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Labello-Fall
Fall der Rechtssprechung Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Der Labello-Fall[1] (Aktenzeichen 4 StR 147/96) ist ein bedeutender Fall der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) in Strafsachen aus dem Jahr 1996. Es geht dabei in erster Linie um die Frage, ob ein offensichtlich ungefährlicher Gegenstand eine Scheinwaffe und damit sonstiges Werkzeug im Sinne des § 250 I Nr.1b) Strafgesetzbuches (StGB) sein kann. Dies wird im Ergebnis verneint. Durch diese Entscheidung gab der BGH eine zuvor obiter dictum geäußerte Haltung zur Einordnung von ungefährlichen, metallischen Gegenständen als Scheinwaffe auf und schränkte den Anwendungsbereich der Raubqualifikation weiter ein. Im Nachgang hielt der BGH an dieser Rechtsprechungslinie fest.
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Sachverhalt (vereinfacht)
A begibt sich in eine Drogerie. Er drückt der Angestellten B einen Lippenpflegestift („Labello“) in den Rücken und versichert ihr glaubhaft, es handele sich dabei um den Lauf einer scharfen Schusswaffe. B ist derartig schockiert, dass sie den Inhalt der Kasse an A übergibt.
Rechtliche Problematik
Zusammenfassung
Kontext
Bei der Tat des A handelt es sich nach Ansicht des BGH, der den Raub von der räuberischen Erpressung nach dem äußeren Erscheinungsbild abgrenzt, unzweifelhaft um eine räuberische Erpressung gem. § 255 StGB. Fraglich ist, ob die Handlungen des A einen der Qualifikationstatbestände des § 250 StGB erfüllt haben, wobei insoweit die Einordnung des Lippenpflegestifts als gefährliches Werkzeug und als Waffe evident ausscheidet (sowohl Waffe als auch gefährliches Werkzeug kann nach wohl einhelliger Ansicht nur ein Gegenstand sein, der eine gewisse objektive Gefährlichkeit aufweist,[2] wobei die Einzelheiten umstritten sind[3]), sodass die entsprechenden Qualifikationstatbestände nicht erfüllt waren. Offen war insoweit lediglich, ob der A auch den Tatbestand des § 250 I Nr. 1b) StGB erfüllt hat, was eine Erhöhung der Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe auf drei Jahre Freiheitsstrafe zur Folge gehabt hätte. Um den Tatbestand des § 250 I Nr. 1b) StGB zu erfüllen, müsste A „bei der Tat sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich geführt haben, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden“.
Scheinwaffenproblematik
Problematisch ist insoweit, dass ein Lippenpflegestift objektiv ungefährlich ist, es sich hier also nicht tatsächlich um einen gefährlichen Gegenstand handelt, sondern eventuell um eine sogenannte Scheinwaffe. Unter § 250 I Nr. 1b) StGB fallen nach Wortlaut und Wille des Gesetzgebers gerade auch solche Gegenstände, die objektiv ungefährlich sind. Fraglich ist jedoch, ob ein Lippenstift als Scheinwaffe angesehen werden kann. Dafür spricht, dass es im Rahmen dieser Vorschrift gerade nicht auf eine objektive Gefährlichkeit ankommt. Zudem ist das Angstgefühl bei einem Opfer ebenso groß wie bei einer Bedrohung mit einer Plastikwaffe (die unstrittig eine Scheinwaffe darstellt). Dagegen spricht jedoch, dass eine Plastikwaffe nach ihrem äußeren Erscheinungsbild den Eindruck erwecken kann, es handele sich bei ihr um eine echte Waffe, was bei einem Lippenstift fraglos nicht der Fall ist. Entscheidend ist also, ob diese Erkennbarkeit eine Rolle für die Einordnung eines Objekts als Scheinwaffe darstellt.
