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Unter dem ordre public (französisch für öffentliche Ordnung) versteht man im internationalen Privatrecht und im internationalen öffentlichen Recht das Grundlegende der inländischen Wertvorstellungen Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Unter dem ordre public (französisch für öffentliche Ordnung) versteht man im internationalen Privatrecht und im internationalen öffentlichen Recht das Grundlegende der inländischen Wertvorstellungen. Insbesondere versteht man darunter im Bereich des Völkerrechts den Vorbehalt gegenüber einem Schiedsspruch einer internationalen Organisation oder gegenüber der Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrags, wenn dieser wesentlichen innerstaatlichen Rechtsgrundsätzen widerspricht.
Der Vorbehalt des ordre public tritt in zwei Varianten auf:[1]
Zwischen den beiden Ausprägungen des Ordre-public-Vorbehalts gibt es zahlreiche Ähnlichkeiten. So sind die Generalklauseln in allen Fällen ähnlich formuliert, es ist immer von „öffentlicher Ordnung“ bzw. „wesentlichen Grundsätzen“ des inländischen Rechts die Rede. Zudem ist sowohl bezüglich des kollisionsrechtlichen als auch bezüglich des anerkennungsrechtlichen Ordre-public-Vorbehalts anerkannt, dass die jeweiligen Vorbehaltsklauseln eng auszulegen und nur in Ausnahmefällen anzuwenden seien. Dennoch lassen sich Auslegungsgrundsätze nicht ohne weiteres übertragen. Das Interesse an der Anwendung bestimmten ausländischen Rechts, von dem der kollisionsrechtliche Ordre-public-Vorbehalt eine Ausnahme macht, ist nämlich nicht gleichzusetzen mit dem Interesse an der Anerkennung ausländischer Entscheidungen, das vom anerkennungsrechtlichen Ordre-public-Vorbehalt durchbrochen wird.
Abgesehen von der systematisch vorgegebenen Einteilung in eine „kollisionsrechtliche“ und eine „anerkennungsrechtliche“ Vorbehaltsklausel sind dem Ordre-public-Vorbehalt zahlreiche Etiketten angeheftet worden, die bestimmte Auslegungskonzepte beschreiben sollen, etwa „ordre public international“, „ordre public universel“, „völkerrechtlicher ordre public“, „europäischer ordre public“.[2]
Der kollisionsrechtliche Ordre-public-Vorbehalt spielt immer dann eine Rolle, wenn im Zivilrecht internationales Privatrecht anzuwenden ist und das Ergebnis der anzuwendenden (ausländischen) Rechtsnormen mit der deutschen Rechtsordnung unvereinbar ist. Auch eine mit unseren Gerechtigkeitsgrundsätzen unvereinbare ausländische Rechtsnorm kann u. U. zur Anwendung gebracht werden, wenn das jeweilige Resultat der Anwendung akzeptabel erscheint. Andersherum kann eine prima facie akzeptabel erscheinende Rechtsnorm zu einem Anwendungsergebnis führen, welches nicht mit unserem Rechtsverständnis vereinbar ist, und deshalb nicht angewendet werden darf.
Der kollisionsrechtliche ordre public-Vorbehalt im autonomen deutschen internationalen Privatrecht (IPR) ist hauptsächlich in Art. 6 EGBGB geregelt. Die Vorschrift lautet:
„Eine Rechtsnorm eines anderen Staates ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist.“
Auch Art. 40 Abs. 3 EGBGB ist eine Ausprägung des kollisionsrechtlichen ordre public.
Sinn und Zweck des kollisionsrechtlichen ordre public sind im Wesentlichen die folgenden Gesichtspunkte:
Der ordre public des Art. 6 EGBGB ist eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift, denn der Gesetzgeber des im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB) normierten Internationalen Privatrechts nimmt zugunsten internationalprivatrechtlicher Rechtseinheit und des Entscheidungseinklangs bewusst Entscheidungen in Kauf, die von denen nach dem eigenen Recht zu fällenden abweichen. Voraussetzung der Anwendung ist, dass das an sich maßgebende ausländische Recht „mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist“, das heißt im Ergebnis den Kernbestand der inländischen Rechtsordnung antasten würde. Ein wesentlicher Bestandteil der deutschen Rechtsordnung sind die Grundrechte. Der ordre public wird daher als Einbruchstelle für die Grundrechte gesehen.
Die Anwendungsvoraussetzungen des kollisionsrechtlichen ordre public lauten:
Durch den kollisionsrechtlichen ordre public wird bei Unvereinbarkeit nur der betroffene einzelne ausländische Rechtssatz von der Anwendung ausgeschlossen. Im Übrigen bleibt das ausländische Recht anwendbar und wird sogar zur Schließung einer durch die Unanwendbarkeit entstandenen Lücke herangezogen. Dies dient dem Zweck des ordre public, das ausländische Recht, das eigentlich anwendbar ist, nur soweit einzuschränken, als es zur Wahrung der materiellen Gerechtigkeit und des nationalen Entscheidungseinklangs erforderlich ist. Der internationale Entscheidungseinklang, dem das IPR gerade dient, soll nicht durch eine eigenmächtige Durchsetzung des eigenen Rechts gefährdet werden. Erst wenn sich im ausländischen Recht keine analog oder direkt anwendbaren passenden Vorschriften finden lassen, wird deutsches Recht als Ersatzrecht herangezogen. In der Praxis ist aber die Lückenschließung durch das deutsche Recht am häufigsten, was in der Regel der notwendig werdenden Lückenfüllung aufgrund faktischen Fehlens eines alternativen Normenbestands im ausländischen Recht geschuldet ist.
