassaden erhielten Backsteinverzierungen, häufig glasierte Ziegel und an Formen Deutsches Band sowie Zahnschnitt. Typisch sind Staffelgiebel am Ortgang und Segmentbogenstürze über Fenstern und Türen (Rundbogenstil).
„Bewegte“[1]:121 Dachlandschaften sind eine Besonderheit der Hannoverschen Schule. Zusätzlich zu Erkern und Türmchen setzten die Architekten oft Ziergiebel ein, um ein Bauwerk auszustaffieren. In Hannover startete Conrad Wilhelm Hase diese Entwicklung, indem er 1860/61 sein eigenes Wohnhaus mit einem kleinen, backsteinernen Ziergiebel mit Übereckfialen versah. Kurze Zeit später, 1864/65, übernahmen seine Schüler Wilhelm Hauers und Wilhelm Schultz diese Stilmittel für die Turnhalle des Turn-Klubbs in der hannoverschen Maschstraße. Ein Übereckfialengiebel wurde hier auf einen Dreiecksgiebel gesetzt, was nach Ansicht des Bauhistorikers Günther Kokkelink in kreativer Weise von den mittelalterlichen Vorbildern abwich. Im Laufe der nächsten Jahre erreichte die Ziegelindustrie einige technische Fortschritte und konnte stetig vielfältigere Formsteine liefern, was den Architekten immer ausgefeiltere Dachlandschaften erlaubte.[1]:121 Davon profitierte auch Ludwig Frühling, der 1886 die Fabrikantenvilla Schwarz in der hannoverschen Parkstraße (heute Wilhelm-Busch-Straße) errichten ließ, versehen mit Ziergiebeln ähnlich denen des Rathauses in Hannover.[9]:112 Karl Börgemanns Grönes Hus von 1899 in der hannoverschen Sextrostraße übertraf mit seiner Fassade und Dachlandschaft vorherige Bauten in einfallsreicher Ausgestaltung, Kokkelink spricht hier von einer „phantasievolle[n] Steigerung des Übereckfialengiebels“[1]:121. Das Haus habe sich damit immer weiter von den Eigenarten der mittelalterlichen Bauweise entfernt und markiere den Übergang der Neugotik hin zum Jugendstil.[1]:121
Der sichtbare Einsatz von Ziegeln zur Verblendung von Fassade spielte in der Hannoverschen Schule eine entscheidende Rolle. Das „Backsteinmaß“ bestimmte die Gestaltung der Mauern und sorgte für eine „gleichmäßige Horizontal-Schichtung“, wie es Theodor Unger in seinem Architekturführer 1882 formulierte.[4]:116-8 Die zwischen den Steinen auftretenden Fugen gliedern den Bau; alle Flächen, Friese, Säulen lassen sich in eine bestimmte Anzahl von Backsteinschichten zerlegen.[1]:442-3 Um die Gebäude mit dekorativen Details zu schmücken, standen den Architekten und Maurermeistern zahlreiche Mittel zur Verfügung: Sie nutzen Formsteine oder bedienten sich polychrom gefärbter Ziegel an einer Fassade (zum Beispiel in rot und gelb, wie beim Clementinenhaus). Daneben kamen in unterschiedlichen Farben glasierte Ziegel zum Einsatz (beispielsweise in braun, schwarz und grün). Theodor Unger erwies sich jedoch als ausgesprochener Gegner der glasierten Ziegel, denen er eine „beleidigende Wirkung“ nachsagte.[4]:120 Er vertrat die Ansicht, Glasuren gehörten aus dem Backsteinbau „verbannt“ oder zumindest „auf ein äußerst bescheidenes Maß zurückgeführt“.[4]:121
Besonders viele und ausgeprägte Dekorationselemente schmückten die Prachtvillen, aber auch im üblichen Wohnungsbau kamen zahlreiche Details vor, die oft erst auf den zweiten Blick zu erkennen sind.[1]:442-3 Nach Ansicht des Bauhistorikers Günther Kokkelink gingen die Architekten Karl Börgemann und Karl Mohrmann besonders kühn vor; Kokkelink bezeichnet sie als „Backsteinvirtuosen […], die sämtliche ‚Register‘ der hannoverschen Backsteinarchitektur zogen“.[1]:442 Von Börgemann stammt zum Beispiel die Villa Willmer (Hannover), deren Turm und Fensterbänder einen „immensen Formenreichtum“[1]:442 zeigten. Börgemanns Heiligen-Geist-Stift (Hannover) erhielt ausgedehnte Ornamentfelder und mit der übrigen Mauer kontrastierende, farbig glasierte Ziegel. Mit dreidimensional ausgebildetem Rankwerk in den Ornamentfeldern klinge bereits der Jugendstil an, so Kokkelink. Der Architekt sei aber dem Konzept der durchgehenden Fugen treu geblieben und wandte sie sowohl horizontal als auch diagonal an. Am ausgeprägtesten sei Börgemanns Vorliebe für glasierte Ziegel beim Grönen Hus (Hannover) zu beobachten. Hier arbeitete er besonders deutlich mit dem Komplementärkontrast zwischen grünen und roten Steinen. Nach Kokkelink kommen an diesem Haus „besonders attraktiv wirkende Glasuren […] am stärksten […] zur Geltung“.[1]:442 Das Gröne Hus stelle einen Übergang der Hannoverschen Schule zum Jugendstil dar. Karl Mohrmanns eigenes Wohnhaus am Herrenhäuser Kirchweg in Hannover weiche ebenfalls in seinen Details schon stark von der „klassischen“ Lehre ab: Die Giebel erhielten zur Dekoration hell verputzte Flächen. Daneben gab es auch viele weitere, weniger bekannte Architekten, die das Baumaterial in einem „kreativen spielerischen Umgang“[1]:442 einzusetzen gewusst hätten. Beispielhaft hierfür ist Friedrich Wedel, der bei Hase gelernt hatte. Für das von ihm entworfene Wohn- und Geschäftshaus Callinstraße 4 (Hannover) verwendete er dekorative Formsteine.[1]:442
Die Sakralbauten der Hannoverschen Schule nehmen eine besondere Stellung ein. Viele Anhänger wirkten in erster Linie beim Bau von Kirchen, darunter Johannes Otzen, Christoph Hehl, Johannes Franziskus Klomp, Johannes Vollmer und Eduard Endler. Auch bei Conrad Wilhelm Hase lag der Schwerpunkt hier: Er bearbeitete 171 kirchliche Bauvorhaben (darunter 76 Neubauten), an Profanbauten schuf er 66. Die Hannoversche Schule wurde in der Vergangenheit deswegen oft als „Kirchenstil“ eingeordnet. Diese Einschätzung greift jedoch bei weitem zu kurz angesichts unzähliger Wohnhäuser, Fabriken, Schulen, Postgebäude und Krankenhäuser.[1]:359
