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Virophagen

Gruppe von Viren, die auf die Nutzung von Genen anderer Viren (sogenannter „Mamaviren“) während der gemeinsamen Infektion einer Wirtszelle angewiesen sind Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Virophagen
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Als Virophagen[A. 1] klassifiziert man nicht-taxonomisch einen speziellen Typ vergleichsweise großer Satellitenviren aus dem Phylum Preplasmiviricota, die sich nur in Co-Infektion mit Riesenviren des Phylums Nucleocytoviricota (NCLDVs) als Helferviren in eukaryotischen Wirtszellen replizieren können. Virophagen replizieren (anders als die Begriffliche Anlehnung an Bakteriophagen nahelegen könnte) nicht „in“ anderen Viren, sondern nutzen als Satellitenviren den Syntheseapparat der Helferviren – und treten dabei in eine Konkurrenz zu ihnen.[1][2] Dabei werden Genprodukte des Helfervirus genutzt, die sonst nur bei eukaryotischen Zellen (Eucyten) die Proteinsynthese ermöglichen, daher werden die Helferviren der Virophagen auch Mamaviren[A. 2] genannt. In der Regel wird die Proteinsynthese des Mamavirus dabei mehr oder weniger beeinträchtigt.[3][4] Virophagen sind daher (bzgl. der Mamaviren) parasitäre Satellitenviren. Daher werden die Helfer- oder Mamaviren auch als „virale Wirte“, die co-infizierten Eucyten zur Abgrenzung dann auch als „zelluläre Wirte“ bezeichnet. Die Virophagen der Riesenviren sind im Vergleich zu Satellitenviren anderer Helferviren ebenfalls vergleichsweise riesig und haben auch ein komplexeres Genom als diese.[5]

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Die parasitäre Lebensweise von Virophagen nach Mougari, Sahmi-Bounsiar et al. (2019):[6]
Die Einteilung der Viren in Sys­te­matiken ist kontinuier­licher Gegen­stand der For­schung. So existieren neben- und nach­einander ver­schie­dene Virus­klas­sifi­kationen sowie die offi­zielle Virus-Taxo­nomie des Inter­national Com­mit­tee on Taxo­nomy of Viruses (ICTV). Die hier be­han­delte Grup­pe ist als Taxon durch neue For­schungen ob­solet ge­wor­den oder aus an­deren Grün­den nicht Teil der offi­ziel­len Virus-Taxo­nomie.
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Sputnik-Virophage

Virophagen sind sowohl bzgl. ihrer Kapsidgröße als auch bzgl. ihres Genoms viel kleiner als ihre Riesenviren-Wirte, aber andererseits viel größer als gewöhnliche Satellitenviren, deren Helferviren ja ebenfalls kleiner als die Riesenviren der NCLDV sind.

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Forschungsgeschichte und prominente Beispiele

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Der erste Virophage namens Sputnik wurde im Jahr 2008 von Bernard La Scola und Didier Raoult von der Université de la Méditerranée in Marseille in den Rohren eines Kühlwassersystems in Paris entdeckt. Er parasitiert das Acanthamoeba castellanii mamavirus (AcMV, ein Stamm der Spezies Mimivirus bradfordmassiliense).[4]

Die bislang (Stand 3. März 2025) vom International Committee on Taxonomy of Viruses (ICTV) offiziell bestätigten Virophagen gehören fast alle zu einer Klasse, den Virophaviricetes (ehemals Maveriviricetes, hervorgegangen aus der früheren Familie Lavidaviridae), mit folgenden Gattungen:[7][8]

  • Ordnung Divpevirales, Familie Ruviroviridae
    • Oviruvirus: Pansen-Virophagen, sheep rumen virophages, RVPs, mit der einzigen Spezies Oviruvirus palmerstonense (Schafspansen-Hybrid-Virophage, en. Sheep Rumen hybrid virophage, SRHV)[9][10][11]
  • Ordnung Lavidavirales, Familie Maviroviridae
    • Mavirus mit einer einzigen Spezies Mavirus cafeteriae
      – diese parasitieren Mamaviren der Aliimimivirinae (Mimiviridae der Gruppe II).
  • Ordnung Priklausovirales
    • Familie Burtonviroviridae: Burquivirus mit der einzigen Spezies Burquivirus flavolapense (Yellowstone Lake virophage 5, YSLV5).[12]
    • Familie Dishuiviroviridae: Essdubovirus mit der einzigen Spezies Essdubovirus chlorellae (Chlorella virophage isolate SW01 aus dem Dishui Lake, China)[13]
    • Familie Gulliviroviridae: Invirovirus mit der einzigen Spezies Invirovirus crochense (Lake Croche Virophage IMG_VR_1276)[14]
    • Familie Omnilimnoviroviridae: Panaquavirovirus mit der einzigen Spezies Panaquavirovirus qinghaense (Qinghai Lake virophage, QLV, Fundort von QLV ist der Qinghai-See)[15][16]

Abweichend zur Klasse Aquintoviricetes gehört Tetrivirus crimaeaense mit dem Tetraselmis-viridis-Virus S1 (TvV-S1).

