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II. Zivilsenat des Reichsgerichts
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Das Reichsgericht in Leipzig war in bis zu neun Zivilsenate eingeteilt. Der II. Zivilsenat bestand von 1879 bis 1945.
Geschichte
Zusammenfassung
Kontext
1879 bis 1900
Rheinisches Recht

Der Senat wurde 1879 gemäß § 132 GVG 1877 und § 1 Geschäftsordnung des Reichsgerichts[1] gebildet. Bekannt wurde er als „rheinischer Senat“. Der französische Code civil galt in wörtlichen oder fast wörtlichen Übersetzungen in einer großen Anzahl von europäischen Staaten bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Der französische Rechtskreis ist im 19. Jahrhundert auf deutschem Boden zersplittert: Links des Rheins bleibt der Code auch nach dem Wiener Kongress 1815 in Kraft. Die betroffenen Staaten bilden dafür eigene Obergerichte, wegen des Wegbrechens des Kassationshofs in Paris: Das preußische Rheinland mit dem Appellationsgerichtshof in Köln und dem Revisions- und Kassationshof in Berlin; Rheinhessen mit dem Appellationsgerichtshof in Mainz und dem Revisions- und Kassationsgerichtshof in Darmstadt; die bayerische Pfalz mit dem Appellationsgerichtshof in Zweibrücken und dem Oberappellationsgericht in Zweibrücken bzw. München; sowie Baden mit dem Oberhofgericht in Mannheim. Sie stehen in Konkurrenz zu dem französischen Kassationshof in Paris und dem belgischen Kassationshof in Brüssel. Durch die Reichsgründung entsteht eine neue Lage. Zwar wird der Einfluss des rheinischen Rechts 1871 größer durch die Annexion Elsass-Lothringens mit seinem Obergericht in Colmar. Etwa 1/6 des Reichsgebiets gehörte nun zum Anwendungsbereich des „rheinischen“ Zivilrechts, aber mit der Reichsverfassung hatte das Reich die Kompetenz in der Gerichtsbarkeit. Ein gemeinsames neues Obergericht entsteht, das Reichsgericht in Leipzig mit seinem „rheinischen Senat“.
Rheinischer Senat und Code civil
Die Senats-Judikatur habe sich nach je nach Ansicht entweder von der französischen Judikatur entfernt, „indem sie ihre Ergebnisse in Übereinstimmung mit dem gemeinen Recht brachte“,[2] oder nach neuerer Ansicht grundsätzlich an der französischen Literatur und Praxis angelehnt und in diesem Zusammenhang großen Wert auf den Willen des Gesetzgebers gelegt, wie bereits die häufige Heranziehung der Materialien zum Code civil zeigten.
Abweichungen
Abweichungen von der französischen Lesart sind beispielsweise hinsichtlich des Markenschutzes zu beobachten: es lehnte das Reichsgericht Ansprüche aus Art. 1382f. C.C. Gegensatz zur von der französischen Rechtsprechung entwickelten concurrence déloyale ab, da es das Markenrecht des Reiches als spezieller ansah. Auch lehnte der Senat bei Arbeitsunfällen eine Umkehr der Beweislast ab, anders als 1896 der Kassationshof in der Teffaine-Entscheidung, wobei die Überlagerung durch Spezialgesetzgebung, wie das Unfallversicherungsgesetz (1882) und das Reichshaftpflichtgesetz (1871) eine Rolle gespielt hat. Auch bezog der Senat in der „Bronzestatue“-Entscheidung aus dem Jahre 1894 eine abweichende Stellung.[3] Der Kläger hatte hier eine vermeintlich antike Bronzestatue teuer erworben. Die kurze Gewährleistungsfrist (bref delai) von Art. 1648 C.C. war bereits abgelaufen. Der II. Zivilsenat gewährte die Nichtigkeitsklage gemäß Art. 1110 C.C. um den Vertrag aufzuheben. Die Nichtechtheit als Substanzirrtum (erreur sur la substance) nach der damaligen französischen herrschenden Meinung qualifiziert. „Es mag übrigens bemerkt werden, daß gemäß der vom Reichsgericht (RGZ 19, S. 264) gebilligten Ansicht von Savigny (System, Bd. III, S. 276 ff.) auch nach gemeinem Rechte erhebliche Momente für die Annahme eines wesentlichen Irrtumes im vorliegenden Falle anzuerkennen sein würden“. Nach Inkrafttreten des BGB änderte der Senat seine Rechtsprechung.
Entscheidungen
Entscheidungen des Senats zum französisch-rheinischen Zivilrecht sind im „Rheinischen Archiv“ und in der vom Reichsgerichtsrat Puchelt herausgegebenen „Zeitschrift für französisches Zivilrecht“ zu finden.
Rheinischer Senat und BGB
Die Feiern zum Jubiläum des Code civil im Jahr 1904 waren dem Senats- wie Delegationsmitglied in Paris Eduard Müller Anlass, den Einfluss des Code auf das deutsche Zivilrecht zu beschreiben. Ihm zufolge sei der Code "in den Vorarbeiten zum BGB umfassend berücksichtigt worden". Sein Einfluss "auf einzelne Bestimmungen und, was noch bedeutender ist, auf die Technik des BGB" sei unverkennbar. Nachwirkungen des Code civil zeigte sich in der Frage der Konkurrenz der Anfechtung nach § 119 II BGB mit dem kaufrechtlichen Gewährleistungsrecht. 1902 vertrat der Senat noch die Ansicht, dass beides unabhängig voneinander anwendbar sei. 1905 schwenkte der Senat auf die Linie des V. Zivilsenats ein, der die am ALR entwickelte der heute h. M. vertrat.
