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Deutschland in den Jahren 1918/1919 bis 1933 Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Als Weimarer Republik (zeitgenössisch auch Deutsche Republik) wird der Abschnitt der deutschen Geschichte von 1918 bis 1933 bezeichnet, in dem erstmals eine parlamentarische Demokratie im Deutschen Reich bestand. Diese Epoche löste die konstitutionelle Monarchie der Kaiserzeit ab und begann mit der Ausrufung der Republik am 9. November 1918. Sie endete de facto mit der Machtergreifung der NSDAP infolge der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933. In neun Wochen wurden die demokratischen Strukturen durch Verordnungen des Reichspräsidenten vom 4. Februar und 28. Februar sowie mit Inkrafttreten des Ermächtigungsgesetzes am 24. März 1933 beseitigt. Es folgte der NS-Staat.
Die Weimarer Republik entstand im Zuge der Novemberrevolution. Diese Bezeichnung der ersten auf nationalstaatlicher Ebene verwirklichten deutschen Republik ist auf den ersten Tagungsort der Verfassunggebenden Nationalversammlung, die Stadt Weimar, zurückzuführen. Der amtliche Staatsname Deutsches Reich wurde jedoch beibehalten.
Nachdem zunächst der Rat der Volksbeauftragten die Regierungsgewalt ausgeübt hatte, wurde auf Beschluss des Reichsrätekongresses am 19. Januar 1919 die Wahl zur Deutschen Nationalversammlung abgehalten. Am 11. Februar wählte die Nationalversammlung Friedrich Ebert zum Reichspräsidenten, der am 13. Februar das Kabinett Scheidemann ernannte. Die Weimarer Reichsverfassung trat am 14. August 1919 in Kraft. Sie konstituierte das Deutsche Reich als föderative Republik. Staatsoberhaupt war der für eine Amtszeit von sieben Jahren direkt vom Volk gewählte Reichspräsident, der als Teil der Exekutive über weitreichende Befugnisse verfügte. Die Regierung führte der vom Reichspräsidenten zu ernennende und zu entlassende Reichskanzler, der dem Deutschen Reichstag gegenüber verantwortlich war. Als Volksvertretung mit umfassenden Gesetzgebungs-, Budget- und Kontrollrechten wurde der Reichstag für eine Legislaturperiode von vier Jahren nach dem Verhältniswahlrecht gewählt. Die Länder vertrat der Reichsrat. Die Parlamente auf Landesebene nannten sich Landtage, im Januar 1919 bildete sich der erste im Freistaat Mecklenburg-Strelitz.
Die Geschichte der Weimarer Republik lässt sich nach der Gründungsphase in drei Abschnitte gliedern. In den Krisenjahren von 1919 bis 1923 hatte die Republik mit den unmittelbaren Kriegsfolgen, einer Hyperinflation sowie zahlreichen Umsturzversuchen und politischen Morden zu kämpfen. In den Jahren von 1924 bis 1929 erlebte sie eine Zeit relativer Stabilität, wirtschaftlicher Erholung sowie außenpolitischer Anerkennung und Wertschätzung. Die Weltwirtschaftskrise ab Ende 1929, die Präsidialkabinette nach dem Bruch der Großen Koalition am 27. März 1930 und der Aufstieg der Nationalsozialisten mündeten schließlich in ihren Untergang.
Kulturell war die Weimarer Republik geprägt durch den ersten Durchbruch der Massenkultur in Deutschland (Rundfunk, Kino, Unterhaltungsmusik usw.) sowie von avantgardistischen Strömungen in den Künsten, die zum Teil bereits in der Vorkriegszeit angelegt waren.
Die Republik hatte mehrere Strukturprobleme aus der Kaiserzeit geerbt, so die Wirtschafts- und Sozialordnung sowie die konfessionell geprägte Schulpolitik. Dazu kamen Phänomene, die das Scheitern der Weimarer Demokratie direkt beeinflussten:
Die Weimarer Verfassung galt zu ihrer Zeit als eine der fortschrittlichsten überhaupt. Sie war nach der Märzrevolution von 1848 der zweite – und erste erfolgreiche – Versuch, eine liberale Demokratie in Deutschland zu etablieren. Die schon unter Zeitgenossen verbreitete These, der Staat von Weimar sei eine „Demokratie ohne Demokraten“ gewesen, ist nur bedingt richtig, weist aber auf ein wesentliches Problem hin: Es gab keinen tragfähigen Verfassungskonsens, der alle Teile des politischen Spektrums von rechts bis links eingebunden hätte. Nach dem Tod des ersten Reichspräsidenten, des SPD-Politikers Friedrich Ebert, wurde 1925 mit Paul von Hindenburg ein konservativer Nachfolger gewählt, der der republikanischen Staatsform betont kritisch gegenüberstand.
Die meisten politischen Parteien zur Zeit der Weimarer Republik hatten ihre ideologische Ausrichtung von ihren unmittelbaren Vorgängern im Kaiserreich übernommen und vertraten weitgehend die Interessen ihrer jeweiligen Klientel. Die Aufteilung nach Interessengruppen und Sozialmilieus wie Arbeiterbewegung oder Katholiken wurde als Partikularismus gescholten. Im Reichstag, dem Parlament, waren zeitweise bis zu 17 und selten weniger als 11 verschiedene Parteien vertreten. In 14 Jahren gab es 20 Kabinettswechsel. Elf Minderheitskabinette waren von der Duldung durch Parteien abhängig, die nicht zur Regierungskoalition gehörten.
Die relative Stabilisierung der Weimarer Republik nach dem Ende der Großen Inflation endete mit den wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen, die dem Schwarzen Donnerstag der New Yorker Börse 1929 gerade in Deutschland folgten. Der Abzug von kurzfristigen Krediten amerikanischer Investoren, die einen zwischenzeitlichen Aufschwung gespeist hatten, trug zu der einsetzenden Wirtschaftsdepression wesentlich bei: stockender Warenabsatz, rückläufige Produktion, Massenentlassungen und -arbeitslosigkeit samt schwindender Kaufkraft bewirkten eine Abwärtsspirale ungekannten Ausmaßes, der die im Aufbau befindlichen sozialen Sicherungssysteme nicht gewachsen waren.
Da es seit März 1930 keine von der Reichstagsmehrheit getragene Regierung mehr gab, regierten Reichspräsident Hindenburg und die von ihm ernannten Reichskanzler von da an vor allem mit Hilfe von Notverordnungen. Die Reichstagswahlen 1930 zeitigten den Aufstieg der rechtsradikalen NSDAP zu einer bedeutenden Kraft im Weimarer Parteienspektrum. Seit dem Sommer 1932 verfügten die republik- und demokratiefeindlichen Parteien, neben der NSDAP die rechtskonservative Deutschnationale Volkspartei (DNVP) und die linksradikale Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), zusammen über eine negative Mehrheit im Reichstag. Mit der DNVP und anderen rechtskonservativen Kräften bildete sich um Adolf Hitler als Parteiführer der Nationalsozialisten Anfang 1933 eine neue, zur Macht drängende Kräftekonstellation. Am 30. Januar zum Reichskanzler ernannt, gelang es Hitler in kurzer Zeit, die demokratischen, rechtsstaatlichen und föderalen Strukturen der Republik zu zerstören und seine Diktatur durchzusetzen.
Obwohl die Nationalversammlung den alten Namen Deutsches Reich als offiziellen Staatsnamen beibehielt (Art. 1 der Weimarer Verfassung), verwendete ihn kaum jemand. Er wurde von der deutschen Rechten abgelehnt, da man keinen Sinn sah, den Namen Reich, der mit der Monarchie verbunden war, zur Bezeichnung einer demokratischen Republik zu verwenden. Die katholische Deutsche Zentrumspartei bevorzugte den Begriff Deutscher Volksstaat, während auf der gemäßigten Linken die Sozialdemokratische Partei Deutschlands die Deutsche Republik bevorzugte. Mitte der 1920er Jahre bezeichneten die meisten Deutschen ihren Staat inoffiziell als Deutsche Republik, aber für viele, insbesondere für die Rechten, war das Wort Republik ein Symbol der nationalen Demütigung und ihrer Meinung nach die Schaffung einer von fremden Mächten auferlegten Staatsstruktur.[2]
Zeitgenössische Befürworter und Gegner der Republik sprachen vor allem von der Deutschen Republik. Die beiden sozialdemokratischen Parteien USPD und MSPD wollten in der Nationalversammlung 1919 diese Bezeichnung auch als Staatsnamen durchsetzen, weil sie den staatlichen Neuanfang betonen wollten. Das Wort Reich sollte wegen des darin mitschwingenden imperialen Anspruchs vermieden werden. Die liberalen Parteien, auch der Verfassungsrechtler Hugo Preuß, wollten dagegen die Tradition des Staatsnamens Deutsches Reich beibehalten. Dem stimmten die Vertreter des Zentrums und die Deutschnationalen zu. Später allerdings vertraten Teile der Rechten die Auffassung, die Republik habe den alten Namen nicht verdient. Der erste Verfassungsartikel Das Deutsche Reich ist eine Republik war also ein Kompromiss.
Die Verbindung mit dem Stadtnamen Weimar wurde zunächst nur im Zusammenhang mit der Verfassung verwendet; erst 1929, zu deren zehnjährigem Jubiläum, sprachen rückwärtsgewandte Konservative, der Nationalsozialist Hitler und auch das Organ der Kommunisten von der Weimarer Republik. 1932 tauchte dieser Ausdruck aber auch in der republiktreuen Vossischen Zeitung auf.
