Top-Fragen
Zeitleiste
Chat
Kontext

Embodied Cognition

These, dass Bewusstsein einen Körper benötigt Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Remove ads

Embodied Cognition (dt. etwa: „verkörperte Kognition“) bezeichnet in der Kognitionswissenschaft eine Forschungsrichtung, nach der kognitive Prozesse grundlegend in Körperzustände, Wahrnehmung, Handlungsmöglichkeiten und die je aktuelle Umwelt eingebettet sind. Kognition wird demnach nicht allein als abstrakte Symbolverarbeitung im Gehirn verstanden, sondern als in Körper-und-Welt-Interaktionen „geerdet“ (engl. grounded). Nicht zu verwechseln mit Embodiment, einem verwandten, aber breiter gefassten Begriff aus verschiedenen Disziplinen.[1][2]

Remove ads

Begriff und Bedeutung

Unter Embodied Cognition werden Positionen zusammengefasst, die kognitive Repräsentationen und Operationen als durch sensorisch-motorische Systeme mitbestimmt ansehen. Wahrnehmen, Bewegen, Gestikulieren, Greifen oder Gehen sind dabei nicht nur „Begleiterscheinungen“ des Denkens, sondern tragen – je nach Ansatz – konstitutiv zur Formierung, Aufrechterhaltung und zum Abruf kognitiver Inhalte bei.[3] In Abgrenzung zum klassischen Kognitivismus betonen EC-Ansätze die Verkörperung, Einbettung und Situierung von Kognition sowie deren Dynamik im Handeln.

Remove ads

Historische Entwicklung

Frühe Impulse finden sich in der phänomenologischen Tradition (u. a. Maurice Merleau-Ponty). In den 1980er-Jahren erhielt die Idee durch linguistisch-philosophische Arbeiten (insbesondere die Konzeptuelle Metapherntheorie) neue Aufmerksamkeit.[4] Seit den 1990er-Jahren formierten sich kognitionspsychologische und neurowissenschaftliche Programme, die Wahrnehmung-Handlungs-Kopplungen experimentell untersuchen und theoretisch modellieren (z. B. perceptual symbol systems, simulatives Verstehen).[5]

Remove ads

Theoretische Ansätze

In der Literatur werden mehrere, teilweise überlappende Stränge unterschieden:

  • Grounded Cognition / Perceptual Symbol Systems (PSS): Kognitive Repräsentationen beruhen auf – und reaktivieren – sensorisch-motorische Erfahrung; Abruf erfolgt über „situated simulations“.[6]
  • 4E-Kognition (embodied, embedded, enactive, extended): Kognition ist verkörpert, in Umweltstrukturen eingebettet, als aktives Hervorbringen (enaktiv) zu verstehen und kann über den Organismus hinausreichen (z. B. Werkzeuge, Notizsysteme).[7]
  • Präzisierungen betonen, dass „Embodiment“ nicht auf reine Bewegung oder Aktion zu verengen ist, sondern Modalität, Affekt, Kontext und Handlungsziele einschließt.[8]

Empirische Befunde

Eine Reihe von Befunden weist auf systematische Kopplungen zwischen Körper, Raum und kognitiven Inhalten hin:

  • Zahlen-Körper-Kopplungen: Studien zu Fingergebrauch, räumlichen Zahlenassoziationen (SNAs) und SNARC-Effekten zeigen, dass Zahlverstehen mit Körper- und Raumbezügen verbunden ist.[9]
  • Begehbare Zahlenstrahlen: Trainings, bei denen Lernende Zahlpositionen auf einem am Boden ausgelegten Zahlenstrahl aufsuchen („gehen“), verbessern Zahlraumrepräsentationen und Rechenleistungen gegenüber Sitz-Kontrollen.[10]
  • Evidence Syntheses: Übersichtsarbeiten berichten über positive, aber aufgaben- und kontextabhängige Effekte verkörperter Lernarrangements in der (frühen) Mathematik.[11]
Remove ads

