Tunesien
Staat in Nordafrika Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Tunesien (arabisch تونس, DMG Tūnis; amtlich Tunesische Republik, arabisch الجمهورية التونسية, DMG al-ǧumhūriyya at-tūnisiyya) ist ein Staat in Nordafrika. Er besteht aus 24 Gouvernements. Tunesien hat knapp 12 Millionen Einwohner und zählt mit 78 Einwohnern pro km² zu den weniger dicht besiedelten Staaten.
Tunesien grenzt im Norden und Osten an das Mittelmeer (1146 km Küstenlinie), im Westen an Algerien und im Süd-Osten an Libyen. Sein Name ist von dem Namen seiner Hauptstadt Tunis abgeleitet. Tunesien gehört zu den Maghreb-Ländern. Die größte vorgelagerte Insel ist Djerba (514 km²). Das Land ist mit einer Fläche von 163.610 km² ungefähr doppelt so groß wie Österreich.
Das Land unterlag im Laufe seiner Geschichte dem Einfluss mehrerer Völker. Seit dem 4. Jahrtausend v. Chr. war es von den Berbern besiedelt. Um 800 v. Chr. gründeten die Phönizier erste Niederlassungen im tunesischen Küstenstreifen. Die Römer gliederten es in ihre Provinz Africa ein. Das Christentum herrschte in der Folge bis zur Arabisierung ab dem 7. Jahrhundert vor. Eine kulturelle Blütezeit erlebte die Region im 12. Jahrhundert. Im 16. Jahrhundert begann die Herrschaft des Osmanischen Reiches, die bis zum Ende des 19. Jahrhunderts andauerte, als das Land französisches Protektorat wurde. Seine Unabhängigkeit erlangte Tunesien im Jahre 1956. Von 1956 bis 2011 wurde es durchgängig autoritär von der Einheitspartei Neo Destour/RCD regiert. Im Zuge der Revolution wurde eine Verfassunggebende Versammlung gewählt, die 2014 eine neue Verfassung verabschiedete. Tunesien hatte laut dem von der Zeitschrift The Economist veröffentlichten Demokratieindex von 2014 bis 2020 den Status des einzigen demokratischen Landes in der arabischen Welt inne.[10]
Tunesien ist das nördlichste Land Afrikas und nur 140 Kilometer von Sizilien entfernt. Es erstreckt sich zwischen dem Mittelmeer und der Sahara, zwischen 37° 20′ und 30° 10′ nördlicher Breite sowie zwischen 7° 30′ und 11° 30′ östlicher Länge. Die größte Nord-Süd-Ausdehnung zwischen Ra’s al-Abyad (Cap Blanc) und der Grenzstation Bordj el Khadra beträgt rund 780 km, die größte Ost-West-Ausdehnung zwischen der Insel Djerba und Nefta etwa 380 km. Die Mittelmeerküste hat eine ungefähre Länge von 1.300 Kilometern.
Der Nordwesten Tunesiens wird vom Tell-Atlas bestimmt. Parallel zur Nordküste verlaufen von der algerischen Grenze bis zur Bucht von Bizerte die Gebirgszüge der Kroumirie (700–800 m Höhe). Daran schließt sich nordöstlich das Mogod-Bergland (300–400 m Höhe) an, das zum Beispiel am Ra’s al-Abyad in einer meist steilen Felsküste ins Mittelmeer abfällt. Auf der dem Wind abgewandten Seite des Gebirges schließt sich das Talbecken des ganzjährig wasserführenden Medjerda an, dessen Unterlauf zur wichtigsten Agrarzone des Landes gehört.
Die Bergrücken der Dorsale verlaufen von Nordost (am Westrand von Kap Bon beginnend) nach Südwest mit dem höchsten Berg Tunesiens (Djebel Chambi, 1544 m) mit einer Länge von 220 Kilometern. Die nordöstliche Verlängerung dieser Gebirgszüge bildet die Halbinsel Cap Bon mit fruchtbaren Ebenen und einigen Erhebungen (Djebel Beno Oulid, 637 m und Djebel Korbous, 419 m), die jedoch als eigenständige Landschaftsregion aufgefasst wird.
Östlich der Dorsale, entlang der Mittelmeerküste zwischen Hammamet und Skhira, Sousse und Sfax, liegt der Sahel (arabisch für Küste) genannte Küstenstreifen, der durch Regen bringende Ostwinde sehr fruchtbar ist und unter anderem große Olivenbaumkulturen ermöglicht.
