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Man’yōgana

frühe japanische Silbenschrift Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Man’yōgana
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Man’yōgana (jap. 万葉仮名) ist ein historisches Schriftsystem der japanischen Sprache, das chinesische Schriftzeichen (Kanji) nicht ihrer semantischen (bedeutungstragenden) Qualitäten wegen verwendet, sondern aus phonetischen (lautlichen) Gründen. Sie ist damit eine Silbenschrift und Vorläufer der heute in Japan verwendeten Hiragana- und Katakana-Schriften.

Schnelle Fakten

Man’yōgana wurden ursprünglich zur Schreibung von Orts- und Personennamen verwendet (vgl. kana von kari na ‚geliehene Namen‘), da in Japan zu jener Zeit auf Chinesisch geschrieben wurde (Kanbun) und man Eigennamen nicht ohne Weiteres ins Chinesische übersetzen konnte, zumal teilweise auch die dafür notwendige Bedeutung der Namen nicht mehr bekannt war. Später erkannte man, dass es mittels Man’yōgana möglich war, Texte unverfälscht Japanisch zu schreiben, d. h. man sie direkt mit japanischer Lautung und Wortreihenfolge wiedergeben konnte und eine Übersetzung nicht mehr notwendig war. Diese Verwendung blieb jedoch hauptsächlich auf Gedichte beschränkt,[1] so z. B. bereits im durch das Kojiki (712) und Nihongi (720) überlieferten ältesten Gedicht Japans.

In der altjapanischen Gedichtanthologie Man’yōshū (‚Sammlung der zehntausend Blätter‘) aus der Mitte des 8. Jahrhunderts finden sich 480 derartig verwendete phonetische Zeichen in verschiedenen Formen, weswegen diese den Namen Man’yōgana erhielten.

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Einteilung

Zusammenfassung
Kontext

Man’yōgana lassen sich grundsätzlich nach ihrer Aussprache in drei Gruppen einteilen.

Ongana

Ongana (音仮名 Laut-Silben) oder Jiongana (字音仮名 Zeichen-Laut-Silben) wurden anhand der chinesischen Aussprache (On-Lesung) der verwendeten Schriftzeichen gewählt.[2] Der Lautstand entspricht dabei dem Früh-Mittelchinesischen bzw. der sinokoreanischen Aussprache des Königreichs Baekje[3] von dem Japan die chinesische Schrift übernahm.

Der häufigste Fall ist, dass ein Zeichen hier einer Silbe (1字1音 ichi ji ichi on, deutsch ein Zeichen, ein Ton) entspricht, wie a, i und ka. Teilweise werden auch zwei Zeichen für eine Silbe verwendet, wobei das erste Schriftzeichen für die Silbe steht und das zweite Schriftzeichen den Vokal wiederholt, z. B. 渭伊 wi, 斐伊 pi, 紀伊 ki und 由宇 yu.[2] Ongana sind die häufigste Form von Man’yōgana und nicht selten wurden auch komplette Gedichte (insbesondere in älteren Texten wie dem Kojiki oder Nihongi) allein in Ongana verfasst.[3]

Kungana

Kungana (訓仮名 Bedeutung-Silben) oder Jikungana (字訓仮名 Zeichen-Bedeutung-Silben) nutzen die japanische Aussprache (Kun-Lesung) des durch das Schriftzeichen bezeichneten Wortes. Da japanische Wörter im Allgemeinen länger als chinesische sind, bezeichnen Kungana häufig mehrere Silben wie kamo (Bedeutung: ‚Ente‘).

Einsilbige Jikungana sind beispielsweise a, i und 鹿 ka. Auch hier kommt es vor, dass mehrere Schriftzeichen für eine Silbe stehen, einerseits, weil das japanische Wort im Einzelfall kürzer als sein chinesisches Gegenstück war wie bei 海藻 me, andererseits, weil wie bei den Zweizeichen-Ongana eine Schachtelung vorgenommen wurde. So kommt es vor, dass das zweite Schriftzeichen für die eigentliche Silbe steht und das erste Schriftzeichen die Silbe enthält, z. B. 摂津 tu, wobei allein setu gelesen wird. Weiterhin können mehrere Zeichen auch für mehrere Silben stehen wie bei 下風 arasi (Bedeutung: ‚Fallwind‘) mit zwei Zeichen für drei Silben.[2]

Zwar waren Ongana die häufigsten Man’yōgana, zumal für einige Silben nie Kungana entwickelt wurden, allerdings sind bereits für die Regierungszeit Kaiserin Suikos (592–628) fünf Kungana bekannt.[3]

Gisho

Gisho/Tawamuregaki (戯書 verspielte Schreibweisen) sind Man’yōgana, die sich nach dem Rebus-Prinzip ergeben. Folgende Varianten gibt es dabei:[2][3]

  • Graphemogramme: 山上復有山 ide, deutsch Über dem Berg ist ein weiterer Berg da das Schriftzeichen als ide gelesen wird und aussieht wie zwei Berge übereinander.
  • Arithmogramme: 重二 si, deutsch Zweien übereinander und 並二 si, deutsch Zweien nebeneinander da si ‚Vier‘ bedeutet, 十六 sisi, deutsch 16 da 4×4,
  • Onomatogramme (Lautmalerei): 馬聲 i, deutsch Pferdelaut, 蜂音 bu, deutsch Hummelton, 喚鶏 tutu, deutsch schreiender Hahn.

