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Graham Nelson

britischer Mathematiker und Erfinder der Programmiersprache Inform Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

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Graham A. Nelson (* 1968 in Chelmsford) ist ein britischer Mathematiker. Bekannt wurde er als Erfinder der Programmiersprache Inform. Zusätzlich betätigte er sich erfolgreich im Bereich der Dichtkunst.

Leben

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Graham Nelson wurde 1968 in Chelmsford in der Grafschaft Essex in England geboren, ungefähr 45 km nordöstlich von London.[1] Sein Vater Peter war Elektroingenieur, seine Mutter Christine Angestellte im öffentlichen Dienst. Die Familien beider Elternteile stammen aus Gosport an der südenglischen Küste. Seine Kindheit und Jugend verbrachte Graham im Chelmsforder Stadtteil Great Baddow.

In den 1970er-Jahren stieß Nelson durch einen Nachbarn, der für die britische Niederlassung von DEC arbeitete und Zugang zu Spielen auf deren Großrechner-Netzwerk hatte, auf das Computerspiel Adventure, das ihn nachhaltig prägte und seine spätere Arbeit im Bereich Interactive Fiction beeinflussen sollte.[2] 1980 bekam er zum zwölften Geburtstag einen Acorn Atom geschenkt. Noch im selben Jahr verkaufte er einen selbst programmierten Frogger-Klon an den Publisher A&F Software in Rochdale.[3] 1981 kaufte ihm sein Vater einen BBC Micro. Für diesen Heimcomputer erstellte er gemeinsam mit seinem Bruder Toby und seinem Cousin Adrian das Platformer-Spiel Crystal Castle, das er erfolglos dem in Leeds beheimateten Publisher Superior Software anbot. Ab da verlegte sich Nelson auf das Erstellen von Textadventures im Stile von Adventure. 1984 veröffentlichte er über einen lokalen Kleinstpublisher die beiden Science-Fiction-Adventures Galaxy’s Edge 1+2.

Etwa 1987 begann Nelson ein Mathematikstudium an der University of Cambridge.[1] Einer seiner Professoren war Jonathan Partington, der am frühen Großrechner-Adventure Acheton mitgewirkt und einige Textadventures für den BBC Micro veröffentlicht hatte. Da Nelsons avisierter Doktorvater John Frank Adams bei einem Autounfall starb und der alternativ für Nelsons Fachgebiet Geometrie in Frage kommende W. B. R. Lickorish gerade ein Sabbatical nahm, wechselte Nelson notgedrungen an das Magdalen College der University of Oxford. 1994 promovierte er dort bei Simon Donaldson mit einer Arbeit über Casson-Invarianten für Kobordismen.[4]

Seines sozialen Umfelds in Cambridge beraubt, las Nelson in seiner Freizeit viel und begann mit dem Schreiben.[1] Bei der Wahl seiner Formate war er relativ wahllos; neben einem Roman schrieb er auch ein Theaterstück sowie mehrere Gedichte. In letzteren fand er ein dauerhaftes Hobby, und er war von 1998 bis 2002 Mitherausgeber des universitären Literaturmagazins Oxford Poetry. 1997 wurde er mit dem Eric Gregory Award für Literaten unter 30 ausgezeichnet.[5]

1991 erschien The Lost Treasures of Infocom, eine Kompilation des Schaffens des US-amerikanischen Studios Infocom, das während der Blüte des Textadventures in den 1980er-Jahren als Primus des Genres galt. Nelson ergatterte eine Version für MS-DOS-Computer, verfügte zu dieser Zeit aber selbst über einen Acorn Archimedes. Mit Hilfe eines im Usenet erhältlichen Interpreters brachte er die Spiele auf seinem Computer zum Laufen. In der Folge kam bei ihm der Wunsch auf, eigene Spiele für den Interpreter zu erstellen. Ein Programm zum Erstellen von Files, die durch den Interpreter abgearbeitet werden konnten, entwickelte sich nach und nach zur Programmiersprache Inform.