Südlich der Dorsale schließt sich die Region des Zentraltunesischen Steppenlandes an, die an ihrem Südrand mit dem Nördlichen Gebirgssaum einen Übergang zur Schottsenke (Chott el Djerid und Chott el Gharsa) bildet. Die von Salzseen und Oasen geprägte Landschaft geht weiter südlich am Östlichen Großen Erg in die Wüstenlandschaft der Sahara mit dem Jebil-Nationalpark über. In südöstlicher Richtung folgt das bis zu 600 m hohe Kalksteinplateau des Djebel Dahar, das mit einem Schichtstufenland an die Wüstensteppe der Djeffara-Ebene anschließt. Diese Landschaft erstreckt sich weiter über die Landesgrenze nach Libyen.
Entlang des Mittelmeeres, um den Golf von Gabès liegt die Litoralzone, die durch sandige Flachküsten, Lagunen und vorgelagerte Inseln (beispielsweise Djerba) gekennzeichnet ist.
Die Gewässer Tunesiens befinden sich fast alle im Norden des Landes. Der wichtigste Fluss ist der Medjerda, er bekommt die meisten Niederschläge (400 mm pro Jahr) und führt 82 % der Wasservorkommen.[11] Daneben gibt es noch einige kleinere Wadis, also Flüsse, die nicht ganzjährig Wasser führen. Wichtigste Seen, Lagunen und Sabcha sind der See von Bizerte, der Ichkeul-See, der See von Tunis, die Lagune von Ghar el-Melh, die Sebkha Ariana und die Sebkha Séjoumi.
Die Landesmitte und der Süden Tunesiens sind durch Aridität und Abflusslosigkeit gekennzeichnet. Die Gewässer wie die Sebkha Sidi El Héni führen je nach Jahreszeit nur zwölf Prozent bzw. sechs Prozent der tunesische Wasserressourcen. Allerdings existieren dort große Grundwasservorkommen, was die Fläche an Oasen in den letzten dreißig Jahren von 15.000 auf 30.000 Hektar zu vergrößern erlaubt hat.[11]
Bereits während der Kolonialzeit wurde mit dem Bau von Stauseen begonnen, damals vor allem, um Tunis mit Trinkwasser zu versorgen. Nach der Unabhängigkeit wurden die Projekte weitergeführt, damals mit dem Ziel der Bewässerung in der Landwirtschaft. Seit den 1980er Jahren ist die Verstädterung für den starken Anstieg des Wasserbedarfs verantwortlich. Mittlerweile gibt es in Tunesien 21 große Staudämme, zahlreiche kleinere Stauanlagen sowie 98 Kläranlagen.[11] 80 % des Wasserverbrauchs entfiel im Jahr 2000 auf die Landwirtschaft.[11] Ab dem Jahr 2030 wird mit ernsthaftem Ressourcendefizit an Süßwasser gerechnet.
Tunesien ist in 24 Gouvernements gegliedert, deren geographische Größe ihrer Einwohnerzahl angepasst ist:
Die Gouvernement sind wiederum verwaltungstechnisch in insgesamt 264 Delegationen (ähnlich Landkreisen) untergliedert, die ihrerseits die eigentlichen Gemeinden oder, in größeren Städten, die Stadtteile, enthalten.[12]
Im Jahr 2021 lebten 70 Prozent der Einwohner Tunesiens in Städten.[13] Die 5 größten Städte sind (Stand 2017):[14]
In Tunesien stoßen mediterranes und arides Klima aufeinander. Die Niederschläge nehmen von Nord nach Süd ab und von Ost nach West leicht zu. Es lassen sich unterscheiden der winterfeucht-sommertrockene Norden, die vom wechselhaften Klima bestimmte zentraltunesische Steppenregion mit heißen Sommern, kalten Wintern und abnehmenden Niederschlägen, die vom Meer beeinflusste Mittelmeerküste mit ausgeglichenerem Klima und das Wüstenklima südlich der Schotts.
Mit zunehmender Entfernung vom Mittelmeer weicht sein ausgleichender Einfluss einem kontinentalen Klima. Die Mitteltemperaturen liegen im Januar bei 10 °C, im August bei 26 °C (Tunis). Südlich des Atlas herrscht ganzjährig trockenheißes Wüstenrandklima mit sehr unregelmäßigen Niederschlägen. Die Temperaturen erreichen hier Maximalwerte bis 45 °C, wobei es zu 10 °C Temperaturdifferenz im Schatten kommen kann. Die extremsten Unterschiede werden in der Sahara mit sommerlichen Temperaturen von 50 °C und Bodenfrösten im Winter erreicht. Unerträgliche Hitze kann der in Tunesien Chehili genannte Saharawind Schirokko bringen.
