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Jan Turnau

polnischer Journalist Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

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Jan Henryk Turnau (* 23. Februar 1933 in Wlonice, Gmina Wojciechowice; † 31. Oktober 2025 in Warschau) war ein polnischer katholischer Publizist und Ökumeniker.

Leben

Zusammenfassung
Kontext

Jan Turnau stammte aus einer Familie, die jüdische Vorfahren hat, aber seit Generationen römisch-katholisch ist. Der Vater sprach fließend Deutsch und nutzte dies, um Juden vor der Verfolgung zu retten.[1]

Nach dem Examen für Polonistik in Breslau 1955 studierte Jan Turnau katholische Theologie an der Katholischen Theologischen Akademie in Warschau. Von 1955 bis 1956 war er Redakteur der katholischen Wochenschrift Wrocławski Tygodnik Katolików. Bis 1957 arbeitete er im Verlag der Universität Breslau und von 1957 bis 1958 in der Staatlichen Planungskommission. Ein Jahr war Turnau Lehrer an einer Grundschule. Von 1959 bis 1990 war er Redakteur für die Rubrik Religion in der von Tadeusz Mazowiecki gegründeten Monatsschrift Więź in Warschau.

1980 war Jan Turnau Mitunterzeichner eines Appells von 64 Wissenschaftlern, Literaten und Publizisten an die kommunistische Staatsführung, der den Dialog mit den streikenden Arbeitern forderte.

Ab 1990 gehörte er zum Redaktionskollegium der Gazeta Wyborcza und war wieder für die Rubrik Religion zuständig. Er schrieb für die katholische Wochenzeitung Gość Niedzielny in Breslau und für die katholische Wochenzeitung Tygodnik Powszechny in Krakau. Auch im Tygodnik Powszechny war er unter anderem für Ökumene zuständig. Dazu gehörte eine Rubrik, in der er über Publikationen in der nicht-katholischen kirchlichen Presse informierte. Jan Turnau schrieb für die lutherische Vierteljahresschrift Myśl Protestancka in Katowice und für den Blog Moje Pisanki. Er war Mitglied des Klubs der katholischen Intelligenz in Warschau und Initiator einer ökumenischen Übersetzung des Neuen Testaments. An dieser Übersetzung arbeiteten mit der katholische Theologe Michał Czajkowski, der polnisch-orthodoxe Bischof Jeremiasz und Mieczysław Kwiecień, Pfarrer der polnischen Pfingstkirche. Als Grundlage diente das griechische Neue Testament. Immer wenn ein Buch übersetzt war, wurde es publiziert. Nach 30 Jahren gemeinsamer Arbeit erschien 2012 eine Gesamtausgabe.

Jan Turnau versuchte, den Dialog zwischen Glauben und Kultur zu fördern. Er war zudem unermüdlich im ökumenischen Dialog. In Więź Nr. 5/1975 schrieb er: „Weil wir in Polen dreißigmal mehr Katholiken sind als die Angehörigen anderer Konfessionen, sind wir dreißigmal mehr verantwortlich für die Entwicklung der Ökumene in Polen.“

Ebenso war ihm die Versöhnung mit Deutschland ein Herzensanliegen. Bei einem Krankenhausaufenthalt berichtete ein Mitpatient von positiven Erlebnissen mit Deutschen in der Okkupationszeit. Daraufhin publizierte Jan Turnau in katholischen Wochenzeitungen die Bitte, die Leser möchten ihm ähnliche Erlebnisse mitteilen.[2] Das war gegen den Trend der staatlichen Propaganda. Das ständige Schüren der Angst vor den „deutschen Revisionisten“ war das wichtigste „Argument“ in der Rechtfertigung kommunistischer, moskautreuer Herrschaft in Polen. Turnaus Aufruf widersprach den schmerzhaften Erinnerungen von vielen Polen an die hitlerdeutsche Barbarei. Er erhielt 120 Zuschriften. Aus diesen Zuschriften stellte er ein Buch mit dem Titel Dziesięciu Sprawiedliwych („Zehn Gerechte“) zusammen, das am 1. Januar 1986 im Verlag Biblioteka Więzi erschien. Der Titel nimmt Bezug auf Genesis 18,22–33 EU. Geschildert werden kleine Alltagserlebnisse menschlicher Begegnung zwischen den Polen und den deutschen Besatzern. 1989 erschien es in deutscher Übersetzung in der Bundesrepublik Deutschland.