In Deutschland kam es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer regen Bautätigkeit bei Kirchen, deren Höhepunkt zwischen 1880 und 1914 lag. Der Grund dafür war im Wesentlichen die wachsende Stadtbevölkerung, ausgelöst durch die Industrialisierung. Neue Stadtteile außerhalb des alten Stadtkerns entstanden, es kam vielerorts zur Gründung neuer Kirchengemeinden. In Hannover begann diese Phase mit dem aufsehenerregenden Bau der Christuskirche 1859.[1]:359 Bei Ulrike Faber-Hermann gilt sie „als eigentlicher Gründungsbau der Hannoversche [sic] Schule“[6]:93, Günther Kokkelink schreibt von einer „architektonische[n] Sensation“[1]:362. Die Kirche geriet ungewöhnlich groß und prachtvoll. Typisch für die frühe Phase der Hannoverschen Schule ist nach Kokkelink die sehr feinteilig gestaltete, detailreiche Dachlandschaft. In der plastischen Gliederung des Baukörpers gleiche die Christuskirche hingegen späteren Bauwerken.[1]:362 Eine „kühne Komposition“[1]:362 gelang Hase auch bei der Umsetzung des Eingangsbereichs: Die westlichen Eckstrebepfeiler des Turmes sind nach vorne so weit vorgezogen, dass sich dazwischen der Platz für eine überwölbte Vorhalle ergibt, die Hase mit einem „mächtigen Wimperg bekrönte“[1]:362. Der Neubau der Christuskirche blieb in Hannover lange Zeit ohne weiteres Beispiel. Erst knapp 20 Jahre später, von 1878 bis 1882, entstand in Linden mit der Zionskirche (heute: Erlöserkirche) die nächste große Stadtkirche.[1]:362 Innerhalb weniger Jahre folgten in Hannover die Apostelkirche und Dreifaltigkeitskirche.[1]:364
Bild | Gebäude | Jahr | Ort | Architekt | Beschreibung in der Architekturkritik | Beleg |
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Christuskirche | 1859–64 | Hannover-Nordstadt (Lage ) | Conrad Wilhelm Hase | besonders filigrane Dachlandschaft, „Plastizität“ der Baukörpergliederung mit späteren Bauwerken der Hannoverschen Schule vergleichbar | [1]:361-2 | |
Neue Synagoge | 1864–70 | Hannover-Calenberger Neustadt (Lage ) | Edwin Oppler | zerstört während der Novemberpogrome 1938 | ||
Erlöserkirche (Zionskirche) | 1878–80 | Hannover-Linden Süd (Lage ) | Conrad Wilhelm Hase | dreischiffige, gewölbte Hallenkirche mit nachträglich angefügtem Turm (1882), Einheit mit Pfarrhaus durch dessen Abriss 1980 „gestört“ | [1]:364 | |
Dreifaltigkeitskirche | 1880–83 | Hannover-Oststadt (Lage ) | Christoph Hehl | Emporenbasilika; weniger detailreiche Dachlandschaft als frühere Entwürfe, Plastizität mehr im unteren Bereich herausgearbeitet | [1]:361 | |
Apostelkirche | 1880–84 | Hannover-Oststadt (Lage ) | Conrad Wilhelm Hase | Entwurf ähnelt der Erlöserkirche in Hannover, weist aber eine „neue Disposition“ auf; durch „erstaunliches Gestaltungsvermögen“ Hases einander durchdringende und aneinanderstoßende Baukörper | [1]:364 | |
Erlöserkirche | 1890–92 | Berlin-Rummelsburg (Lage ) | Conrad Wilhelm Hase | etwas vergrößerte Kopie der hannoverschen Apostelkirche; Emporenbasilika | [1]:364 | |
Elisabethkirche | 1888/9 | Langenhagen bei Hannover (Lage ) | Conrad Wilhelm Hase | große Gewölbekirche mit schmalen Seitenschiffen; neuer, hoher Westturm aus Kostengründen verworfen | [1]:363 | |
Bei Schlössern gab es unter den Architekten und Bauherren eine ähnliche Begeisterung für das Mittelalterliche wie bei Kirchen. Die Schlösser entstanden in Anlehnung an frühere, wehrhafte Burgen und erhielten deswegen deren typische Gestaltungsmittel wie Zinnen oder Türme. Nachdem in einer ersten Phase noch erhaltene Burgruinen restauriert wurden, kam es ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer regen Tätigkeit bei Schlossneubauten, bei der auch die Hannoversche Schule Anwendung fand.[1]:115 Sie durchlebte in den kommenden Jahrzehnten einen Wandel: Die Architekten gingen weg von symmetrischen, kubisch-regelmäßigen Kastellen, hin zu asymmetrisch aufgebauten Anlagen. Während die von Conrad Wilhelm Hase entworfene Marienburg noch eine recht geordnete Erscheinung zeigte, gestaltete Julius Rasch das Schloss Imbshausen als das erste unregelmäßige Schloss nach den Prinzipien der Hannoverschen Schule. Als Schlossbaumeister betätigten sich außer den beiden Genannten auch Edwin Oppler, Christoph Hehl, Karl Börgemann, Adelbert Hotzen und weitere Architekten.[1]:116
Bild | Gebäude | Jahr | Ort | Architekt | Beschreibung in der Architekturkritik | Beleg |
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Schloss Marienburg | 1858–62 | Pattensen (Lage ) | Conrad Wilhelm Hase | weitgehend symmetrische, vierflüglige Kastell-Anlage nach mittelalterlichem Vorbild; teils einfach gestaltete Baukörper, teils detailreich | [1]:116 | |
Schloss Hastenbeck | 1860 | nahe Hameln (Lage ) | Adelbert Hotzen | gewinkelter Grundriss mit großem Turm (oberer Teil unvollendet); viele Anlehnungen an die Marienburg | [1]:116-7 | |
Schloss Imbshausen | 1862–64 | nahe Northeim (Lage ) | Julius Rasch | neue Außenarchitektur für eine bestehende Anlage aus dem 16. Jahrhundert; grundlegend veränderte Raumeinteilung | [1]:117 | |
Rathäuser verkörperten von jeher die bürgerliche Freiheit und Selbstständigkeit, was die Gebäude bis ins 20. Jahrhundert zu den wichtigsten und repräsentativsten Profanbauten machte.[1]:233 Die im Zuge der Industrialisierung stark wachsende Stadtbevölkerung sorgte dafür, dass auch die Verwaltungsaufgaben deutlich zunahmen. Für die Rathäuser bedeutete dies zahlreiche Umbauten, Erweiterungen oder Neubauten. Diesen Bauvorhaben lagen jedoch nicht ausschließlich praktische Gesichtspunkte zugrunde, die Rathäuser erfüllten auch eine wichtige gesellschaftliche Funktion. An ihnen ließ sich architektonisch abbilden, wie stolz und bedeutend eine Stadt geworden war.[1]:233
Über das Rathaus in Hannover urteilt der Bauhistoriker Günther Kokkelink, es habe im norddeutschen Raum Vorbildcharakter für andere Städte besessen.[1]:233-7 Der aus dem Mittelalter stammende Bau wurde zwischen 1839 und 1891 mehrfach erweitert und restauriert. Begonnen hatte diese Phase der Umgestaltung bereits 1826, als der Stadtdirektor Wilhelm Rumann plante, das alte Rathaus abreißen zu lassen.[1]:233 Nach seiner Vorstellung sollte an der gleichen Stelle ein größerer Neubau entstehen, der doppelt so viel Nutzfläche wie das alte Gebäude geboten hätte. Der Entwurf kam vom Stadtbaumeister August Andreae, der ein viergeschossiges Haus im Rundbogenstil vorsah. Das Vorhaben stieß jedoch auf massiven Widerstand bei den Bürgern und dem Bürgervorsteher-Kollegium, sodass Rumann von der Ausführung abrückte. Stattdessen beantragte er erfolgreich den Neubau eines innenliegenden „Gefangenenhauses“[1]:234 als Erweiterung des Rathauses. Andreae gestaltete es von 1839 bis 1841 in Anlehnung an den Rundbogenstil, stattete den Trakt aber auch mit bis dahin weitgehend unbekannten Stilelementen aus. Über Backsteinreliefs, zweigeschossige Blendarkaden, Segmentbögen und Lisenen entwickelte Andreae eine Formensprache, die später von der Hannoverschen Schule aufgegriffen wurde.