Niederschläge fallen fast nur in den Wintermonaten und werden meistens von Tiefausläufern des weiter nördlich gelegenen Westwinddrifts herangeführt. Im Sommer liegt das gesamte Land im Bereich der subtropischen Hochdruckzone, welche die Tiefdruckgebiete der Westwinddrift um das Mittelmeer herumleitet. Jedoch kann es in Ausnahmefällen auch im Sommer zu heftigen Regenfällen kommen, die vorher ausgetrocknete Wadis in reißende Ströme verwandeln. Während im Norden die jährliche Niederschlagsmenge bei 500 bis höchstens 1000 mm an der Nordküste und im Gebirge liegt und damit für einen erfolgreichen Regenfeldbau ausreicht, ist im Süden die Verdunstung stärker als die unregelmäßige Niederschlagsmenge von allenfalls 200 mm pro Jahr.
Die Auswirkungen der globalen Erwärmung sind in Tunesien deutlich spürbar. So war hier das Jahr 2020 mit einer Durchschnittstemperatur von 20,2 °C und einer positiven Anomalie von 0,9 °C nach 2016 und 2014 das drittwärmste Jahr seit 1950.[15]
Klimatabelle Tunesien
Quelle: Klima Tunesien, Wetter Tunesien |
An der Nordküste und im Atlasgebirge wächst mediterraner Laub- und Buschwald (Macchie) mit Steineiche, Korkeiche und Aleppo-Kiefer, wo neben Kleinwild auch Wildschweine Nahrung finden.[16] Zwischen 1990 und 2000 hat der Waldbestand um 0,2 % zugenommen.
Im Nationalpark Djebel Chambi leben neben dem Mähnenspringer[17] die bedrohte Cuviergazelle.[18] In den sich anschließenden südlichen Steppen und Halbwüsten lebt die Dorkasgazelle und vereinzelt auch noch wenige Exemplare der Dünengazelle. Ursprünglich kam auch die Säbelantilope in diesen Trockenzonen vor; diese wurde mittlerweile in weitläufigen, eingezäunten Bereichen im Bou-Hedma-Nationalpark wieder angesiedelt. In den Wüstengebieten kommen darüber hinaus zahlreiche kleinere Tierarten, wie etwa Heuschrecken-, Skorpion-, Schlangen- und verschiedene Vogelarten vor. Die Sumpfgebiete des Ichkeul-Nationalparks im Norden des Landes sind ein bedeutendes Vogelschutzgebiet und zählen zum UNESCO-Weltnaturerbe.[19]
Daten zur tunesischen Bevölkerung 2017 | |
---|---|
Gesamtbevölkerung | 11.134.588 |
Bevölkerungsdichte | 62,2 EW/km² |
Bevölkerungswachstum | 0,86 % |
Median-Alter (Gesamtbevölkerung) - Männer - Frauen | 32,4 Jahre 31,9 Jahre 32,7 Jahre |
Altersstruktur - 0–14 Jahre - 15–64 Jahre - ab 65 Jahre | 23 % 68,8 % 8,2 % |
Anteil der Männer an der Gesamtbevölkerung - Bei der Geburt - Unter 15 Jahren - 15–64 Jahre - ab 65 Jahre | 0,99 Männer/Frau 1,07 Männer/Frau 1,066 Männer/Frau 1,009 Männer/Frau 0,76 Männer/Frau |
Anteil der Stadtbevölkerung | 66,8 % |
Quellen: UN-Schätzungen, Prognose der Weltbevölkerung[20] Y-Achse: Einwohner in Millionen |
Tunesien überschritt im Jahr 2014 die Schwelle von elf Millionen Einwohnern. Dies bedeutete eine Verdreifachung der Bevölkerung seit 1956 und eine Verdoppelung seit 1970. Seit 1990 verlangsamte sich das Bevölkerungswachstum jedoch. Tunesien hat heute die „älteste“ Bevölkerung Afrikas (bezogen auf den Median, der bei 32,4 Jahren liegt), die niedrigste Geburtenrate in der arabischen Welt (1,9 Kinder pro Frau) und ein Bevölkerungswachstum von etwa einem Prozent.[21]
Die große Mehrheit der Tunesier identifiziert sich kulturell mit den Arabern, wenngleich Studien belegen, dass sie aus ethnischer Sicht den Berbern und auch den Iberern näher stehen, während der genetische Anteil der Araber, die die Region im 7. und 8. Jahrhundert besiedelten, geringer ausfällt.[22] Unter den Zivilisationen, die das Gebiet des heutigen Tunesiens besiedelt haben und die zu jeweils unterschiedlichen Graden assimiliert wurden, sind die Phönizier,[23] die Römer, die aus Germanien kommenden Vandalen, die Osmanen und zuletzt die Franzosen. Dazu kamen im 15. Jahrhundert zahlreiche Mauren und Juden, die aus Spanien vertrieben wurden.
