deutsche Sozialreformerin, Frauenrechtlerin und Politikerin (SPD), MdR Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Marie Juchacz ([15. März 1879 in Landsberg an der Warthe; † 28. Januar 1956 in Düsseldorf) war eine deutsche Sozialreformerin, Sozialdemokratin und Frauenrechtlerin. Unter ihrer Leitung wurde am 13. Dezember 1919 die Arbeiterwohlfahrt gegründet. Nach der Einführung des passiven Wahlrechts für Frauen hielt sie am 19. Februar 1919 in der Weimarer Nationalversammlung als erste Frau eine Rede.[1][2][3]
]; geborene Gohlke; *Marie Juchacz wurde als Tochter des Zimmermanns Theodor Gohlke und seiner Frau Henriette in Landsberg an der Warthe geboren.[4] Nach dem Besuch der Volksschule in Landsberg an der Warthe arbeitete Juchacz ab 1893 zunächst als Dienstmädchen und kurzzeitig als Fabrikarbeiterin. Von 1896 bis 1898 war sie in der Krankenpflege tätig. Anschließend absolvierte sie eine Lehre zur Schneiderin. In diesem Beruf war sie bis 1913 tätig. Nachdem sie sich 1906 von ihrem Mann, dem Schneidermeister Bernhard Juchacz, getrennt hatte, übersiedelte sie mit den beiden Kindern nach Berlin.[4] Während des Ersten Weltkriegs von 1914 bis 1918 arbeitete sie zusammen mit Anna Maria Schulte, ihrer Schwester Elisabeth Röhl und Else Meerfeld in der „Heimarbeitszentrale“ und war Mitglied der sogenannten „Lebensmittelkommission“.
Juchacz trat 1908 der SPD bei, mit deren Programm sie ihr älterer Bruder vertraut gemacht hatte. In kurzer Zeit entwickelte Juchacz sich zur gefragten Versammlungsrednerin. Im Jahr 1913 wurde sie in Köln Frauensekretärin für den Parteibezirk Obere Rheinprovinz, wo sie sich vor allem um die Organisation der Textilarbeiterinnen im Aachener Raum kümmerte.[5] Als es 1917 zur Spaltung der Sozialdemokraten und zur Gründung der USPD kam, erhielt Marie Juchacz, die bei den Mehrheitssozialdemokraten blieb, von Friedrich Ebert die Stelle als Frauensekretärin im Zentralen Parteivorstand, die zuvor Clara Zetkin innegehabt hatte. Sie übernahm außerdem die Redaktionsleitung der Frauenzeitung Die Gleichheit. Marie Juchacz gehörte am 13. Dezember 1919 zu den Gründern der Arbeiterwohlfahrt (AWO) (Eintragung ins Berliner Vereinsregister am 3. April 1925[6]) und war bis 1933 ihre erste Vorsitzende. Von 1921 bis 1931 gehörte sie dem Vorstand des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge (DV) an.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten emigrierte Juchacz im März 1933 ins Saargebiet und gründete in Saarbrücken (Bahnhofstraße 80) eine Pension für Emigranten.[7] Als 1935 die Saarabstimmung ein deutliches Votum für die Eingliederung in das nationalsozialistische Deutschland erbrachte, floh sie ins Elsass und nach Beginn des Zweiten Weltkrieges über Paris nach Marseille. 1941 floh sie mit einem Notvisum über Martinique nach New York, wo sie bis 1949 lebte. Im Exil lernte sie mit über 60 Jahren Englisch, pflegte ihren Schwager – Emil Kirschmann – und versorgte andere Flüchtlinge mit Mittagessen.[1] In New York gründete sie 1945 die Arbeiterwohlfahrt USA – Hilfe für die Opfer des Nationalsozialismus, die nach Ende des Krieges mit Paketsendungen Unterstützung im zerstörten Deutschland leistete.[4]
1949 kehrte sie aus ihrem Exil nach Deutschland zurück und wurde Ehrenvorsitzende der AWO.
