Loading AI tools
deutscher Journalist und Buchautor Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Thomas Urban (* 20. Juli 1954 in Leipzig) ist ein deutscher Journalist und Sachbuchautor.
Urbans Eltern stammen aus Breslau.[1] Als Heimatvertriebene ließen sie sich zunächst in der Sowjetischen Besatzungszone bei Leipzig nieder. Ende 1955 floh die Familie aus der DDR.
Seine Schulzeit verbrachte Urban in Oberaußem bei Köln im Rheinischen Braunkohlerevier. Im Jahre 1973 bestand er am Erftgymnasium Bergheim das Abitur.[2][3] Anschließend leistete er Wehrdienst und wurde Reserveoffizier. Er betrieb Judo als Leistungssport und erreichte den 1. Dan. An der Universität zu Köln studierte er Romanistik, Slavistik und Osteuropäische Geschichte; dank mehrerer DAAD-Stipendien studierte er auch in Tours, Kiew und Moskau.
In Köln wurde Urban Mitarbeiter des aus der Sowjetunion ausgebürgerten russischen Dissidenten Lew Kopelew.[4] Zum Graduiertenstudium begab er sich 1981/82 an die Lomonossow-Universität Moskau. Da er im Auftrag von Kopelew Briefe und Medikamente für Dissidenten transportiert hatte, wurde er vom KGB verhaftet und abgeschoben.[5] Urban fand eine Anstellung als Russischlehrer im Bundessprachenamt.[6]
Nach dem Besuch der Henri-Nannen-Schule in Hamburg arbeitete Urban zunächst für Associated Press (AP), dann für die Deutsche Presse-Agentur (dpa). Von 1988 bis 2012 war er Osteuropa-Korrespondent für die Süddeutsche Zeitung (SZ). Bis 1992 berichtete er aus Warschau, wo er den Untergang der Parteiherrschaft und den Umbau des Wirtschaftssystems verfolgte. Von 1992 bis 1997 war er Bürochef in Moskau; er analysierte die großen Umbrüche unter Boris Jelzin und verfasste auch Reportagen von den Schauplätzen des Abchasienkrieges sowie des Ersten Tschetschenienkrieges.[7] Von 1997 bis 2012 berichtete er aus Kiew, unter anderem über die Orange Revolution, und wieder aus Warschau, wo er den Aufstieg der Kaczyński-Zwillinge journalistisch begleitete. In der Debatte über die Vertreibung der Deutschen aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße sprach er sich gegen die Initiative der Vertriebenenorganisation Preußische Treuhand aus, von Polen Entschädigung für die zwangsweise aufgegebenen Immobilien der früheren deutschen Einwohner zu verlangen.[8]
Von 2012 bis 2020 war Urban SZ-Korrespondent in Madrid.[9] In Kommentaren und Analysen verteidigte er die Austerität als Ausweg aus den Wirtschaftskrisen Spaniens und Portugals.[10][11] Für die Zeitschrift Opernwelt berichtete er über Neuproduktionen des Teatro Real.[12]
Seit 2022 analysiert er für das Magazin Cicero Entwicklungen im ehemaligen Ostblock.[13]
Urban legte mehrere Bücher über die deutsch-polnische Konfliktgeschichte vor, beginnend mit den Kontroversen um die deutsche Minderheit in Polen: Deutsche in Polen (1993). In seiner Rezension für Die Zeit unterstrich Klaus Bednarz, dass der Autor „ebenso vorurteils- wie emotionslos“ ein in Polen „lange geleugnetes“ Kapitel der Zeitgeschichte aufarbeite.[14]
Für sein Buch Der Verlust (2004) über die wechselseitigen Vertreibungen und Zwangsaussiedlungen von Deutschen und Polen wurde er mit dem Georg-Dehio-Buchpreis ausgezeichnet. In seiner Laudatio stellte Hans Maier fest, die „sachkundige und objektive“ Darstellung hinterlasse beim Leser „Nachdenklichkeit“.[15] Klaus Bednarz befand in seiner Rezension, dass das Buch eine „wertvolle Hilfe“ bei der „Verständigung zwischen Deutschen und Polen“ sei.[16] Der frühere schweizerische Diplomat Paul Stauffer meinte, die in ihrer „Unverkrampfheit sympathische“ Darstellung lasse auf eine „Auflockerung der starren Feindbilder“ hoffen.[17]
Der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt betrauten Urban für die von ihnen ab 2008 herausgegebene Buchreihe Die Deutschen und ihre Nachbarn mit dem Band über Polen. In seiner Rezension in der Zeit nannte Klaus Harpprecht Urbans Buch „eine vorzügliche Studie, die zu der Hoffnung Anlass gibt, dass zwischen Polen und Deutschen eine ähnlich intensive Partnerschaft gedeihen könnte, wie sie zwischen Franzosen und Deutschen gewachsen ist“.[18]