Die ersten Ostaraber kamen im 7. Jahrhundert mit der muslimischen Eroberung des Maghreb. Sie islamisierten den Großteil der Ifrīqiya. In dieser Epoche entstanden neue Städte wie Kairouan und Mahdia. Ab dem 11. Jahrhundert kamen die aus Ägypten vertriebenen Banū Hilāl im heutigen Tunesien an und besiegelten die sprachliche und kulturelle Arabisierung des Landes.[24] Die berberische Sprache und Kultur ist nur in einigen geographisch isolierten Gebieten[25] in den Bergen nahe Matmata, Tataouine, Gafsa oder Sbeitla erhalten geblieben. Anders als in Marokko oder Algerien, wo die Berber eine ethnische Minderheit darstellen, ist ihre Zahl in Tunesien eher gering.[26][27]
Nur 0,5 % der Bevölkerung sind im Ausland geboren. Tunesien hat damit einen sehr niedrigen Ausländeranteil.[28]
Tunesien ist unter den Maghreb-Staaten das aus linguistischer Sicht homogenste Land,[29] weil fast die gesamte Bevölkerung Tunesisch-Arabisch spricht und auch das Schriftarabische, die Amtssprache des Landes,[30] beherrscht. Für das Tunesisch-Arabisch, das eigentlich eine Mischung mehrerer Dialekte ist,[31] gibt es keine offizielle Regulierung.[32] Es wird vor allem als Alltagssprache verwendet. Nur im Süden des Landes und auf der Insel Djerba werden noch vereinzelt berberische Dialekte benutzt.
Während der Zeit des französischen Protektorats in Tunesien wurde die französische Sprache eingeführt, zum Teil auch mit Zwang, insbesondere in den Bildungseinrichtungen. Nach der Unabhängigkeit wurde in offiziellen Institutionen die arabische Sprache wieder eingeführt. Verwaltung, Justiz und Bildungswesen blieben noch lange Zeit zweisprachig.[33] Tunesien ist dem Einfluss europäischer Sprachen auf Grund seiner geographischen Lage sowie durch Medien und Tourismus stark ausgesetzt, was Kenntnis dieser Sprachen bei den Tunesiern fördert.[34]
In den 1990er Jahren wurde das Französische aus dem öffentlichen Leben in Tunesien wieder zurückgedrängt, um einerseits den Zugang zu höherer Bildung zu vereinfachen und um das arabisch-islamische Flair im öffentlichen Raum zu beleben.[33] Seit Oktober 1999 wird von allen Geschäftstreibenden verlangt, in ihren Werbeaufschriften mindestens doppelt so viel Platz für arabische wie für lateinische Zeichen zu verwenden.[33] Die Verwaltung wurde dazu angehalten, alle Kommunikation auf Arabisch umzustellen, obwohl dies bisher nur im Verteidigungs- und Justizministerium sowie im Parlament gelungen ist.[29] Französisch wird somit zu einem Symbol des höheren Bürgertums.[33] Der Einfluss durch Touristen aus Europa führt dazu, dass neben dem Französischen Englisch als Verkehrssprache vermehrt verwendet wird.
Nach Angaben der OIF beherrschten im Jahr 2010 etwa 6 639 000 Tunesier die französische Sprache.[35]
Tunesien investierte 2015 18 % des Staatshaushaltes in das Bildungssystem und weist mit über 80 % eine hohe Alphabetisierungsrate auf. 91 % der Kinder schlossen die Primarschule ab und 71 % die Sekundarschulen. 30 % der Schulabgänger beginnen ein Studium.[36][37]
In Tunesien stieg die mittlere Schulbesuchsdauer der über 25-Jährigen von 3,4 Jahren im Jahr 1990 auf 7,1 Jahre im Jahr 2015 an.[38]
Im PISA-Ranking von 2015 erreichen Tunesiens Schüler Platz 69 von 72 Ländern in Mathematik und den jeweils 67. Platz beim Leseverständnis und den Naturwissenschaften.[39]
Der Islam ist in Tunesien Staatsreligion;[40] 98 % der Bevölkerung bekennen sich zu dieser Religion. 85 % der tunesischen Muslime gehören der malikitischen Rechtsschule der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an. Der Rest sind Hanafiten[41] und Ibaditen. Christen und Juden sind kleine Minderheiten, aber das Land war gegenüber religiösen Minderheiten tolerant.