[1]:234 Nach dem Gefangenenhaus folgte bis 1850 der Gerichtsflügel entlang der Köblinger Straße, für den zuvor der ehemalige Apothekenflügel abgebrochen werden musste. Die Fassade des Gerichtsflügels führte Andreae mit „norditalienisch-romanischen“[1]:234 Formen aus, weswegen der Gebäudeteil im Volksmund schnell den Beinamen „Dogenpalast“[1]:234 erhielt. In den folgenden zwanzig Jahren kam es wieder zu Protesten, der den Weiterbau neuer Trakte verhinderte. Erst Ende des Jahres 1863 beauftragte der Magistrat den hannoverschen Architekten- und Ingenieur-Verein damit, ein Wiederherstellungs- und Nutzungskonzept für das Rathaus zu erarbeiten. Die Diskussionen über das Konzept dauerten gut zehn Jahre an, ehe 1875 Conrad Wilhelm Hase berufen wurde, Pläne für die Restaurierung zu erstellen. Hases Entwürfe fanden Anklang beim Magistrat, der Anfang 1877 deren Ausführung beschloss. In Hases Plänen war „der mittelalterliche Zustand unter Fortlassung aller späterer Hinzufügungen“[1]:235 vorgesehen; bei der Ausführung wurden die Pläne nur leicht geändert, indem noch einige Treppen und Zwischenwände ergänzt wurden. Die Restaurierungsarbeiten für das Äußere des Marktflügels konnten 1879 abgeschlossen werden, während die Arbeiten im Innern noch bis 1882 andauerten. Zur Zeit der Einweihung fand in Hannover eine Generalversammlung der deutschen Architekten und Ingenieure statt. Deren Teilnehmer lobten an Hases Entwürfen die „konzeptionelle Einheitlichkeit, die allumfassende Durchgliederung des Inneren und Äußeren“ und „die totale Wiederherstellung des gotischen Zustandes“.[1]:235 Nach Ansicht von Günther Kokkelink ging Hase beim Rathaus in Hannover sehr zurückhaltend vor, wie er mit seinem Leitsatz „Festhalten am Alten“ gefordert hatte.[1]:236 Die „Ehrwürdigkeit des alten Monuments“ habe für Hase größere Wichtigkeit besessen als die „subjektiven künstlerischen Ambitionen“.[1]:236 Als letzter Teil des Rathauses entstand von 1890 bis 1891 der neue „Hase-Flügel“ zur Karmarschstraße.[1]:237 Der nach Südosten weisende Flügel wurde nötig, nachdem zuvor die Grupenstraße angelegt worden war. Diese, heute Karmarschstraße genannt, führte als Durchbruch quer durch die Altstadt, um eine schnelle Verbindung des Bahnhofs mit der westlich gelegenen Stadt Linden zu gewährleisten. Aus Repräsentationszwecken gab Hase dem Flügel ein weiteres Stockwerk und einen „prächtigen“[1]:237 Mittelgiebel. An seinen Stirnseiten erhielt der Flügel Übereckfialengiebel, die das Rathaus nach Südosten in fast symmetrischer Weise flankieren.[1]:237
Der hannoversche Fall wirkte in der Folgezeit „animierend auf andere nordwestdeutsche Städte mit gotischen Rathäusern“[1]:235: Die Stadtplaner bevorzugten nun oft Gesamtrestaurierungen gegenüber selektiven Teilrestaurierungen. Bereits wenige Monate nach der Einweihung in Hannover entwarf Heinrich Gerber den Plan für eine Gesamtrestaurierung des Göttinger Rathauses. Diese wurde zwischen 1883 und 1886 realisiert. In Hildesheim leitete Gustav Schwartz die umfassende Restaurierung des Rathauses, ausgeführt von 1883 bis 1887. In Lübeck war es Adolf Schwiening, der 1883 einen Plan für die Gesamtrestaurierung des dortigen Rathauses vorlegte. Alle drei – Gerber, Schwartz und Schwiening – hatten bei Hase gelernt.
Bild | Gebäude | Jahr | Ort | Architekt | Beschreibung in der Architekturkritik | Beleg |
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Altes Rathaus Hannover | 1878–82 (Marktflügel, Bild) und 1890/91 („Hase-Flügel“) | Hannover-Mitte (Lage ) | Conrad Wilhelm Hase | umfangreiche Restaurierung des mittelalterlichen Gebäudes; später Ergänzung des Südflügels („Hase-Flügel“) zur neu angelegten Grupenstraße (heute Karmarschstraße); Markt- und Hase-Flügel mit stirnseitigen Übereckfialengiebeln, Hase-Flügel um ein Stockwerk höher als der Marktflügel und mit einem „prächtigen“ Mittelgiebel | [1]:233-7 | |
Altes Lindener Rathaus | 1883–84 | Hannover-Linden Mitte (Lage ) | Christoph Hehl | an „städtebaulich wirkungsvoll[em]“ Standort an einer Weggabelung; Ratssaal mit drei „prächtigen“ Segmentbogenfenstern; Dachlandschaft mit Übereckfialengiebel, Ecktürmchen und spitzer Dachreiter mit Glocke im Krieg zerstört | [1]:237 | |
Rathaus Lübeck | 1887–94 | Lübeck, Breite Straße (Lage ) | Adolf Schwiening | umfangreiche Sanierung durch Schwiening; neue, „monumentale“ Nordfassade als Ausdruck „hanseatischen Selbstbewußtseins“ | [1]:238 | |
Ständehaus Rostock | 1889–93 | Rostock, Wallstraße (Lage ) | Gotthilf Ludwig Möckel | annähernd quadratisches Gebäude, „systematisch […] gegliedert“, ähnlich Schinkels Bauakademie; überdachter Innenhof mit „repräsentativer“ Treppenanlage | [1]:239-40 | |
Gerichtsgebäude in Lübeck | 1894–96 | Lübeck, Große Burgstraße (Lage ) | Adolf Schwiening | |||
Die meisten Museen während der neugotischen Bauphase entstanden in den 1880er und 1890er Jahren, von dem Kunsthistoriker Volker Plagemann als eine Zeit des staatlichen Museumsbaus bezeichnet.[1]:267 Dieser Zeit vorangegangen waren die Phasen des fürstlichen (1815–1848) und des bürgerlichen (bis 1870) Museumsbaus, Von der letztgenannten wirkten die Prinzipien einer „monumentalen äußeren Erscheinung“[1]:267 der Häuser noch bis zur Jahrhundertwende nach. Demnach erhielten die Museen als wichtige Bildungseinrichtung repräsentative Gebäude. Für viele Bauvorhaben galt als Vorbild die Dresdner Gemäldegalerie, errichtet 1847–55 von Gottfried Semper. Ihr Äußeres im Stil der Neorenaissance wurde neben klassizistischen Kunst-Tempeln zum Standard im Museumsbau. Die Hannoversche Schule konnte sich daher für solche Bauaufgaben nur in ihren Hochburgen durchsetzen.[1]:267
Bild | Gebäude | Jahr | Ort | Architekt | Beschreibung in der Architekturkritik | Beleg |
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Künstlerhaus Hannover | 1853–56 | Hannover-Mitte (Lage ) | Conrad Wilhelm Hase | frühes Gebäude, das mit sichtbaren Ziegeln ausgeführt wurde; mit mehrfarbigen Ziegeln und „sorgfältig gearbeiteten Sandsteinelementen“, dazu dekorative Details, die fast „exotisch“ wirkten; goldene Ehrenmedaille des Königs zur besonderen Würdigung Hases | [1]:51 | |