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TEM-Aufnahe von ikosa­edrische Guarani-Virionen, gebunden an Mimivirus-Fibrillen („Haare“). Balken 200 nm.[6]
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EM-Aufnahme von neu er­zeugten Guarani-Virionen. Balken 500 nm.[6]

Es gibt zudem – meist aus der Metagenomik – viele weitere Hinweise und Vorschläge zu Virophagen innerhalb der Virophaviricetes (alias Maveriviricetes bzw. Lavidaviridae in älteren Arbeiten) oder auch außerhalb; einen Überblick über die Virophagen geben beispielsweise Zhou et al. (2013),[17] Gong et al. (2016),[18] und Chen et al. (2018):[19]

Einige prominente Beispiele sind:

Gezel-14T gehört möglicherweise wie TvV-S1 nicht zu den Virophaviricetes (alias Maveriviricetes), sondern in einen anderen Zweig der Preplasmiviricota (bzw. dem die Virophaviricetes enthaltenden Subphylum Polisuviricotina).

Weitere Gensequenzen von Virophagen hat man unter anderem auch an folgenden Stellen gefunden:

Eine Liste nicht-klassifizierter Virophagen findet sich in der Taxonomie das National Center for Biotechnology Information (NCBI).[32]

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Genom

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Vergleich von konservierten Genarchitekturen in den Genomen von Virophagen.[5]

Replikationszyklus

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Der intrazelluläre Replikationszyklus von Virophagen.[5]

Der Replikationszyklus der Virophagen[A. 10] unterscheidet sich grundlegend von dem gewöhnlicher Satellitenviren.

Normalerweise initiiert ein Satellitenvirus die Expression und Replikation seines Genoms im Zellkern der Wirtszelle mit Hilfe seiner dortigen Maschinerie und geht dann in das Zytoplasma. Dort findet es die Morphogenese-Maschinerie seines Helfervirus, mit der dieses seine Virionen (Virusteilchen) zusammenbaut (Assembly). Diese wird vom Satellitenvirus gekapert, um seine eigenen Nachkommen zu produzieren.[6]

Bei den Virophagen der Familie Lavidaviridae wird angenommen, dass die Replikation der Virophagen vollständig in der Virusfabrik des Riesenvirus-Wirts stattfindet und daher vom Expressions- und Replikationskomplex des Riesenvirus abhängt.[6] Wenn die Wirtszelle nur vom Riesenvirus infiziert wird, baut dieses im Zytoplasma eine Virusfabrik (VF) auf, um sich zu replizieren und neue Virionen zu erzeugen. Die Wirtszelle wird am Ende seines Replikationszyklus gewöhnlich lysiert, d. h. unter Freisetzung der Virus-Nachkommenschaft zum Platzen gebracht und so zerstört.[6]

Wenn die Wirtszelle mit einem Riesenvirus und einem Virophagen koinfiziert ist, parasitiert letzterer in der Virusfabrik des Riesenvirus. Die Anwesenheit von Virophagen kann die Infektiosität des Riesenvirus daher ernsthaft beeinträchtigen, indem sie seine Replikationseffizienz verringert und damit indirekt das Überleben der Wirtszelle erhöht.[6]

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Virophaviricetes

Die meisten derzeit (Stand März 2025) bekannten Virophagen gehören der Klasse Virophaviricetes an, einige der Klasse Aquintoviricetes. Sie gehören dem Subphylum Polisuviricotina des Phylums Preplasmiviricota an.[7]

Provirophagen

Ein Sonderfall ist, wenn sich der Virophage als „Provirophage“ in das Genom des Mamavirus integriert. Sowohl die Virophagen (als Mitglieder der Preplasmiviricota), als auch die Mamaviren (als Riesenviren Mitglieder der Nucleocytoviricota) sind dsDNA-Viren. Der Provirophage wird während der Replikation des Riesenvirus exprimiert. Der Virophage wird dann in der Virusfabrik des Riesenvirus produziert und hemmt die Replikation des Riesenvirus, wodurch wieder das Überleben der Wirtszelle erhöht wird – Abbildung oben, Teil (C). Ein Beispiel ist Sputnik 2, der sich in das Genom seines viralen Wirts, einem Mimivirus, integrieren kann.[6]

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Defektive interferierende Viren

In der Funktionsweise ähnlich sind DIVs („Defektive interferierende Viren“, englisch defective interfering viruses, auch defective interfering particles, DIPs). Dies sind natürlich entstandene oder künstlich erzeugte defektive Abarten eines Virus-Wildtyps, die den Wildtyp als Helfervirus benötigen und wie Parasiten dessen Replikation stören können.[33]

