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Thomasîn von Zerclaere
Verfasser eines mittelhochdeutschen Lehrgedichts Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Thomasîn von Zerclaere (auch Zirklære, Zirklaria) (* um 1186 im Friaul; † angeblich 1238 in Aquileja) war der Verfasser des monumentalen mittelhochdeutschen Gedichtes Der wälsche Gast.

Leben und Werk
Zusammenfassung
Kontext
Er war ein gebildeter romanischsprachiger Ministeriale aus dem Geschlecht der Cerclaria und seit etwa 1206 Domherr am Hofe des deutschsprachigen Patriarchen von Aquileja, Wolfger von Erla, dem früheren Bischof von Passau und Förderer Walthers von der Vogelweide. Die genauen biographischen Daten sind jedoch ungesichert, bzw. gibt es mehrere mögliche Annahmen in der Forschung.
Laut eigenen Angaben (Vers 11709-22, 12228) verfasste er im Winter 1215–1216 in nur zehn Monaten das erste monumentale deutschsprachige Lehrgedicht des Mittelalters, Der wälsche Gast (Original: Der welhische Gast). Dieses Werk umfasst 14.750 Verse und ist in einem bairischen Mittelhochdeutsch geschrieben, mit Einfärbungen, die er möglicherweise von den zimbrischen Sprachinseln in Norditalien gelernt hat.[2] Deutsch war nicht die Muttersprache des Norditalieners Thomasîn und so entschuldigt er sich auch beim Leser für sprachliche Unzulänglichkeiten (Vers 67–74). Tatsächlich können seine Reimpaarverse mit der Eleganz und Sicherheit der gleichzeitigen höfischen Erzähldichtung nicht konkurrieren. Trotzdem war das Werk erfolgreich und fand weite Verbreitung: Es ist in 24 Handschriften und Handschriftfragmenten überliefert[3], die überwiegend mit reichen Illustrationen versehen sind. Diese dürften – ein Novum in der mittelalterlichen deutschen Literatur – bereits vom Autor zusammen mit dem Text konzipiert worden sein.
Zielpublikum des Fremdlings aus der Romania (so die Bedeutung des metaphorischen Titels der Dichtung) waren junge Adelige, die im Buch zu höfischen Tugenden ermahnt werden. Der Welsche Gast belehrt über höfische Erziehung, Bildung, Minne, praktische Ethik und ritterliche Tugenden (staete, mâze, milte, reht). Dabei verarbeitete Thomasin vielfach zeitgenössisches lateinisches Schrifttum über Ethik, Philosophie und die Artes liberales. Hof- und Zeitkritik durchziehen das ganze Werk. In diesem Kontext ist noch erwähnenswert, dass Thomasin seine Morallehre aus kosmischen Gesetzmäßigkeiten ableitet und dadurch eine Ethik kreiert, die nicht auf religiösen Wahrheiten aufbaut, sondern fest in Naturgesetzlichkeiten verankert ist. Im achten Buch nimmt Thomasin Bezug auf Walther von der Vogelweide und kritisiert dessen Angriffe auf die bestehende Ordnung und den Papst.[4]
Seine Art, bairisches Mittelhochdeutsch zu schreiben, und auch seine teilweisen Unsicherheiten dabei, sind jedoch für die historische Linguistik eine hochinteressante Quelle, da sich gerade in dieser Zeit der Kontakt des bairischsprachigen Raums mit den romanischsprachigen Gebieten südlich der Alpen intensivierte und sich das Bairische teilweise sogar in davor romanischsprachigen Tälern ausbreitete. Der Sprachwechsel dieser romanischen Bevölkerung zum Bairischen prägt die südbairischen Dialekte mit aus dem romanischen stammenden Vokabular und auch typisch romanischen lautlichen und grammatikalischen Formen bis heute. Dieser Prozess kann bei Thomasin praktisch direkt an einem Zeitzeugen analysiert werden. Die südlichen Sprachnachbarn der Baiern waren damals übrigens durchgehend die alpenromanischen Sprachen und nicht die italoromanischen Sprachen der Ebene, und zwar vom Engadin im Westen, über den Vinschgau und Trient bis ins Friaul im Osten, der Heimat Thomasins.