Marie Juchacz wurde im Grab ihrer Schwester Elisabeth und deren Ehemann Emil Kirschmann auf dem Kölner Südfriedhof (Flur 65 Nr. 307) beerdigt. 2011 erklärte der Rat der Stadt Köln die Grabstätte zur Ehrengrabstätte.[8]
Als eine von 37 Frauen wurde Marie Juchacz 1919 in die Weimarer Nationalversammlung gewählt. Am 19. Februar 1919 sprach sie dort als erste Parlamentarierin nach der Erlangung des Frauenwahlrechts:[9]
„Meine Herren und Damen!“ (Heiterkeit.) „Es ist das erste Mal, dass eine Frau als Freie und Gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf, und ich möchte hier feststellen, ganz objektiv, dass es die Revolution gewesen ist, die auch in Deutschland die alten Vorurteile überwunden hat.“
Sie gehörte als einzige Frau dem „Ausschuß zur Vorberatung des Entwurfs einer Verfassung des Deutschen Reichs“ der Nationalversammlung an.[11] Von den Reichstagswahlen 1920 bis 1933 war sie Mitglied des Reichstages. Ihre Schwester Elisabeth Röhl war ebenfalls SPD-Abgeordnete in der Nationalversammlung.
Mehrere Städte benannten Straßen nach ihr wie etwa als „Marie-Juchacz-Straße“ oder „Marie-Juchacz-Weg“. In Bremerhaven wurde der Platz vor dem Auswandererhaus in „Marie-Juchacz-Platz“ benannt.[12] 1969 wurde sie mit einer Briefmarke (Katalog-Nr. 596-Block 5) 50 Jahre Frauenwahlrecht geehrt und im Jahr 2003 mit einer 1-Euro-Briefmarke in der Serie Frauen der deutschen Geschichte (Katalog-Nr. 2305).
Im Reichstagsgebäude ist ein Saal, in dem der SPD-Fraktionsvorstand tagt, nach ihr benannt, ebenso der Sitzungssaal des Stadtrates von Weimar.[13] Die Arbeiterwohlfahrt vergibt seit 1969 die Marie-Juchacz-Plakette. Der Marie-Juchacz-Preis wird von der SPD-Bundesfraktion verliehen.
Am 18. August 2017 wurde ein Denkmal für Marie Juchacz am Mehringplatz in Berlin-Kreuzberg eingeweiht. In der Nähe des Denkmals befand sich bis 1933 die Zentrale der Arbeiterwohlfahrt.[14] Die Gedenkplatte besteht aus zwei stützenden Dreiecken, die eine Mittelform tragen. Aus den dreieckigen Stahlplatten sind die Worte „Freiheit“, „Gerechtigkeit“ (links) und „Gleichheit“, „Toleranz“ und „Solidarität“ ausgeschnitten. Aus der stählernen Gedenkplatte in der Mitte sind das Geburts- und Sterbejahr, der Name und das Porträt von Marie Juchacz aus dem Stahl geschnitten. Der gestaltende Künstler Gerd Winner erklärte zu der Skulptur: „Sie vereint die Begriffe des Sozialstaates und das Gedenken an Marie Juchacz.“[15][16][17][18]
Einer der ersten Intercity-Express-Züge des Typs ICE 4 sollte nach Marie Juchacz benannt werden.[19] Nachdem die geplante Benennung eines Zuges nach Anne Frank auf Kritik gestoßen war, verzichtete die Deutsche Bahn auf Zugtaufen auf den Namen von Personen, sodass die Benennung nach Marie Juchacz nicht zustande kam.[20]
In Deutschland wurden viele verschiedene soziale Einrichtungen zu Ehren von Marie Juchacz benannt, so etwa ein Seniorenzentrum in Erzhausen,[21] das Seniorenwohnhaus[22] der AWO in Berlin-Lichtenrade oder das Marie-Juchacz-Zentrum der AWO in Augsburg, ein Wohnheim für chronisch mehrfachgeschädigte Alkoholabhängige (CMA).[23] 2019 wurde in Idstein zur Feier des 100-jährigen Bestehens der Arbeiterwohlfahrt die Kita „Marie Juchacz“ eröffnet. 2020 zeigt das Mitte Museum die Ausstellung „Marie Juchacz – Die erste Frau am Rednerpult“.[24]
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