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Reduzierter Klassizismus
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Der reduzierte Klassizismus (in englisch: stripped classicism)[2] ist ein neoklassizistischer Architekturstil des 20. Jahrhunderts. Die Reduzierung besteht in dem weitgehenden Verzicht auf Ornamente. Häufig wurde dieser Stil von Regierungsseite für die Gestaltung öffentlicher Gebäude[3] vorgeschrieben, und zwar sowohl unter totalitären als auch unter demokratischen Verhältnissen. Der Stil umfasst einen „vereinfachten, aber erkennbaren“ Klassizismus in seiner Gesamtmasse und Größe, während traditionelle dekorative Details vermieden werden. Säulenordnungen werden nur angedeutet oder indirekt in der baulichen Form und Struktur zum Ausdruck gebracht.


Trotz der etymologischen Ähnlichkeit wird im Englischen der „Stripped Classicism“ (wörtlich übersetzt: entkleideter Klassizismus) manchmal vom „Starved Classicism“ (wörtlich übersetzt: verhungerter Klassizismus) unterschieden, da letzterer „wenig Gefühl für Regeln, Proportionen, Details und Finesse zeigt und ihm jeglicher Schwung und Elan fehlt“.[4] Bisweilen werden die Bezeichnungen „stripped“ und „starved“ synonym verwendet.[5][6]
Der reduzierte Klassizismus war eine Verkörperung der politischen Moderne. Die neuere Geschichtsschreibung hat diesen Architekturstil – und seine Beziehung zum modernistischen Denken – ausdrücklich mit politischen Projekten der 1920er und 1930er Jahre in Verbindung gebracht, die mit gestalterischen Mitteln ein kraftvolles, zukunftsorientiertes politisches Ethos in baulicher Form zum Ausdruck brachten.[7]
Andere Autoren haben auf den Einfluss von Avantgardebewegungen wie den italienischen Futuristen, die die unzähligen Möglichkeiten der modernen Welt priesen, auf die Herausbildung des Architekturstils des reduzierten Klassizismus hingewiesen.[8] Der Stil wurde unter anderem von dem in Frankreich geborenen Paul Philippe Cret populär gemacht und im Nazi-Deutschland[9], im faschistischen Italien, in der Sowjetunion und in den Vereinigten Staaten, die geprägt waren vom New Deal, verwendet.
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Beschreibung und Geschichte
Zusammenfassung
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Obwohl vom reduzierten Klassizismus normalerweise nur in Bezug auf das 20. Jahrhundert gesprochen wird[4], sind Merkmale bereits in den Werken einiger progressiver neoklassizistischer Architekten des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts zu finden, darunter Étienne-Louis Boullée, Claude Nicolas Ledoux, Friedrich Gilly, Peter Speeth, Sir John Soane und Karl Friedrich Schinkel.[4]
Zwischen den Weltkriegen wurde ein reduzierter Klassizismus de facto zum Standard für viele monumentale und institutionelle Regierungsgebäude auf der ganzen Welt. Öffentliche Auftraggeber versuchten damit einen Spagat zwischen Moderne und Klassizismus als eine ideale politische Antwort auf eine sich modernisierende Welt. Teilweise geschah das auch mit der Absicht, bei Regierungsbauvorhaben Geld zu sparen, wenn auf handgefertigte klassische Details verzichtet werden konnte.



Im europäischen Raum gab es bereits Beispiele wie die Deutsche Botschaft in Sankt Petersburg, die von Peter Behrens entworfen und 1912 fertiggestellt wurde. Sie „setzten Vorbilder für die klassische Reinheit, die von Hochmodernisten wie Mies van der Rohe angestrebt wurde, aber auch für den überdimensionierten, reduzierten Klassizismus der Architekten Hitlers, Stalins und Ulbrichts und vielleicht auch der amerikanischen, britischen und französischen Amtsgebäude der 1930er Jahre“.[10] Der Stil fand später Anhänger in den faschistischen Regimen Deutschlands[11] und Italiens sowie in der Sowjetunion während Stalins Regime.[12] Albert Speers Zeppelinfeld und andere Teile des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg waren vielleicht die berühmtesten Beispiele in Deutschland, bei denen klassische Elemente wie Säulen und Altäre neben moderner Technik wie Scheinwerfer verwendet wurden. Auch die Casa del Fascio in Como wurde dieser Bewegung zugeordnet. In der UdSSR wiesen einige der Entwürfe für den nicht gebauten Palast der Sowjets ebenfalls Stilmerkmale des reduzierten Klassizismus auf.