Im Wissen darum, dass mehrere Adventure-Programmiersprachen in ihrer Popularität an einem Mangel an verfügbaren Spielen scheiterten, entwickelte Nelson, zu dieser Zeit Doktorand,[6] parallel zu Inform das in Inform geschriebene Spiel Curses.[1] Er erstellte das Skript ohne ein übergreifendes Konzept; die hauptsächlichen Einflussfaktoren waren die alten Infocom-Spiele, die Buchreihe Oxford History of England, Klassiker der Literaturgeschichte und das Gedicht Das wüste Land von T.S. Eliot. Nelson bezeichnete Curses als „Logbuch meines (damaligen) Lesestoffs“.[1] Das Spiel erschien 1993 und hatte einen nachhaltigen Einfluss auf die Interactive-Fiction-Szene. Nick Montfort, Professor für Digitale Medien am Massachusetts Institute of Technology, bezeichnete es 2003 als „das vermutlich bekannteste IF-Spiel seit dem Niedergang von Infocom“.[7] In seiner Anthologie 50 Years of Text Games hält Aaron Reed nach, dass die Kombination aus Inform und Curses das gesamte Interactive-Fiction-Genre über ein Nischendasein hinaus wiederbelebt hätte.[8] Die Veröffentlichung von Inform und Curses begleitend veröffentlichte Nelson die Essaysammlung The Craft of the Adventure, die sich mit Game-Design auseinandersetzte und noch 15 Jahre später von Interactive-Fiction-Autoren als grundlegendes Werk für die Entwicklung von Textadventures betrachtet wurde.[9]

1995 veröffentlichte Nelson die erste Dokumentation der Spezifikationen der Z-machine, auf der Inform aufbaut.[10] Im selben Jahr präsentierte er Version 8 der Inform-Engine. Parallel dazu hatte er wieder ein Spiel entwickelt, Jigsaw, das ebenso wie Curses als Meilenstein des Genres gilt.[11] Ein Kernaspekt der Inform-Version 8 war eine Erweiterung des virtuellen Speichers und damit der maximalen Spielgröße. Die Erweiterung war Jigsaw geschuldet - das Spiel benötigte in der finalen Version fast doppelt soviel Speicher wie die alte Engine zu bieten hatte. Die Recherchen zur Titanic-Sequenz des Spiels (Jigsaw ist ein Zeitreise-Adventure) führten zu einem mehrfach zitierten Essay in der Literaturzeitschrift Notes & Queries.

Anfang der 2000er-Jahre war Nelson als X bei der britischen Equality and Human Rights Commission beschäftigt.[12] 2004 wechselte er als Redaktionsleiter zu Legenda, dem Verlag der Modern Humanities Research Association.

Im April 2006 kündigte Nelson in der Newsgroup rec.arts.int-fiction die Veröffentlichung von Inform 7 an.[13] Während die um 1 erhöhte Versionsnummer eine Weiterentwicklung implizierte, handelte es sich tatsächlich um ein komplett neues Konzept: Die Syntax orientiert sich an natürlicher Sprache und wird über eine anwenderfreundliche IDE eingegeben, wodurch Menschen mit geringer Programmiererfahrung ermöglicht werden soll, Spiele zu entwickeln. Die in die IDE integrierte Dokumentation veröffentlichte Nelson auch separat als E-Book Writing with Inform & The Inform Recipe Book.

Privates

Nelson ist seit den 2000er-Jahren mit der US-amerikanischen Managerin, Journalistin und Interactive-Fiction-Autorin Emily Short verheiratet.[14] Ein erster Kontakt zwischen beiden erfolgte, als Short Nelson eine Feedback-Email zu seinem Spiel Jigsaw schrieb. Nelson hat einen jüngeren Bruder, Toby, der zeitweise als Programmierer bei Electronic Arts beschäftigt war.[1] Er bezeichnet Marcel Proust und The Beatles als seine Lieblingskünstler des 20. Jahrhunderts.[11]

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Werk und Rezeption

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Der Ludohistoriker Jimmy Maher bezeichnete Nelson 2019 als den „bedeutendsten technischen Architekten der Interactive Fiction der letzten 30 Jahre“.[1] Mit Inform und Curses habe Nelson Textadventure-Fans „Hoffnung auf eine Zukunft ihres Lieblingsgenres gegeben und viele von ihnen inspiriert, selbst Spiele zu erstellen“. Die Veröffentlichung von Curses stelle den Beginn der „Interactive Fiction Renaissance“ und den Startpunkt der Interactive-Fiction-Kultur in ihren heutigen Strukturen dar.[10] Der „stille und nachdenkliche Engländer“ Nelson habe mit Curses und Inform eine Community nach seinen Vorstellungen erzeugt. Nelsons Sprache sei geprägt durch trockenen Humor und einen durch und durch englischen Stil. Das Spiel sei „vollgestopft“ mit kulturellen Bezügen, ohne aber etwas über selbige auszusagen. Ungewöhnlich für die damalige Zeit sei die Vorwegnahme einiger Aspekte von Software-as-a-Service bei der Veröffentlichung von Curses - damals seien Spiele generell als finales Produkt veröffentlicht worden, während Curses anhand von Nutzerfeedback über zwei Jahre hinweg kontinuierlich erweitert und verbessert worden sei. Nelson selbst hält Jigsaw für sein gelungeneres Werk und bezeichnete es als „ernsthaft, mit einem anständigen Plot und erwachsen“.[15]

