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Pflichtexemplar
Exemplar einer Publikation, das an bestimmte Bibliotheken eines Landes abgegeben werden muss Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Ein Pflichtexemplar ist ein Exemplar einer Veröffentlichung, das aufgrund eines Gesetzes oder einer anderen öffentlich-rechtlichen Vorschrift von seinem Verleger (oder seltener vom Hersteller) an bestimmte Bibliotheken des Landes oder der Region, in der es verlegt wurde, abgegeben werden muss. Das Pflichtexemplarrecht entstand während der Frühen Neuzeit in Europa und ist heute international weit verbreitet.
Die Abgabe erfolgt bis auf wenige Ausnahmen unentgeltlich. Zweck des Pflichtexemplarrechts ist heute vorrangig die möglichst vollständige Archivierung aller Veröffentlichungen eines Landes als Zeugnis des kulturellen Schaffens, ihre bibliografische Dokumentation und die Zugänglichmachung für die Allgemeinheit. Die Bibliotheken sind deshalb gesetzlich dazu verpflichtet, Pflichtexemplare auf unbegrenzte Zeit aufzubewahren und eine Nationalbibliographie zu erstellen.
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Allgemeines
Die erste bekannte Pflichtexemplarregelung ist aus Frankreich überliefert, wo Franz I. im Jahr 1537 die Abgabe von Druckwerken an die königliche Hofbibliothek verfügte. Seit dem 17. Jahrhundert verbreiteten sich Pflichtexemplarregelungen auch im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation.[1]
Pflichtexemplarregelungen waren anfangs oft verbunden mit dem sog. Privilegienwesen, bei dem Drucker und Verleger gegen Abgabe ihrer Veröffentlichungen den Landesherren um Schutz vor Raubdrucken ersuchten, sowie mit der Zensur, da auch mithilfe dieser beiden Rechtsinstitute systematisch Druckwerke eingesammelt wurden. Diese Verbindung wurde im Laufe der Zeit durch den Sammlungs- und Archivierungszweck ersetzt.[2] Pflichtexemplarregelungen schufen so die Grundlage der Sammlungen vieler National- und Landesbibliotheken und sind heute in fast allen Kulturstaaten der Welt verbreitet.[3]
Bezog sich die Abgabepflicht anfangs ausschließlich auf Druckwerke, wurden viele Pflichtexemplarregelungen mit dem Aufkommen neuer Medienarten auch auf andere Publikationsformen wie z. B. Tonträger und elektronische Datenträger ausgeweitet. Dies gilt in jüngster Zeit auch verstärkt für Online-Publikationen.
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Deutschland
Zusammenfassung
Kontext
Gesetzliche Pflichtexemplarregelungen existieren in Deutschland sowohl auf der Landes- als auch auf der Bundesebene. Das Pflichtexemplarrecht auf Bundesebene wird von der Deutschen Nationalbibliothek wahrgenommen, das Pflichtexemplarrecht auf Landesebene in der Regel von den Landesbibliotheken der einzelnen Bundesländer, wobei sich die Länderregelungen zum Teil stark voneinander unterscheiden.