Frühe Rückschauen auf die Republik verwendeten den Begriff ebenfalls selten. Arthur Rosenbergs Werk von 1935 hieß Geschichte der deutschen Republik. Spätere Neuausgaben dieses und anderer Bücher nutzten die Bezeichnung „Weimarer Republik“ im Titel oder im Untertitel. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sie sich in Publizistik und historischer Forschung allgemein durch. 1946 erschien das erste Werk mit dem Titel Weimarer Republik. Nach Gründung der Bundesrepublik wurde diese in analoger Anlehnung an den Ort der Verfassungsgebung vielfach als Bonner Republik, mitunter auch als „Zweite Republik“, im Gegensatz zur „Ersten Republik“ von Weimar, bezeichnet. Heute dienen die Begriffe Weimarer Republik, Bonner Republik und Berliner Republik der Unterscheidung zwischen den drei demokratischen Geschichtsepochen Deutschlands.[3]
Die gesellschaftspolitischen Entwicklungen, die zur Entstehung der Weimarer Republik führten, wurden wesentlich von den am Ende des Ersten Weltkriegs in Deutschland eingetretenen innen- und außenpolitischen Konstellationen und Kräfteverhältnissen bestimmt. Bedeutsame Wirkungsfaktoren dabei waren
Dass der Reichskanzler künftig des Vertrauens der Reichstagsmehrheit bedurfte, war nicht nur als verfassungsstrukturelle Neuerung bedeutsam, sondern spiegelte in der gegebenen Lage auch unterschiedliche Motive: Man hoffte, indem man sich den von US-Präsident Woodrow Wilson formulierten Forderungen annäherte, auf mildere Friedensbedingungen. Der OHL aber ging es darum, die Verantwortung für einen gewiss schwierigen Friedensschluss auf die Volksvertreter abzuwälzen. Als die amerikanische Antwort auf das deutsche Waffenstillstandsbegehren im Kern auf die militärische Kapitulation des Deutschen Reiches und auf die Abdankung des Kaisers zielte, vollzog die OHL eine Kehrtwende und befahl den Truppen weiterzukämpfen. Auslösendes Moment der nachfolgenden Novemberrevolution war der Befehl der Seekriegsleitung vom 30. Oktober, die Hochseeflotte auslaufen zu lassen, der zwar die Zustimmung Kaiser Wilhelms II. hatte, nicht aber die des Reichskanzlers Prinz Max von Baden. Heinrich August Winkler vermutet, dass es der Seekriegsleitung darum ging, „die Machtverschiebung im Innern rückgängig zu machen und dem Militär wieder zu jener beherrschenden Stellung zu verhelfen, auf die es einen historischen Anspruch zu haben meinte“.[4]
Die Befehlsverweigerung und Erhebung der Marinesoldaten in Wilhelmshaven und Kiel gegen die sinnlos erscheinende Selbstaufopferung wurde für ganz Deutschland zu einem Revolutionssignal. Von Norddeutschland ausgehend, wurden vor allem in den Städten Arbeiter- und Soldatenräte gebildet, die der bisherigen Reichsstaatsgewalt als neue örtliche Machtorgane gegenübertraten. Bis Ende November 1918 hatten alle 22 Monarchen im Deutschen Reich förmlich abgedankt oder sich abgesetzt. In Bayern wurde unter Führung Kurt Eisners bereits am 7. November der Freistaat ausgerufen und eine Räterepublik gegründet. Tragende politische Kräfte der spontanen Rätebewegung waren hauptsächlich die Mitglieder und Anhänger der sozialdemokratischen Parteien MSPD und USPD. Sie erwiesen sich zu lokaler Selbstorganisation fähig, traten mit Forderungen nach Beendigung des Krieges und des Obrigkeitsstaats sowie nach Humanisierung der militärischen Disziplin auf und etablierten sich als Ordnungsfaktor neben und anstelle der nicht mehr ausreichend legitimierten und auseinanderbrechenden staatlichen Macht.[5]
In Berlin überschlugen sich am 9. November 1918 die Ereignisse. Zunächst gab Max von Baden die Abdankung Wilhelms II. bekannt, ohne dass er dazu autorisiert war – ob es sich um eine Eigenmächtigkeit des Kanzlers handelte[6] oder ob ihm Generalquartiermeister Wilhelm Groener vorgegaukelt hatte, das wäre der Wille des Kaisers,[7] ist umstritten. Dann übertrug Prinz Max sein Reichskanzleramt dem MSPD-Vorsitzenden Friedrich Ebert – ein Vorgang, der in der Verfassung so gar nicht vorgesehen war. Am selben Tag rief Eberts Parteifreund Philipp Scheidemann vom Balkon des Reichstags die „deutsche Republik“ auf parlamentarisch-demokratischer Linie aus; etwa gleichzeitig proklamierte der Sprecher des Spartakusbundes und spätere Mitgründer der KPD, Karl Liebknecht, im Berliner Tiergarten und etwa zwei Stunden später nochmals vom Balkon des Berliner Stadtschlosses die „freie sozialistische Republik“.
Um das Revolutionsgeschehen im Sinne der eigenen Ziele unter Kontrolle zu behalten, bot die MSPD der USPD die paritätische Beteiligung in einer provisorischen Revolutionsregierung an, dem Rat der Volksbeauftragten. Ebert hatte darin den Vorsitz und verständigte sich mit Generalquartiermeister Groener über die wechselseitige Unterstützung zur Wiederherstellung geordneter Verhältnisse. Seine vorläufige Legitimation erhielt der Rat der Volksbeauftragten durch den ebenfalls eilends konstituierten Vollzugsrat des Arbeiter- und Soldatenrates Groß-Berlin. Die Grundsatzentscheidung über das künftige politische System in ganz Deutschland fiel auf dem Reichsrätekongress im Dezember 1918, der jeweils mit großer Mehrheit zum einen den Antrag ablehnte, am Rätesystem festzuhalten (also den Arbeiter- und Soldatenräten die höchste gesetzgebende und vollziehende Gewalt einzuräumen), und zweitens stattdessen für den 19. Januar 1919 Wahlen zu einer verfassunggebenden Nationalversammlung anberaumte.
Zwar hatte man die Organisationsform der Arbeiter- und Soldatenräte aus der Russischen Revolution 1917 übernommen; die Errichtung der bolschewistischen Diktatur und der daraus entstandene Russische Bürgerkrieg aber stellten für die deutschen Sozialdemokraten ganz überwiegend ein abschreckendes Beispiel dar.[8] Der insbesondere im Spartakusaufstand mobilisierte straßenkämpferische Widerstand gegen die Politik des Rats der Volksbeauftragten wurde im Januar 1919 mit Hilfe von Freikorpstruppen niedergeschlagen, die politischen Köpfe der Erhebung, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, wurden am 15. Januar 1919 ermordet.
Dass die Verfassunggebende Deutsche Nationalversammlung in Weimar zusammentrat, war auf die anhaltend unruhige Lage in Berlin zurückzuführen; doch warb Ebert für diesen Tagungsort auch mit der Begründung, es werde wohl in der ganzen Welt als angenehm empfunden, „wenn man den Geist von Weimar mit dem Aufbau des neuen Deutschen Reiches verbindet“.[9] Zudem sollte mit der Ortswahl separatistischen Tendenzen und einer gegen Preußen und Berlin gerichteten Antipathie in Süddeutschland entgegengewirkt werden.[10] Die Aufgaben der Weimarer Nationalversammlung gingen von Anbeginn über die Rolle des Verfassungsgebers vielfältig hinaus, denn sie hatte zusätzlich alle Aufgaben eines Parlaments zu erfüllen. Dazu gehörten bereits im Februar 1919 die Wahl des Reichspräsidenten Friedrich Ebert und die Regierungsbildung. Hierbei konnte an die Reichstagskonstellationen noch zu Zeiten der Oktoberreform 1918 angeknüpft werden, da die Wahlen zur Nationalversammlung den Parteien MSPD, DDP und Zentrum, die nun die Weimarer Koalition bildeten, mit 329 von insgesamt 421 Abgeordneten zunächst eine äußerst komfortable Mehrheit verschafften. Auf dieser Basis wurde Philipp Scheidemann erster Regierungschef der Weimarer Republik.
Scheidemann selbst aber stellte diese Mehrheit auf eine harte Probe, als er sich im Mai und Juni 1919 kategorisch gegen die Unterzeichnung des Versailler Vertrags aussprach: „Welche Hand müsste nicht verdorren, die sich und uns in diese Fessel legt?“[11] Als sich abzeichnete, dass unter dem Druck des Ultimatums der Siegermächte eine Mehrheit auch der sozialdemokratischen Abgeordneten für die Vertragsannahme votieren würde, trat er zurück. Sein Nachfolger wurde Gustav Bauer. Der Versailler Vertrag wurde in der Nationalversammlung am 22. Juni 1919 mit 237 gegen 138 Stimmen bei 6 Enthaltungen angenommen. Mit der Schlussabstimmung über die Annahme der Verfassung am 31. Juli 1919 und ihrem Inkrafttreten am 14. August endete die Gründungsphase der Weimarer Republik. Nach bis zuletzt schwierigen Verhandlungen und Kompromissen hatten sich 265 Abgeordnete für die Weimarer Verfassung ausgesprochen und 75 dagegen; 86 Mitglieder der Nationalversammlung blieben der Abstimmung fern, überwiegend aus den Reihen der Weimarer Koalition.[12]
Von Anfang an war die junge Republik den Angriffen der extremen Rechten und Linken ausgesetzt, die immer auch gewaltsam ausgeführt wurden. „Am Anfang war Gewalt“ nennt der irische Historiker Mark Jones seine Studie über die Anfangsjahre der Republik.[13] Der Historiker Hagen Schulze beschreibt die Auseinandersetzungen der Jahre von 1918 bis 1920 als „offene[n] Bürgerkrieg, […] eine totale innenpolitische Konfrontation, wie sie die deutsche Geschichte bis dahin nicht gekannt hatte“.[14]
Die Linke warf den Sozialdemokraten wegen ihres Zusammengehens mit den alten Eliten Verrat an den Idealen der Arbeiterbewegung vor; die Rechte machte die Anhänger der Republik für die Niederlage im Ersten Weltkrieg verantwortlich, verunglimpfte sie als „Novemberverbrecher“ und unterstellte ihnen, sie hätten das im Felde unbesiegte deutsche Heer mit der Revolution von hinten erdolcht (→ Dolchstoßlegende).
Der Kapp-Putsch vom März 1920 stellte die Republik auf eine erste Bewährungsprobe. Freikorps, deren Auflösung der Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) gemäß Versailler Vertrag angeordnet hatte, besetzten unter der Führung von General von Lüttwitz das Berliner Regierungsviertel und erklärten den ostpreußischen Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp zum Reichskanzler. Die legale Regierung zog sich zunächst nach Dresden und anschließend nach Stuttgart zurück und rief von dort aus zum Generalstreik gegen die Putschisten auf. Der Putsch scheiterte rasch, nicht zuletzt an der Weigerung der Ministerialbürokratie, den Anordnungen Kapps Folge zu leisten. Die Reichswehr hingegen hatte sich als unzuverlässig erwiesen und abwartend verhalten gemäß der vom Chef des Truppenamtes Hans von Seeckt vertretenen Devise, dass Reichswehr nicht auf Reichswehr bzw. Truppe nicht auf Truppe schieße.[15]
Teile der Arbeiterschaft beließen es im Zuge des Kapp-Putsches nicht bei passivem Widerstand, sondern bewaffneten sich gegen die Putschisten. Speziell im Ruhrgebiet, wo die Unzufriedenheit über ausgebliebene Sozialisierungsmaßnahmen besonders hoch war, bildeten sich erneut Räte, die eine lokale Machtübernahme anstrebten. Im sogenannten Ruhraufstand kam es zu bürgerkriegsähnlichen Kämpfen zwischen der „Roten Ruhrarmee“ und Einheiten der Putschisten und nach dem Scheitern des Bielefelder Abkommens zur blutigen Niederschlagung des Aufstands durch entsandte Reichswehreinheiten und Freikorps. In Bayern dagegen führte der Kapp-Putsch zu einer antirepublikanischen Regierungsumbildung, die den Freistaat auf Dauer zur autoritären „Ordnungszelle“ innerhalb des Weimarer Gesamtstaates und zum Sammelbecken der rechtskonservativen und reaktionären Kräfte machte. Die instabilen politischen Verhältnisse in der Frühphase der Weimarer Republik zeigten sich auch in der Reichstagswahl 1920, in der die bis dahin mit einer Dreiviertelmehrheit regierende Weimarer Koalition abgewählt wurde.