Im Volksglauben der Tunesier finden sich noch heidnische Reste wie etwa der Glaube an den Bösen Blick. Das ganze Land ist von Qubbas übersät. Diese kleinen, meist weißen Kuppelbauten sind Pilgerorte, häufig Grabstätten von islamischen Heiligen (Marabouts), von denen geglaubt wird, dass sie Botschafter zwischen Mensch und Gott seien. Im Volksislam werden Marabouts um Hilfe gebeten, auch wenn dies vom offiziellen Sunnitentum als Abgötterei (Schirk) bezeichnet wird. Schwarzafrikanische Sklaven brachten den Stambali-Besessenheitskult mit, der sich als gesellschaftlich randständiges Phänomen auch unter arabischen Tunesiern verbreitet hat.
Das Judentum war in Tunesien einst sehr bedeutend, heute gibt es nur noch rund 1500 Juden.[40] Auf der Insel Djerba steht seit wahrscheinlich über 1000 Jahren die el-Ghriba-Synagoge (Die Erstaunliche), eine der ältesten Synagogen der Welt.[42] Jedes Jahr findet dort die größte jüdische Wallfahrt Nordafrikas statt, zu der Gläubige aus der ganzen Welt erwartet werden. Auf Djerba leben mehrheitlich muslimische Kharidjiten.
Die Verfassung der Republik Tunesien sieht die freie Ausübung des Glaubens vor, so lange diese nicht die öffentliche Ordnung stört.[40] Dieses Grundrecht wurde von der tunesischen Regierung in der Regel respektiert. Religiöse politische Parteien waren jedoch nicht zugelassen, Proselytismus und Vielehe sind verboten.[43] Das Tragen des Hidschāb war eingeschränkt und in der Verwaltung und öffentlichen Schulen nicht gestattet, dieses Verbot wurde nach dem Sturz des Ben Ali-Regimes im Frühjahr 2011 aufgehoben.[40] Islamische Feiertage (wie etwa das Islamische Opferfest, das Fest des Fastenbrechens oder der Geburtstag des Propheten Mohammed) sind in Tunesien gesetzliche Feiertage.
Für das Jahr 2007 wurde die Zahl der im Ausland lebenden Tunesier auf eine Million Personen geschätzt. Davon entfallen 84 % auf Europa, 600.000 allein auf Frankreich, 143.000 auf Italien und 80.000 auf Deutschland. In Nordamerika leben 26.000 und in den arabischen Staaten insgesamt 140.000 Tunesier, davon 80 % in Maghrebländern (überwiegend in den Nachbarstaaten Libyen und Algerien, wo sie sich als Nachbarn kulturell schnell integrieren können) und etwa 24.655 hochqualifizierte Arbeitskräfte in den Golfstaaten.[44] Die Tunesier in den europäischen Ländern besitzen in der Regel die doppelte Staatsbürgerschaft. Die meisten waren entweder im 19. Jahrhundert während des französischen Protektorats nach Europa ausgewandert oder kamen in den 1950er und 1960er Jahren als Gastarbeiter. Diese Auswanderer haben eine große Bedeutung für die tunesische Wirtschaft: Sie überweisen einerseits hohe Summen, um die daheim gebliebenen Angehörigen zu unterstützen, andererseits investieren Heimkehrer aus dem Ausland viel in heimische Wirtschaftsbetriebe.
Für das Gesundheitssystem wurden im Jahr 2008 2 % des BIP bzw. 8 % der öffentlichen Ausgaben aufgewandt. Es ist relativ gut ausgebaut, mehr als 90 % der Bevölkerung sind sozialversichert. Im Jahr 2017 praktizierten in Tunesien 13 Ärztinnen und Ärzte je 10.000 Einwohner.[46] Die Lebenserwartung der Einwohner Tunesiens ab der Geburt lag 2020 bei 76,9 Jahren[47] (Frauen: 78,9[48], Männer: 74,9[49]). Dank mehrerer Familienplanungs-Programme der Regierung liegt das Bevölkerungswachstum bei nur 1 %. Die HIV-Prävalenz war 2006 0,11 % der Bevölkerung.[50] Die Kindersterblichkeit liegt bei 11 pro 1.000 Geburten und die Müttersterblichkeit bei 43 pro 100.000 Geburten (Stand 2017).[5]
Im Jahre 2016 waren 61,6 % der erwachsenen Bevölkerung übergewichtig und 26,9 % krankhaft fettleibig.[51]
Zeitraum | Lebenserwartung in Jahren |
Zeitraum | Lebenserwartung in Jahren |
---|---|---|---|
1950–1955 | 38,8 | 1985–1990 | 67,1 |
1955–1960 | 40,7 | 1990–1995 | 70,3 |
1960–1965 | 43,7 | 1995–2000 | 72,4 |
1965–1970 | 48,3 | 2000–2005 | 73,7 |
1970–1975 | 54,1 | 2005–2010 | 74,6 |
1975–1980 | 59,4 | 2010–2015 | 75,0 |
1980–1985 | 64,3 | 2015–2020 | 76,0 |
Wer nach Tunesien reist, sollte gegen Tetanus, Diphtherie, Polio, Hepatitis A und Hepatitis B geimpft sein. Bilharziose-Erreger kommen in vielen Gewässern Tunesiens vor.