Geschichte
Als erste deutsche Pflichtexemplarregelung im eigentlichen Sinne gilt eine bayerische Bestimmung aus dem Jahr 1663, die die unentgeltliche Abgabe aller Druckwerke an die Hofbibliothek in München, den Vorgänger der Bayerischen Staatsbibliothek, vorschrieb.[4] Es folgten während des 18. und 19. Jahrhunderts Regelungen in den meisten Fürstentümern und Territorien Deutschlands. Diese landesrechtlichen Vorschriften[5] blieben nach § 30 Abs. 3 des Reichspreßgesetzes auch nach der Reichsgründung 1871 in Kraft.[6] Im Königreich Preußen, Königreich Bayern, Königreich Württemberg, Großherzogtum Hessen und in der Freien und Hansestadt Hamburg waren die in dem jeweiligen Territorium produzierenden Verleger verpflichtet, sog. Belegexemplare an die zuständige Landesbibliothek abzuliefern. Im Königreich Sachsen, Großherzogtum Baden, Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin und Großherzogtum Oldenburg gab es diese Regelung nicht. Ein gutes Sechstel der deutschen Verlagsproduktion unterlag keiner Pflichtexemplarregelung.[7]
Zu dieser Zeit existierte auf nationaler Ebene noch kein gesamtstaatliches deutsches Pflichtexemplargesetz. 1912 legte der Börsenverein der Deutschen Buchhändler durch Vereinbarungen mit den deutschen Verlegern zur Abgabe von Druckwerken an die Deutsche Bücherei in Leipzig den Grundstein für eine nationalbibliothekarische Sammlung, zunächst jedoch ohne gesetzliche Ablieferungspflicht. 1935–1945 galt zusätzlich eine ergänzende Anordnung der Reichskulturkammer, der berufsständischen Organisation des NS-Regimes für Kulturschaffende, die die ihr unterstellten Personen, sofern sie Druckwerke verlegten, verpflichtete, von diesen ebenfalls ein Exemplar nach Leipzig abzuliefern.[8]
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden in der Bundesrepublik Deutschland zunächst in sämtlichen Bundesländern neue Pflichtexemplarregelungen, meist im Rahmen der jeweiligen Landespressegesetze, erlassen. 1969 wurde dann die bis dahin durch den Börsenverein des Deutschen Buchhandels privatrechtlich organisierte Abgabepflicht an die 1947 gegründete Deutsche Bibliothek in Frankfurt mittels des Gesetzes über die Deutsche Bibliothek[9] auf eine gesetzliche Grundlage gestellt und somit erstmals eine bundesrechtliche Pflichtexemplarregelung verankert.
Im Jahr 1981 bot die Pflichtexemplarregelung des Landes Hessen dem Bundesverfassungsgericht Anlass zu einer wegweisenden Entscheidung im Staatshaftungsrecht. Die hessische Regelung hatte damals keinerlei Ausgleich für die Abgabe des Pflichtexemplars vorgesehen; dagegen wandte sich ein Verleger, der ein hochpreisiges Buch in nur geringer Auflage abgegeben hatte. Die Pflichtexemplar-Entscheidung begründete die Figur der sog. ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung. Seither sehen alle deutschen Pflichtexemplarregelungen auf Bundes- und Landesebene Entschädigungsregelungen für die Pflichtexemplarabgabe vor, die jedoch unterschiedlich ausgestaltet sind.
In der DDR gab es nach verschiedenen provisorischen Vorgängerregelungen von 1960 bis zur Wiedervereinigung ein einheitliches staatliches Pflichtexemplargesetz, die Anordnung über die Ablieferung von Pflichtexemplaren. Es regelte in einem Gesetz die Ablieferung sowohl an zentrale Bibliotheken, wie die Deutsche Bücherei und die Deutsche Staatsbibliothek, als auch die Ablieferung an die jeweiligen Landesbibliotheken.[10]
Das Gesetz über die Deutsche Bibliothek liegt seit 29. Juni 2006 in einer Neufassung als Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek (DNBG) vor und bezieht unkörperliche Medienwerke (sog. Netzpublikationen) ausdrücklich in den Sammelauftrag mit ein.[11]
In einigen gesetzlichen Pflichtexemplarregelungen der Bundesländer wurden bisher ebenfalls Online-Publikationen als ablieferungspflichtiges Sammelgut mit einbezogen, z. B. in Hamburg, Thüringen und Baden-Württemberg.
Umfasste Medien
Die gesetzliche Abgabepflicht erstreckt sich auf fast alle öffentlich publizierten Printmedien und einige Non-Print-Medien, wie Hörbücher und Veröffentlichungen auf CD-ROM. Die abzuliefernden Medienarten variieren aber teilweise in den einzelnen Gesetzen und Verordnungen, so z. B. im Falle der Filmmedien, die in einigen Ländern gesammelt werden, in anderen nicht.
