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SIL International
christliche Organisation für Sprachforschung Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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SIL International (ursprünglich: Summer Institute of Linguistics, deutsch: „Sommer-Institut der Linguistik“) ist eine 1936 gegründete, christliche, wissenschaftliche Nichtregierungsorganisation. Sie hat das Hauptziel, im Hinblick auf die Erweiterung der Sprachwissenschaften vor allem unbekannte Sprachen zu studieren, zu entwickeln und zu dokumentieren, die Alphabetisierung zu fördern und Hilfestellung bei der Entwicklung von Minderheitensprachen zu leisten.
SIL ist eng mit den Wycliff-Bibelübersetzern verbunden, einer Organisation, die die Bibel in Minderheitensprachen übersetzt. Die Organisation hat nach eigenen Angaben über 7000 Mitglieder in 60 Ländern. Ihr Hauptquartier befindet sich in Dallas, Texas. SIL liefert durch seinen „Ethnologue“ seit 1951 eine Datenbank über die Sprachen der Welt, die dessen sprachwissenschaftliche Forschung dokumentiert.
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Geschichte
Zusammenfassung
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Die Geschichte geht auf eine kleine Studiengruppe aus dem Jahr 1934 in Arkansas zurück, die Missionaren grundlegende sprachwissenschaftliche und anthropologische Theorien nahebrachte und sie auf Übersetzungstätigkeiten vorbereitete. Offiziell gegründet wurde SIL 1936 vom Linguisten William Cameron Townsend (1896–1982), der unter anderem als Missionar in Guatemala tätig war. Bei dieser Tätigkeit erkannte Townsend die Wichtigkeit von Bibelübersetzungen in indigenen Sprachen.
Aus der Studiengruppe gingen 1942 die Wycliff-Bibelübersetzer hervor. Sie verstehen sich im Sinne von John Wyclif und Martin Luther als nationale Bibelübersetzer für breite Bevölkerungsschichten.
Eine der wichtigsten Persönlichkeiten innerhalb des SIL International war Kenneth L. Pike (1912–2000), der von 1942 bis 1979 ihr Präsident war. Seit 2008 ist Fredrick A. Boswell Executive Director von SIL International.[1]
Von 1950 bis 1987 war SIL in der University of Oklahoma in Norman untergebracht. Nach einer Auseinandersetzung um die missionarischen Tätigkeiten und das nahe Verhältnis von SIL-Mitarbeitern zu Militärdiktaturen in Lateinamerika löste sich die Universität von SIL. Sein Zentrum befindet sich seither in der University of Texas in Arlington.
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Beitrag zur Forschung
Zusammenfassung
Kontext
SILs Hauptbeitrag zur linguistischen Forschung ist der Datenbestand zu über 1000 Minderheitensprachen und gefährdeten Sprachen,[2] die oftmals vorher nicht wissenschaftlich untersucht worden waren. SIL ist bestrebt, sowohl die empirischen Daten als auch deren jeweilige Analysen zu dokumentieren und damit das Wissen über Sprache zu erweitern.
Dies führte zu Veröffentlichungen über Sprachen wie Hixkaryána und Pirahã, deren Eigenheiten manche Generalisierungen linguistischer Theorien in Frage stellten. Darüber hinaus erschienen bisher über 20.000 technische Veröffentlichungen,[3] deren Großteil die linguistische Feldforschung betrifft.[4]
Der Fokus des SIL liegt nicht auf der Entwicklung neuer linguistischer Theorien. Jedoch hat Kenneth Pike die Tagmemik entwickelt (nicht länger von SIL unterstützt) und die Begriffe emisch und etisch geprägt, die heute in den Sozialwissenschaften geläufig sind.
Vielmehr konzentriert sich SIL unter anderem auf die Alphabetisierung, besonders in Eingeborenensprachen. SIL unterstützt lokale, regionale und nationale Einrichtungen, die Unterricht in Dialekten und Mundarten vorantreiben. Diese Kooperationen schaffen die Voraussetzung für Fortschritte im Unterrichtswesen multilingualer und multikultureller Gesellschaften.[5]
Weiterhin stellt SIL weltweit Lehrer und Unterrichtsmaterial für linguistische Kursprogramme an größeren weiterführenden Bildungseinrichtungen zur Verfügung. Entwickelte Konzepte wie die LAMP-Methode haben ebenfalls über SIL hinaus Bedeutung gewonnen.