Anwendungen

Embodied Cognition-Befunde wurden in verschiedenen Bereichen aufgegriffen (z. B. Sprache-Gesten-Kopplung, naturwissenschaftliches Experimentieren). In der frühen mathematischen Bildung gelten bewegungs- und handlungsbasierte Arrangements als prototypisch. Ein Beispiel ist der begehbare Zahlenweg, bei dem Kinder Zahlenfolgen räumlich und körperlich erkunden; entsprechende Formate wurden im deutschsprachigen Raum u. a. im didaktischen Konzept Komm mit ins Zahlenland beschrieben.[12] Die Befundlage wird als vielversprechend eingeschätzt, ist jedoch abhängig von Aufgabentyp, Lernziel, Altersgruppe und didaktischer Einbettung.[13]

Thumb
Kinder bringen Ordnung in den Zahlenraum 1–10 – ein Beispiel für verkörpertes Lernen (Embodied Cognition) in der frühen mathematischen Bildung
Remove ads

Kritik und Diskussion

Kritische Stimmen bemängeln teils unscharfe Begriffsverwendungen, unzureichende Spezifikation von Wirkmechanismen sowie Replikationsfragen. Gefordert werden präzisere Vorhersagen und Abgrenzungen zu klassischen kognitiven Modellen.[14][15] Insgesamt wird Embodied Cognition weniger als einheitliche Theorie denn als Forschungsrahmen mit unterschiedlichen, empirisch prüfbaren Hypothesen verstanden.[16]

Remove ads

Rezeption im deutschsprachigen Raum

Im deutschsprachigen Diskurs findet Embodied Cognition Resonanz in Psychologie, Didaktik und Frühpädagogik. Praxisorientierte Umsetzungen in der frühen mathematischen Bildung – u. a. begehbare Zahlenräume – wurden in Konzepten wie Komm mit ins Zahlenland aufgegriffen; exemplarisch wird die Verbindung von Zahl, Raum und Interaktion auch im Kontext des pädagogischen Konzepts Zahlenweg diskutiert. Populärwissenschaftliche Einführungen finden sich in allgemeinverständlichen Darstellungen (z. B. Dossiers und Übersichtsartikel).

Remove ads

Literatur

  • Lawrence W. Barsalou: Grounded Cognition. In: Annual Review of Psychology 59 (2008), S. 617–645.
  • George Lakoff, Mark Johnson: Metaphors We Live By. University of Chicago Press, Chicago 2003.
  • Martin H. Fischer, Peter Brugger: When digits help digits … In: Frontiers in Psychology 2 (2011), Art. 260.
  • Timo Link, Korbinian Moeller, Stefan Huber, Hans-Christoph Nuerk: Walk the number line … In: Learning and Instruction 26 (2013), S. 40–49.
  • Tabea Dackermann u. a.: Applying Embodied Cognition to the Classroom … In: ZDM – Mathematics Education 49 (2017), S. 613–624.
  • Bradford Z. Mahon, Alfonso Caramazza: A critical look at the Embodied Cognition Hypothesis … In: Journal of Physiology-Paris 102 (2008), S. 59–70.
  • Margaret Wilson: Six views of Embodied Cognition. In: Psychonomic Bulletin & Review 9 (2002), S. 625–636.
  • Sharon M. Weisberg u. a.: Embodied Cognition and STEM Learning. In: Frontiers in Psychology 8 (2017), Art. 1457.
  • Gerhard Friedrich, Horst Munz: Förderung schulischer Vorläuferfähigkeiten durch das didaktische Konzept „Komm mit ins Zahlenland“. In: Psychologie in Erziehung und Unterricht 53 (2006), S. 134–146.
  • Gerhard Friedrich: Komm mit ins Zahlenland. Eine Entdeckungsreise in die Welt der Mathematik für Kinder von 4 bis 6 Jahren. Herder, Freiburg 2004.
  • Gerhard Friedrich: Komm mit, lass uns Mathe spielen. Ein Zahlenland-Aktionsbuch für die Kita. Herder, Freiburg 2017.
  • Albert Newen, Leon De Bruin, Shaun Gallagher (Hrsg.): The Oxford Handbook of 4E Cognition. Oxford University Press, Oxford 2018, 960 Seiten, ISBN 978-0-19-873541-0, doi:10.1093/oxfordhb/9780198735410.001.0001.
Remove ads
Commons: Embodied Cognition – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

Loading related searches...

Wikiwand - on

Seamless Wikipedia browsing. On steroids.

Remove ads