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Entscheidung des BGH
Der BGH bestätigte eine bereits zu dieser Frage ergangene Entscheidung von 1991[4] und bekräftigte, der Begriff der Scheinwaffe sei einschränkend auszulegen: Bei einem erkennbar ungefährlichen Gegenstand (sog. bedrohungsuntaugliches Drohmittel) wie einem Lippenpflegestift, der mittels Täuschung als Waffe „verkauft“ werde, stehe im Rahmen der Tatbegehung weniger die Beschaffenheit des Gegenstandes und mehr die Täuschung des Opfers durch den Täter im Vordergrund. Solche Fälle seien aus dem Anwendungsbereich des § 250 I Nr. 1b) StGB herauszunehmen, um den Qualifikationstatbestand, der zum Zeitpunkt der Entscheidung eine Mindeststrafe von drei Jahren vorsah, nicht zu extensiv auszudehnen. Insoweit beurteilte der BGH diesen konkreten Fall anders, als noch zuvor in einer Entscheidung von 1991 erwogen: Dort hatte der BGH sich für den nun entschiedenen Fall, dass der Täter einen objektiv ungefährlichen Metallgegenstand in den Nacken des Opfers drückt – sodass das Opfer gerade nicht sehen kann, ob der Gegenstand gefährlich ist – für eine Einordnung als Scheinwaffe ausgesprochen, weil der Täter gezielt die Sicht auf das Objekt verhindere.[4]
Folgeentscheidungen
Zusammenfassung
Kontext
Der BGH ist von seiner Linie bisher nicht abgewichen und hat in weiteren Entscheidungen das Erfordernis einer zumindest dem Anschein nach bestehenden Gefährlichkeit aufrechterhalten. Dabei räumte er in einer Entscheidung von 2007[5] ein, dass diese Rechtsprechungslinie mit dem Wortlaut der Vorschrift schwer vereinbar sei und es im Einzelfall zu nur inkonsequent behandelbaren Einzelfällen kommen könne. Dies sei aber hinzunehmen, auch weil der Gesetzgeber im Rahmen der 6. Strafrechtsreform 1998 die zuvor ergangenen Entscheidungen des BGH ausdrücklich gebilligt und insoweit geäußert hatte, man gehe davon aus, dass die Rechtsprechung auch nach der Reduktion der Mindeststrafe durch die Reform Anwendung finden würde.[6]
Im Einzelnen sind die nachfolgend gelisteten Folgeentscheidungen des BGH zum Einsatz der genannten Tatmittel zur Täuschung des Opfers zur Überwindung eines Widerstands ergangen:
- Urteil vom 20. Juni 1996 – 4 StR 175/96 –, r.wolterskluwer-online.de Rn. 6: Kleines Holzstück (Scheinwaffe verneint)
- Urteil vom 22. Oktober 1996 – 4 StR 506/96 –, dejure.org: Bombenattrappe (offengelassen, Sachverhalt nicht ausermittelt)
- Urteil vom 9. September 1997 – 4 StR 423/97 –, r.wolterskluwer-online.de Rn. 6, 7: Schrotpatrone (Scheinwaffe verneint)
- Beschluss vom 4. September 1998 – 2 StR 390/98 –, r.wolterskluwer-online.de Rn. 9: Holzknüppel (Scheinwaffe bejaht)
- Beschluss vom 12. Januar 1999 – 4 StR 705/98 –, r.wolterskluwer-online.de: Bombenattrappe (Scheinwaffe bejaht)
- Urteil vom 18. Januar 2007 – 4 StR 394/06 –, openjur.de Rn. 12, 13: Dünnes Metallrohr (Scheinwaffe verneint)
- Beschluss vom 10. Juli 2008 – 4 StR 298/08 –, openjur.de: Rn. 8 Gegenstand unklar (Scheinwaffe in dubio pro reo verneint)
- Beschluss vom 30. September 2008 – 4 StR 359/08 –, openjur.de Rn. 8: Gegenstand unklar (Scheinwaffe i.d.p.r. verneint)
- Beschluss vom 11. Mai 2011 – 2 StR 618/10 –, openjur.de Rn. 7, 8: Bunte Wasserpistole (Scheinwaffe verneint)
- Urteil vom 20. August 2015 – 3 StR 259/15 –, openjur.de Rn. 10: Vorgetäuschte Kofferbombe (Scheinwaffe bejaht)
- Urteil vom 12. Juli 2017 – 2 StR 160/16 –, openjur.de Rn. 10: Schlüssel (Scheinwaffe bejaht)
- Beschluss vom 28. März 2023 – 4 StR 61/23 –, juris.bundesgerichtshof.de Rn. 5: Luftpumpe (Scheinwaffe bejaht)
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Rezeption in der Literatur
In der juristischen Literatur werden das Urteil und die Folgeentscheidungen fortgesetzt stark kritisiert: Ungeachtet der Frage, ob eine Eingrenzung des Qualifikationstatbestands im Hinblick auf den Strafrahmen sinnvoll sei, tauge das vom BGH erdachte Abgrenzungskriterium nicht zur sauberen Behandlung von Fällen. Weil Scheinwaffen schon per Definition ungefährlich seien – ansonsten unterfielen sie dem ebenfalls strafschärfenden Begriff des gefährlichen Werkzeugs – sei keine klare Abgrenzung zwischen Scheinwaffen und bedrohungsuntauglichen Drohmitteln möglich und die Rechtsprechung des BGH insoweit inkonsequent und zu einzelfallbezogen; zur Auflösung des Konflikts werden diverse Ansätze diskutiert, von denen sich bisher jedoch keiner durchsetzen konnte.[7][8][9]
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Siehe auch
Weblinks und Literatur
Einzelnachweise
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