Der kollisionsrechtliche ordre public ist in der Regel bei Rechtsverhältnissen zwischen Bürgern anderer Kulturkreise von Bedeutung. Die Rechtsangleichung in der Europäischen Union (bzw. des gesamten westlichen Rechtskreises) kennt Anwendungen des ordre public nur noch in wenigen Fällen. Häufiger Konfliktpunkt sind Rechtssätze der Schari'a oder des hindischen Rechts.
Zwar ist eine im Ausland vollzogene Privatscheidung grundsätzlich auch im Inland anzuerkennen, wenn die Voraussetzungen des nach Art. 17 EGBGB zur Anwendung gelangenden ausländischen Scheidungsrechts (sog. Scheidungsstatut) eingehalten wurden und zwar auch dann, wenn die Scheidungsgründe zu Lasten eines Partners, z. B. der Frau enger gefasst sind als im deutschen Recht. Dies gilt aber dann nicht, wenn sich die Untragbarkeit einer solchen Regelung aus einer extremen Fehlgewichtung der Rollen in der Ehe ergibt, in deren Ausfluss sich auch insgesamt letztlich kein Gleichgewicht der Rechte und Pflichten der Partner innerhalb der Ehe mehr verzeichnen lässt. Durch ein einseitiges Verstoßungsrecht wird die Ehe im Ganzen als Institut gemeinschaftlicher Bindung in Verbindung mit einem Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz zugunsten einer Herrschaftsbeziehung des Mannes in Frage gestellt, weil die Verstoßung als allgegenwärtiges Druckmittel im potentiellen Ermessen des Mannes steht. Durch diese einseitige Verstoßungsmöglichkeit des Mannes wird die Frau nicht als gleichberechtigter Partner einer Ehe angesehen. Diese Eheauffassung, die sich im Scheidungstatbestand manifestiert, widerspricht Art. 6 GG. Auch der zusätzliche Verstoß gegen Art. 1 GG ergibt sich daraus, dass es mit der Menschenwürde unvereinbar ist, Frauen in einem Status minderen Rechts zu halten. Teilweise wird auch vertreten, dass kein ordre public-Verstoß vorliegt, wenn die Ehefrau mit der Scheidung einverstanden ist. Dies wird kritisiert mit dem Argument, bereits die Verstoßung selbst sei ein die Ehefrau herabsetzender Akt. Ein Gericht müsste somit für die Wirksamkeit einer Scheidung grundrechtswidrige Verhaltensweisen des Ehemannes billigen. Schon die Handlung, an die der Verstoßungstatbestand anknüpft, verstößt daher gegen den ordre public. (Vgl. AG Frankfurt/Main, Iprax 1989, S. 237 f.)
Der anerkennungsrechtliche Ordre-public-Vorbehalt hat zur Folge, dass ausländischen Entscheidungen ausnahmsweise die Anerkennung versagt wird bzw. dass sie ausnahmsweise nicht für vollstreckbar erklärt werden.
Entsprechende Regelungen finden sich insbesondere in § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO, Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ und Art. 34 Nr. 1 EuGVVO. Beispielsweise lautet Art. 34 Nr. 1 EuGVVO: „Eine Entscheidung wird nicht anerkannt, wenn […] die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Mitgliedstaats, in dem sie geltend gemacht wird, offensichtlich widersprechen würde.“
Die Regelungen § 723 Abs. 2 S. 2 ZPO, Art. 34 Abs. 2 EuGVÜ und Art. 45 Abs. 1 EuGVVO sehen vor, dass nicht anerkennungsfähige ausländische Entscheidungen nicht für vollstreckbar erklärt werden bzw. dass im Fall der Nichtanerkennungsfähigkeit eine bereits erteilte Vollstreckbarerklärung aufgehoben werden kann.
In Frankreich werden seit der Entscheidung Munzer / Munzer fünf Anerkennungshindernisse anerkannt. Eines dieser Anerkennungshindernisse ist ein ordre public-Vorbehalt.[3]
Im anglo-amerikanischen Rechtskreis ist das Anerkennungshindernis „public policy“ anerkannt, das grundsätzlich dem kontinentaleuropäischen „Ordre public“-Vorbehalt entspricht. Der prominente Fall des Prozessbetrugs wird im anglo-amerikanischen Rechtskreis allerdings nicht als Unterfall von „public policy“ behandelt, sondern bildet einen eigenständigen Anerkennungsversagungsgrund „fraud“.[4] Der Begriff des „fraud“ hat einen weiten Anwendungsbereich und umfasst nicht nur Fälle des Prozessbetrugs, sondern jedes unzulässige Herbeiführen eines Urteils.[5]
Die Anwendungsfälle des anerkennungsrechtlichen Ordre-public-Vorbehalts werden in zwei Kategorien eingeteilt.