Die älteste überlieferte Version seines Werkes befindet sich in der Universitätsbibliothek Heidelberg unter der Signatur Cpg 389.[5]
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Werkausgaben
- F. W. von Kries (Hrsg.): Thomasin von Zerclaere. Der welsche Gast (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik. Band 425). 4 Bände. Kümmerle Verlag, Göppingen 1984–1985, ISBN 3-87452-651-8/ 652-6/ 652-4/ 654-2.
- Eva Willms: Thomasin von Zerklaere: Der welsche Gast: Text (Auswahl) – Übersetzung – Stellenkommentar. Walter de Gruyter, Berlin 2004, ISBN 3-11-017543-6, online bei Google Books.
Literatur
- Helmut Brall-Tuchel: Thomasin von Zerklaere. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 26, Duncker & Humblot, Berlin 2016, ISBN 978-3-428-11207-4, S. 186 (Digitalisat).
- Peter Schmidt u. a. (Hrsg.) Der Welsche Gast des Thomasin von Zerklaere. Neue Perspektiven auf eine alte Verhaltenslehre in Text und Bild (= Kulturelles Erbe. Materialität – Text –Edition. Band 2). Heidelberg 2022.
- Meinolf Schumacher: Über die Notwendigkeit der 'kunst' für das Menschsein bei Thomasin von Zerklaere und Heinrich dem Teichner. In: Ursula Schaefer (Hrsg.): ‚Artes‘ im Mittelalter. Akademie Verlag, Berlin 1999, S. 376–390, ISBN 3-05-003307-X, online bei MGH.
- Meinolf Schumacher: Gefangensein – waz wirret daz? Ein Theodizee-Argument des 'Welschen Gastes' im Horizont europäischer Gefängnis-Literatur von Boethius bis Vladimir Nabokov. In: Horst Wenzel, Christina Lechtermann (Hrsg.): Beweglichkeit der Bilder. Text und Imagination in den illustrierten Handschriften des ‚Welschen Gastes‘ von Thomasin von Zerclaere. Böhlau, Köln 2002, S. 238–255, ISBN 3-412-09801-9, online bei Univ. Bielefeld.
- Wu.: Thomasin von Zerclaere. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 45, Duncker & Humblot, Leipzig 1900, S. 94 f.
- Ernst Johann Friedrich Ruff: Der wälsche Gast des Thomasin von Zerklaere. Untersuchungen zu Gehalt und Bedeutung einer mittelhochdeutschen Morallehre. Palm & Enke, Erlangen 1982, ISBN 3-7896-0135-7.
- Christoph Schanze: Tugendlehre und Wissensvermittlung. Studien zum 'Welschen Gast' Thomasins von Zerklære (=Wissensliteratur im Mittelalter. Band 53). Reichert Verlag, Wiesbaden 2018, ISBN 978-3-95490-138-8.
Weblinks
Wikisource: Thomasin von Zerklaere – Quellen und Volltexte
Commons: Thomasin von Zerklaere – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikiquote: Thomasîn von Zerclaere – Zitate
- Literatur von und über Thomasîn von Zerclaere im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Bibliotheca Augustana: Der wälsche Gast (Volltext)
- Welscher Gast digital. Universitätsbibliothek Heidelberg, abgerufen am 9. Juni 2016 (Digitalisate und Transkriptionen).
- Bibliothek der gesamten deutschen National-Literatur von der ältesten bis auf die neuere Zeit. 30. Band: Der wälsche Gast. Hrsg. von Heinrich Rückert, Gottfried Basse, Quedlinburg/Leipzig 1852. books.google.com
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Einzelnachweise
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