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Großes Stammbuch Philipp Hainhofers

vom Augsburger Kaufmann und Kunstagenten Philipp Hainhofer zwischen 1596 und 1633 als „Album Amicorum“ angelegtes Stammbuch Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Großes Stammbuch Philipp Hainhofers
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Das Große Stammbuch Philipp Hainhofers ist ein von dem Augsburger Kaufmann und Kunstagenten Philipp Hainhofer im frühen 17. Jahrhundert angelegtes Stammbuch (Album Amicorum). Es handelt sich um eine mit bildlichen Darstellungen illustrierte Autographensammlung, die Eintragungen zahlreicher politisch bedeutender Persönlichkeiten zwischen 1596 und 1633 enthält. Das Stammbuch gilt wegen seiner Ausstattung als herausragendes Kunstwerk. Seit dem Ankauf für 2,8 Millionen Euro durch die Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel im Jahr 2020 befindet es sich in der dortigen Sammlung, wo es wissenschaftlich untersucht wird.

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Großes Stammbuch, Seite 58 und 59
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Beschreibung

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Seite 4: Lateinische Verse zum Zweck des Stammbuchs
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Doppelseite (Seite 179 und 180) mit Blumen und Conchylien, um 1590–1595

Das Stammbuch hat ein Format von 21 cm × 18 cm und umfasst 227 paginierte Seiten aus Papier, Pergament und Seide. Es verfügt heute über eine Schnürbindung und einen Einband aus violettem Samt. Ursprünglich hatte Philipp Hainhofer eine Schraubheftung verwendet, die einen Austausch der Seiten zuließ.

In dem Buch haben sich zwischen 1596 und 1633 europäische Herrscher, wie die Kaiser Matthias und Rudolf II., sowie Angehörige des Adels und der Oberschicht handschriftlich eingetragen. Darunter sind Fürsten, Diplomaten, Geistliche und Feldherren, die zum Teil Protagonisten des Dreißigjährigen Kriegs waren.

Die Einträge bestehen aus einer Seite mit persönlichen Sätzen oder Gedichten in unterschiedlichen Sprachen, darunter Deutsch, Französisch, Lateinisch, Italienisch. Hinzu kommt meist ein Schmuckblatt. Das Album enthält reich verzierte Wappendarstellungen und Zeichnungen im Stil des Barock. Wegen der hochwertigen bildlichen Ausgestaltung gilt das Buch auch als ein Sammlungsalbum für Kunst.

Die bildlichen Darstellungen zu den Einträgen ließ Hainhofer häufig von renommierten Künstlern anfertigen, die er auf Kosten der Eintragenden in Auftrag gab. Anhand der Beschreibungen von Hainhofer sowie den Unterschriften der Künstler auf ihren Werken ließen sich unter anderem Joseph Heintz, Johann Matthias Kager, Lucas Kilian, Jacopo Ligozzi und Anton Mozart sicher identifizieren. Bei vielen Bildern sind die Künstler bisher nicht bekannt, darunter die Seiten mit floralen Bildmotiven. Sie zeigen Tulpen, die damals in Europa neu und kostbar waren, und erinnern an die Arbeiten von Georg Hoefnagel.

Seitenliste

In der ausklappbaren Liste werden die jeweiligen Seiten, ihre Datierung, die eintragende Person und die Art des Eintrags dargestellt.[1]

Weitere Informationen Seite, Datierung ...
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Entstehung

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Philipp Hainhofer im Stammbuch, ca. 1610

Seit ihrem Aufkommen in den 1530er Jahren waren Stammbücher im Umkreis der Universität Wittenberg und der dortigen Reformatoren Zeichen persönlicher Netzwerkbildung. Vor diesem Hintergrund begann der Augsburger Kaufmannssohn Philipp Hainhofer im Jahr 1596 bei einer Bildungsreise durch Italien mit dem Sammeln von Stammbucheinträgen. Die meisten Einträge dürften erst später bei seinen geschäftlichen Reisen oder in Augsburg beim Besuch auswärtiger Gäste in seiner Kunstsammlung entstanden sein. Auch wurden anscheinend erbetene Blätter eingefügt, die postalisch zugestellt wurden. Ab etwa 1610 praktizierte Hainhofer eine politische Funktionalisierung seines Stammbuchs. Dabei erhielt er durch die prominenten Eintragenden Einladungen zu Audienzen.[2] Bereits während seiner Entstehung war das Stammbuch eine Touristenattraktion, die sich Besucher von Philipp Hainhofer in Augsburg gern zeigen ließen. Laut einer zeitgenössischen Quelle galt schon im 17. Jahrhundert das „uberaus künstliche Stammbuch, desgleichen wol nirgents solle gesehen werden“ als Sensation.

Darüber hinaus sind mit dem Wolfenbütteler Stammbuch mit 532 Seiten[3] und dem Augsburger Stammbuch mit 116 Seiten[4] zwei weitere Stammbücher von Philipp Hainhofer bekannt.

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Erwerbungen und Verbleib

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Philipp Hainhofer war ab 1613 jahrzehntelang als Agent, Faktor und Korrespondent für Herzog August II. von Braunschweig-Lüneburg tätig, der ihn mit einem Jahresgehalt von 600 Reichstalern entlohnte.[5] Nach Philipp Hainhofers Tod war sein Sohn Georg Ulrich Hainhofer (1614–1659) Haupterbe. Nach dessen Tod 1659 bemühte sich Herzog August II. von Braunschweig-Lüneburg um den schriftlichen Nachlass von Philipp Hainhofer. Er kam mit Reisebeschreibungen, Briefkorrespondenzen sowie Lautenbüchern fast vollständig nach Wolfenbüttel. Dort wurden die Schriften zwischen 1660 und 1663 in den Katalog der Herzog August Bibliothek eingetragen. Zum Nachlass gehörten zwei der drei Stammbücher von Philipp Hainhofer, aber nicht das Große Stammbuch Philipp Hainhofers.

