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Nahda

Historische kulturelle Bewegung der arabischen Welt Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

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Als Nahda (arabisch النهضة العربية, DMG an-nahḍa al-ʿarabīya) wird eine kulturelle intellektuelle Bewegung in einigen arabischen Ländern im 19. und 20. Jahrhundert bezeichnet, die bis heutige enormen Einfluss auf arabische Gesellschaften ausübt. Als Zentren der Bewegung gelten Ägypten sowie Syrien und Libanon, allen voran die beiden Städte Beirut und Kairo. In europäischen Sprachen bleibt der Begriff heute entweder unübersetzt oder wird als „Erwachen“ oder „arabische Renaissance“ dargegeben.

Eine einheitliche Definition des Begriffs bezüglich seiner räumlichen und zeitlichen Einordnung, ebenso bezüglich seiner Themen und Protagonisten besteht bis heute nicht. Dessen ungeachtet erfährt die Nahda bis heute eine lebhafte, positive wie negative, Rezeption, während manche Autoren die Nützlichkeit des Begriffs an sich in Frage gestellt haben.

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Definitionen

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Begriffsgeschichte

Bedeutung des Begriffs heute

Hannah Scott Deuchar, die der Begriffsgeschichte einen Artikel gewidmet hat, sagt über den heutigen Gebrauch des Begriffs nahḍa, er sei am weitesten verbreitet als Bezeichnung einer Periode kulturellen, sprachlichen und politischen Wandels, der sich in der arabischsprechenden Welt, insbesondere in Ägypten, Syrien und Libanon, im 19. und frühen 20. Jahrhundert abspielte.[1] Die dominierenden Konnotationen des Begriffs Nahda seien demnach heute modernisierend, progressiv, liberal, säkular.[2] So bezeichnete etwa Rainer Brunner 2024 die „kulturelle Erneuerung der Nahḍa“ als „der säkulare Moment“, dem eine „Salafisierung des Islam“ unter Nennung von islamischen Reformern Dschamal ad-Din al-Afghani und Muhammad ʿAbduh und anderen, die häufig auch der Bewegung der Nahda zugerechnet werden.[3] Dem gegenüber stehen allerdings auch Darstellungen, die die Bedeutung der muslimischen Reformer deutlich betonen.[4]

nahḍa in der Nahda

Ebenso wie der Begriff heute unterschiedlich konnotiert wird, besteht in der Wissenschaft keine Einigkeit über den Zeitpunkt, wann das heute gängige Verständnis des Begriffs nahḍa allgemeiner Sprachgebrauch wurde. Jens Hansse und Max Weiss schreiben die Wortbildung dem osmanisch-libanesischen Gelehrten Ahmad Fāris al-Schidyāq (1804–87), ohne ein konkretes Datum dafür zu nennen.[5] Deuchar zeigt auf, dass der Begriff nahḍa jedoch noch 1870, alsdie Nahda nach weitverbreitetem Verständnis bereits in vollem Gange war, von Butrus al-Bustani, der selbst als einer der bedeutendsten Vertreter der Nahda gesehen wird, in seinem Wörterbuch Muhit al-Muhit noch keinen Bezug auf die Nahda als kulturelle Bewegung aufweist. Vielmehr definierte al-Bustani den Begriff als „Kraft, Energie, Stärke; daherstammend Bewegung auf etwas hin“. Dieser Gebrauch ähnelt der Definition im Wörterbuch Lisan al-ʿArab aus dem 13. Jahrhundert. Allerdings etablierte sich zum 19. Jahrhundert hin eine stärkere Abstrahierung, von einer physischen Bewegung (Schritte) zum Abstraktum (physische) „Bewegung“ und die dafür aufgewendete Kraft.[6]

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Dschurdschī Zaidān wird meist als diejenige Person ausgemacht, die den Begriff der Nahda in seinem heutigen Bedeutungsspektrum populär machte.