Insbesondere Gisho erschweren die Lesung von Man’yōgana-Texten, da beispielsweise bei einem Auftreten von 十六 erst a) aus dem Kontext geschlossen werden muss, dass diese nicht regulär als to2si gelesen werden müssen und auch nicht die Bedeutung 16 besitzen, sondern b) ein Rebus für 4×4 sind, daher sisi gelesen werden sollen und dann c) beispielsweise für das so ausgesprochene Wort ‚Wildtier‘ stehen.

Einsilbige Man’yōgana (Magana)

Die einsilbigen Man’yōgana werden auch als Magana (真仮名 wahre Silbenschrift) bezeichnet, da wie bei modernen Kana ein Zeichen für genau eine Silbe steht und überdies die Magana als Grundlage für die modernen Kana dienten.[4]

Japanische Silben folgen einer KV-Struktur, sodass die nachfolgende Tabelle spaltenweise nach dem anlautenden Konsonant und zeilenweise nach dem auslautenden Vokal gegliedert ist. Die Benennung folgt dem phonetischen System und der Transkription der Altjapanischen Sprache, d. h. die h-Lautreihe des modernen Japanischen wird durch dessen vermutete damalige Realisierung als *p bezeichnet, sowie die Trennung das bestimmte Silben in zwei verschiedenen Paaren auftraten, für deren konkrete phonetische Bedeutung es bisher keinen linguistischen Konsens gibt. Andere Quellen transkribieren die p-Reihe basierend auf der Aussprache im Klassischjapanischen auch als f bzw. basierend auf dem modernen Japanisch als h.

Weitere Informationen ∅-, k- ...
 
Die Phonemkombination yi, sollte es dieses im Altjapanischen gegeben haben, kann nicht mittels chinesischer Schriftzeichen als unterschiedlich von i wiedergegeben werden. Ebenso ist die Existenz der Phonemkombination wu unbelegt.

Die Unterscheidung zwischen mo1 und mo2 findet sich im Kojiki (712), verschwand aber kurz danach.

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Beispiele

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Nukatas Gedicht im Man’yōshū

Folgendes Gedicht (waka) von Prinzessin Nukata aus dem Man’yōshū (Gedicht 8, Band 1) soll die Verwendung von Man’yōgana illustrieren.

Diese sind farbig unterlegt gesetzt, wobei Ongana rot, Kungana gelb und Gisho grün unterlegt sind. Die verbleibenden chinesischen Schriftzeichen werden in ihrer konkreten Bedeutung und somit nicht lautlich verwendet, wodurch sie daher keine Man’yōgana sind.

Weitere Informationen Japanisch, Umschrift ...

ist ein Beispiel für ein Gisho, da dieses Schriftzeichen unter anderem zwar ‚kochen, zubereiten‘ bedeutet, was niru ausgesprochen wird bzw. in der altjapanischen Vergangenheitsform niki1 – allerdings wird üblicherweise dieses Wort mit anderen Schriftzeichen geschrieben und anders gelesen.

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Abgeleitete Schriften

Zusammenfassung
Kontext

Aus den Kursivschrift- und Grasschriftformen der Man’yōgana entwickelte sich durch Reduzierung der Strichzahl die Silbenschrift Hiragana. Kam sie zunächst hauptsächlich nur für Gedichte, Anmerkungen und private Korrespondenz zum Einsatz, wurde sie ab 900 zur bevorzugten Schrift um Japanisch zu schreiben.[1] Da Nur-Hiragana-Texte, d. h. ohne Kanji, hauptsächlich von Frauen geschrieben wurden, werden diese auch als Onnade (女手 Frauenhand)[1] bzw. Onnagana (女仮名 Frauen-Silbenschrift) bezeichnet und die Man’yōgana demgegenüber auch als Otokogana (男仮名 Männer-Silbenschrift).[6]

Katakana entwickelten sich entweder aus Zeichensegmenten der Kursiv- und Grasschriftformen oder der quadratischen Regelschrift. Sie entstand im 9. Jahrhundert zur Annotation chinesischer Texte mit japanischen Lesehinweisen.[1] Heute werden Katakana hauptsächlich zur Schreibung von Fremdwörtern oder zur Hervorhebung verwendet.

Beiden ist gemein, dass im Gegensatz zu Man’yōgana eine Silbe durch nur je exakt ein Zeichen geschrieben werden kann, so dass statt der 480 im Man’yōshū vorkommenden Man’yōgana nur noch notwendig war je 48 Zeichen zu lernen. Allerdings gab es auch abweichende Alternativformen, die als Hentaigana bezeichnet werden.[1]

Ableitungstafel der Kana-Zeichen

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Entwicklung der Katakana (links) aus Man’yōgana
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Entwicklung der Hiragana (unten) aus den Kursiv-/Grasschriftformen (mittig) der Man’yōgana

Siehe auch

Einzelnachweise

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