Cumberlandsche Gemäldegalerie | 1883–86 | Hannover-Mitte (Lage ) | Otto Goetze | Erscheinung eines „äußerlich schlichten Zweckbaus“, der an Industriegebäude erinnert; innen „repräsentatives“ Treppenhaus mit „dekorativen“ Eisenkonstruktionen | [1]:268 | |
Museum für das Fürstentum Lüneburg | 1889–91 | Lüneburg, Wandrahmstraße (Lage ) | Ferdinand Münzenberger | Kombination aus Rundbogenstils, Hannoverscher Schule und märkischer Architektur; im Zweiten Weltkrieg größtenteils zerstört, 1970 erneuert und erweitert | [1]:268 | |
Ausgelöst durch die Industrialisierung kam es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem starken Anwachsen der Stadtbevölkerung.[1]:275 Neben anderen Herausforderungen im Bereich des Wohnungsbaus und der Infrastruktur mussten innerhalb weniger Jahre auch zahlreiche Schulgebäude neu errichtet werden. In Hannover stieg die Schülerzahl in Volksschulen von rund 7.500 im Jahr 1876 auf knapp 27.000 im Jahr 1905. Es entstanden verschiedene Schultypen für unterschiedliche Anforderungen: Gymnasien und Reformgymnasien, Höhere Töchterschulen, Realschulen, Bürgerschulen, Volksschulen, Blinden- und Taubstummenschulen, Schulen für Angehörige religiöser Minderheiten und Hilfsschulen. Innerhalb der Schultypen gab es eine Hierarchie, bei der Gymnasien und Realschulen zum obersten Rang zählten und deswegen gestalterisch am aufwändigsten ausgeführt wurden. Der Grundsatz der Hannoverschen Schule, den Ziegel unverputzt einzusetzen, ersparte der Stadtverwaltung Kosten.[1]:275
Für die im 19. Jahrhundert entstandenen Turnhallen gab es keine vormodernen Vorbilder.[1]:297 Die Architekten leiteten ihre Entwürfe daher zunächst von Versammlungsräumen ab, wie sie in Kirchen oder Schulen genutzt wurden. Die aufkommende Turnbewegung unter dem „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn diente der Freizeitgestaltung, sollte die Deutschen aber auch für kriegerische Auseinandersetzungen in Form bringen. Das Logo der Bewegung, das Turnerkreuz, kam erstmals 1846 auf. Es ist aus vier „F“ zusammengesetzt, die für das Motto der Bewegung „frisch, fromm, fröhlich, frei“ stehen. Viele Turnhallen der Hannoverschen Schule erhielten das Kreuz zur Zierde.[1]:297 Die Turnhalle in der hannoverschen Maschstraße erbauten Wilhelm Hauers und Wilhelm Schultz. In den Jahren 1864/65 entstanden, ist sie vermutlich das älteste erhaltene Gebäude des Stadtteils Südstadt. Sie gehört außerdem zu den Hallen, die schon sehr früh für einen Turnerbund errichtet wurden. Der Bau ist mit 15 Fensterachsen sehr breit gelagert. Ursprünglich umfasste er nur zwei Geschosse, wurde dann aber bei der Beseitigung der Schäden des Zweiten Weltkriegs aufgestockt. Eine Besonderheit der Halle ist ihr außermittig angeordneter Eingangsrisalit mit Dreiecksgiebel und aufgesetztem Übereckfialengiebel. Im Innern lässt sich außerdem die Tragstruktur erkennen, sie besteht aus mit Spitzbögen verbundenen Stützen. Laut dem denkmaltopographischen Atlas von 1983 besitze die Turnhalle trotz des nachträglichen Umbaus für Hannover eine große Bedeutung.[9]:117
Bild | Gebäude | Jahr | Ort | Architekt | Beschreibung in der Architekturkritik | Beleg |
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Ehem. Mittelschule Davenstedter Straße | 1885 | Hannover-Linden Mitte (Lage ) | Friedrich Knust | schlichte Erscheinung ähnlich der von Industriebauten, wenige neugotische Elemente, nur zweigeschössige Blendbögen, Rautenfriese mit grün glasierten Ziegeln und ein Bogenfries am Traufgesims | [1]:276 | |
Schule Kestnerstraße | 1887/88 | Hannover-Südstadt (Lage ) | Eberhard Hillebrand | „klassische“ Hannoversche Schule: einfache Gestaltungsmittel für sparsame Zweckmäßigkeit des Ziegels; glasierte Ziegel, Sohlbänke und einfache Rautenfriese betonen die Horizontale; Risalite und Staffelgiebel betonen die Vertikale | [1]:276 | |
Ehem. Bürgerschule Edenstraße | 1892/93 | Hannover-List (Lage ) | Paul Rowald | Neugotik über zweigeschossige Blendbögen, Staffelgiebel an den Treppenhaus-Risaliten und grün glasierte Ziegel, Abmilderung durch Eingangsportale mit Rundbögen (zur Edenstraße), keine Spitzbögen, dafür Mansarddach | [1]:276 | |
Ehem. Provinzial-Blindenanstalt | 1892/93 | Hannover-Kleefeld (Lage ) | (Gustav?) Schaumann | von der Straße zurückgesetzter Bau mit drei Geschossen, Querflügel zur Straße als Risalite angedeutet; mit gotischen Formen gegliedert und dekoriert; Hauptportal des Mittelflügels mit hohen Spitzbogenfenstern am Betsaal; heute als Schule genutzt | [10]:81 | |
Schule Alemannstraße | 1893–95 | Hannover-Vahrenwald (Lage ) | Paul Rowald | Schulgebäude für 28 Klassen; zweigeschossige Blendbögen nach Wilsdorffschem Schema, aber mit höheren und bereiten Risaliten an den Ecken als an den Treppenhäusern; flache Korbbögen, kielbogige Archivolte und helle Maßwerkfelder weichen deutlich von den Details der „klassischen“ Hannoverschen Schule ab | [1]:276 | |
Hannoverscher Turn-Klubb | 1864/65 | Hannover-Südstadt (Lage ) | Wilhelm Hauers und Wilhelm Schultz | zeitgenössisches „Aushängeschild“ der Hannoverschen Schule; Eingang mit Turnerkreuz auf Dreiecksgiebel, der mit Übereckfialen gekrönt ist; grün oder schwarz glasierte Formsteine | [1]:297 | |
Kirchliche Hospitäler gab es bereits im Mittelalter, die meist nahe dem Stadtzentrum errichtet wurden. Hinzu kamen „Siechenhäuser“[1]:303 (wie zum Beispiel Pesthäuser), die außerhalb der Stadt entstanden, um die Ausbreitung von Seuchen zu vermeiden. Im 19. Jahrhundert entstanden erstmals Krankenhausbauten für spezifische Bedürfnisse, nachdem wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Anforderungen für bestimmte Therapien ausgearbeitet worden waren. Zu dieser Zeit wurde auch das Konzept der Pavillons populär. Außer den allgemeinen Hospitälern entstanden auch Fachkliniken, beispielsweise Geburtenhäuser oder Kinderkrankenhäuser.[1]:303
