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Likud

israelische Partei Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Likud
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Der Likud (hebräisch ליכוד „Zusammenschluss“; vollständiger Name הליכוד – תנועה לאומית ליברלית, Umschrift HaLikud – Tnu'ah Leumit Liberalit „Likud – Nationalliberale Bewegung“) ist die größte rechts stehende Partei in Israel. Sie ging aus einem 1973 gebildeten Block von Parteien hervor, die sich 1988 zur Likud-Partei zusammenschlossen. Seit 1977 stellte sie die meiste Zeit den israelischen Ministerpräsidenten. Ursprünglich nationalkonservativ wandelte sie sich unter der langjährigen Führung Benjamin Netanjahus zu einer rechtspopulistischen Partei, die stark auf die Person ihres Vorsitzenden zugeschnitten ist.

Schnelle Fakten Likud ליכוד ...

Der Likud steht heute für einen exklusiven Nationalismus und eine Hinwendung zur illiberalen Demokratie. Obwohl traditionell säkular, koaliert er häufig mit religiösen Parteien und verfügt über eine große orthodoxe und konservativ-traditionalistische Wählerschaft. Ökonomisch ist die Partei wirtschaftsliberal ausgerichtet, betreibt aber eine pragmatische und teilweise klientelistische Sozialpolitik. Außenpolitisch vertritt der Likud eine harte Linie gegenüber regionalen staatlichen und nichtstaatlichen Gegnern, die durch militärische Stärke und Präventivschläge abgeschreckt werden sollen. Im Nahostkonflikt lehnt er eine Zweistaatenlösung ab, fördert den Siedlungsbau und befürwortet Annexionen im Westjordanland.

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Geschichte

Zusammenfassung
Kontext

Vorgeschichte

Cherut und Liberale Partei (bis 1965)

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Der Cherut-Vorsitzende Menachem Begin spricht 1948 bei einer Parteiveranstaltung, im Hintergrund ein Bild des revisionistischen Zionisten Zeev Jabotinsky, im Vordergrund das Parteiemblem mit dem früheren Mandatsgebiet Palästina in den Grenzen vor 1921

Die Ursprünge des Likud bilden die 1948 gegründete nationalistische Partei Cherut (חרות „Freiheit“), deren Vorsitzender von der Gründung bis 1983 Menachem Begin war, sowie die bürgerliche Liberale Partei (Miflaga Liberalit Jisra’elit). Während die Cherut ideologisch aus dem revisionistischen Zionismus hervorging, entstammten die Liberalen dem allgemeinen Zionismus.

Die Cherut gründete sich unmittelbar nach der Unabhängigkeit Israels als Nachfolgerin der paramilitärischen Untergrundorganisation Irgun. Als Partei in der Tradition des revisionistischen Zionismus Zeev Jabotinskys beanspruchte sie das gesamte Territorium des früheren Mandatsgebiets Palästinas für ein Großisrael und lehnte die beiden Teilungen Mandatspalästinas – die Abspaltung Transjordaniens 1921 und den UN-Teilungsplan von 1947 – als „illegal“ ab.[1] Ihrem Verständnis nach eine über Klassen- und Partikularinteressen stehende nationale Massenpartei, vertrat sie zunächst antikapitalistische Positionen nach dem Muster radikal rechter Parteien der europäischen Zwischenkriegszeit.[2] Schon früh sprach sie gezielt die ökonomisch marginalisierten, eher kleinbürgerlich geprägten und traditionsverbundenen jüdischen Einwanderer aus der arabischen Welt (Mizrachim) an.[3] Ihr Vorsitzender Menachem Begin stand zunächst im Ruf eines „Demagogen und Extremisten“[4], mäßigte sich jedoch ab den späten 1950er-Jahren mit dem Ziel, eine „nationalliberale“ Regierung zu bilden.[5] Wenngleich er sich nie vom Revisionismus distanzierte, traten seine territorialen Forderungen ab den frühen 1960er-Jahren in den Hintergrund.[6] Bei Wahlen war die Cherut nur mäßig erfolgreich, etablierte sich aber ab 1955 als zweitstärkste Kraft, wenn auch mit großem Abstand hinter der regierenden sozialdemokratischen Mapai.

Die Liberale Partei entstand 1961 aus der Vereinigung der wirtschaftsliberalen Allgemeinen Zionisten mit der linksliberalen Progressiven Partei.

Gachal als Vorläuferorganisation des Likud (1965–1973)

Vor der Parlamentswahl 1965 schlossen sich die Cherut und die Liberale Partei zunächst lose zusammen und bildeten den Gachal (Gusch Cherut-Libralim, „Freiheitlich-Liberaler Block“). Damit wollten sie die Dominanz der seit Staatsgründung ununterbrochen regierenden Mapai und des von ihr angeführten Blocks HaMaʿarach überwinden. Die wegen ihrer terroristischen Vergangenheit zuvor von anderen politischen Kräften geächtete Cherut erhielt durch das Bündnis mit den Liberalen einen Legitimitätsschub[7] und erschloss einen Teil der israelischen Mittelschicht als Wählergruppe.[8] Der progressive Flügel der Liberalen Partei lehnte das Zusammengehen mit der Cherut allerdings ab und gründete die Unabhängigen Liberalen.[9] In der Wahl verlor der Gachal Stimmen und blieb weit hinter dem HaMaʿarach auf dem zweiten Platz. Während in der Liberalen Partei Bestrebungen wuchsen, das Bündnis wieder zu verlassen, kam es in der Cherut Anfang 1967 zu einem Richtungsstreit und zur Abspaltung des Freien Zentrums, das in territorialen Fragen zu größeren Zugeständnissen bereit war als Begin.[10]

Während des Sechstagekriegs trat der Gachal im Juni 1967 als Juniorpartner einer Regierung der nationalen Einheit bei. Begin wurde Minister ohne Geschäftsbereich und konnte dadurch sein öffentliches Ansehen weiter steigern.[11] Er betrachtete den Krieg als ersten Schritt zur Revision der Teilung von 1947.[12] Zur Wahl 1969 trat der infolge des positiven Kriegsverlaufs wieder geeinte Gachal mit der Forderung nach einer Ausweitung der nationalen Souveränität auf die besetzten Gebiete und einem umfassenden Siedlungsbauprogramm an.[13] Im August 1970 verließ er aus Ablehnung des Rogers-Plans die Regierung wieder.

Likud als Wahlbündnis und Fraktionsgemeinschaft (1973–1988)

Weg zur Macht und Regierung unter Menachem Begin (bis 1983)

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Menachem Begin war der erste Vorsitzende des Likud-Blocks und von 1977 bis 1983 Ministerpräsident Israels

Auf Betreiben des gerade aus der Armee ausgeschiedenen Generals Ariel Scharon, der zuvor der Liberalen Partei beigetreten war, schloss sich der Gachal vor den Knessetwahlen 1973 mit den kleineren Parteien Freies Zentrum von Schmuʾel Tamir, Staatsliste und Bewegung für ein Großisrael zum Likud-Block zusammen, um ein bürgerliches Gegengewicht zum von der Arbeitspartei Awoda angeführten HaMaʿarach zu etablieren. Begin stand dem Vereinigungsvorhaben anfangs zögerlich gegenüber, da er in einem größeren Bündnis einen Identitäts- und Machtverlust seiner Cherut befürchtete. Scharon, Tamir und Begins parteiinterner Konkurrent Ezer Weizmann drängten jedoch auf den Zusammenschluss, der schließlich im September 1973, sechs Wochen vor dem anberaumten Wahltermin, zustande kam. Entgegen Begins Befürchtungen konnte sich die Cherut, die sowohl über erfahrene Politiker als auch eine breite Basis an jungen Aktivisten verfügte, als dominierende Kraft durchsetzen. Während Begin die unbestrittene Führungspersönlichkeit blieb, verloren Konkurrenten wie Weizmann, Tamir und Scharon an Einfluss oder verließen den Likud ganz.[14] Im Programm des Likud-Blocks hieß es 1973, das jüdische Volk habe „ein unerschütterliches Recht“ auf Eretz Israel und das „westliche Eretz Israel“ dürfe niemals geteilt werden.[15] Die kleineren Likud-Bestandteile (Staatsliste, Freies Zentrum und Bewegung für ein Großisrael) fusionierten 1976 zur neuen Formation Laʿam, die aber weiter Teil des Likud blieb und 1985 in der Cherut aufging.[16]

Die ursprünglich für Oktober angesetzte Parlamentswahl 1973 musste aufgrund des Jom-Kippur-Krieges auf Ende Dezember verschoben werden. Als Oppositionspartei konnte der Likud die vergleichsweise hohen Verluste und militärischen Fehler während des Krieges der Regierung Golda Meirs anlasten.[17] Bei der Wahl gewann der Likud im Vergleich zum Gachal und den Vorgängerparteien sieben Sitze hinzu, blieb jedoch hinter dem HaMaʿarach und in der Opposition. In den Folgejahren nahm die Popularität des Likud – begünstigt durch innenpolitische Stagnation, wirtschaftliche Probleme und die zunehmende internationale Isolation Israels wegen der Besatzungspolitik – weiter zu.[18] Begins scharfe Rhetorik gegen die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) unter Jassir Arafat, den er als sowjetischen Handlanger kennzeichnete, fand vor dem Hintergrund des aufflammenden palästinensischen Nationalismus und Terrorismus der 1970er-Jahre immer mehr Anklang in der israelischen Bevölkerung.[19]

Bei den Wahlen 1977 wurde der Likud-Block stärkste Fraktion, was nach fast 30 Jahren linker Dominanz als politisches „Erdbeben“ (haMahapah) gedeutet wurde.[20] Im Parteiprogramm des Likud stand nun: „Zwischen dem Meer und dem Jordan wird es nur israelische Souveränität geben“; in Presseanzeigen stand ergänzend: „Eretz Israel dem jüdischen Volk, nicht der PLO.“[15] Mit der liberalen Demokratischen Bewegung des Wandels (Dasch) und der Nationalreligiösen Partei (Mafdal) bildete der Likud zum ersten Mal seit Gründung des Staates Israel eine Mitte-rechts-Regierung unter Ausschluss der Arbeitspartei. Begin übernahm das Amt des Ministerpräsidenten. Seine Außenpolitik gegenüber Ägypten, die eine Rückgabe der seit 1967 besetzten Sinai-Halbinsel im Tausch gegen dauerhaften Frieden in Aussicht stellte, stieß in den eigenen Reihen auf erheblichen Widerstand: Das Camp-David-Abkommen wurde in der Knesset-Abstimmung von über 30 Prozent der Abgeordneten der Regierungskoalition, 43 Prozent der Cherut-Parlamentarier und sieben von acht Abgeordneten des Laʿam-Flügels abgelehnt.[21] Aus Protest gegen den israelisch-ägyptischen Friedensvertrag von 1979 spaltete sich schließlich der rechtsradikale Siedlerflügel unter Geula Cohen von der Cherut und damit auch vom Likud ab und bildete die Partei Techija. Abtrünnige Laʿam-Mitglieder gründeten 1981 zusammen mit dem parteilosen Mosche Dajan, der 1979 als Außenminister zurückgetreten war, die Partei Telem. Die Liberale Partei stand dagegen weiter zum Likud, da sie vollständig von der Cherut abhängig war und ihr außerhalb des Blocks die politische Bedeutungslosigkeit drohte.[22]

Die geschlossenen Reihen erlaubten es dem Likud nun, eine radikalere, wieder stärker ideologiegetriebene Politik anzustreben. Verbale Attacken gegen den Oppositionsführer Schimon Peres im Vorfeld der Wahl 1981 (Wahlslogan: „Vertraut Schimon Peres nicht“) erinnerten an den Populismus der Cherut in den 50er-Jahren.[23] Angesichts einer drohenden Niederlage vollzog Begin wenige Monate vor der Wahl eine Abkehr von seiner ursprünglich marktliberalen Politik, was ihm weitere Zugewinne und damit den Wahlsieg sicherte.[24] Der Likud konnte die Regierung unter Begin fortsetzen, diesmal unter Einschluss der Mafdal sowie der neuen Parteien Techija und Tami. Neuer Verteidigungsminister wurde Ariel Scharon, der zahlreiche hochrangige Offiziere entließ, die traditionell defensive Militärdoktrin offensiver ausrichtete und eine treibende Kraft hinter dem Einmarsch im Libanon 1982 war. Kritiker des Krieges, wie die Friedensbewegung Schalom Achschaw, wurden als fünfte Kolonne angeprangert.[25] Ein Bericht der Kahan-Kommission, die das von christlich-libanesischen Milizen unter den Augen der israelischen Armee begangene Massaker von Sabra und Schatila untersuchte, lastete Scharon eine indirekte Verantwortung an und zwang ihn 1983 zum Rücktritt.