2020 legte er gemeinsam mit seinem Redaktionskollegen Matthias Drobinski eine Biografie des polnischen Papstes Johannes Paul II. vor. Joachim Frank zog in der Frankfurter Rundschau das Resümee: „Drobinski und Urban würdigen die historischen Verdienste des Papstes, holen ihn vom Sockel abgöttischer Verehrung, aber sie retten ihm auch den Heiligenschein.“[19] Marta Kijowska sprach in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von einem „facettenreichen, stellenweise kritischen, doch stets mit viel Respekt und Sympathie gezeichneten Porträt“.[20]
In der Monographie Russische Schriftsteller im Berlin der zwanziger Jahre (2003) zeichnete Urban die russische Literaturszene in Berlin in den Jahren 1921 bis 1923 nach.[21]
Sein Buch Katyn 1940 (2015) über das Massaker von Katyn nannte Rainer F. Schmidt in der FAZ eine „zeitgeschichtliche Leistung höchsten Ranges“.[22] Der Schriftsteller Marko Martin bezeichnete es in der Welt als „Standardwerk“.[23] Urban konnte erstmals nachweisen, dass ehemalige Offiziere der Wehrmacht aus den Reihen der Widerstandsbewegung bei den Nürnberger Prozessen entscheidend zur Blockierung der sowjetischen Initiative beigetragen haben, Katyn auf die Liste deutscher Kriegsverbrechen zu setzen.[24][25]
In der von Heribert Prantl herausgegebenen Reihe Streitschrift der Süddeutschen Zeitung edition erschien Urbans Buchessay Die Irrtümer des Kremls zur Annexion der Halbinsel Krim durch Russland sowie zum russisch-ukrainischen Krieg um den Donbass. Rupert Neudeck nannte in seiner Rezension den Essay „vorzüglich“, verfasst von jemandem, der „ganz genau Bescheid weiß in einer aufgeregten Debatte“.[26]
In seinem am Vorabend des russischen Überfalls auf die Ukraine im Februar 2022 verfassten Buch Verstellter Blick. Die deutsche Ostpolitik beschrieb Urban dem Rezensenten Marko Martin zufolge, wie die Bundesregierungen die „historisch begründeten Ängste vor einer deutsch-russischen Allianz“ der anderen osteuropäischen Länder sowie das „russische Großmachtstreben“ ignorierten.[27] Er vertritt darin die Ansicht, dass in Deutschland der Anteil der Ostpolitik Willy Brandts an der Beendigung des Kalten Kriegs übertrieben dargestellt werde; Hauptfaktor für den Zusammenbruch des Ostblocks sei vielmehr der militär- und wirtschaftspolitische Druck der USA unter Ronald Reagan gewesen, darunter die Überflutung des Weltmarkts mit billigem Erdöl, wodurch Moskau die Deviseneinnahmen weggebrochen seien.[28] Armin Laschet befand als Rezensent, das Buch trage dazu bei, „einen Dialog über Grenzen und Kulturen hinweg besser führen zu können“.[29]
Besonderes Interesse Urbans fand die politische Fußballgeschichte Polens und der Sowjetunion. Die zeitgeschichtliche Monographie Schwarzer Adler, weißer Adler. Deutsche und polnische Fußballer im Räderwerk der Politik (2011) nannte der elsässische Autor Martin Graff eine „wahre Fundgrube“, Fußball sei als „Spiegelbild der Vergangenheit“ dargestellt.[30]
Während der Fußballeuropameisterschaft 2012 wurde eine von Urban auf der Grundlage des Buchs mitgestaltete Ausstellung in der deutschen Botschaft sowie dem Haus der Geschichte in Warschau gezeigt.[31][32] Urban wurde ins Trainingslager der deutschen Nationalmannschaft bei Nizza eingeladen, um an einem Informationsabend für die Spieler über die Gastgeberländer Polen und Ukraine mitzuwirken.[33]
Aus Anlass der Fußballeuropameisterschaft 2012, deren Finale in Kiew ausgetragen wurde, analysierte er russische und ukrainische Publikationen zum angeblichen Todesspiel von 1942, dessen Folgen (Exekution sowjetischer Fußballer, die im besetzten Kiew eine Wehrmachtself geschlagen haben) nach seiner Darstellung eine Legende der sowjetischen Propaganda waren.[34] Nach seiner Ansicht stellte nicht nur der sowjetische Spielfilm Die dritte Halbzeit (Treti taim, 1964), sondern auch die russische Neuverfilmung des Themas, Match (2012), den Gang der Dinge erheblich verfälscht dar.[35] Zudem beleuchtete er das Schicksal der Fußballbrüder Starostin in der Sowjetunion der Stalinzeit.[36][37]
Urban ist mit einer Polin aus Breslau verheiratet, der Heimatstadt seiner Eltern.[38]
Seamless Wikipedia browsing. On steroids.
Every time you click a link to Wikipedia, Wiktionary or Wikiquote in your browser's search results, it will show the modern Wikiwand interface.
Wikiwand extension is a five stars, simple, with minimum permission required to keep your browsing private, safe and transparent.