Default Mode Network
Ruhezustandsnetzwerk Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Als Default Mode Network (englisch DMN ‚Standard- oder Voreinstellungsmodusnetzwerk‘ bzw. sinngemäß ‚Ruhezustandsnetzwerk‘) bezeichnet man eine Gruppe von Gehirnregionen, die beim Nichtstun aktiv werden und beim Lösen von Aufgaben deaktiviert werden. Die Ruheaktivität dieser Hirnregionen lässt sich mit fMRT (v. a. Resting state fMRI), PET, EEG und MEG nachweisen.

Erläuterung und Abgrenzung
Zusammenfassung
Kontext
Im menschlichen Gehirn können zwei funktional miteinander verbundene neuronale Netzwerke unterschieden werden, die an unterschiedlichen Aufmerksamkeitsprozessen beteiligt sind. Das „Default Mode Network (DMN)“ ist vor allem dann aktiv, wenn eine Person wach, aber nicht gezielt mit einer Aufgabe beschäftigt ist. Es unterstützt die nach innen gerichtete Aufmerksamkeit, etwa bei Selbstreflexion oder „innerem“ Denken. Das DMN erzeugt eine kohärente „innere Erzählung“, die die Konstruktion des Selbstgefühls steuert.[1]
Im Gegensatz dazu wird das sogenannte „Anti Correlated Network“ insbesondere bei der Verarbeitung „äußerer“ Reize aktiviert und ist mit nach außen gerichteter Aufmerksamkeit verbunden.[2] Das beschreibend als „Anti Correlated Network“ bezeichnete System umfasst im eigentlichen Sinne das „Task-Positive Network (TPN)“ oder das „Central Executive Network (CEN)“[3], das in der Literatur auch als „Frontoparietal Network (FPN)“ bekannt ist. Diese Netzwerke zeigen typischerweise eine negative Korrelation zur Aktivität des „Default Mode Networks (DMN)“. Ist das DMN aktiv, sind sie inaktiv – und umgekehrt.[4][5][6]

Einschränkend ist zu sagen, dass obwohl das DMN hauptsächlich mit reizunabhängigen Gedanken verbunden ist, kann es durchaus auch durch äußere Reize beeinflusst werden, wobei verschiedene Bereiche des DMN unterschiedlich stark auf die äußere Stimulation reagieren.
Die Aktivität dieser Hirnregionen ist korreliert. Deshalb wird diese Gruppe von synchron aktiven Hirnregionen als Netzwerk aufgefasst. Das Netzwerk kann mit dem mathematischen Werkzeug Graphentheorie beschrieben werden. Zu den beteiligten Hirnregionen gehören z. B. der mediale präfrontale Cortex, Precuneus, Teile des Gyrus cinguli sowie – schwächer angebunden – der Lobulus parietalis superior des Scheitellappens und der Hippocampus. Die einzelnen Hirnstrukturen sind durch Weißesubstanzbahnen synaptisch miteinander verbunden.


Das DMN wird unter anderem dann aktiv(er), wenn ein Mensch tagträumt, Zukunftspläne macht usw. Es ermöglicht das sogenannte „reizunabhängige Denken“, (englisch stimulus-independent thought).
Gezeigt werden konnte, dass die anatomische und funktionelle Konnektivität des Gehirns im Bereich des Default Mode Networks am stärksten überlappt. Dies wurde so interpretiert, dass der anatomische Aufbau des Gehirns eine Aktivierung des Netzwerks in Zuständen begünstigt, in welchen keine aufgabenspezifische Anforderung besteht (in Ruhezuständen).[12]
Die wichtigsten Regionen im DMN, so z. B. der mediale präfrontale Kortex (mPFC), der posteriore cinguläre Kortex (PCC) und der Precuneus, sind alle mit Aspekten des Selbsterlebens assoziiert:
- mPFC: Selbstbezogene Bewertung, Identitätsgefühl;
- PCC / Precuneus: Integration von autobiografischem Gedächtnis und Selbstbild;
- Temporallappen: soziale Vorstellungskraft, „Selbst-in-Beziehung-zu-anderen“.