Erste Spuren von nomadisch lebenden Jägern und Sammlern aus der Altsteinzeit wurden in der 20 km östlich von Gafsa gelegenen Oase El Guettar gefunden.[53]
Auf das Ibéromaurusien, eine an der nordafrikanischen Küste verbreitete Kultur, folgte das Capsien. Von dieser Kultur wurden 15.000 Jahre alte Skelette und Werkzeuge gefunden, die darauf hinweisen, dass die Capsien-Menschen neben Steinwerkzeugen auch Nadeln aus Knochen zum Nähen von Kleidung aus Tierhäuten herstellten.
Während der Jungsteinzeit formte sich die Sahara mit ihrem heutigen Klima. Diese Epoche ist gekennzeichnet von der Einwanderung der Berber. Es entstanden erste Kontakte mit den Phöniziern in Tyros, die gegen Ende der Jungsteinzeit begannen, das heutige Tunesien zu besiedeln und später das Karthagische Reich gründeten.
Das heutige Tunesien erlebte zu Beginn der geschichtlichen Aufzeichnungen die Gründung von Handelsniederlassungen durch Siedler aus dem östlichen Mittelmeer. Gemäß der Legende war die erste dieser Niederlassungen Utica im Jahr 1101 v. Chr. Im Jahr 814 v. Chr. gründeten aus Tyros kommende phönizische Siedler die Stadt Karthago. Nach der Legende war es die Königin Élyssa, die Schwester des Königs von Tyr, Pygmalion, welche die Stadt gründete.
Karthago wurde innerhalb von 150 Jahren zur größten Macht des westlichen Mittelmeeres. Die Einflussnahme geschah teils durch Kolonisierung, größtenteils jedoch durch Handelsniederlassungen und Verträge. Diese Macht und das hohe landwirtschaftliche Potential des karthagischen Mutterlandes führten dazu, dass das Interesse des jungen, erstarkenden Römischen Reiches geweckt wurde und es kam zur Konfrontation, die in den drei Punischen Kriegen gipfelte. Karthago konnte mit seinen unter anderen von Hannibal geführten Truppen während des Zweiten Punischen Krieges (218–201 v. Chr.) das Römische Reich mehrmals an den Rand einer Niederlage bringen. Am Ende des Dritten Punischen Krieges (149–146 v. Chr.) wurde die Stadt Karthago drei Jahre belagert und letzten Endes zerstört. Das Gebiet des heutigen Tunesien wurde Teil der römischen Provinz Africa mit Hauptstadt Utica. Im Jahr 44 v. Chr. beschloss Caesar, eine Colonia in Karthago zu gründen, was jedoch von Augustus erst mehrere Jahrzehnte später verwirklicht wurde, und im Jahr 14 wurde Karthago Hauptstadt von Africa.
Africa wurde, neben Ägypten, zu einem der bedeutendsten Lieferanten landwirtschaftlicher Produkte Roms, vor allem lieferte Africa Getreide und Olivenöl. Es entstand ein dichtes Netz an römischen Siedlungen, deren Ruinen bis heute noch zu sehen sind, etwa Dougga (römisch Thugga), Sbeitla (Sufetula), Bulla Regia, El Djem (Thysdrus) oder Thuburbo Majus. Africa war, zusammen mit Numidien, für sechs Jahrhunderte lang eine sehr wohlhabende Provinz, wo etwa die Mosaikkunst blühte. Dank seiner Rolle als Knotenpunkt der Antike siedelten sich in der Folge auch Juden und die ersten Christen im heutigen Tunesien an.
