Die Virionen (Viruspartikel) der Microviridae bestehen aus einem einfachen, ikosaedrischen Kapsid (T=1), das aus drei oder vier verschiedenen Kapsidproteinen aufgebaut sind. Die unbehüllten Kapside haben einen Durchmesser von 25 bis 27 Nanometer. Die reifen Virionen gehen aus intrazellulären Kapsidvorläufern (Prokapsiden) hervor, bei denen ein oder zwei Strukturproteine (scaffolding proteins, „Gerüst-Proteine“) durch ein grobes, vorläufiges Gerüst die Bindung der DNA und den Zusammenbau der Kapsomere ermöglichen.[5] Diese Gerüstproteine werden bei der Reifung des Kapsides wieder aus dem Verband gelöst, sobald die Hauptkapsidproteine eine ikosaedrische Anordnung eingenommen haben und das Kapsid geschlossen ist. Die Hauptkomponenten der Kapside bestehen aus einem Spike-Protein und einem Kapsidprotein (F oder Vp1), die sich zu großen fünfstrahligen (Pentamere) Kapsomeren zusammenlagern. Die 5,4nm (bei Enterobakteriophagen PhiX174) weit nach außen ragenden Spike-Proteine vermitteln die spezifische Anheftung und Aufnahme in die Bakterienzelle.
Die Kapside der Gattungen Bdellomicrovirus und Chlamydiamicrovirus zeigen eine spezifische Dichte von 1,30 bis 1,31g/cm³ in der Ultrazentrifugation mit Cäsiumchlorid, während die Vertreter der beiden anderen Gattungen alle eine signifikant höhere Dichte von etwa 1,40g/cm³ aufweisen. Die Virionen sind sehr umweltstabil bei pH-Werten zwischen 6,0 und 9,0 und können mit Detergenzien, 2-Propanol oder Chloroform nicht inaktiviert werden.
Die Microviridae besitzen als Genom ein ringförmig geschlossenes (zirkuläres), einzelsträngiges (englischsingle stranded) DNA-Molekül mit positiver Polarität. Es umfasst bei der Unterfamilie Bullavirinae zwischen 5.300 und 6.100 Nukleotide, die anderen Gattungen besitzen deutlich kleinere Genome mit 4.400 bis 4.900 Nukleotiden. Die Anordnung der vier größten offenen Leserahmen (ORF) ist innerhalb der Familie gleichförmig; sie sind meist von kurzen, nichtcodierenden Abschnitten voneinander getrennt. Zusätzlich existieren verschiedene ORFs, die mit anderen Leserastern in die großen Leserahmen eingebettet sind. Die Replikation des Genoms verläuft bei den Microviridae über eine doppelsträngige DNA-Zwischenstufe, im Detail ist die Replikation zwischen den Gattungen jedoch sehr unterschiedlich. Bei den Microviridae ist ein Horizontaler Gentransfer beschrieben, der eine größere Variabilität der Genome innerhalb der Virusfamilie hervorgebracht hat und der in wesentlich höherem Umfang als bei doppelsträngigen DNA-Bakteriophagen vorkommt.[6] Das Chromosom des Enterobakteriophagen PhiX174 war das erste DNA-Molekül, das man noch vor dem Simian-Virus 40 (SV40 bzw. MmPV1) und dem Plasmid pBR322 vollständig sequenzierte.[7]
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Biologische Bedeutung
Viren der Unterfamilie Bullavirinae infizieren Enterobakterien, zu denen auch Escherichia coli und Salmonella enterica gehören, Spezies der Gattung Bdellomicrovirus haben Bakterien der Gattung Bdellovibrio als Wirtszellen. Dieses Wirtsspektrum umfasst also bei beiden Gattungen gramnegative, aerobe Bakterien. Die beiden anderen Gattungen infizieren verschiedene Gruppen von intrazellulär sich vermehrende Bakterien: Vertreter der Gattung Clamydiamicrovirus parasitieren in Chlamydien, jene der Gattung Spiromicrovirus in der Bakteriengattung Spiroplasma aus der Klasse der zellwandlosenMollicutes (Ordnung Entomoplasmatales), die ihrerseits in Kleinsäugern und Insekten parasitieren.
Systematik
Zusammenfassung
Kontext
Die Familie Microviridae wird nach International Committee on Taxonomy of Viruses (ICTV) mit Stand Juni 2021 in zwei Unterfamilien unterteilt, wobei sich die Unterfamilie Bullavirinae (hochgestufte frühere Gattung Microvirus) von der anderen Unterfamilie Gokushovirinae in ihren Wirten und ihrer Genomorganisation deutlich unterscheidet. Viren der Unterfamilie Bullavirinae infizieren Enterobakterien, Gokushoviren infizieren dagegen intrazelluläre Parasiten. Der Name Bullavirinae kommt vom lateinischen Wort bulla (Chef, Knopf, Stift),[8] der Name Gokushovirinae leitet sich aus dem Japanischen für ‚sehr klein‘ ab (Kanji: 極小Hiragana: ごくしょうのgókushō(no) mikroskopisch, winzig, minimal).
Als mögliche dritte Unterfamilie wurde „Alpavirinae“ vorgeschlagen, deren Viren die Ordnung Bacteroidales infizieren.[9] Die Bezeichnung kommt vom Sanskrit-Wort अल्प (álpa) für klein, mini. Dies ist eine Gruppe von Viren, die bisher nur als Prophagen bekannt sind, und weitere Untersuchungen an diesen Viren sind nötig, bevor der Status als Unterfamilie vom ICTV gewährt werden kann.
Als möglich vierte Unterfamilie wurde „Pichovirinae“ vorgeschlagen.[10] Die Mitglieder dieser Gruppe haben eine Genomorganisation, die sich von den anderen in der Familie Microviridae. Der Name leitet sich vom okzitanischen Wort ‚picho‘ für ‚klein‘ ab.
Ein weiteres Virus (Microphage ΦCA82) wurde aus dem Darm von Truthühnern isoliert[11][12] und inzwischen in die Nähe von Spiroplasma virus SpV4 verortet.[13]
Die Systematik nach ICTV, ergänzt um die obigen Vorschläge und einige Kandidaten nach NCBI, ist damit wie folgt (Stand März 2024):[14][15]
Spezies „Apis mellifera associated microvirus 1“ bis „61“
Spezies „Arizlama microvirus“
Spezies „Ascunsovirus oldenburgi“
Spezies „Bacteriophage N118_L5885_C67.5“
Spezies „Bacteriophage N127_L5035_C77.3“
Spezies „Bacteriophage N88_L5317_C7.5“
Spezies „Capybara microvirus 1“
Spezies „Capybara microvirus 3“
Spezies „Capybara microvirus Cap1_SP_22“ bis „Cap1_SP_99“ (nicht alle Nummern belegt)
Spezies „Capybara microvirus Cap3_SP_188“ bis „Capybara microvirus Cap3_SP_668“ (nicht alle Nummern belegt)
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Literatur
B. Fane: Family Microviridae. In: C. M. Fauquet, M. A. Mayo etal.: Eighth Report of the International Committee on Taxonomy of Viruses. London / San Diego 2005 S.289ff, ISBN 0-12-249951-4 (englisch).