Die ersten Jahre unter Jitzchak Schamir

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Jitzchak Schamir führte den Likud von 1983 bis 1992 und war in dieser Zeit zwei Mal Ministerpräsident

Im September 1983 trat Begin von allen Ämtern zurück. Sein Nachfolger sowohl als Likud-Vorsitzender als auch als Ministerpräsident wurde der bisherige Außenminister Jitzchak Schamir, der ebenfalls aus der Cherut kam. Schamir, der als dogmatischer, aber weniger charismatisch als Begin galt, setzte keine neuen Akzente und verfolgte eine Mauertaktik.[26] Bei der folgenden Wahl 1984 erlitt der Likud leichte Verluste und kam hinter dem HaMaʿarach unter Schimon Peres nur noch auf den zweiten Platz. Da jedoch keiner der beiden Blöcke über eine Mehrheit verfügte, einigten sich beide auf eine Regierung der nationalen Einheit. Im Rahmen des „israelischen Modells“ führte Peres die Regierung während der ersten Hälfte der Legislaturperiode und Schamir während der zweiten Hälfte.

Likud als Partei (seit 1988)

Unter Schamir bis 1992

Der Likud-Block wandelte sich am 25. August 1988 von einem Wahlbündnis in eine einheitliche Partei mit dem offiziellen Namen „Likud – Nationalliberale Bewegung“ um.[27] Die bisherigen Mitgliedsparteien Cherut und Liberale Partei lösten sich auf, ebenso die Kleinparteien Tami und Ometz, die gleichfalls Teil des Likud wurden.[28] Bei der darauffolgenden Wahl im November 1988 verlor der Likud einen Sitz, war aber dennoch stärker als die Arbeitspartei und ihr Bündnis HaMaʿarach unter Peres, das höhere Stimmeneinbußen erlitt. Anschließend kam es zu einer Neuauflage der Regierung der nationalen Einheit, wobei Schamir diesmal während der ersten Hälfte der Legislaturperiode Regierungschef wurde. Die neue Regierung stand von Anfang an vor der Frage, wie mit dem seit Ende 1987 wiederaufgeflammten israelisch-palästinensischen Konflikt (Erste Intifada) umzugehen sei. Der Likud wollte den Konflikt vor allem militärisch lösen und stellte Verhandlungen über eine palästinensische Autonomie in Aussicht, stand aber einer internationalen Friedenskonferenz ablehnend gegenüber. HaMaʿarach zog hingegen Verhandlungen mit der PLO und einen möglichen Staat Palästina in Erwägung. Dieser Gegensatz und die uneinheitliche Haltung der kleineren ultraorthodoxen Koalitionspartner ließen die Koalition letztlich scheitern.[29]

Zum vorgesehenen Rollentausch nach der halben Amtszeit kam es somit nicht, da die Arbeitspartei die Koalition im Juni 1990 platzen ließ und versuchte, eine neue Regierung ohne den Likud zu bilden. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch. Stattdessen gelang es Schamir, eine Koalition mit mehreren ultraorthodoxen, nationalreligiösen und rechtsradikalen Parteien zu bilden. Das Drängen der USA auf Verhandlungen mit den Palästinensern einerseits und die Unnachgiebigkeit des rechten Likud-Flügels und der extrem rechten Koalitionspartner stellten die Regierung erneut vor eine Zerreißprobe. Wegen Schamirs Teilnahme an der Friedenskonferenz von Madrid verließen die ultranationalistischen Parteien Techija und Moledet im Januar 1992 die Koalition. Der politische Stillstand, Korruptionsvorwürfe und wirtschaftliche Probleme führten schließlich zur Abwahl des Likud.[30] Die Wahl im Juni 1992 brachte einen deutlichen Sieg der Arbeitspartei unter Jitzchak Rabin, während der Likud acht Sitze verlor und in die Opposition gehen musste.

Opposition und Rückkehr an die Regierung unter Benjamin Netanjahu (1992–1999)

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Likud-Vorsitzender Benjamin Netanjahu 1996 als Ministerpräsident

Die Abwahl nach 15 Jahren an der Macht löste eine interne Debatte um die Erneuerung der Partei aus. Im März 1993 wurde der Vorsitzende des Likud erstmals nicht vom etwa 3.000-köpfigen Zentralkomitee der Partei, sondern von allen rund 216.000 Mitgliedern in einer Urwahl gewählt, bei der sich der relativ junge und unerfahrene, aber medienaffine Benjamin Netanjahu klar gegen den ehemaligen Außenminister David Levy, Menachem Begins Sohn Benny Begin und den mehrmaligen Minister Mosche Katzav durchsetzte.[31] In Bezug auf die beiden Oslo-Abkommen nahm Netanjahu innerhalb seiner Partei eine Mittelposition zwischen kompromisslosen Gegnern und Befürwortern von Verhandlungen mit der PLO ein, stellte sich aber gegen eine Grenzziehung entlang der Grünen Linie. Bei Protesten gegen die Versöhnungspolitik von Jitzchak Rabin kooperierte der Likud mit der extremen Rechten. Netanjahu setzte Rabin im Oktober 1995, wenige Wochen vor dessen Ermordung, mit dem früheren rumänischen Diktator Nicolae Ceaușescu gleich.[32]

Nach der Ermordung Rabins und mit Blick auf die anstehenden Wahlen 1996 verständigte sich der Likud auf eine pragmatischere Linie, um Wähler der politischen Mitte zu gewinnen. Nach innen schlug die Likud-Führung aber weiterhin harte Töne an: Sie bestand auf einer militärischen Präsenz im Westjordanland und befürwortete den weiteren Ausbau der Siedlungen. In die Wahl ging die Partei mit der Aussage, dass das Recht des jüdischen Volkes auf Eretz Israel ewig und unbestreitbar sei.[33] Ein Teil des Likud unter der Führung von David Levy spaltete sich 1996 ab und bildete die gemäßigtere Partei Gescher („Brücke“), die jedoch in den Wahlen – ebenso wie Rafael Eitans Partei Tzomet – ein Wahlbündnis mit dem Likud einging. Dieser Block schnitt zwar insgesamt schwächer ab als die Arbeitspartei, jedoch gewann Netanjahu die erstmals durchgeführte Direktwahl zum Ministerpräsidenten mit 50,5 Prozent der Stimmen gegen Schimon Peres. Seinen Wahlsieg verdankte der säkulare Netanjahu insbesondere der Unterstützung durch die nationalreligiösen und ultraorthodoxen Parteien sowie der Siedlerbewegung.[34]

Netanjahus Regierung umfasste neben dem Likud und seinen Verbündeten Gescher und Tzomet auch die nationalreligiöse Mafdal, die ultraorthodoxen Parteien Schas und Vereinigtes Thora-Judentum, die neue Partei Jisra’el ba-Alija, die die Interessen von Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion vertrat, sowie den Dritten Weg, eine Abspaltung von der Arbeitspartei. Aus Unzufriedenheit mit dem im Hebron-Protokoll und Wye-Abkommen vereinbarten Rückzug Israels aus Teilen des Westjordanlands spaltete sich ein Teil des Likud ab und bildete im Februar 1999 unter Führung von Benny Begin die Partei Cherut – HaTnu’a HaLeumit („Freiheit – Die nationale Bewegung“, eine Bezugnahme auf die Likud-Vorläuferin Cherut). Diese bildete mit zwei nationalreligiösen Parteien die Nationale Union.[28] Auf der anderen Seite verließ eine Gruppe moderaterer Abgeordneter um den Verteidigungsminister Jitzchak Mordechai die Likud-Fraktion, um die in der Mitte zwischen Arbeitspartei und Likud positionierte Partei des Zentrums zu gründen.[35] Die Regierung Netanjahu verlor dadurch ihre Mehrheit.

Unter Ariel Scharon bis zur Spaltung 2005

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Ariel Scharon, Likud-Vorsitzender von 1999 bis 2005 und Ministerpräsident von 2001 bis 2005

Die vorgezogene Neuwahl im Mai 1999 gewann Ehud Barak von der Arbeitspartei mit seinem Bündnis Jisrael Achat („Ein Israel“). Netanjahu trat anschließend als Likud-Vorsitzender zurück; sein Nachfolger war Ariel Scharon. Nach dem Scheitern von Baraks Friedensgesprächen in Camp David und Taba besuchte der als Hardliner geltende Scharon im September 2000 den Jerusalemer Tempelberg und trug damit zum Beginn der Zweiten Intifada bei. Die israelische Öffentlichkeit sah die Verantwortung für den Gewaltausbruch und eine Welle terroristischer Selbstmordanschläge beim PLO-Vorsitzenden Jassir Arafat, während Scharons öffentliches Ansehen stieg.[36] Baraks Regierung zerbrach daraufhin, und er rief eine neue Direktwahl des Regierungschefs ohne Neuwahl der Knesset im Februar 2001 aus. Diese gewann Scharon haushoch mit 62,4 Prozent der Stimmen. Da sich am Kräfteverhältnis im Parlament nichts geändert hatte, wo die Arbeitspartei (Awoda) und Meimad weiterhin die größte Fraktion stellten, bildete Scharon eine Regierung der nationalen Einheit aus Likud, Awoda-Meimad, Ultraorthodoxen, Jisra’el ba-Alija, Nationaler Union-Jisra’el Beitenu und weiteren, kleineren Parteien. Als Ministerpräsident ging er hart gegen radikale Palästinenser und Terroristen vor und begann mit dem Bau von Sperranlagen im Westjordanland. Zu einer Zweistaatenlösung war Scharon zwar prinzipiell bereit, aber das Zentralkomitee des Likud, einschließlich Benjamin Netanjahus, stimmte im Mai 2002 mehrheitlich gegen die Gründung eines palästinensischen Staates.[37]