1900 bis 1945
Nach dem 1. Januar 1900, dem Stichtag für das BGB, hatte der Senat auch noch weiterhin Altfälle aufzuarbeiten. Aus dieser Zeit stammt auch die „Kies“-Entscheidung (RGZ 54, 98), in der zum ersten Mal die Lehre der positiven Vertragsverletzung anerkannt und für ein von § 326aF BGB losgelöstes Rücktrittsrecht geschaffen wurde. Weiter bekannte Entscheidungen:
- „Petroleum“ (RGZ 50, 255; Urteil vom 11. April 1902. Strenge Differenztheorie zu §§ 326 ff. BGB a.F.)[4])
- "Baumwollsaatenmehl "Eichenlaub"" (RGZ 57, 116ff; Urteil vom 23. Februar 1904 zur Unmöglichkeit der Leistung bei der Gattungsschuld)[5]
- Haakjöringsköd-Fall (RGZ 99, 147)
- „Silber-Fall“ (RGZ 101, 107f.; Urteil vom 17. Dezember 1920 zum offenen Kalkulationsirrtum)[6]
- Ruisdael-Fall (RGZ 135, 339)
- „Mißlungenes Scheingeschäft“ (RGZ 168, 204; Urteil vom 24. November 1941 zur Einschränkung von § 118 BGB durch § 242 BGB)[7]
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Geschäftsverteilung 1900
Zusammenfassung
Kontext
„Dem II. Zivilsenat sind zugewiesen:
- 1. Sofern es sich um Anwendung der vom Jahre 1900 ab geltenden neuen Gesetze handelt, aus dem ganze Reiche, andernfalls nur aus den unter Ziff. 3 bezeichneten Bezirken, die Rechtsstreitigkeiten, über:
- a) Besitz und Eigentum an beweglichen Sachen (einschließlich von Fällen des § 771 ZPO) nebst Ansprüchen aus Funden (§ 965 ff.) sowie auch auf Vorlegung von Sachen (BGB §§ 809 bis 811), (1904 an 7. Zivilsenat)
- b) Ansprüche aus Kauf und Tausch von beweglichen Sachen und Forderungen mit Ausnahme von Wertpapieren,
- c) Nießbrauch und Pfandrecht an beweglichen Sachen und an Rechten einschließlich von kaufmännischen Zurückbehaltungsrecht (n. § 369 HGB) und von Rechtsgeschäften hierüber. (1904 an 7. Zivilsenat)
- 2. Alle Rechtsstreitigkeiten über Warenzeichen (Reichsgesetz vom 12. Mai 1894) und unlauteren Wettbewerb (Reichsgesetz vom 27. Mai 1896).
- 3. Aus den Oberlandesgerichtsbezirken Colmar, Köln, Karlsruhe und Zweibrücken sowie auch aus dem Landgerichtsbezirke Mainz, außerdem alle nicht einem anderen Senate besonders zugewiesenen Sachen.
- 4. Die Vorentscheidung in Zivilsachen nach § 11 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz in Fällen aus dem Oberlandesgerichtsbezirke Colmar.“
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Besetzung
Zusammenfassung
Kontext
Farblegende:
Senatspräsidenten
Reichsgerichtsräte
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Siehe auch
Literatur
- Stefan Geyer: Den Code civil „richtiger“ auslegen. Der zweite Zivilsenat des Reichsgerichts und das französische Zivilrecht (= Rechtsprechung. Materialien und Studien 29). Frankfurt am Main 2008.
- Karl-Georg Faber: Recht und Verfassung. Die politischen Funktionen des rheinischen Rechts im 19. Jahrhunderts. Köln 1970.
- Recht und Rechtspflege in den Rheinlanden. FS zum 150jährigen Bestehens des Oberlandesgerichts Köln. 1969.
- Reiner Schulze: Rheinisches Recht und Europäische Rechtsgeschichte. Berlin 1998.
- Reiner Schulze: Französisches Zivilrecht in Europa während des 19. Jahrhunderts. Berlin 1994.
- Detlef Schuhmacher: Das Rheinische Recht in der Gerichtspraxis des 19. Jahrhunderts. Stuttgart, Brüssel 1969.
- Die ersten 25 Jahre des Reichgerichts. 1904, S. 92 ff.
- Adolf Lobe: Fünfzig Jahre Reichsgericht am 1. Oktober 1929. Berlin 1929.
- Jan Thiessen: „Anschluss“ an die „Arisierung“. Drei wirtschaftsrechtliche Reichsgerichtsfälle aus Österreich, in: Franz-Stefan Meissel / Stefan Wedrac (Hrsg.), Privatrecht in unsicheren Zeiten. Zivilgerichtsbarkeit im Nationalsozialismus, in: Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs. Zeitschrift der Kommission für Rechtsgeschichte Österreichs der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2017, S. 204–215 (PDF).
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Einzelnachweise
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