Das Werk galt jahrhundertelang als verschollen. Im Jahr 1931 und erneut im Jahr 1941 tauchte es im Verkaufskatalog der Londoner Antiquariatsbuchhandlung Bernard Quaritch Ltd. für 600 Pfund auf. 1946 erwarb der US-Amerikaner Cornelius Hauck (1893–1967) aus Cincinnati das Buch aufgrund seines botanischen Interesses an den darin enthaltenen Pflanzenabbildungen. 2006 wurde es aus seinem Besitz bei Christie’s in New York versteigert.[6] Der Schätzwert lag bei 600.000 bis 800.000 Dollar.[7] Die Herzog August Bibliothek scheiterte bei der Ersteigerung, da das Werk für fast 2,4 Millionen Dollar über das Londoner Antiquariat Maggs Brothers in eine britische Privatsammlung ging. 2019 wurde das Stammbuch von einem privaten Sammler über das Auktionshaus Sotheby’s exklusiv der Herzog August Bibliothek zum Kauf angeboten. Die vom Brexit und der Corona-Krise überschatteten Verkaufsverhandlungen zogen sich über ein Jahr hin. 2020 erwarb die Bibliothek das Werk für 2,8 Millionen Euro. Die Mittel stellten das Land Niedersachsen, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, die Kulturstiftung der Länder und weitere Stiftungen zur Verfügung, darunter die Volkswagenstiftung, die Ernst von Siemens Kunststiftung, die Stiftung Niedersachsen und die Rudolf-August Oetker-Stiftung. Laut dem Direktor der Herzog August Bibliothek, Peter Burschel, ist es der bedeutendste Ankauf seit dem Erwerb des mittelalterlichen Evangeliars Heinrichs des Löwen im Jahr 1983.

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Erforschung und Ausstellung

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Pressekonferenz zum Ankauf des Stammbuches, u. a. mit Markus Hilgert von der Kulturstiftung der Länder, Wissenschaftsminister Björn Thümler und Peter Burschel, rechts in der Vitrine das Buch
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Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel

Der Öffentlichkeit wurde der Ankauf des Stammbuches von der Herzog August Bibliothek in einer Pressekonferenz am 25. August 2020 im Sprengel Museum Hannover bekannt gegeben. Durch den Erwerb ist es erstmals der Forschung zugänglich. Nach Meinung der Fachwelt eignet sich die Herzog August Bibliothek als Forschungsbibliothek weltweit am besten zur Erforschung und Präsentation des Werkes. Für Historiker stellt es, wie auch der übrige schriftliche Nachlass von Hainhofer, eine wichtige Quelle zu den kulturellen und politischen Netzwerken der deutschen Höfe im 17. Jahrhundert dar. Verbunden mit dem Ankauf ist ein dreijähriges Forschungsprojekt der Herzog August Bibliothek, bei dem die Entstehung und Geschichte des Werkes sowie seine künstlerische Ausgestaltung wissenschaftlich untersucht werden.[8] Das Forschungsprojekt wird mit 300.000 Euro vom Land Niedersachsen aus Mitteln der Volkswagen-Stiftung finanziert.[9] Während des Projekts soll das Werk digitalisiert und online verfügbar gemacht werden. Für die Öffentlichkeit ist eine Ausstellung geplant, bei der das Stammbuch im Rahmen des konservatorisch Vertretbaren gezeigt wird.

Das Stammbuch trägt in der Sammlung der Herzog August Bibliothek die Signatur Cod. Guelf. 355 Noviss. .[10] und wird in einem klimatisierten, begehbaren Tresor der Bibliothek verwahrt, in dem auch das Evangeliar Heinrichs des Löwen lagert.

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Bedeutung

Das Große Stammbuch gilt von den drei Stammbüchern von Philipp Hainhofer als das kunst- und kulturgeschichtlich bedeutendste. Experten zufolge überrage es in Ausstattung und politischer Bedeutung die weltweit etwa 25.000 dokumentierten Stammbücher. Die Personen, die sich im Großen Stammbuch eingetragen haben, waren privilegiert und Angehörige der Oberschicht. Laut Peter Burschel von der Herzog August Bibliothek habe Philipp Hainhofer die damaligen Eliten dazu gebracht, in seinem Buch zu unterschreiben. Für ihn war es ein Geschäftsmodell, das als Türöffner in Adelskreisen diente[11], um eine längerfristige Handelsbeziehung zu etablieren und Folgeaufträge für andere Kunstobjekte zu erhalten. Mit dem Buch, das schon damals als Sensation galt, erhielt Philipp Hainhofer Zugang zu den bedeutendsten politischen Entscheidungsträgern seiner Zeit.

Einzelne Medien bezeichnen das Buch als Who’s Who des 17. Jahrhunderts.[12] Der Niedersächsische Wissenschaftsminister Björn Thümler hält es für einen „herausragenden Kulturschatz nationalen Ranges“.

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Literatur

  • Michael Wenzel: Philipp Hainhofer: Handeln mit Kunst und Politik. Berlin 2020.
    • Geschäftsmodell Stammbuch. S. 65–64.
    • Stammbücher als Aktanten. S. 119–140.
  • Sabine Jagodzinski: Das Große Stammbuch Philipp Hainhofers. Wiesbaden 2024, ISBN 978-3-447-12116-3.
Commons: Großes Stammbuch Philipp Hainhofers – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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Einzelnachweise

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