Der Begriff arabische nahḍa ist demnach keine Neuschöpfung der Nahda selbst, stellt aber eine bedeutende Neubesetzung eines bereits bestehenden Begriffs dar. Allerdings weist Deuchar darauf hin, dass der Begriff nahḍa während der Zeit der Nahda ein weitaus breiteres Bedeutungsspektrum als die heute üblichen Assoziationen beinhaltete.[1] Popularisiert wurde das Verständnis des Begriffs nahḍa als Beschreibung einer umfassenden kulturellen Bewegung durch den libanesischen Autor Dschurdschī Zaidān in einem Aufsatz in seiner Zeitschrift al-Hilāl im Jahr 1892, wo er von einer „ägyptischen nahḍa“ schreibt. Unter dem Begriff beschreibt er implizit einen Anstieg nationaler Gefühl, die Motivation zu und Ausführung von kultureller Aktivität, eine energetische Kraft in der ägyptischen Gesellschaft und die ihm eigene Zeit des späten 19. Jahrhunderts. Mit dem Begriff beschreibt er gleichzeitig die Zeit des ägyptischen Herrschers Muhammad Ali Pascha (reg. 1805–1848), als auch seine eigene Zeit, seit der britischen Besetzung Ägyptens 1882 nach dem Scheitern der Urabi-Revolte.[7] Laut Deuchar bestand zu dieser Zeit noch ein weitaus breiteres Bedeutungsspektrum des Wortes nahḍa, so finden sich in al-Hilāl in Ausgaben der Folgejahre auch Beispiele, in denen die Pariser Kommune von 1871 und die Zeit des abbasidischen Kalifats (750–1258).[8]

Zaidān kanonisierte den Begriff der Nahda letztlich in seiner Sammlung von „Biographien berühmter Personen des Ostens“ (Tarāğim mašāhir aš-šarq), die er zunächst in Serie in al-Hilāl 1901–02 und schließlich 1903 als Monographie veröffentlichte. Dabei nahm er aber neben heute noch der Nahda zugeschriebenen Personen auch den indisch-muslimischen Gelehrten und Reformer Sayyid Ahmad Khan, den französischen in Ägypten wirkenden Arzt Clot Bey und den amerikanischen Missionar Cornelius Van Dyck in die Liste auf.[9] In den Folgejahren wurde der Begriff weiter etabliert, in den 1900er Jahren wurden mehrere Zeitschriften etabliert, die den Begriff an-naḥda im Titel tragen, in Damaskus wurde eine Nahda-Gesellschaft gegründet.[5][10]

Periodisierung

Es besteht keine Einigkeit über den genauen Zeitrahmen des Phänomens der Nahda. Einen der längsten Zeitrahmen nimmt Albert Hourani in seiner grundlegenden Studie Arabic Thought in the Liberal Age (1798–1939) von 1962 in Augenschein. Das von ihm sogenannte Liberal Age (in der arabischen Übersetzung von 1997 al-fikr al-ʿarabī fī ʿasr al-nahḍa[11], „Arabisches Denken im Zeitalter der Nahda“) datiert er auf die Zeit ab der napoleonischen Eroberung Ägyptens bis zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, also zwischen 1798 und 1939.[12] Der Beginn der Nahda wird alternativ auch auf die 1830er Jahre[13], ab etwa 1850[14] oder auf die erste oder zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts[15] datiert. Ebenso wie der Beginn der Nahda nicht einheitlich datierbar ist, gibt es auch unterschiedliche Ansichten über das Ende der Nahda. Eine Studie zu privaten Herausgebern in der Nahda behauptet, die meisten Darstellungen der Nahda enden mit dem Ersten Weltkrieg.[16] Der Philologie Peter E. Pormann datiert die Nahda auf die Jahre 1870–1950 und setzt damit ihr Ende noch nach Ende des Zweiten Weltkriegs an.[17] Ein Biograph des ägyptischen Intellektuellen Taha Hussein (1889–1973) „the last Nahdawi“.[18] Maha AbdelMegeed konstatierte 2024, der Beginn der Nahda werde meist auf 1798 datiert, seltener etwas locker auf in etwa die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das Ende sei umstritten und werde auf die Zeit zwischen dem Zweiten Weltkrieg und der jetzigen Zeit datiert.[19]