Unter den amerikanischen Architekten ist das Werk von Paul Philippe Cret ein Paradebeispiel für diesen Stil. Sein 1928 erbautes Amerikanisches Ehrenmal Château-Thierry gilt als frühes Beispiel.[13] Zu seinen weiteren Werken, die diesem Stil zugeordnet werden, gehören die Außenfassade der Folger Shakespeare Bibliothek von 1933 in Washington, D.C. (allerdings nicht die Innenfassade der Bibliothek im Tudor-Revival-Stil), der Turm des Main Buildings der University of Texas in Austin von 1937, das Federal Reserve Building von 1937 in Washington, D.C. und der Turm des Bethesda Naval Hospital von 1939.[13][14][15]
Reduzierter Klassizismus ist auch bei Gebäuden zu festzustellen, die in den Vereinigten Staaten von der Works Projects Administration während der Großen Depression errichtet wurden, allerdings gemischt mit Art-déco-Architektur oder deren Elementen.[16][17]
Der reduzierte Klassizismus war weit verbreitet und überschritt nationale Grenzen. Zu den Architekten, die wahrnehmbar damit experimentierten, gehörten John James Burnet, Giorgio Grassi, Léon Krier, Aldo Rossi, Albert Speer, Robert A. M. Stern und Paul Troost.[4]
Trotz seiner Beliebtheit bei totalitären Regimen wurde der reduzierte Klassizismus von vielen demokratischen Regierungen in englischsprachigen Ländern als Architekturstil übernommen, unter anderem während des New Deal in den USA. In jedem Fall haben mutmaßlich „faschistische“ Untertöne die Akzeptanz im Mainstream der Architektur behindert. Es gibt jedoch keine Hinweise darauf, dass Architekten, die diesen Stil bevorzugten, eine besonders rechtsgerichtete politische Einstellung hatten. Dennoch hingen ihm sowohl Adolf Hitler als auch Benito Mussolini an.[18][19] Ebenso wurde dieser Stil von Josef Stalin und verschiedenen kommunistischen Regimen bevorzugt.[12]
Nach der Niederlage Nazideutschlands und dem Ende des Zweiten Weltkriegs fiel der Stil in Ungnade. In den 1960er Jahren wurde er jedoch in einigen Entwürfen wieder aufgegriffen.[20] Dazu gehörte Philip Johnsons New Yorker Lincoln Center for the Performing Arts[20], das „eine Wiederbelebung des Stripped Classical-Stils“ bezeugt. Auch in Canberra in Australien erlebte der reduzierte Klassizismus in den Law Courts of the Australian Capital Territory (1961) und der National Library of Australia (1968) eine neue Blüte[20].
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Die paradoxe Umarmung von Alt und Neu
Zusammenfassung
Kontext
Der Bezug auf Kultur und Mythos war eine gemeinsame Besonderheit totalitärer politischer Programme in den 1920er und 1930er Jahren, darunter der Nationalsozialismus in Deutschland und der Sowjetkommunismus in Russland. Die von diesen Staaten angeführten kulturellen Bezüge mit ihren verschiedenen Feinheiten führten zu Strömungen im modernistischen Denken.
Diese Staaten versuchten, durch die Architektur die Kraft der Moderne körperlich sichtbar zu machen und vor allem in ihre Hauptstädte zu bringen und gleichzeitig die Vergangenheit neu zu erfinden (symbolisiert durch die zurückhaltenden klassischen Merkmale des reduzierten Klassizismus). Es wurde auf archetypische „gesunde“ Elemente zurückgegriffen, um eine neu geschmiedete, verjüngte, futuristische, offene und monumentale Zukunft einzuläuten.
Es ist diese merkwürdige Dichotomie zwischen Alt und Neu, ein unaufhaltsames Merkmal des reduzierten Klassizismus, die der Historiker Roger Griffin in seinem Konzept des „verwurzelten Modernismus“ zusammengefasst hat (den er im Zusammenhang mit faschistischen Gebäuden diskutiert).[21]
Die Moderne in Gebäuden des reduizierten Klassizismus ist an ihren stilistischen Elementen (stumme Öffnungen, kahle Wände und das Fehlen von Ornamenten) und ihrer reinen Funktionalität erkennbar. Adolf Loos, ein österreichischer Theoretiker der modernen Architektur, und sein Essay „Ornament und Verbrechen“[22] kann nur als einer der vielen Philosophen/Theoretiker/Architekten angesehen werden, die einige der stilistischen Elemente des reduzierten Klassizismus vorwegnahmen.
Avantgardebewegungen wie der Futurismus haben ebenfalls eine Bauform vorweggenommen, die ebenso extravagant wie stromlinienförmig ist, ebenso multifunktional wie sie der vielschichtigen modernen Zukunft mit Hochgeschwindigkeitsreisen, technologisch fortschrittlichen Kommunikationsmitteln, Wasserbau usw. gerecht wird... „und das alles rechtzeitig für den mechanisiertesten Krieg der Geschichte“, wie Samuel Patterson schreibt.[23]
Der reduzierte Klassizismus oder Stripped Classical-Stil wurde auch von Franklin D. Roosevelt angenommen, der sich nach einer Architektur sehnte, die einen „Neuanfang“ unter dem New Dealismus (der die Auswirkungen der Großen Depression zu mildern versuchte) versprach und gleichzeitig archetypische amerikanische Genialität symbolisierte. Eine Thematisierung der Roosevelt-Regierung, ihre Neuerfindung der Vergangenheit (mit Schwerpunkt auf der neoklassizistischen Architektur des Jeffersonianismus) und ihre Verwendung von Architektur in den 1930er Jahren findet sich in Pattersons „Problem-Solvers“-These.[23]
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Ausgewählte Beispiele
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Siehe auch
Literatur
- Inhaltsverzeichnis der deutschen Ausgabe von Robert A. M. Stern: Moderner Klassizismus. Entwicklung und Verbreitung der klassischen Tradition von der Renaissance bis zur Gegenwart. DVA, Stuttgart 1990, ISBN 978-3-421-02969-0.
- Brittany Paige Bryant: Reassessing Stripped Classicism within the Narrative of International Modernism in the 1920s-1930s. In: scad.lunaimaging.com. Abgerufen am 29. März 2025 (englisch).
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Einzelnachweise
Weblinks
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