Das Christentum breitete sich schnell aus, vor allem durch die Ankunft von Siedlern, Händlern und Soldaten. Bekanntheit erlangte Karthago diesbezüglich, dass hier der einflussreiche christliche Apologet Tertullian lebte und wirkte, so dass Nordafrika sich in der nächsten Zeit zu einem von mehreren Zentren des Christentums entwickelte. Die heidnische Bevölkerung widersetzte sich zunächst dem neuen Kult, später wurde die Christianisierung auch mit Gewalt durchgesetzt. Ab 400 durchdrang das Christentum durch die Aktivitäten von Augustinus von Hippo und seiner Bischöfe sämtliche Gesellschaftsschichten, indem sie die städtische Aristokratie und die Landbesitzer auf ihre Seite brachten. Krisen wie etwa das donatistische Kirchenschisma, das mit dem Konzil von Karthago abgewendet wurde, überwand das Christentum dank der guten wirtschaftlichen und sozialen Lage schnell. Davon zeugen Ruinen von Bauwerken wie die Basilika von Karthago oder die zahlreichen Kirchen, die auf heidnischen Tempeln (wie etwa in Sufetula) erbaut wurden.
Am 19. Oktober 439 eroberten die Vandalen und Alanen Karthago und errichteten ein Königreich, das ein Jahrhundert dauerte. Die Vandalen gehörten dem Arianismus an, einer Glaubensrichtung, die auf dem Ersten Konzil von Nicäa zur Häresie erklärt worden war. Sie forderten von der zumeist katholischen Bevölkerung die Treue zu ihrem Glauben und antworteten auf deren Weigerung mit Gewalt. Besitztümer der katholischen Kirche wurden beschlagnahmt. Die Kultur der ansässigen Bevölkerung blieb aber unangetastet und auch das Christentum florierte, soweit es die neuen Herrscher tolerierten. Das Vandalenreich ging nach der verlorenen Schlacht bei Tricamarum unter, bei der die Vandalen unter König Gelimer gegen die oströmischen Truppen von Belisar unterlagen. Kaiser Justinian I. machte aus Karthago eine Diözese und 590 das Exarchat von Karthago, das gegenüber der kaiserlichen Zentralmacht hohe zivile und militärische Autonomie besaß. Heiden, Juden und Häretiker wurden bald darauf aber von der byzantinischen Zentralgewalt, die das Christentum zur Staatsreligion erheben wollte, verfolgt.
Die ersten arabischen Vorstöße auf das heutige Tunesien begannen im Jahre 647. 661 wurde in einer zweiten Offensive Bizerte erobert; die Entscheidung fiel nach der dritten, 670 von Uqba ibn Nafi angeführten Offensive und der Gründung von Kairouan, die später Ausgangspunkt für die arabischen Expeditionen auf den nördlichen und westlichen Maghreb wurden. Der Tod von Uqba ibn Nafi 693 führte nur zu einem vorübergehenden Stillstand der arabischen Eroberung; 695 nahm der Ghassaniden-General Hassan Ibn Numan Karthago ein. Die Byzantiner, deren Seestreitkräfte den Arabern überlegen waren, griffen 696 Karthago an und nahmen es ein, während 697 die Berber unter Kāhina die Araber in einer Schlacht besiegten. 698 jedoch eroberten die Araber Karthago erneut und besiegten auch Kāhina.
Anders als vorherige Eroberer gaben sich die Araber nicht damit zufrieden, nur die Küstengebiete zu okkupieren, sondern machten sich auch an die Eroberung des Landesinneren. Nach einigem Widerstand konvertierten die meisten Berber zum Islam, vor allem durch die Aufnahme in die Streitkräfte der Araber. In den neugebauten Ribāts wurden religiöse Schulen eingerichtet. Gleichzeitig jedoch schlossen sich zahlreiche Berber der Glaubensrichtung der Charidschiten an, die die Gleichheit aller Muslime unabhängig von ihrer Rassen- oder Klassenzugehörigkeit verkündigte. Das heutige Tunesien blieb eine Provinz der Umayyaden, bis es 750 an die Abbasiden fiel. Zwischen 767 und 776 wurde das gesamte Territorium Tunesiens von den berberischen Charidschiten unter Abu Qurra beherrscht, die sich später in ihr Königreich Tlemcen zurückziehen mussten.