Bei der nächsten Parlamentswahl 2003 (diesmal ohne Direktwahl des Ministerpräsidenten), die weiterhin unter dem Eindruck der Zweiten Intifada stand, wurde der Likud mit großem Abstand stärkste Kraft. Scharon bildete eine Mitte-rechts-Regierung aus Likud, dem liberalen Schinui, der Nationalen Union und den Nationalreligiösen. Die von Natan Scharanski und Juli-Joel Edelstein geführte Partei Jisra’el ba-Alija fusionierte kurz nach der Wahl mit dem Likud. Politisch gestärkt änderte Scharon nun seine Haltung in Bezug auf den Nahostkonflikt: Gegen Widerstände seiner eigenen Partei stimmte er einem neuen Friedensplan, der Roadmap, und damit der Gründung eines unabhängigen Staates Palästina zu, während sein Stellvertreter Ehud Olmert einen Rückzug aus dem Gazastreifen und Teilen des Westjordanlands erwog.[38] Scharons Abkoppelungsplan, wonach Israel den Gazastreifen und alle dort befindlichen Siedlungen aufgeben sollte, führte zu schweren Verwerfungen innerhalb von Regierung und Partei. Die Nationale Union und die Nationalreligiöse Partei verließen deswegen im Juni bzw. November 2004 die Koalition. Schinui wandte sich im Dezember 2004 wegen Streitigkeiten über den Haushalt von der Regierung ab. Stattdessen konnte Scharon Anfang 2005 die Arbeitspartei für einen Eintritt in die Regierung gewinnen. Auch im Likud löste der Abzug aus dem Gazastreifen Debatten aus. Bei einer parteiinternen Abstimmung im Mai 2004 lehnten 59,5 Prozent der Likud-Mitglieder das Vorhaben ab[39], und in der Knesset votierten am 26. Oktober 2004 17 von 40 Likud-Abgeordneten gegen den Abkoppelungsplan[40]. Finanzminister Netanjahu trat im August 2005 aus Protest gegen den Plan zurück, konnte sich aber mit der Forderung nach einer Neuwahl des Likud-Vorsitzes nicht durchsetzen.[41] Im November 2005 entschloss sich Scharon, den Likud zu verlassen und eine neue Partei der Mitte Kadima („Vorwärts“) – zu gründen. Dieser schlossen sich 13 der bislang 40 Likud-Abgeordneten an[42], darunter Ehud Olmert und die Justizministerin Tzipi Livni.

Ära Netanjahu (seit 2005)

In der Opposition (bis 2009)

Im Dezember 2005 wurde erneut Scharons parteiinterner Widersacher Benjamin Netanjahu zum Parteivorsitzenden gewählt.[31] Die Spaltung schwächte den Likud bei den vorgezogenen Neuwahlen 2006 derart, dass er von 40 auf 12 Mandate fiel. Damit stellte Likud nicht mehr die größte, sondern hinter Kadima, Awoda und Schas und knapp vor Jisra’el Beitenu nur noch die viertgrößte Fraktion. Sie stand in Opposition zur Regierung von Ehud Olmert, der Scharon nach dessen Schlaganfall abgelöst hatte. Während die Regierung Olmert u. a. wegen Misserfolgen im Friedensprozess an Zustimmung verlor, erlebte der Likud einen neuerlichen Aufschwung. Netanjahu sah sich durch Raketenangriffe der radikalislamischen Hamas, die 2007 die Macht im Gazastreifen übernahm, in seiner Ablehnung von Scharons Abkopplungsplan bestätigt. Zusätzliche Popularität gewann er dank der seit 2007 erscheinenden kostenlosen Boulevardzeitung Israel HaYom, die dem Likud nahesteht und 2010 zur meistgelesenen Tageszeitung Israels avancierte.[43] 2008 kündigte der unter Korruptionsverdacht stehende Olmert seinen Rücktritt an und ebnete den Weg für vorgezogene Neuwahlen.

Vier Likud-geführte Regierungen (2009–2021)
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Benjamin Netanjahu hält am 14. Juni 2009 eine Rede an der Bar-Ilan-Universität und stimmt einer Zweistaatenlösung unter Vorbedingungen zu

In der Wahl 2009 erhielt der Likud 22 Prozent der Stimmen und 27 Sitze und wurde damit zweitstärkste Fraktion in der Knesset, knapp hinter der Kadima unter Tzipi Livni. Nachdem eine gemeinsame Regierungsbildung von Likud und Kadima gescheitert war, formierte Benjamin Netanjahu eine Mitte-rechts-Koalition mit Awoda sowie mehreren nationalistischen und religiösen Parteien (Kabinett Netanjahu II). Netanjahu präsentierte sich nun als Politiker der Mitte und stimmte im Juni 2009 in einer Rede an der Bar-Ilan-Universität erstmals einer Zweistaatenlösung zu, wenn auch unter Vorbedingungen, die die Palästinenser ablehnten.[44] Allerdings trat der medial dominante Nahostkonflikt in den Hintergrund, als 2011/2012 große Straßenproteste ausbrachen, die sich gegen soziale Probleme wie hohe Lebenshaltungskosten richteten.[45]

Vor der Knessetwahl 2013 rückte der Likud wieder nach rechts, u. a. getrieben durch die aufstrebende nationalreligiöse, die Interessen der Siedlerbewegung vertretende Partei HaBajit haJehudi („Jüdische Heimat“) unter ihrem neuen Vorsitzenden Naftali Bennett. Während die Frage der Zweistaatenlösung kaum eine Rolle spielte, war Netanjahus Hauptthema im stark personalisierten Wahlkampf die Sicherheitspolitik gegenüber regionalen Feinden wie Iran, Syrien und Hamas.[46] Mit der weiter rechts stehenden Partei Jisra’el Beitenu von Avigdor Lieberman bildete er eine gemeinsame Liste, die in der Wahl zwar stärkste Kraft wurde, aber im Vergleich zu 2009 Stimmen verlor. Netanjahu bildete eine Mitte-rechts-Koalition, der neben Likud, Jisra’el Beitenu und HaBajit haJehudi auch die liberalen Parteien Jesch Atid und Ha-Tnu’a angehörten (Kabinett Netanjahu III). Die drei rechten Regierungsparteien initiierten in dieser Zeit ein Nationalstaatsgesetz mit Verfassungscharakter, das Israel als jüdischen Nationalstaat definierte und nur noch Hebräisch als Amtssprache vorsah, was die beiden zur Mitte tendierenden Parteien ablehnten.[47] Die Koalition zerbrach im Dezember 2014. Innerlich war der Likud in dieser Zeit von Flügelkämpfen geprägt. Danny Danon, Vorsitzender des Zentralkomitees und Wortführer einer Gruppierung aus rechten Parteimitgliedern und Gegnern einer geplanten Fusion mit Jisra’el Beitenu, stellte das Vetorecht von Parteichef Netanjahu in internen Entscheidungsprozessen infrage, unterlag aber im Machtkampf.[48] Netanjahu entließ Danon im Juli 2014 als stellvertretenden Verteidigungsminister[49] und sicherte sich in den Vorwahlen im Dezember 2014 mit großem Vorsprung vor seinem Rivalen die Wiederwahl als Parteivorsitzender[50]. Treue Gefolgsleute Netanjahus erhielten aussichtsreiche Listenplätze, während parteiinterne Kritiker wie Mosche Feiglin auf hinteren Plätzen landeten.[51] Feiglin verließ daraufhin die Partei.[52]

Die Allianz von Likud und Jisra’el Beitenu löste sich auf, zur Parlamentswahl im März 2015 traten beide Parteien wieder separat an. Zudem spaltete sich ein eher zur Mitte tendierender, auf soziale Themen fokussierter Flügel um den ehemaligen Sozial- und Wohlfahrtsminister Mosche Kachlon vom Likud ab und bildete die Partei Kulanu („Wir alle“).[53] In den Umfragen vor der Wahl lag der Likud zunächst hinter der oppositionellen Zionistischen Union, konnte aber durch polarisierende Aussagen Wähler aus dem rechten Lager mobilisieren und aufholen. Am Wahltag veröffentlichte Netanjahu ein Video mit der unwahren Behauptung, arabische Wähler würden „in Scharen“ in die Wahllokale strömen und von „linken NGOs in Bussen“ herangeschafft werden.[43] Der Likud gewann die Wahl mit deutlichem Vorsprung und wurde mit 30 Sitzen erneut stärkste Partei. Anschließend bildete Netanjahu mit Kulanu, HaBajit haJehudi und den ultraorthodoxen Parteien seine bislang rechteste Regierung[54] (Kabinett Netanjahu IV), die jedoch nur eine äußerst knappe Mehrheit von 61 Stimmen (von 120) in der Knesset besaß. Der Plan, auch Jisra’el Beitenu in die Koalition aufzunehmen, veranlasste den Verteidigungsminister Mosche Jaʿalon im Mai 2016 zum Rücktritt. Jaʿalon warnte vor „extremistischen und gefährlichen Kräften“, die den Likud und das Land übernommen hätten[55], und verließ im darauffolgenden Jahr den Likud, um eine eigene Partei (Telem) zu gründen.[56] An seiner Stelle trat Avigdor Lieberman von Jisra’el Beitenu als neuer Verteidigungsminister in die Regierung ein, die damit noch weiter nach rechts rückte.[57] Mit den Stimmen der erweiterten Koalition wurde im Juli 2018 das vom Likud-Abgeordneten Avi Dichter vorangetriebene umstrittene Nationalstaatsgesetz beschlossen.[58] Das Gesetz besitzt Verfassungsrang und zog Kritik nicht nur der Opposition, sondern auch von Staatspräsident Reuven Rivlin – selbst Mitglied des Likud – auf sich.[59]

Die Knesset-Wahl vom April 2019 stand im Zeichen von Korruptionsvorwürfen gegen Netanjahu. Diese waren seit Januar 2017 bekannt geworden[60] und hatten im Februar 2018 in zwei Fällen[61] und im Dezember 2018 in einem dritten Fall[62] zu Anklageempfehlungen der Polizei geführt. Dennoch legte der Likud bei der Wahl weiter zu und wurde erneut die stärkste Partei. Allerdings hatte er nun eine annähernd gleich starke Konkurrenz im neuen Mitte-Bündnis Kachol Lavan („Blau-Weiß“) unter Führung von Benny Gantz, das genau wie der Likud auf 35 Sitze kam. Keiner der beiden Blöcke konnte eine Mehrheit bilden, so dass es schon nach fünf Monaten zu einer erneuten Wahl kam. Obwohl sich Kulanu zwischenzeitlich wieder mit dem Likud vereint hatte[63], kam dieser nur noch auf 32 Sitze und hinter Kachol Lavan auf den zweiten Platz. Erneut gelang es keinem der beiden Lager, eine Regierung zu bilden. Netanjahu und sein Kabinett blieben geschäftsführend im Amt und die Knesset löste sich abermals auf. Nachdem die Generalstaatsanwaltschaft im November 2019 Anklage gegen Netanjahu erhoben hatte[64], forderte der ehemalige Bildungs- und Innenminister Gideon Sa’ar diesen im Dezember zu einer Kampfkandidatur um den Likud-Vorsitz heraus. Netanjahu setzte sich aber mit 72,5 Prozent klar durch.[65] Bei der Neuwahl im März 2020 schnitt der Likud wieder merklich besser ab: Mit 36 Sitzen fuhr die Partei ihr bestes Ergebnis seit 2003 ein und wurde stärkste Kraft. Diesmal vereinbarten die Widersacher Netanjahu und Gantz eine Regierung der nationalen Einheit, der auch die Arbeitspartei und mehrere religiöse Parteien beitraten (Kabinett Netanjahu V). Die neue Regierung scheiterte jedoch schon im Dezember 2020, da sie sich nicht auf einen neuen Haushalt einigen konnte. Sa’ar, der Netanjahu des „Personenkults“ beschuldigte, trat daraufhin aus dem Likud aus und gründete mit weiteren Abweichlern die Partei Tikwa Chadascha („Neue Hoffnung“).[66]