Ausdruck der eingetretenen scharfen politischen Polarisierung waren insbesondere die rechtsradikal motivierten Morde von Mitgliedern der Organisation Consul an wichtigen Repräsentanten der jungen Republik: an Finanzminister Matthias Erzberger im August 1921 und an Außenminister Walther Rathenau[16] im Juni 1922, die man als willfährige „Erfüllungspolitiker“ in Bezug auf den Versailler Vertrag diffamiert hatte. Während Erzberger für die Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens 1918 angefeindet wurde, war Rathenau als Außenminister unter anderem für die Reparationsproblematik zuständig. Er hatte zudem durch den mit der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik geschlossenen Vertrag von Rapallo die äußere Isolierung Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg aufzubrechen gesucht. Doch auch als Jude zog er rechtsextremistischen Hass auf sich (siehe auch Antisemitismus Weimar). Die in Trauerzügen für die Ermordeten massenhaft bekundete Solidarität zum einen und die Verabschiedung eines „Republikschutzgesetzes“ zum anderen sollten den rechten Feinden der Weimarer Republik Einhalt gebieten. Doch die kaiserzeitlich-konservativ geprägte Richterschaft trug mit milden Urteilen gegen rechtsradikale Staatsverbrecher dazu bei, dass diese sich von ihrem Treiben nicht dauerhaft abhalten ließen.
Die politischen Weichenstellungen, die die Weimarer Republik 1923 an den Rand des Zusammenbruchs brachten, wurden sowohl in der deutschen wie in der französischen Politik gestellt. Die von den Sozialdemokraten geduldete Minderheitsregierung des parteilosen Reichskanzlers Wilhelm Cuno (Kabinett Cuno 22. November 1922 bis 12. August 1923) zielte in demonstrativer Fortsetzung des Kurses „Erst Brot, dann Reparationen!“ trotz anderer Möglichkeiten auf ein Zugeständnis der Alliierten, dass die deutsche Leistungsfähigkeit bei den Reparationen bereits überschritten war, während der französische Ministerpräsident Raymond Poincaré die Nichterfüllung der deutschen Reparationslieferungen als Hebel ansah, um die von englischer Seite in Versailles verweigerte Abtrennung des Rheinlands vom Deutschen Reich doch noch zu erreichen.[17]
Nach der Feststellung unzureichender deutscher Kohlelieferungen durch die Reparationskommission marschierten am 11. Januar 1923 französische und belgische Truppen ins Rheinland ein. Gegen die Ruhrbesetzung wurde in Abstimmung mit der Reichsregierung vor Ort von deutscher Seite der passive Widerstand organisiert, wobei das Reich ohne produktiven Gegenwert sämtliche Ausfallkosten für die Unternehmen des besetzten Gebietes und deren Beschäftigte übernahm. Auch die französische Seite zahlte bei der Besetzung eher 'drauf' als davon zu profitieren. Die deutsche Finanznot wurde im Laufe des Jahres 1923 immer dramatischer. Die Finanzierung des Ruhrkampfes und die Kompensation der dadurch bedingten Produktionsausfälle und Steuereinnahmenverluste allein durch Drucken neuer Banknoten führten zu einer dramatisch beschleunigten Inflation, in der schließlich die Papiermark binnen eines Tages mehr als die Hälfte an Kaufkraft verlor. Angesichts der damit verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen bröckelte der Ruhrwiderstand. Mit der Rheinischen Republik kam es zu einer (wenn auch nur kurzzeitig erfolgreichen) Abspaltungsbewegung, in deren Folge sich Teile der Lohnarbeiterschaft zunehmend radikalisierten. In Sachsen und Thüringen führte das zu kommunistischer Regierungsbeteiligung unter sozialdemokratischen Ministerpräsidenten. Im Reichstag hatten die Sozialdemokraten der Regierung Cuno unterdessen die Tolerierung versagt und waren in eine Große Koalition unter dem DVP-Kanzler Gustav Stresemann eingetreten. Der beendete am 23. September 1923 den Ruhrwiderstand, um für die geplante und dringend nötige Währungsreform im Oktober/November 1923 einen Erfolg zu ermöglichen. Zum Umstellungsdatum am 15. November 1923 (1 Rentenmark = 1 Billion Papiermark bei 4,20 Rentenmark für den Dollar) war der Staat inflationsbedingt praktisch schuldenfrei, hauptsächlich auf Kosten seiner sparfreudigen Bürger. Zu den Inflationsgewinnern gehörten Sachwertbesitzer und diejenigen, die selbst hohe Schulden aufgenommen hatten: Sie konnten ihre Kredite mit entwertetem Geld bequem zurückzahlen.
Von der nationalistischen Rechten vor allem in Bayern wurde der Abbruch des Ruhrwiderstands als Landesverrat gebrandmarkt. Unter Bruch der Weimarer Verfassung wurde für Bayern der Ausnahmezustand ausgerufen und die vollziehende Gewalt auf Gustav Ritter von Kahr als Generalstaatskommissar übertragen. Die Reichswehr unter dem Chef der Heeresleitung General Hans von Seeckt, der in dieser Lage eigene, gegen die Linksparteien und den Weimarer Parlamentarismus gerichtete Regierungsambitionen entwickelte,[18] verhielt sich nur zu eigenen Bedingungen der Regierung Stresemann gegenüber loyal: Gegen die kommunistischen Regierungsbeteiligungen in Sachsen und Thüringen, die auf einen „Deutschen Oktober“ zielten, wurde eine „Reichsexekution“ (Art. 48 Abs. 1) vollzogen. Gegen Bayern aber war man nicht bereit vorzugehen. Hier wurde durch Kahr im Zusammenwirken mit dem bayerischen Wehrkreiskommandeur Otto von Lossow eine auf den Sturz der Reichsregierung zielende militärische Aktion vorbereitet. Der NSDAP-Führer Adolf Hitler, der nach dem Vorbild der italienischen Faschisten unter Benito Mussolini die eigene Hauptrolle für einen „Marsch auf Berlin“ beanspruchte, suchte sich die Rivalen in einem Gewaltstreich zu unterwerfen, scheiterte aber mit dem Hitler-Putsch am 9. November 1923. Mit diesem Zerwürfnis der rechtsgerichteten Kräfte untereinander war die von Bayern ausgehende Bedrohung der Republik insgesamt vorerst entschärft und der Weg frei für eine Währungsreform, die dem Weimarer Staat neue Chancen eröffnen sollte.
Auf die Ende 1923 abgewendete Katastrophe der Weimarer Republik folgte annähernd ein halbes Jahrzehnt der inneren Konsolidierung und der außenpolitischen Verständigung, allerdings ohne dass ein tragfähiges Fundament für diese grundsätzlich parlamentarische Demokratie zustande kam. Mit der Anerkennung der Reparationsverpflichtung wurde zwar die Reintegration Deutschlands in das damalige Staatensystem und in die Weltmärkte gefördert, aber auch eine starke Abhängigkeit vom Zufluss amerikanischen Kapitals begründet: eine teils geborgte und nur scheinbare Stabilität.[19]
Eine wesentliche Grundlage der relativen Stabilisierung war die Neuregelung der Reparationsfrage durch den Dawes-Plan.[20] In ihm wurden ohne Festsetzung einer endgültigen Gesamtsumme die künftigen jährlichen Zahlungen im Hinblick auf Umfang, Zusammensetzung und Transfersicherung geregelt. Letztere sollte der amerikanische Finanzexperte Parker Gilbert als Reparationsagent gewährleisten, der in dieser Funktion zur Sicherung der Währungsstabilität auch auf die deutsche Steuer- und Finanzpolitik unmittelbar Einfluss nehmen konnte. Die lange ungewisse Annahme des Dawes-Plans im Reichstag – Teile der Rechten sprachen von „neuer Versklavung des deutschen Volkes“, die KPD von der Versklavung nicht nur des deutschen Proletariats[21] – brachte nach ihrem Zustandekommen der Weimarer Republik einen Zustrom amerikanischer Kredite aus Staatsmitteln wie auch von Privatanlegern, der einerseits als Anschubfinanzierung für die Reparationsdienste, andererseits als wirtschaftliche Wiederbelebungshilfe diente. Insgesamte nahmen deutsche Unternehmen und die öffentliche Hand in den Jahren 1924 bis 1929 Auslandskredite in Höhe von 20 Milliarden Reichsmark auf. Das entsprach 40 % des jährlichen Sozialprodukts. Zusammen mit den Reparationsverpflichtungen betrug die Auslandsverschuldung der Weimarer Republik 1929 90 % des Sozialprodukts.[22] Diese Kredite wurden in US-Dollar, Pfund Sterling und anderen ausländischen Währungen gewährt und von der Reichsbank in Reichsmark umgetauscht. Dadurch standen bis 1931 immer genug Devisen für den Transfer der Reparationen zur Verfügung, auch wenn Deutschland bis 1929 immer eine passive Handelsbilanz hatte. Mit ihren Reparationseinnahmen tilgten die europäischen Siegermächte ihre interalliierten Kriegsschulden bei den USA, sodass sich ein scheinbarer Kreislauf der internationalen Verschuldung ergab.[23] Da Deutschland die Kredite der Wall-Street-Banken, mit denen es seine Reparationen bezahlte, seit 1931 nicht mehr bediente, spricht der amerikanische Historiker Stephen A. Schuker von „amerikanischen ‚Reparationen‘ an Deutschland“.[24] Doch auch für die Weimarer Republik war der Kapitalimport nicht nur positiv. Bereits vielen Zeitgenossen erschien die Wirtschaftslage als „Konjunktur auf Pump“[25], der Historiker Hagen Schulze schreibt von der „Scheinblüte der Goldenen Zwanziger“, zumal Bedingung des Kapitalexports ein sehr hohes Zinsniveau war.[26] Ein weiteres Problem war, dass die Hälfte der Auslandsverschuldung aus kurzfristigen Krediten bestand, die jederzeit innerhalb weniger Monate abgezogen werden konnten.[27]