Zum einen spricht man vom materiellrechtlichen ordre public, wenn einer ausländischen Entscheidung die Anerkennung aus inhaltlichen Gründen versagt wird. Das kommt etwa in Frage, wenn eine Partei im Ausland zur Eingehung der Ehe verurteilt wurde, zur Vornahme einer im Inland strafbaren Handlung oder zur Zahlung von „punitive damages“ (Strafschadensersatz).
Zum anderen greift der sog. verfahrensrechtliche ordre public, wenn das ausländische Verfahren mit Grundprinzipien des deutschen Rechts unvereinbar ist. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn einer Partei im Ausland kein ausreichendes rechtliches Gehör gewährt wurde oder wenn die ausländische Entscheidung auf einem Prozessbetrug beruht.[6]
Unter welchen Voraussetzungen der anerkennungsrechtliche Ordre-public-Vorbehalt zur Anwendung kommt, ist stark umstritten.
Teilweise wird behauptet, der anerkennungsrechtliche Ordre-public-Vorbehalt habe im Vergleich zum kollisionsrechtlichen Ordre-public-Vorbehalt generell eine geringere Angriffsintensität (sog. „abgeschwächter anerkennungsrechtlicher ordre public“ bzw. „ordre public atténué de la reconnaissance“). Allerdings lässt sich weder quantifizieren noch konkretisieren, was unter einer „geringeren Angriffsintensität“ zu verstehen ist.[7]
Zudem werden zahlreiche unterschiedliche Ansichten zu der Frage vertreten, ob sich eine Partei auch dann auf den Ordre-public-Vorbehalt berufen kann, wenn der betroffenen Partei im Erststaat Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen bzw. standen, sie von diesen Rechtsbehelfen aber keinen Gebrauch gemacht hat bzw. macht.[8]
Insoweit ist insbesondere umstritten, ob das Verbot der Nachprüfung ausländischer Urteile (sog. Verbot der révision au fond) bei der Anwendung von Anerkennungshindernissen als Wertungsmaßstab zu berücksichtigen ist.[9] Zieht man das Verbot der révision au fond als Wertungsmaßstab heran, ergibt sich, dass der anerkennungsrechtliche ordre public-Vorbehalt nur eine beschränkte Kontrolle ausländischer Entscheidungen zulässt und die erststaatlichen Rechtsbehelfe ggf. Vorrang haben.[10]
Die Durchsetzung vieler internationaler Schiedsurteile wie etwa nach den Schiedsregeln der Internationalen Handelskammer in Paris oder den Schiedsregeln der UNCITRAL erfolgt auf der Grundlage der New Yorker Konvention. Diese sieht (anders als die ICSID-Konvention) sieben Gründe für die Ablehnung der Vollstreckbarkeitserklärung eines Schiedsspruches im Vollstreckungsstaat vor, einer davon ist der ordre public (Art. 5 Abs. 2 b) NYC). Dies ist insbesondere im Rahmen des Investitionsschutzes, z. B. bei Enteignungen ohne angemessene Entschädigung, von Bedeutung.
Analog zu den Gründen in der New Yorker Konvention, die Vollstreckung zu verweigern, sieht § 1059 Abs. 2 b) ZPO vor, dass ein in Deutschland ergangener Schiedsspruch aufgehoben werden kann, wenn er gegen den deutschen ordre public verstößt.
Auf europäischer Ebene ist geplant, den anerkennungsrechtlichen ordre public-Vorbehalt auf lange Sicht abzuschaffen, um die Freizügigkeit von Entscheidungen zu erhöhen. Insbesondere enthält die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 (Vollstreckungstitel-Verordnung) von 2005 bewusst keinen Ordre-public-Vorbehalt, und auch die Verordnung (EG) Nr. 861/2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen sowie die Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 zur Einführung eines Europäischen Zahlungsbefehls, die seit dem 12. Dezember 2008 bzw. dem 1. Januar 2009 gelten, verzichten auf eine solche Klausel.[11]
Diese Tendenzen werden in der Literatur teilweise heftig kritisiert: Geboten sei nicht eine Abschaffung des Ordre-public-Vorbehaltes, sondern gerade umgekehrt dessen weitreichende Anwendung. Nur so könne sichergestellt werden, dass im Ausland betrogene Parteien ausreichenden Rechtsschutz erhalten und keinem unzumutbaren Einlassungszwang ausgesetzt werden.[12]
Nach einer vermittelnden Ansicht ist es weder angebracht, den Ordre-public-Vorbehalt komplett abzuschaffen, noch, ihn allzu großzügig anzuwenden. Vielmehr wird gefordert, den Ordre-public-Vorbehalt beizubehalten und interessengerecht anzuwenden. Eine interessengerechte, restriktive Anwendung lasse sich insbesondere erreichen, wenn das Verbot der révision au fond als Wertungsmaßstab berücksichtigt wird.[13]
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