Opposition und Rückkehr an die Macht (seit 2021)

Der Likud gewann zwar die Neuwahl im März 2021, musste aber deutliche Stimmenverluste hinnehmen und zum ersten Mal seit 2009 in die Opposition gehen. Acht liberale, linke und rechte Parteien bildeten eine breite Koalition gegen Netanjahu, die jedoch ebenfalls nur von kurzer Dauer war. So kam es bereits im November 2022 zu Neuwahlen, bei denen dem Likud mit leichten Sitzgewinnen die Rückkehr an die Macht gelang. Netanjahu bildete mit den ultraorthodoxen Parteien Schas und Vereinigtes Thora-Judentum sowie dem rechtsextremen, religiösen Bündnis HaTzionut HaDatit („Religiöser Zionismus“) die am weitesten rechts stehende Regierung in der Geschichte Israels.[67] Bereits wenige Tage nach Amtsantritt der Regierung, im Januar 2023, kündigte Justizminister Yariv Levin vom Likud eine Justizreform an, die auf die Abschaffung der Gewaltenteilung hinauslief.[68] Die dagegen gerichteten Massenproteste wurden vom Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 und dem anschließenden Krieg in Gaza überschattet. Das daraufhin gebildete Kriegskabinett unter Einschluss der Oppositionspolitiker Benny Gantz und Gadi Eizenkot hatte aufgrund von Meinungsverschiedenheiten über die Nachkriegsordnung im Gazastreifen nur bis Juni 2024 Bestand.[69] Indessen brachte die Kriegführung dem Staat Israel, der Regierung und führenden Likud-Politikern, einschließlich Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joaw Galant, schwere Vorwürfe wegen Kriegsverbrechen bis hin zu einem von Südafrika eingeleiteten Verfahren wegen Völkermordes am Internationalen Gerichtshof ein.[70][71] 2025 stimmte der Likud für die Wiedervereinigung mit der Partei Tikwa Chadascha von Gideon Sa’ar, die während des Krieges ebenfalls der Regierung beigetreten war.[72]

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Organisationsstrukturen, Mitglieder und Wählerschaft

Zusammenfassung
Kontext

Organisationsstrukturen

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Die Metzudat Zeʾev („Zeʾev-Festung“) an der König-George-V.-Straße in Tel Aviv, benannt nach Wladimir Zeev Jabotinsky, beherbergt die Parteizentrale des Likud

Die beiden Vorgängerparteien, die sich 1973 zum Wahlbündnis und 1988 zur Partei Likud zusammenschlossen, waren hoch institutionalisierte Parteien mit komplexen Gremienstrukturen, engen Bindungen an zivilgesellschaftliche Gruppen und starker Verankerung auf lokaler Ebene, in Gewerkschaften und Studentenverbänden. Die Cherut war zudem durch die Dominanz ihres Vorsitzenden Menachem Begin geprägt. Der Likud übernahm sowohl die institutionalisierten Strukturen der Vorläufer als auch die Personenorientierung der Cherut. Nach dem Ausscheiden Begins und der formalen Parteigründung nahm die Konkurrenz um den Vorsitz zu. Seit 1993 wird dieser regelmäßig in parteiinternen Vorwahlen durch die Mitglieder bestimmt.[73]

Nach der Abspaltung der Kadima im Jahr 2005 wandelte sich der Parteicharakter unter dem (zweiten) Vorsitz Benjamin Netanjahus. Zwar blieben die meisten Parteistrukturen formal bestehen, doch Netanjahu schnitt die verbliebene Partei nun ganz auf seine Person zu.[73] Es entstand ein personenzentrierter Führungsstil, der in Anlehnung an Netanjahus Spitznamen „Bibi“ auch als „Bibismus“ bezeichnet wird.[74] Vorsitzwahlen fanden unter Netanjahus Vorsitz ohne ernsthafte Konkurrenz statt;[73] 2016 und 2025 wurden sie mangels Gegenkandidaten ganz abgesagt.[75][76] Wahlen zum Parteitag, dem wichtigsten Parteiorgan, für die laut Satzung ein Turnus von vier Jahren[77] gilt, fanden zwischen 2012[73] und 2025[78] nicht mehr statt. Das Zentralkomitee, noch in den 2000er-Jahren ein wichtiges Debattengremium, hat ebenso an Bedeutung verloren wie die Ortsverbände an der Basis. Ausschlaggebend für eine gute Platzierung auf Wahllisten ist die Loyalität zu Netanjahu.[79] Seit 2009 verzichtet die Partei auf die Herausgabe von Wahlprogrammen.[73] Einen von Likud-Mitgliedern schriftlich ausgearbeiteten Programmentwurf lehnte Netanjahu 2015 ab.[73][80]

Als Ministerpräsident (zum zweiten Mal von 2009 bis 2021) nutzte Netanjahu Kabinettsumbildungen als Mittel, um parteiinterne Konkurrenten auszuschalten. Wichtige Regierungsämter besetzte er entweder mit Vertretern seiner Koalitionspartner, die ihm innerparteilich nicht gefährlich werden konnten[81][73], oder er übernahm sie selbst. So leitete er neben dem Amt des Ministerpräsidenten zeitweise auch die Ministerien für Gesundheit, auswärtige Angelegenheiten, Kommunikation, Renten, Wirtschaft, Verteidigung und weitere Ressorts. Zudem nahm Netanjahu immer stärkeren persönlichen Einfluss auf interne Wahllisten und Wahlbündnisse mit anderen Parteien, um seine Macht nach innen und außen zu sichern. 2014 versuchte er erfolglos, die Wahl seines Parteirivalen Reuven Rivlin zum Staatspräsidenten zu verhindern. Wiederholt verließen Konkurrenten Netanjahus den Likud, um sich anderen Parteien anzuschließen oder eigene zu gründen. Die beschriebene Entwicklung des Likud hatte Folgen über die Parteigrenzen hinaus. So hat die Tendenz zur Personalisierung der israelischen Parteienlandschaft und zum Populismus in der israelischen Politik allgemein zugenommen.[73]

Das Israel Democracy Institute erstellte 2015 und 2019 einen Index der parteiinternen Demokratie der wichtigsten israelischen Parteien, gemessen an den Kriterien Partizipation, Repräsentation, Wettbewerb, Reaktionsfähigkeit und Transparenz. 2015 erreichte der Likud dabei 75 von 100 möglichen Punkten und damit den zweitbesten Wert von 18 untersuchten Parteien.[82] 2019 lag er mit 67 von 100 Punkten nur noch auf dem fünften Platz unter 21 untersuchten Parteien, was hauptsächlich auf einen starken Rückgang beim Wettbewerb zurückzuführen war.[83]

Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang die starke Zersplitterung und extreme Volatilität der israelischen Parteienlandschaft seit den 1990er-Jahren. Die zahlreichen, oft kurzlebigen Parteineugründungen sind zumeist reine Personenparteien mit schwachen Organisationsstrukturen; dies trifft auf alle neuen Parteien zu, die seit 2013 in die Knesset gewählt wurden. Vor diesem Hintergrund gilt der Likud trotz seiner populistischen und personalisierenden Tendenz nach wie vor als demokratische Partei, da er mit seinem dynamischen Innenleben und der tiefen Verwurzelung in der Öffentlichkeit dem Idealtyp einer Massenpartei unter allen israelischen Parteien noch am nächsten kommt.[84]

Parteitag

Das oberste Organ des Likud ist der Parteitag (הועידה haWeida),[85] dessen rund 2.500 Delegierte[86] laut Parteisatzung alle vier Jahre gewählt werden.[77] Der Parteitag entscheidet über die Satzung, wählt das Parteigericht, trifft Beschlüsse und verabschiedet Resolutionen.[87]

Zentralkomitee

Zwischen zwei Parteitagen fungiert das Zentralkomitee (המרכז haMerkaz) als höchstes Organ der Partei.[85] Es besteht aus den Delegierten des letzten Parteitags[88] und tritt alle sechs Monate zusammen.[89] Das Zentralkomitee hat ähnliche Befugnisse wie ein Parteitag und kann auch Parteitagsbeschlüsse ändern, wobei diese Änderungen vom nächsten Parteitag bestätigt werden müssen.[90]

Parteivorsitz

Der Parteivorsitzende (יושב ראש התנועה joschev rosch haTnuʾa, wörtlich „Vorsitzender der Bewegung“) tritt bei Knesset-Wahlen als Parteikandidat für das Amt des israelischen Ministerpräsidenten an.[91] Seine Wahl erfolgt spätestens sechs Monate vor dem regulären Termin einer Parlamentswahl.[92] Dazu finden seit 1993 Vorwahlen statt, bei denen nach dem Prinzip einer Urwahl alle Parteimitglieder ein Stimmrecht haben. Zuvor fanden Vorsitzwahlen im Zentralkomitee des Likud bzw. seiner Vorgängerpartei Cherut statt. Die Führungsposition des Cherut-Gründers Menachem Begin stand bis zu dessen Rücktritt 1983 nie ernsthaft zur Disposition.[31] Bei Parteitagen und anderen Parteigremien hat der Vorsitzende ein Erstvorschlagsrecht.[93]

Liste der Parteivorsitzenden
  • 1973–1983: Menachem Begin
  • 1983–1992: Jitzchak Schamir
  • 1993–1999: Benjamin Netanjahu
  • 1999–2005: Ariel Scharon, danach Parteiaustritt
  • 2005–0000: Benjamin Netanjahu
Vorsitzwahlen
Weitere Informationen Wahl, Sieger ...

Anm. 1: 45.390 abgegebene Stimmen[96] von 96.651 Stimmberechtigten[97].