Für psychisch erkrankte Menschen ließ König Georg V. gegen 1860 zwei kleinere Landes-Irrenanstalten bauen.[1]:303 In den beiden Häusern, eines in Osnabrück und eines in Göttingen angesiedelt, sollten jeweils 200 Personen untergebracht werden konnten. Adolf Funk und Julius Rasch entwarfen die Göttinger Einrichtung als geschlossene, symmetrische Anlage, in deren Zentrum ein Garten angelegt wurde. Die meisten Gebäude gestalteten die Architekten im Rundbogenstil oder in einer „noch eher klassizistisch geprägten Neugotik“, wie es der Bauhistoriker Günther Kokkelink formuliert.[1]:303 Bei der Kapelle entschied sich Rasch für die Hannoversche Schule – wahrscheinlich ganz bewusst, wie in der Literatur vermutet wird. Innerhalb der Anlage kam der Kapelle eine besondere Bedeutung zu: Sie sollte mit ihren „schönen Gewölben“ einer normalen Dorfkirche gleichen und so zur Linderung der physischen Leiden beitragen. Ein bloßer Betsaal innerhalb des Gebäudes wurde als nicht ausreichend angesehen, um Trost und Kraft zu spenden. Da für die gesamte Anlage nicht genug gleiches Baumaterial zu erhalten war, musste Rasch verschiedene Steinsorten mischen, darunter Sandstein, Tuffstein, Backstein und gelbe Verblendziegel.[1]:303
Mit gelben Ziegeln verblendete Christoph Hehl das Clementinenhaus, entstanden 1885 bis 1887 in Hannover-List. Mit farblich abgesetzten Ziegeln in rot griff er die Idee der Backsteinpolychromie wieder auf, die Conrad Wilhelm Hase bereits 1856 beim heutigen Künstlerhaus angewandt hatte.[1]:306 Der erhaltene, zweieinhalbgeschossige Bau ist heute der älteste Teil des Krankenhauses. Das Gebäude steht frei und etwas von der angrenzenden Lützerodestraße zurückversetzt, mit einer Ausrichtung von Ost nach West und der Schauseite nach Süden. Die Fassade ist symmetrisch aufgebaut mit drei übergiebelten Risaliten. Der mittlere davon nimmt den Eingang auf und ist deswegen etwas breiter und höher ausgeführt als die seitlichen Risalite.[9]:177
In der hannoverschen Heiligengeistraße wurde von 1892 bis 1895 das Hospital St. Spiritus (Heiligengeiststift) erbaut.[9]:142 Karl Börgemann wählte dafür Gestaltungselemente der „klassischen“ Hannoverschen Schule. Es entstand eine Südfassade von 76 m Länge. Sie erhielt einen Mittelrisalit mit einem „prächtigen“[1]:305 Übereckfialengiebel, außerdem zwei Seitenrisalite, die auf die rückwärtigen Seitenflügel hinweisen.[1]:305 In der Horizontalen wird die Fassade von unterschiedlich farbigen Backsteinbändern gegliedert, außerdem variieren die Gesimse. Das dritte Geschoss ist von den unteren hervorgehoben, hier wechseln sich Doppelfenster und Blendarkaden ab. Der Mittelrisalit trägt zudem dunkelgrün glasierte Kacheln, die ihn zusätzlich strukturieren.[9]:142 Das Gebäude des Heiligengeiststifts gehört zu den „eindrucksvollsten“[1]:305 Profanbauten der Hannoverschen Schule, die erhalten geblieben sind.
Bild | Gebäude | Jahr | Ort | Architekt | Beschreibung in der Architekturkritik | Beleg |
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Irrenanstalt Göttingen | 1866 (Eröffnung) | Göttingen (Lage ) | Adolf Funk und Julius Rasch | überwiegend im Rundbogenstil gehaltener, geschlossener Komplex mit zentralem Garten; Kapelle nach Hannoverscher Schule | [1]:303 | |
Alt-Bethesda (Ursprungsbau / Erweiterung) | 1873–75, 1884 (Erweiterung) | Hannover-Kirchrode (Lage ) | Heinrich Wegener, Pläne von Adelbert Hotzen | Ursprungsbau: Segmentbogenfenster „originiell ausgebildet“ mit „ungewöhnlich gemauertem Maßwerk“ in abgewandelter Dreipass-Form; Erweiterung: gotisierende Zwerchhäuser zu den Traufseiten, mit Treppengiebel und fialartiger Bekrönung; gekuppelte Fenster, glasierte Ziegel und Sohlbänke | [1]:303-4,[10]:92-3 | |
Clementinen-Krankenhaus | 1885–87 | Hannover-List (Lage ) | Christoph Hehl | polychrome Backsteinfassade in gelb mit roten Akzenten | [1]:306 | |
Heiligengeiststift | 1892–95 | Hannover-Bult (Lage ) | Karl Börgemann | Anlage nach „klassischer“ Hannoverscher Schule, einer der „eindrucksvollsten“ Profanbauten, der erhalten blieb; „aufwendig[e]“ Südfassade „geschmückt“ mit einem Übereckfialiengiebel am Mittelrisalit, Ornamente und Rankwerk | [1]:305 | |
Die Villa Willmer war die „prächtigste und größte“[1]:139 Villa, die nach den Prinzipien der „klassischen“ Hannoverschen Schule erbaut wurden. Karl Börgemann entwarf das 1884–86 entstandene Gebäude für den hannoverschen Ziegelproduzenten Friedrich Willmer. Das Haus befand sich in Hannover-Waldhausen und kostete seinerzeit die gewaltige Summe von rund 2 Mio. Goldmark und war etwa dreimal so groß wie übliche Villen. Willmer hatte es dank der Hannoverschen Schule zu Reichtum gebracht, die überall entstehenden Ziegelbauten sorgten für großen Umsatz. Die Villa besaß einen winkelförmigen Grundriss und enthielt etwa 75 Zimmer, von denen sich über 50 in den drei Wohngeschossen befanden. In seiner Größe und Ausgestaltung glich das Haus eher einem Schloss als einer Villa. Der im Volksmund entstandene Beiname Tränenburg rührt vermutlich daher, dass Willmer seine Arbeiter schlecht behandelte und diese für den Bau des Hauses viele „Tränen“ vergossen. Den Zweiten Weltkrieg überstand das Gebäude annähernd unbeschadet. Dennoch wurde es 1971 trotz weitreichender Bürgerproteste für ein letztlich nie umgesetztes Neubauprojekt abgerissen.[1]:139
In Kassel war die von Wilhelm Lüer und Conrad Wilhelm Hase errichtete sogenannte Villa Glitzerburg (eigentlich Villa Wedekind) ein vielbeachtetes im Stil der Hannoverschen Schule entstandenes Bauwerk. Es war seinerzeit das größte private Wohnhaus in Kassel.
Um die Jahrhundertwende nahmen die Grundstückspreise oft soweit zu, dass Einfamilienhäuser zusammengefasst wurden.[1]:129 Ein herausragendes Beispiel hierfür stellt das Wohnhaus des Architekten Karl Mohrmann in Hannover dar, in den Blättern für Architektur und Kunsthandwerk 1913 als „eines der gelungensten und bezeichnendsten [Wohnhäuser] der neueren Hannoveraner Bauweise“[11] beschrieben. Entgegen den üblichen Gestaltungsprinzipien der Hannoverschen Schule wählte Mohrmann für sein Haus einen Rechteckfialen- beziehungsweise Pfeilergiebel, in den er bemalte Putzfelder integrierte. Ein solches Motiv stammt eher von gotischen Bauwerken an der Ostsee als aus der Umgebung Hannovers. Die Hausecke betonte Mohrmann mit einem „mächtigen“[1]:129 Turm, der eine von Zinnen bewehrte Aussichtsplattform besaß.