Die Struktur von Nelsons Programmiersprache Inform sei laut Maher so durchdacht, dass die proprietäre Infocom-Programmiersprache ZIL aus den 1980er-Jahren, die wie Inform auf die Architektur der Z-machine aufbaute, im Vergleich „eine gründliche Enttäuschung“ darstelle. Inform habe auch die wirtschaftliche Landschaft der Textadventure-Programmiersprachen durcheinandergewirbelt. Die beiden großen Programmiersprachen zum Erscheinenszeitpunkt, AGT und TADS, waren Shareware-Programme, während Inform als kostenlose Software veröffentlicht wurde. Wenig später hätten die Autoren von AGT und TADS auch ihre Software auf ein kostenloses Modell umgestellt. Mit der Veröffentlichung von Curses kam der Trend, Textadventures als Shareware zu vertreiben, praktisch zum Erliegen.[16] Nelsons Essaysammlung The Craft of Adventure bezeichnete Maher 2019 als „immer noch das klassische Werk“ über Game-Design für Interactive Fiction. 2015 erreichte Inform 7 auf dem TIOBE-Index den 49. Platz, hinter FORTRAN und vor Mathematica.[6]

Nick Montfort, Professor für Digitale Medien am MIT, sieht in Nelsons Inform Designer's Manual Elemente einer Erzähltheorie für Interactive Fiction.[17] So philosophiere Nelson über Diegese, Hypodiegese und Extradiegese, allerdings nicht aus erzähltheoretischen Motiven, sondern unter dem Gesichtspunkt der Hilfestellung beim Designprozess von IF-Spielen. Auch der KI-Forscher und Direktor des Star Lab an der TU Delft Neil Yorke-Smith zitiert Nelson ausgiebig zu erzähltheoretischen Fragen.[18]

Die New York Times bezeichnete Nelson als „einen der literarisch fokussierteren Autoren der Interactive Fiction“. Seine Werke seien „eine mathematische Konstruktion, ein eng verwobenes Universum aus Text und Symbol“, das „die Macht der Sprache auf magische Weise (...) transportiere (und) transformiere“.[2]

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Werke (Auszug)

Literatur

  • Essaysammlung: The Craft of the Adventure: Five articles on the design of adventure games. 2. Auflage. 1995.
  • Gedichtsammlung: Singularities. Hubble Press, Oxford 1997, ISBN 0-9531989-0-1. (mit Polly Clark und Tim Kendall)
  • Essay: The Waste Land Drafts, ‘The Engine’ and the Sinking of the Titanic. In: Notes and Queries. Band 44, Nr. 3, September 1997, S. 356.
  • Essay: The Homology of Moduli Spaces on a Riemann Surface as a Representation of the Mapping Class Group. In: Proceedings of the London Mathematical Society. Band 78, Nr. 2, September 1999, S. 260–282.
  • Sachbuch: The Inform Designer's Manual. 4. Auflage. The Interactive Fiction Library, St. Charles 2001, ISBN 0-9713119-0-0.
  • Essay: Natural Language, Semantic Analysis, and Interactive Fiction. In: Kevin Jackson-Mead and J. Robinson Wheeler (Hrsg.): IF Theory Reader. 2. Auflage. Transcript On Press, Boston 2011, S. 141–188.
  • Sachbuch: Writing with Inform & The Inform Recipe Book. 2014.

Software

  • 1996: Inform 6
  • 2006: Inform 7

Spiele

  • 1980: Frogger (Acorn Atom, Publisher: A&F Software)
  • 1984: Crystal Castle (BBC Micro)
  • 1984: Galaxy’s Edge: The Discovery (BBC Micro, Publisher: Magic Software)
  • 1984: Galaxy’s Edge: Escape From Solaris (BBC Micro, Publisher: Magic Software)
  • 1993: Curses
  • 1995: Jigsaw
  • 1996: The Meteor, the Stone and a Long Glass of Sherbet
  • 1997: The Tempest
  • 2001: Ruins
  • 2006: The Reliques of Tolti-Aph

Auszeichnungen

Einzelnachweise

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