Jugendorganisation

Die Likud-Jugend (צעירי הליכוד tze’irei haLikud) umfasst alle Mitglieder unter 35 Jahren. Sie verfügt über eigene Organisationsstrukturen und ist auch in anderen Parteigremien vertreten. Aktiv ist sie unter anderem in Hochschulgruppen.[100]

Mitglieder

2022 zählte der Likud rund 140.000 Mitglieder.[101] Die Mitgliederzahl schwankt wie bei anderen israelischen Parteien stark, da sich oft Sympathisanten als Mitglieder einschreiben, um an parteiinternen Kandidatenwahlen teilzunehmen, aber kurze Zeit danach wieder austreten.[102] Ein Mitglied des Likud wird häufig als „Likudnik“ (לִכּוּדְנִיק) bezeichnet.[103]

Wählerschaft

Der Likud wird traditionell von ökonomisch benachteiligten Bevölkerungsgruppen gewählt, die weniger privilegierte Großstadtviertel und die Entwicklungsstädte in den Randgebieten Israels bewohnen.[104] Besonders hoch ist die Zustimmung unter Juden nahöstlicher und nordafrikanischer Abstammung (Mizrachim), die zu den ärmsten Bevölkerungsgruppen gehören und seit der Staatsgründung Diskriminierung durch die vorwiegend aschkenasischen, eher linksgerichteten Eliten des Landes erleben.[105] Neuere Erkenntnisse aus der Politikwissenschaft legen jedoch nahe, dass die Unterstützung einkommensschwacher Mizrachim tendenziell abnimmt.[106]

Eine vom Israel Democracy Institute durchgeführte Analyse der Parlamentswahl 2021 ergab, dass 46 Prozent der Likud-Wähler ein unterdurchschnittliches Einkommen und nur 29 Prozent ein Einkommen über dem Mittel hatten.[107] Die politische Selbsteinschätzung der Anhängerschaft zeigte eine klare Tendenz nach rechts: 37,6 Prozent der sich rechts verortenden Wähler und 24,9 Prozent der gemäßigt Rechten stimmten 2021 für den Likud, aber nur 5,3 Prozent der Wähler der Mitte, 6,2 Prozent der gemäßigt Linken und 0,9 Prozent der Linken (Stimmenanteil der Partei unter allen Wählern: 24,2 Prozent). Damit war der Likud bei Rechten und gemäßigt Rechten die mit Abstand stärkste Partei, während er bei Zentristen und gemäßigt Linken nur auf Platz 4 und bei Linken auf Platz 6 kam (Platzierung unter allen Wählern: 1).[108] Aufgeschlüsselt nach religiöser Orientierung der jüdischen Wählerschaft ergab sich folgendes Bild: 56 Prozent der Likud-Wähler gehörten dem traditionellen Judentum an, 31 Prozent bezeichneten sich als säkular, 11 Prozent als nationalreligiös und 2 Prozent als Charedim (Ultraorthodoxe). Damit war die Partei klar die stärkste Kraft unter traditionellen Juden (39 Prozent) und drittstärkste unter Nationalreligiösen (ohne nationale Charedim; 23 Prozent), konnte aber nur 4 Prozent des säkularen Votums (Platz 7) und 3 Prozent der ultraorthodoxen Stimmen (Platz 4) auf sich vereinen.[109] Eine Mehrheit der Likud-Wähler (58 Prozent) definierte sich als Sephardim (einschließlich Mizrachim), 21 Prozent sind Aschkenasim.[107]

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Politische Einordnung

Zusammenfassung
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Wahlplakat des Likud für die Parlamentswahl im September 2019, Ramat haScharon. Die Aufschrift lautet übersetzt: „Nur ein starker Likud wird eine linke Regierung verhindern. Likud, geführt von Netanjahu“

Der Likud bezeichnet sich in seinen Parteistatuten als nationalliberale Bewegung[110] und bezieht sich damit auf seine Vorgängerparteien, die nationalistische Cherut und die sozioökonomisch konservative, mittelständisch-großbürgerliche Liberale Partei.[111] Ursprünglich war er vor allem von nationalkonservativen Grundsätzen geprägt.[112][113][114][115][116] Im Zuge der allgemeinen Rechtsverschiebung des politischen Mainstreams in Israel[117] rückte der Likud seit den 2000er-Jahren nach rechts und wandelte sich in eine „majoritären Prinzipien anhängende und oftmals populistische Partei“[118]. So erhielten Vertreter des rechten Parteilagers und der radikalen Siedlerbewegung im Vorfeld der Parlamentswahl 2013 vordere Listenplätze, während liberalere Kandidaten auf weniger aussichtsreichen Plätzen landeten[119][120] und in der Folge aus der Knesset ausschieden. Mit der ultranationalistischen Partei Jisra’el Beitenu bildete der Likud eine gemeinsame Wahlliste.[121] Seinen Erfolg in der Knesset-Wahl 2015 verdankte er einer starken Stimmenwanderung von anderen rechten Parteien.[122] Nach der Abspaltung der Partei Tikwa Chadascha infolge der Korruptionsanklage gegen Parteichef Benjamin Netanjahu suchte dieser ab 2019 nach neuen Bündnispartnern am extrem rechten Rand und positionierte sich als „Anführer einer harten ideologischen Rechten“.[118] 2022 bildete der Likud mit mehreren rechtsextremen und ultraorthodoxen Parteien die bislang am weitesten rechts stehende Regierung in der Geschichte Israels.[123] Zu den Koalitionspartnern gehörte Otzma Jehudit („Jüdische Stärke“), die in der Tradition des Rechtsextremisten Meir Kahane und dessen 1988 – auf Drängen des Likud[124]  – von Wahlen ausgeschlossener Kach-Partei steht. Noch in den 1980er-Jahren verließen Likud-Abgeordnete, einschließlich des Parteivorsitzenden Jitzchak Schamir, regelmäßig den Plenarsaal, wenn Kahane in der Knesset sprach.[125][126]

Die Partei und ihr Vorsitzender Benjamin Netanjahu werden heute von Politikwissenschaftlern und Historikern auch als rechtspopulistisch[118][127][128][129][130][131][132][133][134], rechtsnational(istisch)[135][136] oder illiberal[134] bezeichnet. Nach Einschätzung der Politikwissenschaftler Ihsan Yilmaz und Nicholas Morieson setze das Framing der Partei „dem Volk“ angebliche „Eliten“ und „gefährliche Außenseiter“ entgegen.[129] Den Cambridge-Forschern Julius Maximilian Rogenhofer und Ayala Panievsky zufolge würden wirtschaftsliberale Reformen als Maßnahme zugunsten ökonomisch benachteiligter Bevölkerungsteile und als Rache an vermeintlich korrupten Einrichtungen der öffentlichen Hand, Gewerkschaften und wohlfahrtsstaatlichen Institutionen dargestellt.[128] Netanjahu nutze zur Rechtfertigung seiner Politik eine Sprache mit religiösen Untertönen, die nationalistische Konnotationen verdecken. Die israelische Regierung werde dabei mit der jüdischen Identität gleichgesetzt, obwohl die große Mehrheit der Juden nicht in Israel lebt und ein Viertel des israelischen Staatsvolks keine Juden sind.[137] Dem exklusiv verstandenen jüdischen Volk würden arabische Israelis und deren Verbündete als vermeintliche Feinde gegenübergestellt. Der angeblich „antipatriotischen“ politischen Linken werde unterstellt, Israels Feinde gegenüber „dem Volk“ zu bevorzugen. Neben Linken gälten Menschenrechtsorganisationen und kritische Medien als „selbsthassende Antisemiten“.[128] Laut dem Historiker Joshua Shanes versuche Netanjahu, den Antisemitismusbegriff neu zu definieren und auf – auch jüdische – Gegner seiner Politik auszuweiten. Dabei greife er selbst auf antisemitische Mythen zurück, wenn er etwa den Milliardär George Soros beschuldige, Proteste gegen Netanjahus Politik zu organisieren.[138]

Im Wahlkampf 2015 strahlte der Likud Werbespots aus, die eine Verbindung zwischen Regierungskritikern und Kämpfern der Terrororganisationen Hamas und Islamischer Staat (IS) herstellten.[A 1][A 2] Wiederholt agitierte die Partei gegen politische Gegner und kritische Medien, denen Netanjahu eine „Hexenjagd“[139] vorwarf. Vor der Parlamentswahl im April 2019 wurden Journalisten, die über strafrechtliche Ermittlungen gegen Netanjahu berichtet hatten, auf Wahlplakaten und in Social-Media-Kampagnen als Gegner dargestellt.[140] Die beiden größten Nachrichtensender des Landes, Kanal 12 und Kanal 13, verunglimpfte Netanjahu auf Twitter als „Propagandasender“, die ihre Zuschauer einer „Gehirnwäsche“ unterzögen, um seine Regierung durch ein „linkes Regime“ zu ersetzen.[141] Seinen aussichtsreichsten Herausforderer Benny Gantz stellten Likud-Wahlwerbespots als schwach oder geisteskrank dar[142], und den Journalisten Raviv Drucker, der Netanjahu mit investigativen Berichten über eine Korruptionsaffäre belastet hatte, wünschte Netanjahu 2020 ins Gefängnis.[143] Außerdem schürte er mehrfach Ängste vor arabischen Parteien, die von einer hohen Wahlbeteiligung der arabischen Minderheit profitieren und das Mitte-Links-Lager stärkten könnten.[144][145] 2019 installierten Likud-Unterstützer illegal 1.200 Kameras in Wahllokalen mehrheitlich arabischer Gemeinden, um angeblichen Wahlbetrug durch arabische Parteien zu verhindern.[139] Als Erklärungsansätze oder zur Rechtfertigung politischer Entscheidungen werden Verschwörungstheorien genutzt. So sprach Netanjahu nach seiner zwischenzeitlichen Abwahl 2021 vom „größten Wahlbetrug in der Geschichte des Landes […] und irgendeiner Demokratie“,[146] und die Entlassung des Schin-Bet-Präsidenten Ronen Bar 2025 begründete er mit einem „linken Deep State“, der den „Willen des Volkes“ zu verhindern suche.[147]

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Inhaltliche Positionen

Zusammenfassung
Kontext

Nahostkonflikt

Der Likud steht in der Tradition des revisionistischen Zionismus, der ursprünglich einen jüdischen Staat auf dem gesamten Territorium des früheren Mandatsgebiets Palästina beiderseits des Jordans vorsah. In der politischen Praxis der Cherut und des Likud spielte jedoch der Anspruch auf die East Bank, also das Ostufer des Jordans bzw. das heutige Jordanien, spätestens in den 1970er-Jahren faktisch keine Rolle mehr. Mit der mehrheitlichen Zustimmung der Likud-Abgeordneten zum Friedensvertrag zwischen Israel und Jordanien im Jahr 1994[148] wurde er endgültig aufgegeben.[149] Der Revisionismus beschränkte sich in der Folge auf das Gebiet westlich des Jordans. In seinem Parteiprogramm von 1977 vertrat der Likud eine großisraelische Position, die zwischen Mittelmeer und Jordan nur israelische Souveränität vorsah, das Westjordanland („Judäa und Samaria“) als Teil von Eretz Israel betrachtete und eine Zweistaatenlösung ablehnte.[150] Unter Rückgriff auf Wladimir Zeev Jabotinsky sollten die Palästinenser autonome Rechte nur unter israelischer Souveränität haben.[151] Begin war damit der erste israelische Ministerpräsident, der die Rechte der Palästinenser überhaupt anerkannte,[152] wenn auch im Rahmen einer Ein-Staat-Lösung. Gegen die im Camp-David-Abkommen von 1978 vereinbarte Autonomie für das Westjordanland und den Gazastreifen gab es erheblichen Widerstand innerhalb der Likud-Fraktionen,[153] sie wurde nicht umgesetzt.[154] Der Bau von Siedlungen auf dem gesamten Gebiet westlich des Jordans wurde hingegen ausdrücklich bejaht und in der Praxis von den Likud-geführten Regierungen Begin und Schamir gefördert. Während die zurückhaltende Siedlungspolitik der Arbeitspartei auf eine territoriale Kompromisslösung abzielte, plante der Likud ab 1977 die Ansiedlung von 750.000 Juden in den besetzten Gebieten, um einen solchen Kompromiss zu verhindern.[149] 1980 unterstützte der Likud das von der nationalistischen Techija-Partei initiierte Jerusalemgesetz, welches das ungeteilte Jerusalem zur Hauptstadt Israels erklärte.[155]