Nicht zum Sammelauftrag gehören die Akzidenzdrucksachen, z. B. reine Werbedrucksachen und Formulare. Auch im Bereich der Netzpublikationen werden Online-Akzidenzen, z. B. Intranet-Seiten und rein private Homepages, vom Sammelauftrag ausgeschlossen.[12]
Die vollständige Sammlung aller sonstigen Publikationen nach rein formalen Kriterien und ihre Verzeichnung in der Nationalbibliografie, die vor 1912 auch von den großen Bibliotheken wie der Preußischen Staatsbibliothek nicht vollzogen wurde, stellt weitgehend sicher, dass auch Werke überliefert werden, die sich erst im Nachhinein als wertvoll erweisen (das erst mit einiger Verzögerung begonnene Sammeln von „Schundliteratur“ und neuen Medien, wie zum Beispiel Comics und Videos, zeigt, dass dies nicht ohne Widerstände erfolgt).
Dissertationen
Dissertationen, die aufgrund von Vorschriften (Satzungen) der den Doktorgrad verleihenden Universität an diese abzuliefern sind, werden oft ebenfalls als Pflichtexemplare bezeichnet. Sie werden an verschiedene Universitätsbibliotheken verteilt, um die Dissertation der Wissenschaft zugänglich zu machen.[13] Abgesehen von der Pflichtexemplarregelung der Deutschen Nationalbibliothek sind daher Dissertationen, soweit sie nicht im regulären Verlagsbuchhandel erscheinen, von der gesetzlichen Pflichtablieferung ausgenommen. Durch den Schriftentausch der Universitätsbibliotheken untereinander soll dennoch sichergestellt werden, dass dauerhaft Exemplare der Dissertation aufbewahrt werden und zugänglich bleiben. Somit sind immer wieder kursierende Gerüchte, bestimmte prominente Personen hätten ihre Dissertation „sperren lassen“ oder Anweisung erteilt, alle Exemplare aus den Bibliotheken zu entfernen, nicht zutreffend.
Ablieferung
Von jeder in Deutschland verlegten Veröffentlichung sind zwei Pflichtexemplare auf Bundesebene an den zuständigen Standort der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) abzugeben. Auf Landesebene muss in der Regel ein Exemplar an die jeweils zuständige regionale Landesbibliothek des Bundeslandes, in dem das Werk veröffentlicht wurde, abgeliefert werden (siehe Tabelle unten), bis auf Bayern und Baden-Württemberg, wo die Ablieferungspflicht zwei Exemplare umfasst.
Ablieferungspflichtig ist laut § 15 DNBG, „wer berechtigt ist, das Medienwerk zu verbreiten oder öffentlich zugänglich zu machen“, also der Verlag, bzw. bei sog. „grauer“, d. h. außerhalb des Buchhandels erschienener Literatur, die herausgebende Institution oder der Selbstverleger.
Pflichtexemplarbibliotheken in Deutschland |
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Österreich
Die Abgabe von Pflichtexemplaren ist in Österreich in den §§ 43, 44, 45 und 50 des 1981 erlassenen und seither novellierten Mediengesetzes geregelt. Weitere Bestimmungen finden sich in der Pflichtablieferungsverordnung (Österreich).
Darüber hinaus sind Studierende laut § 59 und § 86 des Universitätsgesetzes zur Abgabe von Abschlussarbeiten an die jeweilige Universitätsbibliothek und bei Dissertationen zusätzlich an die Nationalbibliothek verpflichtet. Entsprechendes gilt nach den §§ 49 und 62 des Hochschulgesetzes 2005 auch für pädagogische Hochschulen.
- Geschichte
Seit 1808 erhielt die Wiener Hofbibliothek Pflichtexemplare aus allen Teilen der österreichischen Monarchie.