Die ökonomische Konsolidierung nach der Hyperinflation ging zudem großteils zu Lasten von Lohnarbeiterschaft und wirtschaftlichem Mittelstand. Der Achtstundentag als eine soziale Haupterrungenschaft der Revolution 1918/19 wurde vielfach aufgeweicht und aufgegeben; die Beamtenschaft war von massiven Stelleneinsparungen und Gehaltskürzungen betroffen; Rationalisierung und Konzentrationsprozesse im großindustriellen Bereich wurden fortgesetzt und entzogen vielen kleinen und mittleren Betrieben die Existenzgrundlage. Die inflationsgeschädigten Sparer und Gläubiger blieben faktisch ohne nennenswerte Entschädigung.[28]
Die in der Weimarer Verfassung enthaltenen sozialstaatlichen Garantieerklärungen standen zu den vielfachen Erfahrungen sozialen Abstiegs in auffälligem Kontrast und entfalteten nur eingeschränkte Wirkung. Immerhin konnten die als Kleinsparer durch die Inflation Verarmten oder wirtschaftlich Ruinierten ab 1924 eine staatlich organisierte Sozialfürsorge in Anspruch nehmen, die die vormalige Armenhilfe ablöste. Das neue System war allerdings gekennzeichnet durch „kleinliche Bedürftigkeitsprüfungen einer anonymen Sozialbürokratie“ und durch nur das Existenzminimum sichernde Zuwendungen.[29] In der kurzen Hochphase der gesamtwirtschaftlichen Erholung und des konjunkturellen Optimismus wurde 1927 die Arbeitslosenversicherung eingeführt, in mancher Hinsicht der „Höhepunkt des sozialen Ausbaus der Republik“, wenn auch nur einem Teil der Arbeitnehmer zugute kommend und Dauerarbeitslosigkeit nicht erfassend.[30]
Der Parlamentarismus der Weimarer Demokratie war Ausdruck einer von Klassen und Sozialmilieus stark geprägten und zersplitterten Parteienlandschaft, in der die Interessenvertretung der je eigenen Wählerklientel der Bereitschaft zum Kompromiss häufig enge Grenzen setzte. Dieses Klassen- und Standesbewusstsein in den jeweiligen Sozialmilieus gehörte zum Erbe der Kaiserzeit und wirkte fort, wurde aber auch teils überformt von einer sich in den 1920er Jahren ausbildenden konsum- und freizeitorientierten Massenkultur, als deren Triebkräfte neue Medien wirkten: Schallplatte, Film und Rundfunk. Ins Kino gingen – bzw. vor dem Radio saßen – bald Menschen aller Klassen und Schichten. Die Massenkultur wies in Richtung Demokratisierung, was man von konservativer Seite als geistige Verflachung und Wertverfall auslegte. Gleichwohl wurden die Klassenfronten durch die Massenkultur allmählich aufgelockert: eine „Klassengesellschaft im Übergang“ also.[31]
Die ebenfalls auf Kaiserreich und Jahrhundertwende zurückgehende Entwicklung einer spezifischen Jugendbewegung und Jugendkultur ging vor dem Hintergrund von Weltkriegserfahrung und Revolution 1918/19 in eine neue Phase über: „Der ‚verlorenen Kriegsgeneration‘ folgten die ‚überflüssigen‘ Nachkriegsgenerationen.“[32] Ihnen gemeinsam war die Erfahrung schwierigster Bedingungen beim Einstieg in das Erwerbsleben, überdurchschnittlich häufiger Arbeitslosigkeit und besonderer Ungeschütztheit in sozialfürsorgerischer Hinsicht, was nicht zuletzt den akademischen Nachwuchs betraf. Neben der Rebellion gegen die ritualisierte Bürgerlichkeit der wilhelminisch geprägten Elternhäuser wandten sich viele Jugendliche auch gegen die in den 1920er Jahren Einzug haltende „Amerikanisierung“ des Alltagslebens. Der romantischen Hinwendung zu Naturerlebnissen entsprach jedoch nicht notwendig eine reaktionäre Gesinnung. In der sozialdemokratischen Jugend ging man ebenso „auf Fahrt“ wie im bürgerlichen Wandervogel und sang zur Klampfe Lieder aus dem „Zupfgeigenhansl“. „Aus der Jugendbewegung führten Wege in mehr als ein politisches Lager und in mehr als eine Zukunft.“[33]
Das Bild von den „Goldenen zwanziger Jahren“ reflektiert weniger den sich anbahnenden sozialen Wandel oder gar die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu Zeiten der Weimarer Republik, sondern eine neue Inspiriertheit und Freiheit in Kunst und Kultur. Unter dem Einfluss der expressionistischen Bewegung entfalteten sich eine faszinierende Vielfalt der Stile und ein „enormer Reichtum an Ideen und Fähigkeiten“: Die Künstler versuchten sich in diversen avantgardistischen Stilen wie dem etwa 1906 entstandenen Kubismus, dem 1909 proklamierten Futurismus, oder dem im Ersten Weltkrieg entstandenen Dadaismus „an Radikalität und Experimentierfreude gegenseitig zu überbieten“.[34]
Die Stabilisierungsphase der Republik ab 1924 wurde zur Ära der Neuen Sachlichkeit, deren Stil besonders von Vorstellungen und Erzeugnissen der Bauhaus-Kultur geprägt wurde. Der damit verbundene Trend zur „unpathetischen Gebrauchskunst“, die ihre Produkte ohne mäzenatische Förderung in einer demokratischen Gesellschaft zu vermarkten hatte, zeugte von einer „Versachlichung“ des gesamten Kunstbetriebs. Diese wirkte besonders im öffentlichen Wohnungsbau, der bei nun reichlicher zur Verfügung stehenden Finanzierungsmitteln in der Aufschwungphase nach Mitte der 1920er Jahre vor allem in manchen Großstädten mit Reihenhäusern oder Zeilenbauten in die industrielle Serienherstellung überging: „bevorzugt wurden Stahl, Beton, Glas, Flachdächer und Weiß als Leitfarbe.“[35]
Als Reichspräsident Ebert Anfang 1925 als 54-Jähriger infolge einer verschleppten Blinddarmentzündung verstarb,[36] unterlag in der Reichspräsidentenwahl 1925 der Kandidat der die Republik tragenden Parteien Wilhelm Marx gegen den Kandidaten der nationalistischen Rechten Paul von Hindenburg. Zwar erklärte dieser vorab, das Amt gemäß der Weimarer Verfassung führen zu wollen, und hätte damit unter günstigen Umständen die Akzeptanz der Republik im rechten Lager erhöhen können; doch zeigte sein Wahlerfolg andererseits, wie weit die Rechtsverschiebung des Wählerverhaltens seit den Weimarer Anfängen bereits fortgeschritten war.
So waren auch die beiden Reichstagswahlen im Mai und im Dezember 1924 für die 1919 so komfortabel gestartete Weimarer Koalition, die sich als „Bollwerk der Demokratie“ nur mehr in Preußen behauptete, neuerliche Misserfolge. Nur drei von sieben Regierungen in den Jahren 1924 bis 1929 hatten eine Mehrheit im Reichstag. Das begünstigte jenes staatsautoritäre und republikfeindliche Denken, das von parlamentarischer Demokratie ohnehin nichts hielt und entweder im Geiste einer Konservativen Revolution obrigkeitsstaatliche Lösungen anstrebte oder das Weimarer System durch eine Proletarische Revolution zu beseitigen trachtete. Die Schwäche des Reichstags verschaffte zudem den außerparlamentarischen Kampfbünden eine anhaltende Bedeutung und politische Funktion, die neben der Reichswehr fortbestanden. Als wichtigste paramilitärische Formation dieser Art entwickelte sich der Stahlhelm, neben dem in den späteren Jahren die nationalsozialistische SA an Bedeutung zunahm. Um den rechten Wehrverbänden für ihre Machtdemonstrationen die Straßen und Säle nicht allein zu überlassen, schufen die republiktreuen Parteien aus ihren Reihen das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold als Kampfbund-Gegengewicht. Auf der äußersten Linken stand der Rotfrontkämpferbund.
Die in der Verfassung vorgesehenen plebiszitären Elemente Volksbegehren und Volksentscheid kamen nur gelegentlich zur Anwendung. Innenpolitisch bedeutsam waren vor allem Volksbegehren und Volksentscheid zur Fürstenenteignung, von der KPD auf den Weg gebracht und von der SPD unterstützt. Die DNVP beschwor im Vorfeld der Abstimmung die Gefahr des Bolschewismus; das rechte bürgerliche Lager sah das Privateigentum als solches gefährdet. In rhetorischer Zuspitzung wurde die Alternative „Republik oder Monarchie“ zum Gegenstand einer Abstimmung erklärt, in der tatsächlich nur prinzipielle Erstattungsansprüche der infolge der Novemberrevolution enteigneten deutschen Fürsten verneint oder bejaht werden konnten. Den Gegnern der Fürstenenteignung verhalf bereits ein Boykott der Abstimmung zum allerdings wenig überzeugenden Erfolg, indem das Quorum (Teilnahme der Mehrheit aller Stimmberechtigten an der Abstimmung) nicht erreicht wurde. Dass jedoch im Juni 1926 trotz widriger Rahmenbedingungen vor allem im ländlichen Bereich 14,5 Millionen Stimmen (36,4 %) für die Fürstenenteignung zusammenkamen – zu beträchtlichen Anteilen von Anhängern der bürgerlichen Parteien –, könnte bedeuten, dass eine Bevölkerungsmehrheit für die Republik und gegen die konservativen Eliten stand.[37]
Zu einer Stabilisierung der Weimarer Republik auf parlamentarischer Grundlage hätte nach der Reichstagswahl 1928 die Bildung der Großen Koalition unter Reichskanzler Hermann Müller führen können, die von einer Reichstagsmehrheit getragen wurde. Dass es dazu nicht kam, lag nur zum Teil an den von vornherein stark divergierenden Positionen von SPD und DVP etwa in der Panzerkreuzer-Debatte. Es waren letztlich die von der hereinbrechenden Weltwirtschaftskrise hervorgerufenen Finanzierungsprobleme des sozialen Sicherungssystems, bei denen die Gegensätze unüberbrückbar wurden.