Im Zuge der Ersten Intifada rückten Teile der Partei von der bisherigen Fundamentalopposition gegen eine Gebietsteilung ab. Die Ursachen dafür sind sowohl in innen- als auch in außenpolitischen Entwicklungen zu suchen: Angesichts des Gewaltausbruchs stellte die israelische Öffentlichkeit den Status quo zunehmend infrage, zugleich veränderten die USA ihre Haltung gegenüber der PLO und erhöhten damit den Druck von außen. Außerdem stellte das höhere Bevölkerungswachstum der Palästinenser Israel vor demografische Herausforderungen. Klassischen Revisionisten wie Jitzchak Schamir und Benny Begin standen nun pragmatischere Parteivertreter wie Benjamin Netanjahu, Ehud Olmert, Dan Meridor, Meir Schitrit, Mosche Katzav und schließlich auch Ariel Scharon gegenüber, die begrenzte territoriale Zugeständnisse befürworteten, aber zugleich auf militärische Stärke setzten. Moderate Likud-Kräfte schlugen 1991/92 einen Rückzug aus Gaza vor, den Schamir allerdings ablehnte; auf der Madrider Konferenz zeigte er sich lediglich zu einer eingeschränkten palästinensischen Autonomie bereit. Über die Haltung zu den 1993 und 1995 geschlossenen Abkommen Oslo I und Oslo II herrschte in der Partei, damals in der Opposition, Uneinigkeit.[149] Benjamin Netanjahu verfolgte in seiner ersten Amtszeit als Ministerpräsident von 1996 bis 1999 eine widersprüchliche Politik: Einerseits widerrief er die Oslo-Abkommen nicht und schloss unter amerikanischem Druck neue Verträge mit der palästinensischen Seite (Hebron-Protokoll, Wye-Abkommen), andererseits setzte er den Siedlungsbau kontinuierlich fort und stoppte, auf Druck seiner rechtskonservativ-religiösen Koalitionspartner und von Teilen seiner eigenen Partei, den Friedensprozess.[156] Dennoch war Netanjahu der erste Likud-Ministerpräsident, der der palästinensischen Seite territoriale Zugeständnisse machte – auch gegen Widerstände in seiner Partei.[149] Das Grundsatzprogramm von 1999 bekräftigte erneut das Recht auf Siedlungsbau und die Ablehnung eines souveränen Staates Palästina, befürwortete aber eine begrenzte Selbstverwaltung der Palästinenser unter israelischer Oberhoheit. Jerusalem wurde als unteilbare Hauptstadt Israels und der Jordan als dauerhafte Ostgrenze definiert.[157]

Ariel Scharons Abkoppelungsplan zur Räumung des Gazastreifens spaltete die Partei. Eine Mehrheit des Likud-Zentralkomitees stellte sich dem Vorhaben entgegen und forderte ein landesweites Referendum. Nur eine Minderheit, allen voran die nationalreligiöse Gruppierung Manhigut Jehudit („Jüdische Führerschaft“) unter Mosche Feiglin, tat dies aus ideologischen Gründen, eher war der unilaterale Charakter des Rückzugs Stein des Anstoßes für viele Likud-Abweichler.[149] Zu Letzteren gehörte Finanzminister Benjamin Netanjahu, der mit der Begründung zurücktrat, der Abzug könne Gaza zu einer „Basis für islamischen Terrorismus“ machen.[158] Als neuer Likud-Chef ab 2005 und Ministerpräsident ab 2009 vollzog er mehrfach Wendungen in der Nahostfrage. Statt auf eine nachhaltige Konfliktlösung zielte seine Politik auf ein Konfliktmanagement ab, das den Status quo bewahren sollte.[159][160][161] Im Wahlprogramm für die Knesset-Wahl 2009 schloss der Likud weitere einseitige Rückzüge, die Preisgabe Ostjerusalems und ein Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge aus. Mögliche Friedensverhandlungen wurden unter den Vorbehalt palästinensischer Zugeständnisse gestellt. Stattdessen betonte das Programm Sicherheitsaspekte und den Kampf gegen Terrorismus.[162] In einer Rede wenige Monate nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten wiederholte Netanjahu im Wesentlichen diese Punkte, stellte aber einen palästinensischen Staat in Aussicht, geknüpft an Bedingungen wie eine vollständige Demilitarisierung und die Unteilbarkeit Jerusalems. Außerdem betonte er, keine weiteren Siedlungen errichten zu wollen.[163] Entgegen dieser Ankündigung und trotz eines – zeitlich befristeten und mit diversen Ausnahmen versehenen – Baustopps[164] wurde der Siedlungsbau jedoch fortgesetzt.[165] Direkte Verhandlungen mit der palästinensischen Seite wurden 2014 seitens Netanjahus abgebrochen[166] und seitdem nicht wiederaufgenommen. Einen Tag vor der Parlamentswahl 2015 lehnte Netanjahu eine Zweistaatenlösung ausdrücklich ab, um rechte Wähler für den Likud zu mobilisieren,[167] relativierte seine Aussage aber nur zwei Tage nach der gewonnenen Wahl wieder.[168]

Nach dem endgültigen Ende des Friedensprozesses erhielten Befürworter formaler Annexionen Auftrieb. Das Zentralkomitee der Partei sprach sich 2017 für eine Annexion israelisch besiedelter Teile des Westjordanlandes aus. Einstimmig verabschiedete es eine Resolution, in der die Likud-Abgeordneten der Knesset aufgefordert wurden, ungehinderten Siedlungsbau zu ermöglichen und die israelische Souveränität auf „alle befreiten Siedlergebiete in Judäa und Samaria“ auszuweiten. Obwohl unverbindlich, hatte die Resolution politische Bedeutung, da Abgeordnete in innerparteilichen Vorwahlen auf die Unterstützung des Zentralkomitees angewiesen sind. Mehrere hochrangige Parteimitglieder trugen den Beschluss mit, darunter Knesset-Sprecher Juli-Joel Edelstein, der Jerusalemer Bürgermeister Nir Barkat und mehrere amtierende Minister.[169] Netanjahu beteiligte sich nicht an der Abstimmung, kündigte aber später wiederholt selbst Annexionen an, so im Vorfeld der Parlamentswahlen vom April 2019[170] und September 2019[171]. 2020 verhandelte er mit US-Präsident Donald Trump eine letztlich nicht umgesetzte Friedenslösung, die die Annexion von etwa 30 Prozent des Westjordanlandes vorsah.[172] Nach dem Wahlsieg 2022 schloss der Likud eine Koalition mit Parteien, die in der Nahostfrage extreme Positionen vertreten. Im Koalitionsvertrag wurden weitere Siedlungen, die Legalisierung illegaler Außenposten und Annexionen im Westjordanland vereinbart.[173]

Nach dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023, der einen Krieg in Gaza auslöste, lehnte Netanjahu eine mögliche palästinensische Staatsgründung wiederholt ausdrücklich ab.[174][175] Die Knesset verabschiedete 2024 eine vom Likud mitgetragene Resolution, die eine palästinensische Staatsgründung ablehnt.[176] Netanjahu und seiner Regierung, darunter Likud-Verteidigungsminister Joaw Galant wurden wegen ihres militärischen Vorgehens in Gaza Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord vorgeworfen. Der Internationale Strafgerichtshof stellte 2024 Haftbefehle gegen Netanjahu und Galant aus.[177] Im Februar 2025 befürwortete Netanjahu einen Vorschlag von Donald Trump, den Gazastreifen zu einer „Riviera des Nahen Ostens“ zu machen und dafür einen großen Teil der Bevölkerung umzusiedeln. Einen Gegenvorschlag arabischer Staaten zum Wiederaufbau Gazas unter der Ägide der Palästinensischen Autonomiebehörde lehnte seine Regierung ab. Parallel dazu führte das israelische Militär im Rahmen der Operation „Eiserne Mauer“ die größten Vertreibungen im Westjordanland seit dem Sechstagekrieg von 1967 durch.[178] Im August 2025 bekannte sich Netanjahu in einem Fernsehinterview zur Vision eines Großisrael.[179] Bereits im Vormonat hatten 15 Likud-Minister und der Parlamentspräsident Amir Ohana, ebenfalls Mitglied der Partei, Netanjahu dazu aufgefordert, das Westjordanland umgehend zu annektieren.[180] Die Knesset verabschiedete daraufhin eine von Likud-Abgeordneten mitinitiierte symbolische Resolution, die das Westjordanland zum untrennbaren Teil von Eretz Israel erklärte.[181] Kritiker bezeichneten die Resolution als „Nebelkerze“ und „Teil einer Desinformationskampagne“, die verschleiern solle, dass die Annexion unter der Regierung Netanjahu durch entsprechendes Verwaltungshandeln faktisch bereits stattfinde.[182]

Wirtschafts- und Sozialpolitik

In Abgrenzung zur sozialistisch ausgerichteten Regierungspolitik der israelischen Anfangsjahre setzt der Likud seit seiner Gründung auf wirtschaftsliberale Prinzipien,[183] verfolgte jedoch in der Praxis oft eine pragmatische Linie, die auch sozialstaatliche Elemente einschloss.[184] Die erste Likud-Regierung unter Menachem Begin kam 1977 dank der Stimmen ärmerer Bevölkerungsschichten aus sozioökonomisch benachteiligten Stadtvierteln und Entwicklungsstädten zustande und griff sofort ein von der Vorgängerregierung angekündigtes Programm zur Wohnviertelsanierung („Project Renewal“) auf, das ab 1979 umgesetzt wurde.[185] Parallel dazu leitete Finanzminister Simcha Ehrlich (Liberale Partei innerhalb des Likud-Blocks) unmittelbar nach dem Regierungsantritt eine neue ökonomische Politik ein: Devisenkontrollen wurden aufgehoben, der Wechselkurs des Schekels freigegeben und die Mehrwertsteuer von 8 auf 12 Prozent erhöht.[186] Die Abschaffung von Subventionen für Grundversorgungsgüter führte zu einer hohen Inflation, die im Januar 1981 unter Ehrlichs noch wirtschaftsliberalerem Nachfolger Jigal Hurwitz 140 Prozent erreichte. Um eine Niederlage in der Knessetwahl im Juni 1981 abzuwenden, ersetzte Premierminister Begin Hurwitz durch den konservativeren Joram Aridor, der die Austeritätsmaßnahmen sofort zurücknahm.[187] Bis Mitte der 1980er-Jahre stiegen die Sozialausgaben. Allerdings erreichte auch die Inflation neue Höhen, was die Kaufkraft der ärmeren Bevölkerung schmälerte. In Reaktion darauf setzte der Likud als Teil der großen Koalition mit der Arbeitspartei ab 1985 einen Wirtschaftsstabilisierungsplan um, der erneut marktliberale Reformen umfasste.[188]