Entdeckung
Das Default Mode Network wurde 2001 von Marcus E. Raichle et al. beschrieben[13] Dabei wurden die aktivierten Gehirnareale im vermeintlichen Ruhezustand mit geschlossenen Augen oder ruhig auf einen Punkt fixiertem Blick mit denen verglichen, die während der Lösung von konkreten Aufgaben aktiviert waren. Es wurden Gebiete gefunden, die im Ruhezustand aktiver waren als bei der Konzentration. Nachdem man Fehldarstellungen ausgeschlossen hatten, wurde erkannt, dass das Gehirn Hintergrundaktivitäten zeigt, die im Ruhezustand vorherrschen, aber bei der Konzentration auf konkrete Funktionen heruntergefahren werden.[14]

Funktionen
Zusammenfassung
Kontext
Zur Funktionalität des Ruhezustandsnetzwerks gibt verschiedene Untersuchungen und daraus abgeleitete Hypothesen. So könnte das DMN an mehreren verschiedenen Hirnprozessen beteiligt sein:
- Es ist möglicherweise die neurologische Grundlage für das psychologisch definierte Selbst:
- Autobiografische Informationen: Erinnerungen an gesammelte Ereignisse und Fakten über sich selbst;
- Selbstreferenz: Bezugnahme auf Eigenschaften und Beschreibungen der eigenen Person (Selbstbeobachtung, Selbstreflexion);
- Emotion des eigenen Selbst: Reflexion über den eigenen Gefühlszustand;
- An andere denken[17].
- In der psychologischen Theorie über mentale Prozesse, der Theory of Mind:
- Über die Gedanken anderer nachdenken und darüber, was sie wissen oder nicht wissen könnten;
- Emotionen anderer: Die Emotionen anderer Menschen verstehen und sich in ihre Gefühle hineinversetzen;
- Moralische Argumentation: Bestimmung eines gerechten und eines ungerechten Ergebnisses einer Handlung;
- Soziale Bewertungen: Gut-Schlecht-Einstellungsurteile über soziale Konzepte;
- Soziale Kategorien: Reflexion über wichtige soziale Merkmale und den Status einer Gruppe;
- Soziale Isolation: Ein wahrgenommener Mangel an sozialer Interaktion[18].
- Sich an die Vergangenheit erinnern und über die Zukunft nachdenken:
- Sich an die Vergangenheit erinnern: Sich an Ereignisse erinnern, die in der Vergangenheit passiert sind;
- Sich die Zukunft vorstellen: Sich Ereignisse vorstellen, die in der Zukunft passieren könnten;
- Episodisches Gedächtnis: Detaillierte Erinnerung an bestimmte Ereignisse in der Zeit;
- Story-Verständnis: Eine Erzählung verstehen und sich daran erinnern;
- Wiederholung: Konsolidierung kürzlich erworbener Gedächtnisspuren[19].
Klinische Relevanz
Bei einigen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen hat man Veränderungen im DMN gefunden (u. a. Alzheimer-Krankheit, Depression, Autismus-Spektrum-Störungen und Schizophrenie).
Bewusstseinszustände
Veränderte Bewusstseinszustände (VBZ)[20] oder erweiterter Bewusstseinszustand, (englisch altered state of consciousness (ASC), manchmal auch veränderter Wachbewusstseinszustand (VWB) oder außergewöhnliche Erfahrung (AgE)[21], auch als außergewöhnliche oder nicht-alltägliche Bewusstseinszustände bezeichnet, gehen häufig mit einer veränderten Aktivität im Default Mode Network (DMN) einher. Das DMN ist in typischen Ruhezuständen aktiv und spielt eine zentrale Rolle bei selbstbezogenem Denken, innerer Reflexion und autobiografischem Gedächtnis (englisch Highly Superior Autobiographical Memory). In vielen Formen veränderter Bewusstseinszustände – etwa unter Einfluss von Meditation[22], Hypnose, sensorischer Deprivation oder psychoaktiven Substanzen (Entheogene)[23], spirituellen oder mystischen Erfahrungen[24] – wird eine Verringerung der Aktivität im DMN beobachtet. Eine verminderte Aktivität im DMN wird während der Meditation[25] beobachtet, die Aktivität im DMN ist reduziert. Dies kann mit einem Gefühl der Präsenz und der Konzentration auf den aktuellen Moment in Verbindung gebracht werden.[26]
Literatur
- M. Pievani, W. de Haan, T. Wu, W. W. Seeley, G. B. Frisoni: Functional network disruption in the degenerative dementias. In: The Lancet Neurology, Band 10, Nummer 9, September 2011, ISSN 1474-4465, S. 829–843, doi:10.1016/S1474-4422(11)70158-2, PMID 21778116 (Review).