Bei allen zwischen 1923 und 1928 häufigen Personenwechseln im Reichskanzleramt und in den Regierungskabinetten gab es dennoch in Außenminister Gustav Stresemann eine wirkungsmächtige personelle Konstante, bis auch dieser sich wie vor ihm Ebert im Amt gesundheitlich aufgerieben hatte und 1929 starb. Mit dem von ihm selbst bezeugten Wandel vom „Herzensmonarchisten“ zum „Vernunftrepublikaner“ übte Stresemann nicht nur als Reichskanzler 1923, sondern während der gesamten Dauer seiner Regierungsmitwirkung einen stabilisierenden Einfluss auf die politische Entwicklung der Republik aus.
Die Revision des Versailler Vertrages war ein Ziel, auf das sich bei aller Zerrissenheit alle Parteien der Weimarer Republik einigen konnten. Der Historiker Michael Salewski konstatiert ein regelrechtes „Weimarer Revisionssyndrom“.[38] Stresemann strebte diese Revision mit ausschließlich friedlichen Mitteln auf dem Wege der Verständigung mit den Westmächten an.[39] Indem er 1925 die Initiative zu den Locarno-Verträgen ergriff, die Verständigung mit Frankreich erreichte und Deutschland 1926 eine gleichberechtigte Stellung im Völkerbund sicherte, führte er die Weimarer Republik aus der Isolation. Mit dem Berliner Vertrag wurde aber auch für ein weiterhin unbelastetes Verhältnis zur Sowjetunion gesorgt. Bereits seit 1925 gab es eine geheime und illegale Kooperation zwischen der Reichswehr und der Roten Armee, bei der in der Sowjetunion Waffen erprobt wurden, die Deutschland vom Versailler Vertrag verboten worden waren: Flugzeuge, Panzer und Giftgas.
Die Locarno-Politik trug noch 1925 zur Räumung der ersten Rheinlandzone bei; die deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen wurden durch Abkommen ausgebaut; und die Interalliierte Militär-Kontrollkommission zur Überwachung der deutschen Abrüstung verließ 1927 Deutschland. Dennoch waren Stresemann und die deutsche Öffentlichkeit enttäuscht, dass Locarno nicht noch weitere „Rückwirkungen“ hatte, worunter namentlich eine vollständige Räumung des besetzten Rheinlands verstanden wurde. Weil er als Ursache den französischen Ministerpräsidenten Raymond Poincaré vermutete, subventionierte Stresemann im Geheimen die innenpolitischen und publizistischen Gegner Poincarés, doch konnte er damit den Wahlsieg der bürgerlichen Rechten bei den Wahlen zur Nationalversammlung 1928 nicht verhindern.[40]
Bei den Verhandlungen zum Briand-Kellogg-Pakt spielte Stresemann 1928 eine wichtige Vermittlerrolle zwischen den USA und Frankreich.[41]
Als 1928/29 erstmals die Dawes-Plan-Reparationsrate in voller Höhe belastend anstand, kam es zu neuen Verhandlungen. In dem daraus entstandenen Young-Plan wurde die Frage einer möglichen Erleichterung verbunden mit dem Vorhaben einer endgültigen Regelung der Reparationsfrage. Statt der im Dawes-Plan vorgesehenen Annuität von 2,5 Milliarden Reichsmark sollten nun in den folgenden 59 Jahren durchschnittlich 2 Milliarden gezahlt werden, zu Anfang 1,7 Milliarden. Mit der Aussicht auf einen, wie man meinte, endgültigen Reparationsplan und angesichts der deutschen Bereitschaft, eine Dauerbelastung bis 1988 zu akzeptieren, gestand Frankreich in Parallelverhandlungen einen gegenüber dem Versailler Vertrag um fünf Jahre vorverlegten Truppenabzug aus dem besetzten Rheinland zu. Für die nationalistische Rechte in Deutschland war vor allem die über Generationen sich erstreckende Dauerbelastung propagandistischer Zündstoff in ihrer Agitation gegen die Weimarer Republik. DNVP und NSDAP führten ein knapp erfolgreiches Volksbegehren und einen an der Abstimmungsbeteiligung überdeutlich scheiternden Volksentscheid gegen den Young-Plan durch, mit dem die Nationalsozialisten sich allerdings propagandistisch landesweit in Szene setzen und am rechten Rand des politischen Parteienspektrums profilieren konnten.[42]
Anders als gegenüber den Westmächten betrieb die Weimarer Republik gegenüber Polen und der Tschechoslowakei keine Verständigungspolitik. Ein „Ost-Locarno“, wie es verschiedentlich gefordert wurde, also die internationale Garantie der gemeinsamen Grenze mit den östlichen Nachbarn, lehnte Stresemann stets ab.[43] In Locarno war er allenfalls bereit, mit ihnen Schiedsvertråge abzuschließen, die aber weder obligatorisch waren, noch von den Westmächten garantiert wurden. Damit waren sie, wie der Historiker Eberhard Kolb schreibt, „wenig bedeutsam“.[44] In einem Brief, den er am 7. September 1925 an den ehemaligen Kronprinzen schrieb, bekannte sich Stresemann zum Ziel einer „Wiedergewinnung von Danzig, vom polnischen Korridor und eine Korrektur der Grenze in Oberschlesien“. Voraussetzung sei, den „Würger erst vom Halse“ zu haben, das heißt ein Ende der Rheinlandbesetzung. Ob diese Äußerungen als Indiz für ein „Doppelleben“ Stresemanns gewertet werden müssen,[45] oder als Versuch, „die Kritik von rechts zu entschärfen“,[46]. ist in der Geschichtswissenschaft umstritten.
Nach der Großen Inflation 1923 bewirkte wenige Jahre später die Weltwirtschaftskrise die zweite existenzielle Krise der Weimarer Demokratie. Mitentscheidend war die zunehmende Blockade des parlamentarischen Systems, das ab den 1930er Jahren von sich gegenseitig bekämpfenden verfassungsfeindlichen Parteien dominiert wurde. Die Kernkompetenzen des Reichstags – Regierungsbildung und Gesetzgebung – wurden überlagert und ersetzt durch Befugnisse des Reichspräsidenten. Mitunter wird die Auffassung vertreten, dass die »eigentliche« Weimarer Republik bereits 1930 mit dem Übergang von der parlamentarischen Regierungsweise zum System der Präsidialkabinette endete.[48]
In den Präsidialkabinetten der Reichskanzler Brüning, Papen und Schleicher wurden die zur Krisenbewältigung als Notbehelf vorgesehenen verfassungskonformen politischen Durchgriffsrechte des Reichspräsidenten (Notverordnungen, Einsetzung des Reichskanzlers, Auflösung des Reichstags) zu Regelinstrumenten, die mehr und mehr in demokratiewidriger Stoßrichtung zur Anwendung kamen. Begünstigt wurde diese Entwicklung in der sozialökonomischen Dauerkrise von einer zunehmenden Radikalisierung des Wählerverhaltens, die ab Juli 1932 zu einer Mehrheit der republikfeindlichen Parteien NSDAP und KPD im Reichstag führte. Hitlers Wähler stammten aus den Mittelparteien, der DNVP, wenig von der SPD und noch weniger aus dem katholischen Block. In der gestiegenen Wahlbeteiligung 1933 entschieden sich ca. sieben Millionen Neuwähler für ihn, offenbar aus Protest gegen die Weimarer Republik.
Der die Weltwirtschaftskrise einleitende Kurssturz am Schwarzen Donnerstag der New Yorker Börse im Oktober 1929 hatte in Deutschland besonders gravierende Auswirkungen. Die amerikanischen Kapitalanleger, die zur wirtschaftlichen Stabilisierung der Weimarer Republik auf der Grundlage des Dawes-Plans wesentlich beigetragen hatten, hatten sich bereits seit 1928 bei der Kreditvergabe nach Deutschland zurückgehalten, da die Fed im Börsenboom von 1928, der dem Krach vorausging, die Zinsen deutlich angehoben hatte.[49] Seitdem war Auslandskapital kaum noch zu erhalten, seit 1930 wurden die zuvor investierten Kreditmittel zudem in mehreren Wellen abgezogen. Mit der einsetzenden Geldmittelknappheit stockte der Absatz auf dem Inlandsmarkt ebenso wie der Export, da sich nun allgemein protektionistische Abschottungsmaßnahmen gegen ausländische Konkurrenz breit machten. So wurde eine wirtschaftskonjunkturelle Abwärtsspirale in Gang gesetzt, in der eine massiv rückläufige Produktion zu Massenentlassungen führte und sinkende Massenkaufkraft den Absatz weiter einbrechen ließ. Im Verhältnis zum Höchststand 1927/28 ging die Industrieproduktion insgesamt um mehr als 43 % zurück, die Stahlerzeugung sogar um 65 %. Die Investitionstätigkeit kam praktisch zum Erliegen.[50]
Zugleich wurde die anschwellende Massenarbeitslosigkeit zur wachsenden Belastung und finanziellen Überforderung des sozialen Sicherungssystems, das eben erst um die Arbeitslosenversicherung erweitert worden war. Jeweils bezogen auf den Monat Januar stieg die Anzahl der bei den Arbeitsämtern gemeldeten Arbeitslosen von 2,85 Millionen 1929 über mehr als 3,2 Millionen 1930 und annähernd 4,9 Millionen 1931 bis auf über 6 Millionen 1932.[51] Nur noch 12 Millionen Menschen arbeiteten regulär. In den von Arbeitslosigkeit besonders betroffenen Großstädten begegnete man auf der Straße Dauerarbeitslosen mit Schildern: „Suche Arbeit um jeden Preis“; es gab Menschen auf der Suche nach billigen Schlafplätzen für Stunden, weil sie keine dauerhafte Unterkunft bezahlen konnten, und Andrang in Wärmehallen seitens derer, die kein Geld für Heizmaterial erübrigen konnten.[52]
Im Sommer 1931 kulminierten Kredit- und Staatsfinanzkrise in der deutschen Bankenkrise: Durch Kreditabzüge ausländischer Banken und deutsche Kapitalflucht verlor die Reichsbank so viele Devisen, dass die gesetzlich vorgeschriebene Gold- und Devisendeckung von 40 % des Geldumlaufs unterschritten wurde. Als am 13. Juli 1931 ein Run des Inlandspublikums auf die Banken einsetzte, verhängte die Regierung mehrere Bankfeiertage, der Zahlungsverkehr kam vollständig zum Erliegen und die deutsche Währung wurde für die nächsten Jahrzehnte eine Binnenwährung.[53] Durch die Gründung einer Garantiebank und durch eine per Notverordnung durchgesetzte Bankenhaftungsgemeinschaft konnte die Lage mit Hilfe einer verstärkten staatlichen Aufsicht über das Kreditwesen vorläufig stabilisiert werden. Die Zuspitzung war eingetreten, nachdem der Plan einer deutsch-österreichischen Zollunion bekannt geworden war, mit der das im Vertrag von Saint-Germain 1919 festgelegte Anschlussverbot Deutschösterreichs an das Deutsche Reich unterlaufen werden sollte. So bewirkte die Pleite der österreichischen Creditanstalt, dass als Reaktion darauf auch in Deutschland eine neue Rückrufwelle ausländischen Kapitals die ohnehin gebeutelte Republik heimsuchte.[54]
Denn parallel zur Krise um die österreichische Creditanstalt wurde bekannt, dass Karstadt in Geldnöten steckte, ebenso die Nordstern-Versicherung. Dem Zusammenbruch des Nordwolle-Konzerns folgte die Krise seines Hauptgeldgebers, der Darmstädter und Nationalbank, die damals eine der größten deutschen Geschäftsbanken war. Binnen weniger Tage konnte die Bank dem Ansturm ihrer Anleger nicht mehr standhalten und schloss am 13. Juli ihre Schalter. Die Dresdner Bank, die ebenfalls mit Krediten für die Nordwolle schwer belastet war, behauptete am 11. Juli 1931, nicht in Gefahr zu sein – und war drei Tage später gleichfalls am Ende. Nach den beiden allgemeinen Bankfeiertagen vom 14. und 15. Juli wurden Abhebungen zunächst nur für dringlichste Geschäfte zugelassen, etwa für die Zahlung von Gehältern. Unterdessen wurden die am meisten gefährdeten Banken mit Geld versorgt. Kredite für die Wirtschaft wurden von Staats wegen verbilligt und die Verzinsung laufender Anleihen reduziert. Mit groß angelegten Interventionen, darunter die Übernahme und Umstrukturierung großer Banken, gelang es der Regierung, den Kollaps des deutschen Finanzsystems zu verhindern. Die fortschreitende Verunsicherung und politische Vertrauenskrise in der Bevölkerung war damit aber nicht zu beheben.