Benjamin Netanjahu trat 1996 mit einem wirtschaftsliberalen Programm an, konnte es aber gegen den Widerstand seiner Koalitionspartner Schas und Jisra’el ba-Alija nicht durchsetzen.[189] Erst als Finanzminister unter Ariel Scharon ab 2003 gelang es Netanjahu mit Rückendeckung durch Industrie- und Arbeitgeberverbände, umfassende Steuersenkungen, Haushalts- und Sozialkürzungen, Privatisierungen von Staatsunternehmen (u. a. der Fluggesellschaft El Al[190]) und Arbeitsförderprogramme umzusetzen. Diese Maßnahmen führten zu einem höheren Wirtschaftswachstum und einer niedrigeren Arbeitslosigkeit, aber ebenso zu mehr Armut und sozialer Ungleichheit.[189] Auch als Premierminister ab 2009 hielt Netanjahu an dieser Politik fest. So verkündete er nach seiner Amtsübernahme eine schrittweise Absenkung der Körperschaftsteuer von 25 auf 18 Prozent bis 2016. 2003 hatte der Steuersatz noch 36 Prozent betragen. Massenproteste 2011/2012 wegen steigender Lebenshaltungskosten, die mit den wirtschaftsliberalen Reformen in Zusammenhang stehen, zwangen die Regierung zu einer teilweisen Kurskorrektur. Eine Kommission unter der Leitung des Ökonomen Manuel Trajtenberg erarbeitete Verbesserungsvorschläge, die größtenteils umgesetzt wurden, darunter die Rücknahme der geplanten Körperschaftsteuersenkung.[191] 2014 verabschiedete die Regierung ein umfangreiches Programm zur Privatisierung weiterer Staatsunternehmen, darunter die staatlichen Elektrizitätswerke, die Israelische Post, die Wasserversorgung, die Eisenbahn, drei Rüstungsfirmen und der größte Gasversorger des Landes.[192] Während der COVID-19-Pandemie lehnte Netanjahu größere Finanzhilfen für Betroffene unter Verweis auf Milton Friedman mit der Begründung ab, sie würden der israelischen Wirtschaft schaden.[137] Im Wahlkampf 2022 versprach der Likud die hohe Inflation u. a. durch die Aussetzung von Gemeindeabgaben (Arnona), niedrigere Importzölle, Erleichterungen bei der Einkommensteuer sowie eine Senkung der Körperschaftsteuer zu bekämpfen.[193]

Julius Maximilian Rogenhofer und Ayala Panievsky von der Universität Cambridge beschreiben Netanjahus Wirtschaftspolitik als „selektiven Neoliberalismus[128]: Wirtschaftsliberalen Reformen im israelischen Kernland standen Wohnbauförderung, Steuererleichterungen und sozialstaatliche Leistungen für israelische Siedler im Westjordanland und Likud-Hochburgen gegenüber. 2013 zahlte die Regierung Netanjahu Gemeinden im israelischen Kernland staatliche Bildungs- und sonstige Zuschüsse in Höhe von durchschnittlich 2.282 Schekel pro Kopf; Gemeinden im Westjordanland erhielten dagegen 3.762 Schekel pro Kopf (65 % mehr) und Siedlungen jenseits der Sperranlagen sogar 5.960 Schekel pro Kopf (161 Prozent mehr). Siedlungen im Westjordanland bezogen insgesamt 45,8 % ihrer Einnahmen aus staatlichen Zuschüssen, Siedlungen im Kernland dagegen nur 28,5 Prozent.[194] So entstand ein klientelistisches System, das Teile der Anhängerbasis des Likud vor den negativen Folgen der wirtschaftlichen Liberalisierung schützte.[128][137]

Verständnis von Staat, Religion und Volk

In Fragen von Religion und Staat findet sich der Likud in der Mitte des politischen Spektrums wieder. Die Gründergeneration der Partei bzw. ihres Vorgängers Cherut, darunter der erste Vorsitzende Menachem Begin, bestand zu einem großen Teil aus Angehörigen der militärischen Untergrundorganisationen Irgun, die einen säkularen Nationalismus vertrat. Durch den wachsenden Einfluss von Juden nahöstlicher Abstammung mit eher konservativ-traditionalistischer, aber nicht streng orthodoxer Religionspraxis (Masortim) ist der säkulare Charakter heute schwächer ausgeprägt. Die Partei lässt sich daher seit den 2010er-Jahren als „Masorti-nationalistisch“ beschreiben.[195] Trotz seiner ursprünglich säkularen Haltung geht der Likud oft Koalitionen mit religiösen Parteien ein,[184] so schon 1977. Als Zugeständnis für den Koalitionsbeitritt der charedischen (ultraorthodoxen) Partei Agudat Jisra’el erließ Menachem Begin damals allen männlichen Jeschiwa-Vollzeitstudenten den Wehrdienst. Allerdings ist der Likud in dieser Frage nicht festgelegt. Ariel Scharon sprach sich als Oppositionsführer gegen ein Gesetz aus, das den Ultraorthodoxen in der Wehrpflichtfrage entgegenkam, verabschiedete es 2002 in einer Koalition mit den charedischen Parteien Schas und Vereinigtes Thora-Judentum (VTJ) aber schließlich doch.[196] Benjamin Netanjahu bildete 2013 eine Regierung mit liberalen und nationalreligiösen Parteien, die die Wehrpflicht auch für Ultraorthodoxe grundsätzlich befürworten, und brachte ein entsprechendes Gesetz auf den Weg.[197] Schon die Nachfolgeregierung ab 2015, die unter der Führung Netanjahus erneut Schas und VTJ einschloss, entschärfte das Gesetz wieder.[198] Kompromisse den religiösen Parteien gegenüber spiegeln sich auch in anderen Fragen wider, etwa in der Befürwortung des religiösen Status quo, der beispielsweise das Ehe- und Familienrecht für Juden dem Oberrabbinat unterstellt und das öffentliche Leben am Schabbat einschränkt.[199] Hinsichtlich der Trennung von Religion und Staat ist der Likud somit flexibler als andere Parteien des rechten Spektrums wie die eindeutig säkulare Partei Jisra’el Beitenu.

Religiöse Rhetorik und Symbolik kam schon in der Anfangszeit der Partei zum Einsatz. Menachem Begin verstand das jüdische Volk und die jüdische Religion als untrennbare Einheit, befürwortete aber gleiche Rechte für alle Staatsbürger, einschließlich der arabischen Minderheit. Erst unter Benjamin Netanjahu habe der Likud laut den Politikwissenschaftlern Guy Ben Porat und Dani Filc einen antiliberalen, populistischen Diskurs übernommen, der nichtjüdische Bürger aus der nationalen Identität ausschließe.[130] Dieser Ethnonationalismus[200] finde Kritikern zufolge u. a. im 2018 verabschiedeten Nationalstaatsgesetz Ausdruck, welches das Recht auf nationale Selbstbestimmung exklusiv der jüdischen Bevölkerungsmehrheit gewährt. Während Kritiker dadurch Minderheiten diskriminiert sehen, argumentieren Befürworter, ein neutraler „Staat für alle Bürger“ würde den jüdischen Charakter Israels infrage stellen.[201] Der Historiker Alexander Yakobson bemängelt, dass sämtliche nationalstaatlichen Verfassungen neben der nationalen Identität des Mehrheitsvolkes auch die Gleichheit aller Staatsbürger betonten, was beim israelischen Nationalstaatsgesetz nicht der Fall sei.[202] Gegen die Aufnahme des Gleichheitsprinzips in das Gesetz hatte sich der Likud gesperrt.[201] Porat und Filc sehen in der Politik des Likud zugleich eine Hierarchisierung innerhalb des jüdischen Volkes: Religiöse Verbundenheit gelte demnach als ein Zeichen hoher Loyalität, die angeblich authentische Angehörige der Nation von vermeintlich illoyalen kosmopolitischen Eliten unterscheide. Der ethnisch-religiös begründete Nationalismus des Likud trage zudem nativistische Züge, da er nichtjüdische Migranten als Gefahr für den jüdischen Charakter des Staates darstelle.[130] So verschärfte die Regierung Netanjahu zwischen 2012 und 2014 mehrfach das Anti-Infiltrationsgesetz aus dem Jahr 1954 dahingehend, dass Migranten ohne Einreiseerlaubnis als „Eindringlinge“ anzusehen und in Haft zu nehmen seien.[203] Das Gesetz richtete sich ursprünglich gegen Fedajin, Angehörige bewaffneter arabischer Gruppen, die Gewaltakte auf israelischem Staatsgebiet verübten.[204] Die Gesetzesverschärfungen wurden teilweise vom Obersten Gericht kassiert, die Haftzeit schließlich auf maximal 12 Monate reduziert.[205] Als „Eindringlinge“ bezeichnete Netanjahu auch afrikanische Flüchtlinge, hauptsächlich aus dem Sudan und Eritrea, deren Asylanträge nur in seltenen Ausnahmefällen anerkannt werden. 2018 präsentierte die Likud-Regierung eine Initiative mit dem Ziel, Flüchtlinge entweder in Drittstaaten abzuschieben oder sie auf unbestimmte Zeit in Haft zu nehmen.[206][207] Das Vorhaben wurde u. a. von Amnesty International als illegal kritisiert[208] und vom Obersten Gericht gestoppt.[209] Proteste gegen seine Abschiebungspläne brachte Netanjahu mit dem jüdischen Philanthropen und Milliardär George Soros in Verbindung.[210]

Außen- und Sicherheitspolitik

Die Außenpolitik des Likud steht in einem Spannungsverhältnis zwischen ideologischer Härte und pragmatischer Realpolitik.[211] Während Menachem Begin als Anhänger des revisionistischen Zionismus das Westjordanland als wesentlichen Bestandteil Israels betrachtete, war er in Bezug auf die Halbinsel Sinai ideologisch weniger festgelegt.[212] Dies ermöglichte das Camp-David-Abkommen mit Ägypten 1978 und den israelisch-ägyptischen Friedensvertrag von 1979. Begin war damit der erste israelische Ministerpräsident, der besetztes Territorium und israelische Siedlungen räumte, um die Beziehungen zu einem Nachbarstaat zu normalisieren („Land für Frieden“).[213] Konfrontativer war seine Haltung gegenüber Syrien hinsichtlich der gleichfalls besetzten Golanhöhen, die er 1981 faktisch annektierte. Begin begründete dies damit, dass das Gebiet über viele Generationen Teil von Eretz Israel gewesen sei. Auch Jitzchak Schamir, Ariel Scharon und Benjamin Netanjahu bekräftigten diese Position.[214]