Im Jahre 800 übergab der Abbasidenkalif Hārūn ar-Raschīd seine Macht über Ifrīqiya dem Emir Ibrahim ibn al-Aghlab und übertrug ihm auch das Recht, seine Funktion zu vererben. Somit wurde die Aghlabiden-Dynastie gegründet, die ein Jahrhundert lang den mittleren und östlichen Maghreb beherrschte. Das heutige Tunesien wurde zu einem bedeutenden Kulturraum mit der Stadt Kairouan und seiner Großen Moschee im Mittelpunkt. Tunis wurde bis zum Jahr 909 die Hauptstadt des Emirates.[54]
Das Aghlabiden-Emirat verschwand innerhalb von 15 Jahren (893–909) durch die Aktivitäten des proselytischen Ismailiten Abū ʿAbdallāh asch-Schīʿī, unterstützt durch eine fanatisierte Armee, die sich aus dem berberischen Kutāma-Stamm rekrutierte.[55] Im Dezember 909 rief sich Abdallah al-Mahdi zum Kalifen aus und gründete damit die Fatimiden-Dynastie. Gleichzeitig erklärte er die sunnitischen Umayyaden und die Abbasiden zu Usurpatoren. Der Fatimidenstaat breitete seinen Einfluss auf ganz Nordafrika aus, indem er die Karawansereien und damit die Handelswege mit Subsahara-Afrika unter seine Kontrolle brachte. Eine letzte große Revolte des charidschitischen Banu-Ifran-Stammes unter Abū Yazīd konnte niedergeschlagen werden. Der dritte Fatimidenkalif Ismail al-Mansur verlegte die Hauptstadt nach Kairouan und eroberte 948 Sizilien. 972, drei Jahre nachdem die Region vollständig erobert war, verlegte die Fatimiden-Dynastie ihre Basis in östliche Richtung. Kalif al-Muʿizz legte die Herrschaft über Ifriqiya in die Hände von Buluggin ibn Ziri, der die Ziriden-Dynastie gründete. Die Ziriden erlangten schrittweise die Unabhängigkeit vom Fatimiden-Kalifen, was mit einem kompletten Bruch mit den Fatimiden endete. Diese rächten sich für den Verrat damit, dass sie Beduinenstämme (die Banū Hilāl und Banū Sulaim) aus Ägypten mit Eigentumstiteln auf Land in Ifriqiya ausstatteten und gegen die Ziriden ziehen ließen. Kairouan wurde in der Folge nach fünfjährigem Widerstand erobert und geplündert. 1057 flohen die Ziriden nach Mahdia, während die Eroberer in Richtung des heutigen Algerien weiterzogen. Die Ziriden versuchten danach erfolglos, das inzwischen von den Normannen besetzte Sizilien zurückzuerobern, und 90 Jahre lang versuchten sie, Teile ihres früheren Territoriums zurückzugewinnen. Sie verlegten sich auf Piraterie, um sich am Seehandel zu bereichern.
Diese Migration war das entscheidende Ereignis in der Geschichte des mittelalterlichen Maghreb. Sie hat das traditionelle Gleichgewicht zwischen nomadischen und sesshaften Berbern zerstört und zu einer Bevölkerungsdurchmischung geführt. Das Arabische, das bis dahin nur von den städtischen Eliten und am Hof gesprochen wurde, begann, die berberischen Dialekte zu beeinflussen.
Ab dem ersten Drittel des 12. Jahrhunderts war Tunesien häufigen Angriffen der Normannen aus Sizilien und Süditalien ausgesetzt. Das Territorium von Ifriqiya wurde gleichzeitig (1159) vom Almohaden-Sultan Abd al-Mu’min von Westen aus erobert. Wirtschaft und Handel blühten auf; Handelsbeziehungen wurden mit den wichtigsten Städten am Mittelmeer aufgenommen. Der wirtschaftliche Aufschwung bewirkte, dass das almohadische Jahrhundert als goldenes Zeitalter des Maghreb in die Geschichte einging, als sich große Städte mit prächtigen Moscheen entwickelten und Wissenschaftler wie Ibn Chaldūn arbeiteten.
Die Almohaden legten die Verwaltung des heutigen tunesischen Gebiets in die Hände von Abu Muhammad Abdalwahid, doch bereits sein Sohn Abu Zakariya Yahya I. löste sich 1228 ab und gründete die Dynastie der Hafsiden. Zwischen 1236 und 1574 regierte somit die erste tunesische Dynastie. Die Hauptstadt wurde nach Tunis verlegt, das sich dank des Seehandels schnell entwickelte.
Ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts verloren die Hafsiden langsam die Kontrolle über ihr Territorium und gerieten, speziell nach der verlorenen Schlacht von Kairouan (1348) unter den Einfluss der Meriniden des Abū ʿInān Fāris. Die Pest von 1384 traf Ifriqiya mit voller Wucht und trug zum Bevölkerungsschwund seit den Invasionen durch die Banū Hilāl bei. Gleichzeitig begannen Mauren und Juden aus Andalusien einzuwandern. Die Spanier unter Ferdinand II. und Isabella I. eroberten die Städte Mers-el-Kébir, Oran, Bejaia, Tripolis und die Algier vorgelagerte Insel. Die Hafsidenherrscher sahen sich genötigt, die Hilfe der Korsarenbrüder Khair ad-Din Barbarossa und Arudsch in Anspru