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Shanidar
Höhle im Norden des Iraks Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Shanidar oder Schanidar ist eine Höhle im Norden des Iraks in der Provinz Erbil der autonomen Region Kurdistan. Sie liegt in 745 m Höhe am Großen Zab in den Ausläufern des Zagrosgebirges.[1] Die Höhle wurde bis zum Beginn archäologischer Ausgrabungen in den 1950er Jahren im Winter von nomadisierenden kurdischen Stämmen bewohnt.[2] Internationale Bekanntheit erlangte die Höhle, als dort Überreste von Neandertalern gefunden wurden.
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Funde
Zusammenfassung
Kontext

In der Höhle wurden zwischen 1953 und 1960 unter Leitung des amerikanischen Prähistorikers Ralph Solecki (Columbia University, New York) Ausgrabungen durchgeführt. Die Schichtenfolge reicht von der Neuzeit bis ins Mittelpaläolithikum zurück.[3]
In Schicht D wurden insgesamt neun Neandertaler ausgegraben (Shanidar 1 bis 9).[4] Ihr Alter wird mit 45.000 bis 50.000 Jahren angegeben. Die Überreste von drei jungen männlichen Neandertalern waren besonders gut erhalten. Sie gehören zu den wenigen Fossilfunden östlich des Mittelmeerraumes und sind die einzigen menschlichen Reste in Fundschichten des Zagros-Moustériens. In jüngerer Zeit stellte sich heraus, dass das Verbreitungsgebiet der Neandertaler im Osten bis Südsibirien (Okladnikow-Höhle) reichte.
Tabelle gemäß Steward 1977, Tafel 1
Verwahrort der Funde ist – mit einer Ausnahme – das Irakische Nationalmuseum in Bagdad. Das Fossil Shanidar 3 wurde dem National Museum of Natural History der Smithsonian Institution in Washington, D.C. übergeben.[5] Der Fund Shanidar 3 ist insbesondere im Zusammenhang mit der Anatomie des Neandertaler-Brustkorbs von Bedeutung, da seine Rippen gut erhalten sind in einer Rekonstruktion belegt wurde, dass die Brusthöhle durch eine vom anatomisch modernen Menschen abweichende Biegung der Rippen größer war als bei Homo sapiens und der Rumpf dadurch kompakter, stämmiger – „fassförmiger“ – war als der Rumpf von Homo sapiens.[6][7]
Erik Trinkaus nimmt an, dass die Schädel der Individuen 1 und 5 künstlich deformiert wurden[8] und dass Individuum 1 trotz Einschränkungen seines Hörvermögens und weiterer, schwerer körperlicher Einschränkungen dank seiner Gruppe in dieser überlebte.[9] Der rechte Arm von Individuum 1 war verkümmert, was zeitweise als mögliche Folge einer Amputation interpretiert wurde; diese Interpretation gilt heute jedoch als wenig überzeugend.[10]
Schicht B1 wurde auf 10600±300 BP datiert (W-667). Auf der Niederterrasse des Großen Zab, vor dem Ortseingang zum gleichnamigen Dorf Shanidar, liegt die protoneolithische Siedlung von Zawi Chemi.[11]
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Vermeintliches Blumenbegräbnis
In Grab IV wurde eine ungewöhnlich hohe Konzentration von Blütenpollen nachgewiesen, was 1975 von Ralph Solecki als Überreste von Blumen interpretiert wurde, die als Grabschmuck der Leiche gedient hatten;[12] gelegentlich wurde dies zudem als Beleg „für Schamanismus und ritualisierte Bestattungen“ interpretiert.[13] Bereits 1999 wurde gegen das vermutete „Blumenbegräbnis“ eingewandt, die Blüten könnten von den dort häufig vorkommenden Persischen Rennmäusen (Meriones persicus) in die Höhle verschleppt und in den Bestattungshorizont eingegraben worden sein.[14] 2023 wurde schließlich berichtet, dass in den aus Grab IV geborgenen Pollenklumpen die Pollen unterschiedlicher Pflanzenarten enthalten sind und dass diese Pollen von Arten stammen, die zu ganz unterschiedlichen Zeiten im Jahr blühen. Diesen Befunden zufolge wurden also keine Blumen in der Höhle abgelegt, sondern Pollen von Solitärbienen in Bodennester geschleppt. Hinweise auf solche Nester haben sich in Sedimenten aus der Neandertalerzeit erhalten.[15]
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Wiederaufnahme der Grabungen
Seit April 2014 wird Shanidar im Rahmen des Projektes „How resilient were Neanderthals and Modern Humans in SW Asia to climate change? Reinvestigating Shanidar Cave“ unter Graeme Barker (Universität Cambridge, Mc Donalds Institut für Archäologie) und Tim Reynolds wieder ausgegraben. Das Projekt kombiniert die Grabung in der Shanidar-Höhle mit einer Untersuchung der paläolithischen Besiedelung der Region. Bis 2019 wurden die Überreste von drei weiteren Neandertalern entdeckt. Das Alter des jüngsten Fundes wird mit 37.000 Jahren angegeben.[16][17]
2020 wurde ein als „Shanidar Z“ bezeichneter Neandertaler in einer Fachzeitschrift vorgestellt, von dem die Forscher aufgrund stratigrafischer Merkmale annehmen, dass er absichtsvoll in der Höhle abgelegt – bestattet – wurde: „Die linke Hand hatte der Neandertaler unter seinen Kopf gelegt, wie ein Kopfkissen, die rechte war zur Faust geballt.“ Für eine Bestattung spreche zudem, dass man den Körper in einem durch Wasser geformten Kanal am Boden der Höhle, der dann gezielt vertieft wurde, entdeckt habe.[18]
2022 wurden Reste von erhitzten Pflanzen beschrieben, die als Beleg für das Herstellen von Mahlzeiten interpretiert wurden.[19]
Literatur
- Anagnostis P. Agelarakis: The Shanidar cave Proto-Neolithic human population: Aspects of demography and paleopathology. In: Human Evolution. Band 8, Nr. 4, S. 235–253, doi:10.1007/BF02438114
- Arlette Leroi-Gourhan: The Flowers found with Shanidar IV, a Neanderthal Burial in Iraq. In: Science, New Series 190 (No. 4214), 1975, S. 562–564.
- Dexter Perkins Jr.: Prehistoric Fauna From Shanidar, Iraq. In: Science. New Series 144 (No. 3626), 1964, 1565–1566.
- Ralph S. Solecki: Shanidar cave: a paleolithic site in northern Iraq. In: Annual Report of the Smithsonian Institution. 1954, S. 389–425.
- Ralph S. Solecki: Shanidar. The First Flower People. Verlag A. Knopf. New York, 1971
- Ralph S. Solecki: Shanidar IV, a Neanderthal Flower Burial in Northern Iraq. In: Science, New Series 190 (No. 4217) 1975, S. 880–881.
- Ralph S. Solecki, Rose L. Solecki, A. Agelarakis: The Proto-Neolithic Cemetery in Shanidar Cave. Texas A&M University Press, College Station, Texas, 2005
- Thomas Dale Stewart: The Neanderthal Skeletal Remains from Shanidar Cave, Iraq: A Summary of Findings to Date. In: Proceedings of the American Philosophical Society, 121/2, 1977, S. 121–165.
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Weblinks
Belege
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