Gegenüber äußeren Bedrohungen setzt der Likud auf eine Politik der militärischen Stärke und der Abschreckung, die auch Präventivschläge einschließt. Der Luftangriff auf den irakischen Kernreaktor Tammuz-1 1981 (Operation Opera) begründete die „Begin-Doktrin“, wonach kein Israel feindlich gesonnener Staat in der Region Massenvernichtungswaffen besitzen dürfe.[215] Sie gilt heute parteiübergreifend als fester Bestandteil der israelischen Sicherheitsstrategie und setzte sich u. a. im israelischen Angriff auf das iranische Atomprogramm 2025 fort.[216] In diesen Zusammenhang reihen sich auch Militärschläge gegen nichtstaatliche Akteure in den Palästinensergebieten und in anderen Staaten ein, etwa gegen die Hisbollah im Libanon 2024 oder die Hamas in Katar 2025. Das offensive – und letztlich erfolglose – Eingreifen in den Libanesischen Bürgerkrieg 1982 hatte einen proisraelischen Regimewechsel im Nachbarland und den Abschluss eines formalen Friedensvertrags zum Ziel.[217] Von Benjamin Netanjahu stammt das Konzept des „Friedens der Abschreckung“. Er vertritt eine harte Linie gegenüber dem Iran, den er als Hauptfeind Israels betrachtet.[218] Gemeinsame Sicherheitsinteressen mit arabischen Staaten, die den Iran ebenfalls als Bedrohung wahrnehmen, ermöglichten 2020 den Abschluss der Abraham Accords und die Friedensschlüsse mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain.[219]

In der Blockkonfrontation des Kalten Krieges nahm der Likud eine antisowjetische und prowestliche Haltung ein. Die Anlehnung Israels an die USA ging dem ersten Regierungsantritt des Likud voraus, wurde aber erst unter Begin 1981 durch ein Abkommen über strategische Zusammenarbeit erstmals formalisiert. Das Abkommen richtete sich gegen die Sowjetunion und deren Verbündete in der Region und bildete den Auftakt einer Reihe weiterer Vereinbarungen, die die israelisch-amerikanischen Beziehungen vertieften.[220] Der traditionell starke Einfluss jüdischer Organisationen in den USA auf die amerikanische Haltung gegenüber Israel veränderte sich während der zweiten Amtszeit Benjamin Netanjahus. Spannungen zwischen ihm und US-Präsident Barack Obama schwächten die Beziehungen Israels zu reformjüdischen Gruppierungen, die eher der Demokratischen Partei zuneigen, und stärkten demgegenüber den Einfluss orthodoxer und konservativer jüdischer Gruppen (u. a. AIPAC) sowie rechtskonservativer evangelikaler Christen, die Donald Trump und den Republikanern nahestehen.[221]

Nach dem Ende des Kalten Krieges strebte der Likud eine Diversifizierung der Außenbeziehungen an. Die Regierung Schamir nahm Anfang 1992 offizielle diplomatische Beziehungen zu China[222] und Indien[223] auf. Benjamin Netanjahu forcierte ab 2009 engere wirtschaftliche Beziehungen zu beiden Ländern und baute die militärische Zusammenarbeit mit Indien unter Narendra Modi aus.[224] Sein Bestreben, sich von der eindeutigen Bindung an das US-geführte westliche Lager zu lösen, zeigte sich auch in der Annäherung an Russland unter Wladimir Putin, zu dem Netanjahu gute persönliche Beziehungen pflegte. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine 2022 stieß diese Politik jedoch an ihre Grenzen, obwohl sich die Ende 2022 gebildete Regierung unter Führung des Likud anfangs noch um Neutralität bemühte.[225] Der israelische Diplomat Ronen Hoffman warf Netanjahu vor, Außenpolitik als Mittel zur eigenen Machtsicherung zu nutzen. Ende 2018 habe Netanjahu angesichts einer innenpolitischen Krise Kriegsängste geschürt, um vorgezogene Neuwahlen und eine mögliche Abwahl des Likud zu verhindern.[221]

Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Justizpolitik

Der Parteigründer Menachem Begin betonte das Rechtsstaatsprinzip, räumte den israelischen Grundgesetzen Vorrang ein und erkannte die Autorität des Obersten Gerichts Israels an, grundgesetzwidrige Gesetze für nichtig zu erklären.[226] 1992 verankerte der Likud unter Ministerpräsident Jitzchak Schamir und Justizminister Dan Meridor erstmals normative Grundrechte in den Grundgesetzen „Menschenwürde und Freiheit“ und „Beschäftigungsfreiheit“, aus denen sich ein Normenkontrollrecht des Obersten Gerichts ableitet.[68] In der zweiten Regierungszeit Benjamin Netanjahus als Ministerpräsident (2009–2021) häuften sich Gesetzesvorhaben und verbale Attacken, die gegen die Judikative gerichtet waren. Zwar bekräftigte Netanjahu im Februar 2012 in einer Rede anlässlich der Amtseinführung des Präsidenten des Obersten Gerichts, dass starke und unabhängige Gerichte Garant für den Fortbestand aller demokratischen Institutionen seien.[227] Zwei Monate später unterstützte seine Regierung jedoch einen Gesetzentwurf, der die Knesset ermächtigen sollte, Urteile des Obersten Gerichts mit 65 Stimmen (von 120) zu überstimmen (Überstimmungsklausel). Schon 2011 hatten einzelne Likud-Abgeordnete vorgeschlagen, der Regierung mehr Einfluss bei der Richterernennung zu verschaffen und das Klagerecht vor dem Obersten Gericht einzuschränken. Keine dieser Gesetzesinitiativen wurde bis zum Ende der Legislaturperiode im Januar 2013 umgesetzt.[228] Die Likud-Abgeordnete Tzipi Hotovely warf dem Obersten Gericht 2014 vor, „Verräter als Knesset-Mitglieder zu legimitieren“,[228] weil das Gericht entschieden hatte, die arabisch-israelische Partei Balad zu Wahlen zuzulassen. 2014 schlug Innenminister Gideon Sa’ar erneut eine Überstimmungsklausel vor, nachdem das Oberste Gericht ein verschärftes Einwanderungsgesetz aufgehoben hatte. Das Auseinanderbrechen der Regierungskoalition noch im selben Jahr beendete dieses Vorhaben.[228] Vor dem Hintergrund laufender Korruptionsermittlungen gegen Netanjahu verabschiedete die Knesset 2017 ein vom Likud-Abgeordneten David Amsalem eingebrachtes Gesetz, das einschränkt, wann die Polizei Empfehlungen zur Anklageerhebung gegen Amtsträger öffentlich bekanntgeben darf. Das Gesetz ist zwar explizit nicht auf bereits laufende Ermittlungen wie die gegen Netanjahu anwendbar, dennoch monierten Kritiker, dass es korrupte Politiker künftig vor öffentlichen Reaktionen schützen solle.[229] Nachdem Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit 2019 die Aufnahme eines Korruptionsverfahrens gegen Netanjahu angekündigt hatte, warf dieser ihm eine „Hexenjagd“ vor, während seine Partei von „politischer Verfolgung“ sprach.[230] Mehrfach bezeichnete Netanjahu das Strafverfahren gegen ihn als angeblichen „Putschversuch“.[231][232][233] Wiederholte Gesetzesvorschläge von Likud-Politikern, die Netanjahu Immunität gegen eine mögliche Strafverfolgung sichern sollten,[234][235][236] kamen angesichts der instabilen politischen Verhältnisse nicht zum Tragen.

Im Januar 2023 kündigte der Likud-Politiker und Justizminister Yariv Levin eine umfassende Justizreform an.[237] Zu den wichtigsten Punkten des Reformvorhabens gehörten eine Änderung der Mehrheitsverhältnisse im nationalen Richterwahlausschuss zugunsten der Regierung, eine Überstimmungsklausel, die der Knesset das Recht einräumt, mit einfacher Mehrheit (61 von 120 Stimmen) Urteile des Obersten Gerichts außer Kraft zu setzen, sowie Beschränkungen des Prinzips der Angemessenheit als Rechtsgrundlage für Urteile des Obersten Gerichts.[68] Nach Einschätzung von Thomas Demmelhuber und Peter Lintl hätte die Umsetzung dieser Reform das faktische Ende der Gewaltenteilung bedeutet und einer illiberalen Demokratie den Weg geebnet.[68] Massenproteste verzögerten die Umsetzung jedoch erheblich. Im Juli 2023 wurde das Prinzip der Angemessenheit abgeschafft, die dafür nötige Grundgesetzänderung aber im Januar 2024 vom Obersten Gericht abgewiesen.[68] Im Schatten des Krieges gegen die Hamas nach dem 7. Oktober 2023 wurden Teile der Justizreform erneut vorangetrieben. Im März 2025 verabschiedete das Parlament einen entschärften Gesetzentwurf Levins, der die Richterwahlregeln zum Vorteil der Regierung modifiziert und das Vetorecht der Judikative bei der Ernennung von Höchstrichtern abschafft. Kritiker befürchteten, dass die Justiz dadurch stärker politisiert und polarisiert werden könnte.[238][178]

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Internationale Kooperationen

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Der Likud ist seit 2018 offizielles Mitglied der Internationalen Demokratischen Union[239], eines weltweiten Zusammenschlusses konservativer und rechter Parteien.

2016 wurde der Likud Regionalpartner des nationalkonservativen und europaskeptischen Parteienbündnisses Europäische Konservative und Reformer.[240] 2025 trat er als erste nichteuropäische Partei dem rechten bis rechtsextremen Bündnis Patriots.eu als Beobachter bei.[241]

2025 lud Diaspora-Minister und Likud-Mitglied Amichai Chikli mehrere rechtsextreme europäische Politiker zu einer internationalen Antisemitismus-Konferenz ein. Maya Sion-Tzidkiyahu vom israelischen Mitvim-Institut für Außenpolitik sah darin einen Beleg dafür, dass der Likud „integraler Teil der extremen, illiberalen populistischen Rechten“ geworden sei. Auch Peter Lintl von der Stiftung Wissenschaft und Politik zählte die Partei zur „neuen Bewegung illiberaler Parteien“. Die antisemitischen Wurzeln der europäischen Rechten würden ignoriert, „solange die Parteien sich pro-israelisch äußern“. Der Rechtsextremismusforscher Jean-Yves Camus sieht Gemeinsamkeiten zwischen dem Likud und den europäischen Rechtspopulisten, die beide behaupten, „dass ihre Zivilisation durch den Islam und eine bestimmte Linke, Stichwort ,Wokismus’, gefährdet ist“.[134]

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Wahlergebnisse

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Parlamentswahlen

Der Likud nimmt seit 1973 an Wahlen zum nationalen Parlament (Knesset) teil. Bis auf die vorgezogene Neuwahl 2006, die unmittelbar auf die Abspaltung der Kadima folgte, nahm er dabei stets einen der beiden vorderen Plätze ein.

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Ministerpräsidentenwahlen

Der Ministerpräsident von Israel wurde bislang nur dreimal direkt vom Volk gewählt.

Weitere Informationen Wahl, Kandidat ...
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Ministerpräsidenten

Bisher stellte der Likud folgende Ministerpräsidenten:

Siehe auch

Literatur

  • Nachum Orland: Cherut-Gachal-Likud 1965 bis 1977. Begins Weg zur Macht. P. Lang, Frankfurt am Main u. a. 1994.
  • Colin Shindler: The Rise of the Israeli Right. From Odessa to Hebron. Cambridge University Press, Cambridge 2015.
Commons: Likud – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

Anmerkungen

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