- A. Otti, H. Gündel, A. Wohlschläger, C. Zimmer, C. Sorg, M. Noll-Hussong: „Default-mode“-Netzwerk des Gehirns. In: Der Nervenarzt, Band 83, Nummer 1, Januar 2012, ISSN 1433-0407, S. 16–24, doi:10.1007/s00115-011-3307-6, PMID 21584789 (Review).
- Grodd, W., Beckmann, C: Funktionelle MRT des Gehirns im Ruhezustand. In: Der Nervenarzt (2014) 85: 690. doi:10.1007/s00115-014-4013-y, PMID 24849117.
- Grodd, W., Beckmann, C: Resting-State-fMRT. Kap. 15, In: Frank Schneider, Gereon R. Fink (Hrsg.): Funktionelle MRT in Psychiatrie und Neurologie. 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage 2013, Springer-Verlag Berlin Heidelberg, ISBN 978-3-642-29799-1, ISBN 978-3-642-29800-4 (E-Book), doi:10.1007/978-3-642-29800-4
- Anup Das, Carlo de los Angeles, Vinod Menon, Electrophysiological foundations of the human default-mode network revealed by intracranial-EEG recordings during resting-state and cognition. NeuroImage, Volume 250, 2022, 118927, https://doi.org/10.1016/j.neuroimage.2022.118927.
- Wang Y, Li J, Zeng L, Wang H, Yang T, Shao Y and Weng X (2022). Open Eyes Increase Neural Oscillation and Enhance Effective Brain Connectivity of the Default Mode Network: Resting-State Electroencephalogram Research. Front. Neurosci. 16:861247. doi:10.3389/fnins.2022.861247.
- Chow R, Rabi R, Paracha S, Hasher L, Anderson ND, Alain C. Default Mode Network and Neural Phase Synchronization in Healthy Aging: A Resting State EEG Study. Neuroscience. 2022 Mar 1;485:116-128. doi:10.1016/j.neuroscience.2022.01.008.
- Menon V: 20 years of the default mode network: A review and synthesis. Neuron. 2023 May 7:S0896-6273(23)00308-2. doi:10.1016/j.neuron.2023.04.023.
Weblinks
- Deutschlandfunk: Was beim Tagträumen im Gehirn geschieht (Oktober 2013)
- Spektrum der Wissenschaft: Im Kopf herrscht niemals Ruhe (Juni 2010, PDF kostenfrei abrufbar)
- Steve Ayan: Die Vorteile des Tagträumens, Gehirn & Geist, Heft 4/2016.
- Graphik der Verbindungen: Strukturelle Verbindungen, die das DMN unterstützen. a entspricht den Assoziationsbahnen, die die kortikalen Regionen des DMN verbinden. b veranschaulicht die Projektionsbahnen, die die Verbindungen zwischen subkortikalen und kortikalen Regionen des DMN vermitteln, aus media.springernature.com , Alves, P.N., Foulon, C., Karolis, V. et al. An improved neuroanatomical model of the default-mode network reconciles previous neuroimaging and neuropathological findings. Commun Biol 2, 370 (2019). https://doi.org/10.1038/s42003-019-0611-3, auf www.nature.com
Einzelnachweise
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