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Geschichte

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Die Nahda-Bewegung steht für die Rückbesinnung auf die Zeit der großen Hoffnungen. Sie kann einerseits gesehen werden als Nachwirkung des Kulturschocks, der sich nach Napoleons Invasion Ägyptens einstellte und in den Reformen folgender Herrscher wie Muhammad Ali Pascha seinen Ausdruck fand. Anderseits steht sie im Zusammenhang mit den institutionellen Tanzimat-Reformen im Osmanischen Reich unter dem ersten Gouverneur des Vilâyet Syriens, Mehmed Rashid Pasha.[20] Ihr wichtigstes politisches Produkt war die nationalistische Idee, vor allem der Panarabismus, aber auch der syrische Nationalismus, der zur Gründung der Syrischen Sozialen Nationalistischen Partei führte, die für die Gründung eines Großsyriens eintrat. Die Nahda war von Aufbruch in die Moderne wie von romantischer Verklärung der Geschichte geprägt.

Protagonisten der Nahda werden Nahdisten genannt. Die ersten Nahdisten waren ägyptische Muslime wie Rifāʿa at-Tahtāwī. Sie teilten die Überzeugung, islamische Religion und wissenschaftlicher Fortschritt seien miteinander vereinbar. Den Islam erachteten sie als tragfähige Grundlage einer modernen arabischen Gesellschaft, riefen zugleich aber zu einer Erneuerung des Islams im Sinne des Zeitgeistes auf. Die Reformer der Nahda wehrten sich zugleich gegen den Säkularismus der Moderne, standen jedoch für die Möglichkeit ein, einen demokratischen Staat auf der Basis eines weiterentwickelten Islams errichten zu können.

Die Nahdisten machten den kulturellen Schwung, den westliche Missionare auslösten, für sich fruchtbar. Sie stellten historisch-soziologische Überlegungen an zu einer Ortsbestimmung ihrer Gesellschaft und zur Klärung der Frage, warum die islamische Welt eine andere Entwicklung genommen hat als die westliche.

Die Islamreformer der Nahda um Dschamal ad-Din al-Afghani (1838–1897) und Muhammad Abduh (1849–1905) wehrten sich gegen den modernen Säkularismus der Nationalisten, aber auch gegen die Bindung an den Kulturbereich der osmanischen Tradition, die im Laufe der Jahrhunderte die Religion korrumpiert habe. Sie wollten zu einem wahren Islam bzw. zu den Quellen zurückkehren. Sie standen für eine neue, rationale Interpretation des Korans. Diese Ideen fanden viele Nachahmer, so z. B. Tāhir al-Dschazā'irī, der als „Muhammad Abduh aus Syrien“ bezeichnet wurde.

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Strömungen

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Später bildete sich ein anderes Nahda-Modell heraus, welches dazu tendierte, die Religion zugunsten einer laizistischen Orientierung, d. h. einer Trennung von Staat und Religion, auszuklammern, (so Farah Antun) bzw. ihre verbindende Kraft zu minimieren (so Dschurdschī Zaidān). Verfechter dieses zweiten Nahda-Modells waren vor allem Christen. Ein „Patron“ der christlichen Vertreter der Nahda-Bewegung war z. B. der am Syrian Protestant College in Beirut tätige Missionar Kornelius Van Dyck. Antun Sa'ada und Michel Aflaq bewirkten eine Umsetzung dieses Modells in ein politisches nationalistisches Programm. Dieses zweite Nahda-Modell setzte sich insofern durch, als sich die nach dem Ersten Weltkrieg entstandenen arabischen Länder für eine Aufgabe des Dhimma- und Millet-Systems zugunsten einer zivilrechtlichen Gleichberechtigung all ihrer Bürger entschieden. Ein jüdischer Vertreter der Nahda am Vorbild Zaidāns war der arabischsprachige Schriftsteller Jitzchak Schami[21] aus Hebron.

Die Nahda spaltete sich in eine säkulare und eine salafistische Strömung. Leitfigur der Säkularen war der ägyptische Scheich Ali Abdel-Razeq (1888–1966). Er versucht in seinem 1925 erschienenen Buch „Islam und die Grundlagen der Herrschaft“ den Säkularismus islamisch zu begründen. Leitfigur der Salafisten war der Scheich Raschīd Ridā (1865–1935). Dieser wandte sich auf der Suche nach einer Lösung für die momentane Stagnation immer stärker der islamischen Frühzeit und der „unverfälschten“ Form von Koran und Sunna zu. Gegen Ende seines Lebens vertrat er fundamentalistische Positionen und forderte die Wiedererrichtung des Kalifats. Damit stehen die Salafisten dem Wahhabismus nahe.