Einige Jahre vor dem Haus Mohrmann, um 1890, entstand eine Villengruppe am westlichen Ende der hannoverschen Callinstraße. Die Einmündung in die Nienburger Straße wird mit dem linken Turm der Doppelvilla Nr. 48/50 hervorgehoben. Die Türme bilden mit ihren Spitzhelmen ein typisches Merkmal der Hannoverschen Schule, ebenso die Ziergiebel.[1]:169
Bild | Gebäude | Jahr | Ort | Architekt | Beschreibung in der Architekturkritik | Beleg |
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Villa Willmer | 1884–86 | Hannover-Waldhausen (Lage ) | Karl Börgemann | herausragender Prachtbau mit „schloßartige[r]“ Erscheinung, größte Villa im Stile der „klassischen“ Hannoverschen Schule | [1]:139 | |
Villa Schwarz | 1886 | Hannover-Nordstadt (Lage ) | Ludwig Frühling | zweigeschossige Villa mit unregelmäßigem Grundriss; aufwändiger, dem Rathaus entlehnter Fialengiebel zum Park orientiert, Giebel zum Garten kriegsbedingt zerstört; erbaut für den Fabrikanten Carl Schwarz, später von einer studentischen Verbindung genutzt | [1]:122,[9]:112 | |
Villengruppe Callinstraße | 1890 | Hannover-Nordstadt (Lage ) | Otto Goetze | typische Prachtbauten mit Ziergiebeln und Spitzhelm-Türmchen | [1]:169 | |
Haus Mohrmann | etwa 1900 | Hannover-Nordstadt (Lage ) | Karl Mohrmann | Eckhaus für zwei Familien mit mächtigem Aussichtsturm und Pfeilergiebel mit bemalten Putzgiebeln; nach Kriegszerstörungen in den 2010er Jahren weitgehend originalgetreu restauriert | [1]:129,[12] | |
Pfarrhäuser sind eine spezielle Form des Wohnhauses. Beim Kunsthistoriker Günther Kokkelink heißt es, sie seien im 19. Jahrhundert oft mit einem eigenen gestalterischen Anspruch ausgeführt worden.[1]:163 Für diese Bauaufgabe habe sich die Neugotik als besonders passend erwiesen. Ihre Formensprache mittelalterlicher Sakralbauten eignete sich sehr gut dazu, den Zweck des Pfarrhauses zu unterstreichen. Auf dem Lande erhielten die Pfarrhäuser oft Nebengebäude für Stallungen oder als Schuppen, meist gestalterisch zurückgenommen. Ende des 19. Jahrhunderts entstanden oft in „malerischer Gruppierung“[1]:163 Ensembles aus Kirchen und Pfarrhäusern.
Ludwig Frühling entwarf 1883/84 das Pfarrhaus für die Marktkirchengemeinde am Marktplatz in Hannover. Das Haus korrespondiert über seine drei „prächtigen“[1]:163 Übereckfialengiebel mit dem nahegelegenen Rathaus, das Conrad Wilhelm Hase wenige Jahre zuvor saniert hatte.[1]:163
Das Pfarrhaus der hannoverschen Christuskirche stammt von Karl Börgemann. Das große, „imposante“[1]:163 Eckgebäude beherbergt neben den Wohnungen für mehrere Familien auch Räume für andere, kirchenrelevante Zwecke, wie eine Bibliothek oder Versammlungsräume. Das 1905/06 entstandene Haus besitzt einen Eckturm und hohe Treppengiebel, die Fassade ist mit grün glasierten Ziegel ausgestattet. Wie üblich für späte Bauten der Hannoverschen Schule ist das Haus mit größeren Flächen versehen und zeigt weniger kleinteilige Details. Nach Kriegszerstörungen wurde es zwischen 1946 und 1948 in der alten Form wiederaufgebaut.[1]:163
Bild | Gebäude | Jahr | Ort | Architekt | Beschreibung in der Architekturkritik | Beleg |
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Pfarrhaus Kleefeld | 1877 | Hannover-Kleefeld (Lage ) | Ludwig Frühling | Backsteinbau von „einfacher Ziegelziersetzung“, gleichzeitig mit dem nahegelegenen Kindergarten Kapellenstraße Nr. 7 entstanden | [10]:79 | |
Pfarrhaus der Marktkirchengemeinde | 1883/84 | Hannover-Mitte (Lage ) | Ludwig Frühling | Teil der neuen Platzfront; Haus mit drei „prächtigen“ Übereckfialengiebeln, passend zum nahegelegenen Rathaus | [1]:163 | |
Pfarrhaus der Christuskirche | 1905/06 | Hannover-Nordstadt (Lage ) | Karl Börgemann | „imposante[s]“ Eckhaus mit Turm; Ausführung nach später Art der Hannoverschen Schule, mehr flächig und mit weniger kleinteiligen Details | [1]:63 | |
Pfarrhaus der Lutherkirche | Hannover-Nordstadt (Lage ) | [13] | ||||
Conrad Wilhelm Hase und Adelbert Hotzen führten die Hannoversche Schule in den 1860er Jahren auch bei Wohnhäusern ein.[1]:169 Zunächst fand der gotische Stil bei Adeligen Anklang, daneben begeisterten sich auch einige wohlhabende und kunstinteressierte Bürger dafür. Die Backsteinarchitektur wurde damals als „deutsch“ empfunden, anders als Putzbauten schienen diese Bauten „ehrlich“ zu sein.[1]:169 Manche freiberuflich tätige Architekten bewarben ihr Können, indem sie auf eigene Rechnung „neugotische ‚Musterhäuser‘“[1]:169 errichteten, die sie dann bezugsfertig veräußerten. Während Villen auf weitläufigen, parkähnlichen Grundstücken entstanden, mussten die Wohnhäuser in weniger vornehmen Wohngegenden mit kleinen Parzellen auskommen. Hier hing der die Wirkung eines Baus direkt von den umgebenden Häusern ab, weshalb ein Architekt oft gleich mehrere, zusammenhängende Grundstücke bebaute. Nach Ansicht des Bauhistorikers Günther Kokkelink wurde so ein einheitlicher Stil und damit eine größere städtebauliche Wirkung erzielt.[1]:169 Eckhäuser erhielten oft einen Turm und konnten so eine noch größere Wirkung als Reihenhäuser entfalten.[1]:171 Häufig wurden diese markanten Eckbauten als Wohn- und Geschäftshäuser genutzt. Zwar fielen dann gleich für zwei Straßen Erschließungskosten an, über die zusätzliche Nutzung als Geschäftshaus erhöhte sich jedoch die Rendite.[1]:193 Fortschritte in der Ziegelindustrie sorgten in den 1870er und 1880er Jahren für sinkende Preise des Baumaterials, die Backsteinbauten wurden für immer mehr Bauherren erschwinglich. Als besonders verkaufsfördernd erwies sich das Argument, dass Backsteinfassaden keiner besonderen Pflege bedürfen, anders als bei Putzbauten. Zunehmend entstanden daher auch Mietshäuser nach den Prinzipien der Hannoverschen Schule. Dies galt vor allem für die rapide wachsenden Stadtteile Hannovers, die Oststadt und die Nordstadt, außerdem die damals noch eigenständige Stadt Linden.[1]:188-9
Bild | Gebäude | Jahr | Ort | Architekt | Beschreibung in der Architekturkritik | Beleg |