Nach 2015 befürchtete Jan Turnau, dass die Forderungen der PIS-Regierung nach umfangreichen Reparationszahlungen das bisher erreichte positive Verhältnis zwischen Polen und Deutschland beeinträchtigen können, und benannte dies öffentlich.[2]

Da ihm auch die Versöhnung mit den östlichen Nachbarn Polens wichtig war und da es auch in Polen – wenn auch wenige – Menschen gibt, die mehr oder minder offen die Rückkehr der „verlorenen Gebiete im Osten“ fordern, bat er wieder Leser um Zuschriften mit positiven Erinnerungen an diese Zeit. Daraus entstand das Buch Bracia zza Buga: Wspomnienia z czasu wojny. Es erschien in zweiter Auflage und schildert Erlebnisse von Polen, die durch die von Stalin willkürlich veranlasste Verschiebung Polens nach Westen ihre angestammte Heimat verloren haben.

Weder beim Buch Zehn Gerechte noch beim Buch Brüder von hinter dem Bug ging es Jan Turnau darum, die Geschichte umzuschreiben. Er sagt: „Sie war wie sie war: Lager, Deportationen, Morde. Natürlich ging es mir nicht darum, ein System rein zu waschen. Aber neben dem System, oder viel mehr in diesem, in seinen Fesseln, gab es doch Menschen.“

Sein Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche veranschaulicht folgendes Zitat: „Ich müsste tausendmal aus der Kirche austreten, wenn ich die Dummheiten ernst nehmen würde, die manche Kirchenfürsten von sich geben. Ich habe einen eigenen Verstand und denke nicht, dass irgendjemand – und sei er noch so wichtig – mich repräsentiert.“[3] Überhaupt fand er sehr deutliche Worte für Missstände in der katholischen Kirche, beispielsweise dafür, dass manche Geistliche sich als über den Gläubigen stehend betrachten.[3] Zbigniew Nosowski schreibt anlässlich des 90. Geburtstags von Turnau in der Monatsschrift Więż über ihn: „Er klagte oft über seine Kirche – weil es wahrlich Gründe zum Klagen gibt. Aber er klagt, weil ihm die Kirche wichtig ist.“ In derselben Nummer wird das persönliche Glückwunschschreiben des Warschauer Metropoliten Kardinal Kazimierz Nycz veröffentlicht.[4]

Jan Turnau war Mitinitiator von Gottesdiensten, die ökumenisch vorbereitet wurden und ab 1981 zuerst in der evangelisch-reformierten Gemeinde in Warschau und ab 1991 abwechselnd in der evangelisch-augsburgischen Himmelfahrtskirche, in der reformierten, in der evangelisch-methodistischen und in der evangelisch-augsburgischen Trinitatiskirche stattfinden.[5]

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Werke (Auswahl)

  • als Hrsg. in der dt. Übersetzung: Zehn Gerechte: Erinnerungen aus Polen an die deutsche Besatzung. Verlag Grünewald, Mainz 1989. ISBN 978-3-7867-1391-3.
  • zusammen mit Aneta Borowiec: Bóg dla wymagających Jan Turnau na święta i nie tylko. Agora, Warszawa 2011. ISBN 978-83-268-0648-3.
  • als Hrsg.: Bracia zza Buga: Wspomnienia z czasu wojny. UMCS, Lublin 2018, ISBN 978-83-227-9104-2.

Ehrungen

2006 verlieh Präsident Lech Kaczyński ihm den Orden Polonia Restituta fünfter Klasse. 2012 verlieh Präsident Bronisław Komorowski ihm den Orden in dritter Klasse (Krzyż Komandorski). 2017 wurde er mit der Medaille Powstanie w Gecie Warszawskim (Aufstand im Warschauer Ghetto) ausgezeichnet.[6] 2021 erhielt er den Orden „Ślad Diamentowy im. bp. Jana Chrapka“ für sein Lebenswerk, einen nach Bischof Jan Chrapek benannten polnischen Journalistenpreis.

Privates

Jan Turnau war verwandt und befreundet mit Jerzy Turowicz. Jan Turnau ist Enkel von Jerzy Turnau (1869–1925), der sich vor allem um die Züchtung neuer Getreidesorten und die Modernisierung landwirtschaftlicher Techniken und Methoden verdient gemacht hat.

Einzelnachweise

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