Rezeption

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Die Nahda als heroischer oder tragischer Moment

Peter Hill fasst den Großteil der Wahrnehmung der Nahda in zwei scheinbar gegensätzlichen Meta-Narrativen zusammen: Die Nahda werde demnach zum einen als „heroisch“ betrachtet, als Gründungsmoment der arabischen Moderne und des arabischen Nationalismus; seine Protagonisten werden als Pioniere gesehen, die eine neue Ära einläuteten nach einer langen Phase des Niedergangs unter osmanischer Herrschaft. Zum anderen werde die Nahda als „tragisch“ betrachtet, da die arabischen Intellektuellen und Eliten sich europäischen Ideen untergaben und dabei ihre eigenen arabischen und islamischen Traditionen vernachlässigten, wodurch sie – ob bewusst oder unbewusst – Teil des westlichen Projekts der Kolonialisierung der arabischen Welt geworden sein.[22]

Das heroische Narrativ sei zur Zeit von Dschurdschī Zaidān stark verbreitet gewesen und habe sich bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts gehalten. Starke Rezeption habe dieses Narrativ auch durch Schlüsseldarstellungen der Periode erhalten, etwa durch George Antonius' Buch The Arab Awakening von 1938, die Studie Islamic Society and the West von Hamilton Gibb und Harold Bowen (1950–1957) und durch Albert Houranis Arabic Thought in the Liberal Age von 1961. Dieses Narrativ erlebe seit den 1990ern ein neues Hoch, wenn auch weniger unter der Bezeichnung als Nahda, sondern als tanwīr (Aufklärung). Diese Sichtweise spiele auch in der Politik verschiedener arabischer Länder eine Rolle, einige Regierungen nutzten die Idee von tanwīr, um eine Front gegen „unaufgeklärte Islamisten“ zu schmieden. In westlichen akademischen Kreisen habe diese Sicht auf die Nahda seit den 1960ern an Popularität verloren.[23]

Das Narrativ der Nahda als einer Kapitulation vor dem europäischen Kolonialismus hatte ebenfalls bereits während des 19. und 20. Jahrhunderts Vertreter, allerdings weniger unter den Protagonisten der Nahda, als vielmehr unter ihren Kritikern. Als bedeutendster zeitgenössischer Autor, der diese Sicht vertrat, nennt Hill Raschīd Ridā (1865–1935). Innerhalb der arabischen Welt sei diese Sicht ein zentraler Gedanke des Islamismus geworden. Der ägyptische Journalist und Autor Muhammad Kischk habe in den 1960ern den Gedanken einer „intellektuellen Invasion“ durch den Westen vertreten und populär gemacht.[24]

Zweite und dritte Nahda?

Nach der Niederlage Ägyptens, Jordaniens und Syriens im Sechstagekrieg gegen Israel im Jahr 1967 sprachen einige arabische Intellektuelle wie etwa der marokkanischer Historiker Abdallah Laroui von einer „zweiten Nahda“. Elizabeth Suzanne Kassab nennt als Themen dieser zweiten Nahda radikale Kritik und Neuevalulierung der früheren Bemühungen (der ersten Nahda) um Aufklärung und Befreiung. Während es in der (ersten) Nahda um die Frage gegangen sei, warum die Muslime anderen Teilen der Welt hinterherhinkten, konstatiert Kassab als zentrale Frage: Warum blieb die Nahda ein unvollendetes Projekt?[25] Mit dem Arabischen Frühling ab Ende 2010 begann eine erneute öffentliche Diskussion arabischer Intellektueller über die historische Nahda, manche argumentierten, sie müsste wiederbelebt werden.[26]

Der libanesische Intellektuelle und Autor Elias Khoury veröffentlichte bereits 2002 angesichts der Terroranschläge des 11. Septembers 2001 einen Aufruf für eine dritte Nahda. Die erste und zweite Nahda sah er als gescheitert an.[27]

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Literatur

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Siehe auch

Einzelnachweise

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