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Apotheke am Klagesmarkt, Postkamp 16 | 1860/61 | Hannover-Mitte (Lage ) | Conrad Wilhelm Hase | vorspringender, turmähnlicher Vorbau sorgt für eine „sehr plastische“ Fassade, unterstützt durch die Schrägstellung auf dem Grundstück; Mischbau aus Ziegeln und Sandstein; 1958 aufgestockt | [1]:186 | |
Doppelwohnhaus Eichstr. 3 u. 5 | 1888 | Hannover-Oststadt (Lage ) | Friedrich A. Ilse | Häuser mit grün-glasiertem Figurenfries; Haus Nr. 5 (rechts) besser erhalten mit ursprünglichem Giebel und Fensterrose über der Tür; beide Altane mittlerweile zu Veranden geschlossen | [1]:170 | |
Haus Postkamp 18 | 1888 | Hannover-Mitte (Lage ) | Otto Bollweg | hohes Mietshaus, verdeutlicht den „städtischen Konzentrationsprozess“; mit turmartigen Rundtürmchen am Giebel | [1]:189, 208, 443 | |
Ratsapotheke Karmarschstr. 44 | 1889–91 | Hannover-Mitte (Lage ) | Paul Rowald | Neubau als Ersatz für die alte Ratsapotheke, abgerissen zum Bau der Karmarschstraße; ungewöhnliche Kombination verschiedener Elemente des Rundbogenstils mit denen der Hannoverschen Schule; Anklänge an das Berliner Rote Rathaus, nimmt sich neben dem Rathaus zurück; Statuen von Wessel: Hygieia und Hippokrates | [1]:196-7 | |
Wohn- und Geschäftshaus Gretchenstr. 44 | 1891 | Hannover-Oststadt (Lage ) | Heinrich Waldvogel (Maurermeister) | besitzt eine „besonders gute“ Verarbeitung mit „aufwendigen“ Details, Nr. 44 etwas schlichter als Haus Nr. 45 | [1]:191 | |
Wohn- und Geschäftshaus Bödekerstr. 58 | 1895–97 | Hannover-Oststadt (Lage ) | Johannes Franziskus Klomp | Eckhaus „stadtbildprägend“ und „eines der schönsten erhaltenen Eckhäuser“ Hannoverscher Schule; Haus mit bürgerlichen 7-Zimmer-Wohnungen pro Normalgeschoss; spätes Beispiel für die „klassische“ Hannoversche Schule mit Erkern, Balkonen, Übereckfialengiebeln und spitzem Turmhelm; in den 1970ern mit Betonplatten verkleidete Sparkassen-Filiale im Erdgeschoss wurde wieder dem ursprünglichen Zustand angeglichen[14] | [1]:193 | |
Wohn- und Geschäftshaus Offsteinstr. 1–3 | 1897 | Hannover-Linden Nord (Lage ) | August Ottleben (Zimmermeister) | einfachere „Handwerksmeister-Architektur“ mit „gekonnte[r]“ Massenverteilung, „besticht“ mit wenig Aufwand bei der Gestaltung | [1]:193 | |
Dat Gröne Hus, Wohnhaus Sextrostr. 1 | 1899 | Hannover-Südstadt (Lage ) | Karl Börgemann | Übergang von der Neugotik zum Jugendstil; formen- und fabenreiche Fassade mit vielen grün-glasierten Ziegeln vermutlich in Anspielung auf den Auftraggeber Simon Gröne; aus der Front raumgreifend herauswachsender Übereckfialengiebel; grüne Ecktürmchen mit Anklang an Pflanzelstängel; „einzigartige Verbindung“ zwischen Hannoverscher Schule und Jugendstil | [1]:195 | |
Wohn- und Geschäftshaus Fridastr. 1 | 1900 | Hannover-Oststadt (Lage ) | schlichteres Mietshaus, entstanden als Spekulationsobjekt in der seinerzeit weniger beliebten Gegend hinter dem Bahnhof | [1]:191 | ||
Wohn- und Geschäftshaus Dohmeyers Weg 6 | 1900 | Hannover-Kleefeld (Lage ) | Backsteingebäude mit „reicher gotisierender Gliederung“ und glasierten Formsteinen | [10]:79 | ||
Die strikten Vertreter der neugotischen Stile bemühten sich, die Gestaltungsmerkmale der mittelalterlichen Architektur nicht nur auf Kirchen, Rathäuser und Villen zu übertragen, sondern auch andere Profanbauten damit zu prägen. Dies erstreckte sich auch auf Gebäude, bei denen Zweckmäßigkeit im Vordergrund stand, wie Fabriken, Bahnhöfe, Speicherhäuser oder Kasernen. Während es vielen ästhetischen Lehren nicht gelang, ihre Formensprache auf derartige Bauaufgaben auszudehnen, erfuhr die Hannoversche Schule im Profanbau eine weite Verbreitung. Zum Ende des 19. Jahrhunderts hatte sie es im Industriebau Nord- und Westdeutschlands quasi zur Stilnorm geschafft.[1]:315
Bereits viele Jahrzehnte vor dem Aufkommen der Hannoverschen Schule, im ausklingenden 18. Jahrhundert, entstand ein Bedarf für mehrgeschossige Fabrikgebäude. In diesen sollten große Arbeitssäle untergebracht werden.[1]:315 Der mehrgeschossige Aufbau war nötig, um die Kraft vertikal über Transmissionen zu übertragen. Die Fabriken waren oft im Innern als Skelettbau ausgeführt, der nach außen mit Mauerwerk verkleidet wurde. Das Skelett bestand noch lange Zeit aus einer hölzernen Konstruktion, gegen die sich anfangs nur langsam teurere Konstruktionen aus Gusseisen durchsetzten. Eiserne Tragstrukturen boten aber den großen Vorteil, feuerfest zu sein. Wo die Querträger des Skeletts auflagen, mussten die Außenmauern meist durch Lisenen verstärkt werden, was der Außenfassade eine rhythmische Gliederung verlieh. Die nach außen ablesbare innere Konstruktion war ganz im Sinne der neugotische Stile, denen die „konstruktive Wahrheit“ als Grundprinzip galt. Als zukunftsweisend erwies sich hier Schinkels Bauakademie in Berlin, die mit ihren ausgeprägten Backsteinlisenen in den Konstruktionsachsen zum Vorbild für andere Architekturströmungen wurde. In Hannover erhielt die Mechanische Weberei als erste Fabrik modernen Typus eine äußere Gestaltung gemäß dem Hannoverschen Rundbogenstil. Das von Heinrich Ludwig Debo entworfene Gebäude entstand 1857–58. Neu waren an ihm die beiden turmartigen Kopfbauten. Sie enthielten neben den Treppenhäusern auch Neben- und Aufsichtsräume und waren gestalterisch deutlich vom Produktionstrakt abgehoben. Die Mechanische Weberei nahm damit eine der gedanklichen Grundideen der Hannoverschen Schule vorweg. Deren Anhänger forderten später, die von Grundrissanforderungen bestimmten Gebäudeabschnitte sollten „wirksam“ gruppiert werden. Außerdem sollte sich von außen ablesen lassen, welchem Zweck der einzelne Gebäudeteil diene.[1]:315
In der Anfangszeit der Industrialisierung hatten Fabrikanten ihre Produktionsgebäude oft als reine Nutzbauten ausführen lassen, die nur ein Minimum an Verzierungen aufwiesen.[1]:315-6 Die oft in schneller Folge erweiterten Anlagen erhielten häufig nur dadurch eine gewisse Geschlossenheit, dass die Gebäude im Rundbogenstil entstanden. Er galt als wirtschaftliche Bauweise, bei denen architektonische Dekoration simpel durch eine entsprechende Anordnung der Ziegel erreicht werden konnte. Die Bedeutung einer Fabrik bemaß sich damals fast nur an ihrer räumlichen Ausdehnung und nicht an ihrer ästhetischen Erscheinung. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kehrte ein Sinneswandel ein, Fabriken bekamen zunehmend eine repräsentative Hülle. Nach Reichsgründung wurde schließlich auch im Industriebau der Rundbogenstil mehr und mehr durch die Hannoversche Schule abgelöst.[1]:315-6