Spätere Grundlage für die Pflicht der Abgabe von Pflichtexemplaren waren das Bundesgesetz vom 7. April 1922 über die Presse („Preßgesetz“)[34] sowie die Verordnung vom 26. September 1922 über die Ablieferung von Freistücken nach dem Bundesgesetze über die Presse.[35]
Schweiz
In der Schweiz besteht keine Regelung, die Herausgeber zur Ablieferung von Pflichtexemplaren verpflichten würde. Die Schweizerische Nationalbibliothek hat stattdessen Verträge mit den Verlegern abgeschlossen.
Außerdem sammelt die Zentralbibliothek Zürich alle im Kanton Zürich publizierten Bücher, von Zürcher Autoren und über Zürich in zwei Exemplaren: eins für die Ausleihe und eins für die Sammlung. Dabei appelliert sie an das Wohlwollen der Verlage.
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Vereinigtes Königreich
Von jeder Publikation muss ein Pflichtexemplar (legal deposit) an die British Library in London abgegeben werden und – soweit je nach dortigem Schwerpunkt angefordert – auch an fünf andere Bibliotheken: die National Library of Scotland, die National Library of Wales in Aberystwyth, die Bodleian Library in Oxford, die Cambridge University Library und die Bibliothek des Trinity College in Dublin.[36]
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Andere Länder
Das Pflichtexemplarrecht gibt es auch in anderen Ländern in verschiedener Form. Beispielsweise galt das US-amerikanische Copyright bis vor einigen Jahren nur, wenn ein Exemplar des betreffenden Werkes an die Library of Congress gesandt wurde.
Siehe auch
Literatur
- Bibliotheken mit Pflichtexemplar in Deutschland, zusammengestellt von Wolfgang Dittrich. Herausgegeben von der Kommission des DBI für Benutzung und Information und der Konferenz der Zentralkataloge. Deutsches Bibliotheksinstitut, Berlin 1995, ISBN 3-87068-478-X (Aufstellung über alle Pflichtexemplarbibliotheken und die historische Aufteilung der Pflichtexemplare in Deutschland).
Weblinks
Zusammenfassung
Kontext
Deutschland
- Zentrale Informationsseite für alle Pflichtexemplarregelungen in Deutschland (auf Bundes- und Landesebene)
- Text des Gesetzes über die Deutsche Nationalbibliothek
- Gesetz über die Deutsche Bibliothek, gültig vom 16. April 1969 bis zum 28. Juni 2006
- Text der Pflichtablieferungsverordnung, ersetzt:
- Pflichtstückverordnung, PflStV (BGBl. 1982 I S. 1739), gültig vom 14. Dezember 1982 bis 22. Oktober 2008
- Berlin
- Gesetz über die Ablieferung von Pflichtexemplaren (PDF; 39 kB), vom 29. Juli 2005
- Hessen
- Hessisches Bibliotheksgesetz (HessBiblG), §9, vom 20. September 2010
- Nordrhein-Westfalen
- Gesetz über die Ablieferung von Pflichtexemplaren, vom 18. Mai 1993
- Rheinland-Pfalz
- Landesbibliotheksgesetz vom 3. Dezember 2014
- Gewährung von Zuschüssen bei der Ablieferung von Pflichtexemplaren gemäß § 14 des Landesmediengesetzes, Verwaltungsvorschrift vom 30. März 2006
- Abgabe von Medienwerken an wissenschaftliche Bibliotheken und an die Landesarchive – Verwaltungsvorschrift vom 14. Dezember 2004 (für Behörden und Dienststellen des Landes Rheinland-Pfalz für den Fall, dass andere Regelungen nicht greifen)
Sachsen
- Sächsisches Pressegesetz vom 03.April 1992, rechtsbereinigt vom 01.Januar 2014
- Gesetz über die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUBG) vom 17.Dezember 2013
Schleswig-Holstein
- Landespressegesetz Schleswig-Holstein, vom 19. Juni 1964, in der Fassung der Neubekanntmachung vom 31. Januar 2005
Einzelnachweise
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