Im März 1930 zerbrach die Große Koalition aus SPD, Zentrum, DVP und DDP über der sozialpolitischen Frage, wie die Lasten der unter Kostendruck geratenen Arbeitslosenversicherung verteilt werden konnten. Nachdem die mit eigenen Ambitionen verbundenen Bemühungen des Fraktionsvorsitzenden der Zentrumspartei im Reichstag, Heinrich Brüning, um einen Kompromiss gescheitert waren, trat die Regierung Hermann Müller am 27. März 1930 zurück. Schon seit Längerem hatte die Einflussgruppe um Hindenburg, hatten führende Reichswehroffiziere wie Kurt von Schleicher, Teile der Schwerindustrie und Großagrarier nach Wegen gesucht, eine Regierung ohne und gegen die SPD zu etablieren. Die damit einhergehende Schwächung des Parlaments war für sie kein Hinderungsgrund, sondern eher ein Ziel. Bevor Brüning am 30. März 1930 die Berufung zum Reichskanzler annahm, ließ er sich von Hindenburg versichern, einen unabhängigen politischen Kurs mit Hilfe des Notverordnungsrechts des Präsidenten verfolgen zu können. Am 3. April überstand er mit Hilfe der DNVP einen von der SPD eingebrachten Misstrauensantrag. Dass Brüning jedoch von Anbeginn als Regierungschef in einem zunächst noch verdeckten Präsidialregime fungierte,[55] zeigte sich im Juli 1930, als seine Regierung mit Beitragserhöhungen zur Arbeitslosenversicherung und Steuererhöhungen zur Deckung des Haushalts eine Reichstagsmehrheit suchte. Da diese wegen gespaltenen Abstimmungsverhaltens in der DNVP verfehlt wurde, kam die Regierungsvorlage danach noch einmal als Notverordnung des Reichspräsidenten vor den Reichstag. Als dieser ebenfalls auf der Grundlage von Art. 48 WRV am 18. Juli 1930 von seinem Recht Gebrauch machte, die Notverordnung außer Kraft zu setzen, verlas Brüning noch in derselben Sitzung die vorbereitete Verordnung Hindenburgs zur Auflösung des Reichstags gemäß Art. 25 WRV. Bis zu den Neuwahlen am 14. September konnte sich das Notverordnungsregime daraufhin ungehindert entfalten.
Der aufsehenerregende Wahlerfolg der NSDAP bei der Reichstagswahl 1930, für den es allerdings Vorzeichen auf Länderebene gegeben hatte, war auf mehreren Ebenen folgenreich:
Nachdem im Frühjahr 1931 aufkeimende Hoffnungen auf eine konjunkturelle Wiederbelebung sich im Sommer mit der Bankenkrise zerschlagen hatten und der Kapitalmangel auch für den Staatshaushalt zu immer größeren Defiziten geführt hatte, nahm Brünings Austeritäts- und Deflationspolitik immer härtere Konturen an. Er erließ in seiner Amtszeit insgesamt vier „Notverordnungen zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen“. Darin wurde die Einkommensteuer mehrfach erhöht, ebenso die Umsatzsteuer sowie diverse Verbrauchssteuern; neue Steuerarten wie eine „Krisensteuer“ und eine „Bürgersteuer“ wurden eingeführt.
Parallel dazu wurde eine rigide Sparpolitik der öffentlichen Hand verordnet mit der Folge, dass sie auch in Ländern und Gemeinden als Abnehmer von Gütern und Dienstleistungen weitgehend ausfiel: Seit Oktober 1931 durften keine öffentlichen Gebäude mehr errichtet werden; Mittel für Reparaturen und Anschaffungen wurden nur freigegeben, wenn Menschenleben unmittelbar gefährdet waren.[56] Mit dieser Politik erreichte die Regierung Brüning zwar erstmals seit 1914 wieder eine aktive deutsche Handelsbilanz;[57] gleichzeitig wurde aber die Konjunktur abgeschnürt. Die weiter ansteigende Massenarbeitslosigkeit verursachte – trotz geminderter Unterstützungsdauer und in der Höhe abgesenkter Leistungsansprüche bei der Arbeitslosenversicherung sowie ständiger Kürzungen bei der nachgelagerten Sozialfürsorge – fortlaufende Deckungslücken im Staatshaushalt, die auch durch eine radikale Zurückführung der Staatsausgaben nicht geschlossen werden konnten.
Dennoch ging Brüning von seinem Kurs nicht ab, den er einerseits wegen der zurückliegenden Inflationserfahrung und der Bestimmungen des Young-Plans als alternativlos darstellte. Nachdem ein ungeschickt formulierter Aufruf der Reichsregierung, in dem die Reparationen als Tribute bezeichnet und behauptet wurde, die „Grenze dessen, was wir unserem Volke an Entbehrungen aufzuerlegen vermögen“ sei erreicht, zu erheblichen Devisenabflüssen geführt hatte, verhinderte das Hoover-Moratorium zunächst einen deutschen Finanzkollaps: Aus Sorge um die Kredite, die amerikanische Banken in Milliardenhöhe an deutsche Kreditnehmer gegeben hatten, schlug der amerikanische Präsident Herbert Hoover eine Stundung der Reparationen und der interalliierten Kriegsschulden auf ein Jahr vor.[58] Nun hoffte Brüning, Anfang 1933, nach der nächsten US-Präsidentschaftswahl, werde sich ein Ende der Reparationen erreichen lassen.[59]
Nachdem im September 1931 Großbritannien den Golddevisenstandard aufgegeben und durch Abwertung des Pfund Sterling seine Terms of Trade verbessert hatte, beschloss die Regierung Brüning, die Deflation aktiv zu fördern, um den gleichen Effekt zu erzielen: In der „Vierten Notverordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen“ wurden am 8. Dezember 1931 Löhne, Gehälter, Mieten, Kohle- und Kartellpreise sowie Zinssätze abgesenkt und zugleich noch einmal die Steuern erhöht.[60] Die Folge war eine weitere Verschärfung der Depression. Eine aktive Konjunkturpolitik blieb aus, über „fragwürdige Palliative“[61] wie die Einführung eines freiwilligen Arbeitsdienstes und geringfügige Notstandsarbeiten kam man nicht hinaus. Dabei verhinderte gerade die überproportionale Jugendarbeitslosigkeit die soziale und politische Integration eines beträchtlichen Teils der Nachwachsenden und ließ die gesellschaftliche Militanz insbesondere in KPD und NSDAP schnell anwachsen.[52]
Je länger der wirtschaftliche Abschwung anhielt, ohne dass die Regierung Brüning trotz aller verordneten Härten Erfolge erzielte, desto weniger Rückhalt hatte sie in gesellschaftlichen Interessengruppen und Parteien. Umso mehr war der Reichskanzler aber auf Hindenburgs Gunst angewiesen und musste sich ihm gefällig erweisen,[62] etwa im Zuge einer Kabinettsumbildung im Oktober 1931, mit der eine deutlichere Orientierung ins rechte Spektrum signalisiert werden sollte, ohne dass aber die Tolerierung durch die SPD, zu der Hindenburg ein gespanntes Verhältnis hatte, verspielt werden durfte. Dabei kam dem Reichstag in dieser Phase faktisch nur mehr die Rolle zu, „jeweils nach Erlaß eines Notverordnungsbündels den Mißtrauensanträgen von rechts und links zu widersprechen.“[63]
Insgesamt 109 Notverordnungen in Brünings Regierungszeit standen lediglich 29 vom Reichstag ordentlich verabschiedete Gesetze gegenüber. Auch die Kontrollfunktion des Reichstags wurde drastisch beschnitten, indem er durch häufige Vertagungen zu immer weniger Sitzungen zusammenkam. Bis zu Brünings Sturz Ende Mai waren es im Jahre 1932 nur noch acht Sitzungstage.[64] Doch auch gegen die Mitwirkungsrechte der Länder suchte Brüning das Präsidialregime abzuschirmen und betrachtete die allgemeine Finanznot als Hebel zu ihrer Entmachtung. Speziell die Sonderstellung Preußens erforderte Rücksichten, die mit dem Preußenschlag vom 20. Juli 1932 und der Abschaffung des preußischen Landtags gegenstandslos wurden.[65]
Eine von Hindenburg favorisierte Erweiterung der parlamentarischen Tolerierung des Präsidialregimes nach rechts außen scheiterte am radikal antirepublikanischen Kurs nicht nur der NSDAP unter Hitler, sondern auch der unterdessen von Alfred Hugenberg geführten DNVP. Bei der Bildung der kurzlebigen Harzburger Front im Oktober 1931 rivalisierten beide um die Führungsrolle in der „nationalen Opposition“. Wiederum gemeinsam verweigerten sie Brüning die Zustimmung zu dem Plan, Hindenburgs Amtszeit per Zweidrittelmehrheitsbeschluss des Reichstags um zwei Jahre zu verlängern (ein Verfahren, das zu Eberts Gunsten 1923 funktioniert hatte). So musste Hindenburg mangels erfolgversprechender anderer Kandidaten von Brüning überredet werden, sich mit Unterstützung der republiktreuen Parteien erneut zur Wahl zu stellen, während die KPD Ernst Thälmann aufstellte und die „nationale Opposition“ mit Theodor Duesterberg für DNVP und Stahlhelm sowie Hitler für die NSDAP gegeneinander antrat. Als Hindenburg knapp die absolute Stimmenmehrheit verfehlte und sich in einem zweiten Wahlgang wieder nur mit Unterstützung der ungeliebten Sozialdemokraten gegen Hitler behauptete, machte er dafür Brüning verantwortlich. Auch widerstrebte dem Reichspräsidenten das von der Regierung mit Blick auf die Boxheimer Dokumente und das offensive Auftreten der NS-Verbände im April 1932 verhängte Verbot von SA und SS, das auch Hindenburg selbst verschärften Attacken seitens der „nationalen Opposition“ aussetzte.