Transpovirons

Eine weitere verwandte Klasse mobiler genetischer Elemente sind die Transpovirons, zuerst entdeckt im Genom des „Lentille-Virus“ („Mimivirus lentille“, auch „Acanthamoeba polyphaga lentillevirus“).[34][6][35]

Phylogenie

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Eugene V. Koonin und Mart Krupovic schlugen 2017 auf Grundlage von Sequenzen der DNA-Polymerase für die Phylogenie Polinton-ähnlicher mobiler genetischer Elemente (MGEs) und ihrer Abkömmlinge (Viren der Preplasmiviricota) folgendes Szenario vor (ergänzt um moderne Bezeichnungen nach ICTV MSL#40v1, 3. März 2025):[35][7]



Prepoliviricotina: Tectiviridae


 Polisuviricotina 

Polintons (Gruppe 1)


   


Polintons (Gruppe 2)


   

Polintoviricetes: Eupolintoviridae (Polinton-ähnliche Viren, PLVs) und Transpovirons


   

Virophaviricetes (Mavirus-ähnliche Virophagen, ehemals Lavidaviridae)


   

Bidnaviridae


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Adenoviridae (zu Pharingeaviricetes)


   

lineare zytoplasmatische Plasmide






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Moderne Taxonomien ordnen die Bidnaviridae jedoch dem Realm Monodnaviria zu, während die anderen oben genannten Virengruppen dem Realm Varidnaviria angehören.[7]

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  • Christelle Desnues, Bernard La Scola, Natalya Yutin, Ghislain Fournous, Catherine Robert, Saïd Azza, Priscilla Jardot, Sonia Monteil, Angélique Campocasso, Eugene V. Koonin, Didier Raoult: Provirophages and transpovirons as the diverse mobilome of giant viruses. In: PNAS. Band 109, Nr. 44, 30. Oktober 2012, S. 18078–18083; doi:10.1073/pnas.1208835109 (englisch).
  • Graziele Oliveira, Bernard La Scola, Jônatas Abrahão: Giant virus vs amoeba: fight for supremacy. In: Virology Journal. Band 16, Nr. 1, Artikel 126, veröffentlicht: 4. November 2019; doi:10.1186/s12985-019-1244-3 (Volltext, PDF auf: researchgate.net, englisch).
  • Laurie O’Keefe: Sizing Up Viruses. In: The Scientist. (Volltext als PDF Auf: cdn.the-scientist.com) Illustration zu Didier Raoult: Viruses Reconsidered. In: The Scientist. 28. Februar 2014: Grafische Darstellung der Größenverhältnisse (Volltext, auf: the-scientist.com, englisch).
  • David Paez-Espino, Jinglie Zhou, Simon Roux, et al.: Diversity, evolution, and classification of virophages uncovered through global metagenomics. In: Microbiome. Band 7, Nr. 157, 10. Dezember 2019; doi:10.1186/s40168-019-0768-5 (englisch).
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Anmerkungen

  1. Singular: Virophage, der; von lat. virus, -i, n. „Gift, Saft, Schleim“ und altgriechisch φαγεῖν phageín, „fressen“, Virophage bedeutst also „Viren-Esser“
  2. Das erste so bezeichnete Mamavirus ist das Acanthamoeba castellanii mamavirus (AcMV), ein Stamm der Spezies Mimivirus bradfordmassiliense.
  3. OLV parasitiert „Organic Lake Phycodnavirus“ (OLPV, Mesomimiviridae), Fundort: Organic Lake
  4. Fundort des Guarani-Virophagen ist der Pampulha-See, Belo Horizonte
  5. Die DSL-Virophagen parasitieren offenbar Phycodnaviridae (Dishui Lake phycodnaviruses, DSLPVs) und Mimiviridae (sic!, Dishui Lake large alga viruses, DSLLAVs, daher ist Mimiwiridae wohl s. l. zu verstehen und es handelt sich vermutlich um Algen-infizierende Imitervirales), Fundort Dishui Lake
  6. Die YSLVs sind zu unterscheiden von ihren mutmaßlichen Wirten „Yellowstone Lake Phycodnavirus“ (YSLPV) alias „Yellowstone Lake Mimivirus“ oder „Yellowstone Lake Giant Virus“ (YSLGV), Fundort: Yellowstone Lake
  7. Die TBE- bzw. TBH-Virophagen wurden in den Oberflächenschichten (Epilimnion) respektive in den Tiefen (Hypolimnion) des Moorsees Trout Bog Lake, Wisconsin, gefunden
  8. Die mutmaßlichen LC-Virophagen stammen vom Genite des Schwarzen Rauchers Lokis Schloss
  9. Gezel-14T parasitiert Phaeocystis-globosa-Virus PgV-14 und 16 (PgV-14T und PgV-16T, beide Spezies Tethysvirus hollandense)
  10. Analysiert sind derzeit (2. Oktober 2023) nur Lavidaviridae, es dürfte aber ähnlich für alle Virophagen der Preplasmiviricota gelten

Einzelnachweise

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