Die Bahnhöfe des rasch wachsenden Eisenbahnnetzes erlebten eine ähnliche Entwicklung wie die Fabriken. Auch hier gingen die Architekten weg vom Rundbogenstil und hin zur Neugotik, deren Formensprache den Stolz der Betreiber ausdrückte.[1]:320
Bild | Gebäude | Jahr | Ort | Architekt | Beschreibung in der Architekturkritik | Beleg |
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Bahnhof Nordstemmen | 1858–60 | Nordstemmen (Lage ) | Julius Rasch, Entwürfe von Conrad Wilhelm Hase | Abwendung vom Rundbogenstil: Drillingsfenster mit geradem Sturz im Drempelbereich; polychrome Ziegelverwendung; Segmentbogenblende schon wie bei späteren Werken Hannoverscher Schule | [1]:52–53 | |
Geschäftsbücher J. C. König und Ebhardt | 1874–76, erweitert 1891–93 | Hannover-Nordstadt (Lage ) | Ludwig Frühling | Fabrikbau von „konstruktiver Solidität“ und gleichzeitig „malerischer Komposition“, besonders umfangreich; Arbeitssäle in langen Mittelflügeln mit abgesetzten Eckbauten für die Verwaltung; repräsentative Erscheinung bedingt durch die „städtebaulich exponierte“ Lage zwischen Innenstadt und königlichen Gärten; heute genutzt von der Universität | [1]:316-7 | |
Städtische Lagerbrauerei | 1872–8 (erster Abschnitt) | Hannover-Südstadt (Lage ) | Ludwig Frühling, später Ernst Wullekopf | erster Bauabschnitt aus einer Gruppe 2- u. 3-geschossiger Bauten, stetig erweitert, darunter ein Direktionsgebäude zur Hildesheimer Str.; 1890 „burgenhaftes“ Malz-Silo von Wullekopf; der vielteilige Baukomplex habe die Gestalt „mittelalterlicher Burgen und Städte“; Neugestaltung der Anlage in den 1970ern, nur ein Gärungsgebäude von 1913 erhalten | [1]:317-8 | |
Speicherstadt im Hamburger Hafen (Bild: Speicherblock V von F. A. Meyer[1]:332) | 1881–88, 1891–1912 | Hamburg, Hafen (Lage ) | Franz Andreas Meyer (Leitung u. Entwurf einiger Gebäude), Georg Thielen | Großprojekt zur Schaffung von 0,5 Mio. m2 Lagerfläche im Freihafen; „künstlerische“ Gestaltung der Gebäude, um das „düstere und schwerfällige“ Erscheinungsbild von Speichern zu vermeiden; Formen mit „malerische[r] Vielfalt ohne übertriebene Prächtigkeit“ sorgen für „Einheitlichkeit in der Gesamterscheinung“ und „Manngifaltigkeit“ im Detail: Spitzhelm-Türme, Wandreliefs, Schmuckgiebel (darunter Staffel-, Pfeilergiebel) | [1]:319 | |
Erweiterung der Mechanischen Weberei (Bild: Ursprungsbau von Debo, 1857) | 1885 | Hannover-Linden Mitte (Lage ) | Eduard Heine | Bau entlang der Blumenauer Str. mit „kräftigem“ Backsteinrelief und Spitzhelmen auf den Ecktürmen; 1971 abgerissen, um Platz für das Ihme-Zentrum zu schaffen | [1]:318 | |
Kaserne Kriegerstraße 1 | 1894/95 | Hannover-List (Lage ) | unbekannt | Mannschaftsgebäude mit einer „strengen“ Gliederung und „ausgewogenen“ Proportionen bei der Fassadengliederung; schmale, schlitzartige Hochblenden in Staffelgiebeln, Wandaufbau mit zweigeschossigen Blendnischen; übrige Gebäude des Kasernen-Ensembles im Berliner und Hannoverschen Rundbogenstil | [1]:322 | |
Norddeutsche Wollkämmerei & Kammgarnspinnerei | 1897–1910 | Delmenhorst (Lage ) | Henrich Deetjen | Wasserturm erscheint als „städtebaulich wirksames Monument“; Gliederung der Fassade mit Lisenen, Nischen und Bögen; Erscheinungsbild der Fabrik setzt sich in der zugehörigen Arbeitersiedlung fort | [1]:318 | |
Schokoladenfabrik B. Sprengel | 1899–1900 | Hannover-Nordstadt (Lage ) | Eduard Werner | Erweiterungsbau zur Schaufelder Straße: viergeschossiges Gebäude ähnlich denen Ludwig Frühlings; wenige Zierelemente an der Fassade, „Schlichkeit und Strenge“ bei der Ausführung weisen zur Sachlichkeit | [1]:318 | |
Die an der Polytechnischen Schule in Hannover ausgebildeten Architekten des 19. Jahrhunderts verbreiteten die dortigen Lehrmeinungen im norddeutschen Raum, in vielen Fällen auch darüber hinaus. Beispielsweise nach Flensburg, das bis 1864 noch unter dänischer Herrschaft stand. Hier schufen Johannes Otzen und Alexander Wilhelm Prale eine Reihe von Ziegelbauten im Sinne der Hannoverschen Schule, die zum Teil noch heute das Stadtbild prägen.[15][16] Die von Conrad Wilhelm Hase vertretenen Leitgedanken fanden ihren Weg bis nach Norwegen, wo Balthazar Lange und Peter Andreas Blix kleine Bahnhofsgebäude im Einklang mit neugotischen Idealen entwarfen.[17] Die hannoverschen Einflüsse reichten zudem bis nach Nordamerika, und wie in Norwegen betraf es auch dort die Eisenbahnarchitektur.[18] Der deutsche Architekt Wilhelm Lorenz stand im Dienste einer pennsylvanischen Eisenbahngesellschaft und besaß so Einfluss auf ihre Bahnhofsarchitektur. Seine Entwürfe folgten allerdings mehr den Prinzipien des Rundbogenstils als denen der „klassischen“ Hannoverschen Schule.
Innerhalb Deutschlands verbreitete sich die Hannoversche Schule nach Norden bis zur dänischen Grenze. In Flensburg, das nach dem Deutsch-Dänischen Krieg 1864 von Preußen regiert wurde, sorgten Johannes Otzen und vor allem Alexander Wilhelm Prale für eine Prägung des Stadtbildes. Sowohl Otzen als auch Prale hatten bei Conrad Wilhelm Hase in Hannover gelernt.[16]
Johannes Otzen entwarf 1869 ein Wohnhaus für den Großhandelskaufmann Christian Nicolai Hansen, von Eiko Wenzel „zu den ersten großen Bauvorhaben im nun preußischen Flensburg“ gezählt.[16]:172 Gebaut wurde es an der Großen Straße Nr. 77 in der Nähe des Nordermarktes.[15] Das traufständige Hansen-Haus erhielt einen dreiachsigen Risalit mit Stufen-Fialengiebel. Grün und braun glasierte Formensteine, eine polychrome Fassade und ein farbiges Schieferdach sorgten dafür, dass das Gebäude zu einer Art „Leistungsschau“[16]:172 für den neuen Stil geriet. Für Wenzel besitzt das Haus neben einer architekturgeschichtlichen Bedeutung auch eine zeitgeschichtliche Relevanz, weil es zeig