Den letzten Anstoß zur Entlassung Brünings gaben die Ostsiedlungspläne seiner Regierung, wonach der Reichsarbeitsminister und der Reichskommissar für die Osthilfe dafür sorgen sollten, dass nicht mehr entschuldungsfähige große ostpreußische Güter vom Staat erworben und zur Ansiedlung landloser Bauern verwendet würden: eine Form der Arbeitsbeschaffung im ländlichen Bereich. Dagegen intervenierten aber die Sprecher der dortigen Großgrundbesitzer bei Hindenburg, dem Standesgenossen und Eigentümer von Gut Neudeck, bei dem sie nicht umsonst mit Verständnis für ihre Kampagne gegen „agrarbolschewistische“ Tendenzen bzw. gegen das „Abgleiten in den Staatssozialismus“ rechneten. In einer dramatischen Reichstagsrede warnte Brüning davor, „an den letzten hundert Metern vor dem Ziel“ innenpolitisch die Ruhe zu verlieren.[66] Ob Brüning wirklich glaubte, dass die Streichung der Reparationen unmittelbar bevorstand, wird in der Forschung bezweifelt. Gegenüber dem französischen Botschafter André François-Poncet kommentierte er seine Aussage ironisch, „es komme bei der Beurteilung der Entfernung vom Ziele auf die Gesamtstrecke an“.[67]
Hindenburg aber verweigerte den Erlass der Verordnung zur Ostsiedlung und ließ Brüning wissen, dass nun für ein rechtsgerichtetes Kabinett auf Reichsebene gesorgt werden müsse, das die Nationalsozialisten zu dulden bereit wären, wenn sie nach ihrem gerade errungenen Erfolg bei den preußischen Landtagswahlen dort in die Regierung kämen. Indem Brüning darin wie auch im bloßen Weiterwirken als Außenminister für sich keine annehmbare Perspektive sah, trat er am 30. Mai 1932 zurück.[68]
Die Weichen für den Nachfolger Brünings als Reichskanzler wurden vornehmlich durch den als engen Mitarbeiter von Reichswehrminister Wilhelm Groener zu Einfluss gelangten General Kurt von Schleicher gestellt, der seit Ende der 1920er Jahre zu einem wichtigen Berater Hindenburgs geworden war. Er hatte sich seinerzeit bereits für Brüning als Kanzler verwendet, schlug nun den als hochkonservativ geltenden Zentrumspolitiker Franz von Papen als Reichskanzler vor und traf eine Ministervorauswahl für die Kabinettsbildung, wobei er selbst als Wehrminister in Papens Regierung eintrat. In der wegen Brünings Entlassung aufgebrachten Zentrumspartei kam Papen seinem Ausschluss durch Austritt zuvor, sodass das mit zahlreichen Adelsprädikaten durchsetzte „Kabinett der Barone“ schließlich aus lauter Parteilosen bestand, nachdem auch einige vormals der DNVP angehörige Minister aus ihrer Partei ausgetreten waren. Die als „Kabinett der nationalen Konzentration“ firmierende neue Regierung setzte sich betont vom Parteienparlamentarismus ab. Die Ersetzung Brünings als Reichskanzler durch Papen wird in der Forschung auch als Übergang von einer Präsidialregierung zur Präsidialdiktatur gesehen, die der Hitler-Diktatur ein halbes Jahr vorausging.[69]
In seiner über Rundfunk abgegebenen Regierungserklärung wetterte Papen gegen die „Misswirtschaft der Parlamentsdemokratie“ sowie einen „sich ständig steigernden Staatssozialismus“ und „Kulturbolschewismus“.[70] Man trug sich im Kabinett mit Plänen für einen Verfassungsumbau, der u. a. anstelle des Reichsrats ein Oberhaus mit vom Reichspräsidenten auf Lebenszeit ernannten Honoratioren vorsah und der die Rechte des Reichstags durchgreifend reduzieren sollte.[71]
Vor allem gegen Preußen richtete sich der Angriff auf die politischen Mitwirkungsrechte der Länder. Hier waren seit den Landtagswahlen im April 1932 die Nationalsozialisten zur mit Abstand stärksten politischen Kraft geworden, hätten eine Mehrheitsregierung aber nur mit dem Zentrum bilden können, das sich weigerte, einen nationalsozialistischen Ministerpräsidenten zu wählen. So blieb die Regierung der Weimarer Koalition unter dem Sozialdemokraten Otto Braun als Minderheitsregierung geschäftsführend im Amt, bis der Altonaer Blutsonntag, an dem eine Demonstration der durch das Kabinett Papen wieder zugelassenen SA zu brutalen Zusammenstößen mit protestierenden Kommunisten führte, der Reichsregierung den Vorwand lieferte, im Preußenschlag unter Verhängung des Ausnahmezustands selbst die Kontrolle über Regierung, Behörden und Polizei dieses mit Abstand größten und wichtigsten Landes zu übernehmen.
Außenpolitisch konnte Papen bald den Erfolg verbuchen, der Brünings Kurs durchgängig bestimmt hatte: eine dauerhaft entlastende, abschließende Regelung der Reparationszahlungen auf der Konferenz von Lausanne. Danach erweiterte die Regierung den Finanzierungsrahmen für die betriebliche Arbeitsbeschaffung und erlaubte eine drastische Unterschreitung der Tariflöhne in Unternehmen, die Arbeitskräfte einstellten. So wurde das Kabinett Papen im Spätsommer 1932 für die meisten Unternehmer zur Wunschregierung.[72] Bei Lohnempfängern und Arbeitslosen hingegen war die Erbitterung gegen die neue Regierung groß, die vordem bereits die Leistungsdauer der Arbeitslosenversicherung von 20 auf sechs Wochen zurückgenommen hatte und die Arbeitslosen anschließend der Sozialfürsorge überließ, die das Existenzminimum nicht einmal annähernd gewährleistete. Sehr oft konnten Arbeitslose die Wohnungskosten nicht mehr aufbringen; und in vielen Familien wurde auch das Ernährungsminimum deutlich unterschritten. Massenhaft waren 1932 ganze Familien bei der Suche nach Arbeit obdachlos auf der Landstraße unterwegs.[73]
Gleichzeitig verlagerte sich auch die politische Auseinandersetzung verstärkt von den entmachteten Parlamenten auf die Straße, wo neben den rechts- und linksextremen Kampfbünden auch die Eiserne Front der Republiktreuen sich zu behaupten suchte. Die 1920 gegründete und maßgeblich von Ernst Röhm geprägte nationalsozialistische „Sturmabteilung“ begleitete die Versammlungen und Kundgebungen ihrer Partei und begann auch bei anderen Parteiversammlungen immer wieder Straßen- und Saalschlachten, um sich systematisch auf den Tag der „Machtergreifung“ vorzubereiten. Im Zeichen der Straßenaufmärsche und gewaltsamen Auseinandersetzungen insbesondere zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten stand auch der Wahlkampf für die Reichstagswahl vom 31. Juli 1932, die den untereinander verfeindeten Parteien NSDAP und KPD eine in der Summe ablehnende Mehrheit im Reichstag verschafften. Hitler, der sich aufgrund des Wahlergebnisses bereits auf dem Sprung ins Kanzleramt wähnte, wurde allerdings von Hindenburg die Berufung unter Hinweis auf die diktatorische Ausrichtung der NSDAP versagt. Papen, dem der Reichstag nahezu geschlossen das Misstrauen aussprach, verblieb nach erneuter Reichstagsauflösung und der anschließenden Novemberwahl im Amt bis zum 3. Dezember 1932, obwohl diese zweite Reichstagswahl des Jahres 1932, die Reichstagswahl vom 6. November, der NSDAP zwar erhebliche Verluste statt neuerlicher Zuwächse brachte, an der bisherigen Konstellation aber nichts Grundlegendes änderte: So hatte Hitler nach wie vor mit den Kommunisten eine Sperrminorität und stellte sich als Vizekanzler weiterhin nicht zur Verfügung. Doch Papens Plänen, den Staatsnotstand auszurufen und vorerst zwecks ungestörter Durchführung einer autoritären Umgestaltung der Verhältnisse erneute Reichstagswahlen unter Bruch der Verfassung nicht anzusetzen, verweigerte sich Hindenburg am 3. Dezember 1932, möglicherweise beeindruckt vom am Vortag abgelaufenen „Planspiel Ott“.
Als die Reichstagswahl vom 6. November 1932 der NSDAP zwar Verluste statt neuerlicher Zuwächse brachte, an der bisherigen Konstellation aber nichts grundlegend änderte – Hitler stand nach wie vor als Vizekanzler nicht zur Verfügung –, bot sich der bis dahin im Hintergrund die Fäden ziehende Reichswehrminister Schleicher mit einem neuen Konzept zur populären Verankerung der Präsidialregierung dem Reichspräsidenten selbst als Kanzler an. Hindenburg ging angesichts der allseits mangelnden Unterstützung für Papen darauf ein. Schleichers Ansatz zielte parteiübergreifend auf die Gewinnung der Gewerkschaften und der jeweiligen Arbeitnehmerflügel in den Parteien, auf eine „Querfront“ für eine nun stärker auf Arbeitsbeschaffung und Jugendbeschäftigung gerichtete Politik. Auf den Regierungswechsel von Papen zu Schleicher, der eine sozialere Ausrichtung seiner Politik ankündigte, hatte der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) mit Interesse reagiert, denn dadurch schienen sich Möglichkeiten zu eröffnen, die seitens des ADGB seit Ende 1931 entwickelten Pläne zur Arbeitsbeschaffung zur Geltung zu bringen. Bei der SPD war man damit auf Skepsis gestoßen, während Gregor Strasser für die NSDAP schon im Mai 1932 von der „großen antikapitalistischen Sehnsucht“ gesprochen und ein noch weitergehendes Arbeitsbeschaffungsprogramm gefordert hatte, das dann als „Wirtschaftliches Sofortprogramm der NSDAP“ in hohen Auflagen verbreitet wurde. Der Unterstützung durch die christlichen Gewerkschaften ohnehin sicher, setzte Schleicher seine Hoffnungen nun auch auf den gewerkschaftlich orientierten Flügel der NSDAP unter Strasser, dem er am 3. Dezember die Vizekanzlerschaft und zugleich das Amt des preußischen Ministerpräsidenten anbot. Die NSDAP erlitt tags darauf bei den Kommunalwahlen in Thüringen einen starken Stimmenverlust gegenüber den Reichstagswahlen des Jahres, was Strasser in der Meinung bestärkte, dass die NSDAP sich neu orientieren müsse. Trotzdem fügte er sich der Direktive Hitlers, als der sich seinen Vorstellungen energisch widersetzte, nahm Urlaub und legte alle Parteiämter nieder (Strasser-Krise).[74]
Damit war Schleicher im Grunde bereits wenige Tage nach Beginn seiner Kanzlerschaft gescheitert, auch wenn Teile des ADGB eine Annäherung an die Regierung sogar auf Kosten der engen Beziehungen zur SPD weiterhin für wünschenswert hielten. Denn den Sozialdemokraten galt der wendige General als nicht vertrauenswürdig und die Industrieverbände beobachteten argwöhnisch seine Öffnung hin zu den Gewerkschaften. Papen, den er als Botschafter nach Paris hatte wegloben wollen, war Hindenburgs Wunsch folgend in Berlin geblieben und nahm neuerlich Kontakt zu Hitler auf, um Möglichkeiten einer gemeinsamen Regierungsübernahme auszuloten. Schleicher suchte nun seinerseits mit Unterstützung des Kabinetts Hindenburg davon zu überzeugen, dass nur die Ausrufung des Staatsnotstands, die Auflösung des Reichstags und der Aufschub von Reichstagsneuwahlen bis zum Herbst 1933 die Krise der Präsidialregierungen zu beenden geeignet sei. Dies verweigerte ihm Hindenburg aber ebenso, wie er es auf Schleichers Betreiben vordem Papen verweigert hatte.[75]
Dem Treffen Papens mit Hitler im Haus des Kölner Bankiers Kurt von Schröder am 4. Januar 1933 folgten weitere, zuletzt in Anwesenheit Otto Meißners, des Staatssekretärs des Reichspräsidenten, sowie Oskar von Hindenburgs, der als Sohn des Reichspräsidenten ebenfalls zu den Beratern in der Kamarilla um Hindenburg gehörte. Man vereinbarte eine Koalitionsregierung aus Deutschnationalen und NSDAP, der außer Hitler nur zwei weitere Nationalsozialisten, nämlich Wilhelm Frick als Innenminister und Hermann Göring als Minister ohne Geschäftsbereich (und kommissarischer preußischer Innenminister), angehören sollten. Papen selbst war als Vizekanzler und Reichskommissar für Preußen vorgesehen.
Der 86-jährige Reichspräsident, der sich lange gegen eine Kanzlerschaft des „böhmischen Gefreiten“ Hitler gesträubt hatte, wurde zuletzt mit dem Hinweis beruhigt, dass ein von einer konservativen Kabinettsmehrheit „eingerahmter“ NSDAP-Führer nur eine geringe Gefahr bedeute. Für diesen Versuch sprach aber aus Sicht Hindenburgs nach allem auch die formale Verfassungskonformität der nunmehrigen Berufung Hitlers zum Reichskanzler. Die Annahme allerdings, Hitler und die Nationalsozialisten in dieser Regierungskonstellation in Schach halten zu können, sollte sich als folgenschwere Fehleinschätzung erweisen. Denn die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 bewirkte in Verbindung mit den weiteren Maßnahmen der sogenannten Machtergreifung faktisch das Ende der Weimarer Republik. Zwar wurde während der gesamten NS-Zeit die Weimarer Reichsverfassung weder formell aufgehoben noch ersetzt, jedoch ist die Verfassung in wesentlichen Punkten materiell dauerhaft außer Kraft gesetzt worden.[76]
Verglichen mit dem Kaiserreich bis zum Jahre 1917 regierten die Kabinette in der Weimarer Zeit eher kurz; die wenigsten verfügten über eine parlamentarische Mehrheit. Als „Weimarer Koalition“ oder „Weimarer Parteien“, die uneingeschränkt zur Republik standen, bezeichnet man
Allerdings fand eine Verfassungsreform mit Stärkung der Exekutive oder des Reichspräsidenten Anhänger bis weit in die Mitte dieser Parteien.
Ein typisches Kabinett der Weimarer Zeit war ein Minderheitskabinett aus Zentrum, DDP und der rechtsliberalen Deutschen Volkspartei (DVP). Da zum effektiven Regieren Gesetze nötig sind, haben die Regierungen aus Zentrum und DDP (und seit 1921 DVP)
Als im Juni 1932 der ehemalige Zentrumsmann Franz von Papen Reichskanzler wurde, waren Zentrum und DDP nicht mehr im Kabinett vertreten: Ihm gehörten, neben acht Parteilosen, nur noch zwei DNVP-Minister an. Ähnlich stand es mit dem Kabinett Schleichers (Dezember 1932/Januar 1933).
Mit der Abteilung I A wurde 1919 auch eine ‚Centrale Staatspolizei‘ (Innennachrichtendienst) gegründet.
Nach den Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung (Konstituante) am 19. Januar 1919 trat die Weimarer Nationalversammlung am 6. Februar 1919 im Nationaltheater in Weimar zu ihrer ersten Sitzung zusammen. Weimar war als Tagungsort gewählt worden, weil Sicherheit und Unabhängigkeit der Volksvertreter aufgrund von Unruhen in der Reichshauptstadt Berlin nicht gewährleistet schienen, und weil man die Stadt der Weimarer Klassik als Signal einer humanitären Rückbesinnung nach innen wie nach außen präsentieren konnte, auch und gerade gegenüber den Siegermächten des Weltkriegs und den anderen Staaten, die von Januar 1919 an in Paris über einen Friedensschluss berieten. Hauptaufgabe der Nationalversammlung war die Schaffung einer Verfassung mit demokratischer Grundordnung.
Maßgeblich verantwortlich für den grundlegenden Verfassungsentwurf war der linksliberale spätere Reichsinnenminister Hugo Preuß. Dieser hatte schon während des Krieges einen Vorschlag für eine demokratisch überarbeitete Verfassung des Deutschen Reiches vorgelegt und war deshalb als Gegner des Obrigkeitsstaates und überzeugter Demokrat bekannt. In der Begründung seines Entwurfs sagte er: „Das deutsche Volk zur sich selbst bestimmenden Nation zu bilden, zum ersten Mal in der deutschen Geschichte den Grundsatz zu verwirklichen: die Staatsgewalt liegt beim Volk, – das ist der Leitgedanke der freistaatlichen deutschen Verfassung von Weimar […].“
Der Entwurf löste heftig geführte Diskussionen zwischen den verschiedenen politischen Lagern aus, da er eine tiefe Zäsur gegenüber der politischen Ordnung des Kaiserreichs darstellte. Die Verfassung hatte schließlich zwar einen genuin demokratischen Charakter, wurde jedoch von vielen als Kompromissverfassung angesehen, da an der Entwicklung viele Parteien mit gegensätzlichen Positionen und Interessen beteiligt waren. An die Stelle der politischen Grundentscheidung traten vielfach dilatorische Formelkompromisse, die ein Nebeneinander von Programmen und positiven Bestimmungen nach sich zogen, dem die „verschiedenartigsten politischen, sozialen und religiösen Inhalte und Überzeugungen zugrunde liegen“.[77] Der Kompromisscharakter erschwerte zwar vielen die Identifikation mit der Verfassung, gleichwohl erzeugte die Konstitution eine Normativität, die am Ende selbst die Nationalsozialisten vor einem offenen Verfassungsbruch zurückschrecken ließ.
Durch die Weimarer Verfassung wurde das Deutsche Reich erstmals eine parlamentarische Demokratie mit in der Verfassung verankerten liberalen und sozialen Grundrechten. Auf der Ebene des Gesamtstaates wurden die Reichsgesetze vom auf vier Jahre gewählten Reichstag beschlossen, bei dem auch das Budgetrecht lag und der den Reichskanzler und jeden Minister durch ein destruktives Misstrauensvotum absetzen konnte. Außer vom Reichstag war der Reichskanzler auch vom Reichspräsidenten abhängig, der ihn einsetzen und absetzen konnte. Da der Reichspräsident eine herausgehobene und machtpolitisch potenziell einflussreiche Position innehatte, wird er in der Literatur oftmals dem Kaiser gleichgestellt, man spricht auch vom „Ersatzkaiser“. Er wurde auf sieben Jahre vom Volk gewählt und konnte im Einvernehmen mit dem Reichskanzler Notverordnungen erlassen, durch die sogar Grundrechte zeitweilig außer Kraft gesetzt werden konnten. Selbst der mögliche Widerstand des Reichstags dagegen konnte ggf. ausgeschaltet werden, da der Reichspräsident ihm gegenüber das Auflösungsrecht hatte. Die Verfassung basierte auf dem Rechtspositivismus, was bedeutet, dass sie der Verfassungsrevision (Art. 76) keine substanziellen Schranken zog. Der führende Verfassungskommentator Gerhard Anschütz äußerte dazu: „Auf dem durch Art. 76 geregelten Gesetzgebungswege können Verfassungsrechtsänderungen jeder Art bewirkt werden: nicht nur minder bedeutsame, mehr durch technische als durch politische Erwägungen bedingte, sondern auch bedeutsame, einschließlich solcher, die sich auf die rechtliche Natur des föderativ organisierten Reichsganzen (Bundesstaat), die Zuständigkeitsverschiebung zwischen Reich und Ländern, die Staats- und Regierungsform des Reichs und der Länder (Republik, Demokratie, Wahlrecht, Parlamentarismus, Volksentscheid, Volksbegehren) und andere prinzipielle Fragen (Grundrechte) beziehen. Die durch Art. 76 den hier bezeichneten qualifizierten Mehrheiten übertragene verfassungsändernde Gewalt ist gegenständlich unbeschränkt.“[78]
Im dritten Abschnitt der Weimarer Verfassung wurde unter anderem auf eine Staatskirche verzichtet; damit war das bis dahin noch geltende „landesherrliche Kirchenregiment“ abgeschafft, nach dem der Landesherr Träger der Regierungsgewalt in der evangelischen Landeskirche war.