Interessante Ergebnisse der Forschungsarbeit werden im „Internationalen Kulturmuseum“ in Dallas (Texas) dokumentiert.[6]
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Internationale Anerkennung
Das SIL hat beratenden Status bei der UNESCO und bei den Vereinten Nationen. SIL ist auch in vielen Ländern als Nichtregierungsorganisation (NGO) vertreten. SILs Arbeit in vielen Teilen Asiens wurde von der UNESCO öffentlich ausgezeichnet.[7]
Weitere Auszeichnungen:
- Ramon-Magsaysay-Award for International Understanding (1973)[8]
- International Reading Association Literacy Award für Alphabetisierung in Papua-Neuguinea (1979)[9]
Missionstätigkeit
Über SIL International sind, vor allem im Zusammenhang mit der Arbeit in Lateinamerika, von verschiedenen Ethnologen, Journalisten und Menschenrechtsgruppen erhebliche Anschuldigungen veröffentlicht worden.[10] SIL International soll die Interessen internationaler Ölkonzerne gegenüber den indigenen Völkern durchgesetzt und deren Kultur untergraben haben. Der ecuadorianische Aktivist für die Rechte der Indianer, Noele Krenkel, schrieb 1991: „Was in Pastaza in Ecuador geschieht, ist ein typischer Prozess in den Regenwäldern Lateinamerikas. Zunächst entdecken europäische oder nordamerikanische Firmen wertvolle Bodenschätze auf indianischem Land. Danach hält das Summer Institute of Linguistics bei den Indianer-Gemeinden vor Ort Einzug, um die Kultur der Indigenen zu unterhöhlen. Schließlich werden Straßen gebaut und die massive Ausbeutung der Ressourcen und eine rapide Besiedelung beginnt. Das nationale Militär wird eingesetzt, um sicherzustellen, dass alles glatt läuft und Widerspruch im Keim erstickt wird.“[11] SIL International bestreitet diese Vorwürfe.[12]
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„Ethnologue“ und ISO 639-3
Zusammenfassung
Kontext
SIL International ist der Herausgeber des Ethnologue, eines linguistischen Sammelwerks. Es strebt an, die Sprachen der Welt einheitlich zu klassifizieren und zu katalogisieren. Der erste Ethnologue wurde 1951 von Richard Saunders Pittman herausgegeben und enthielt auf zehn mimeographierten Seiten Informationen über 46 Sprachen und Sprachfamilien. Mit der vierten Ausgabe (1953) waren erstmals handgezeichnete Karten enthalten. Die fünfte Ausgabe (1958) war die erste, die als Buch erschien.[13] Ab der 14. Auflage war der Ethnologue frei im Internet zugänglich; seit der 22. Auflage 2019 ist der Zugang nur noch gegen Bezahlung möglich.
Mit dem Erscheinen der 15. Auflage des Ethnologue im April 2005 wurde der SIL-Code an den damals in Entwicklung befindlichen ISO/DIS-639-3-Standard der Norm ISO 639 angeglichen. Somit ergeben sich für sehr viele Sprachen neue, aus drei Buchstaben bestehende Bezeichner. Hieraus resultierte weiterhin, dass nun auch Sprachen, die bereits ausgestorben sind, einen SIL-Code erhielten. Seitdem ist SIL International der offizielle Verwalter der ISO-639-3-Codes.
Einige bekannte SIL-Codes (in Klammern die bis zur 14. Auflage gültigen Codes):
- gsg (GSG) Deutsche Gebärdensprache
- dan (DNS) Dänisch
- eng (ENG) Englisch
- hin (HND) Hindi
- cmn (CHN) Hochchinesisch
- nld (DUT) Niederländisch
- swe (SWD) Schwedisch
- scn (SCN) Sizilianisch
- spa (SPN) Spanisch
Bedeutung für Wikipedia
Die Wikimedia Foundation nimmt nur Anträge für neue Sprachversionen ihrer Projekte, darunter Wikipedia, entgegen, wenn diese Sprachversionen einen gültigen ISO-639-Code haben.[14]
„Expanded Graded Intergenerational Disruption Scale“ (EGIDS)
Bis etwa Oktober 2019[15] nutzte die Seite ethnologue.com für die Sprachenbeschreibung nur die sog. „Erweiterte abgestufte intergenerationelle Veränderungsskala“ (Expanded Graded Intergenerational Disruption Scale, EGIDS); mittlerweile wird ergänzend eine graphische Darstellung mit zwei Dimensionen, Größe der Sprachgemeinschaft und Vitalität (nach EGIDS) genutzt[16]. Hierbei werden bezüglich Vitalität nur vier Stufen unterschieden, mit denen Bereiche der EGIDS-Skala zusammengefasst werden (0–4; 5–6a; 6b–9; 10).
EGIDS ist eine differenzierte Skala zur Einschätzung der Vitalität bzw. Gefährdung von Sprachen, die von SIL International im Ethnologue entwickelt (Paul Lewis und Gary F. Simons, 2010) und verwendet wurde.[17] Gegenüber der bekannten LVE-Skala der UNESCO mit ihren 6 Stufen[18] hat EGIDS 13 Grade. Je höher die Zahl auf der Skala, desto stärker ist die Weitergabe der Sprache von den älteren zur jüngeren Generation gestört.
Die EGIDS-Stufen kombinieren die Graded Intergenerational Disruption Scale (GIDS) nach Joshua Fishman (1991) und das LVE-Modell der UNESCO.[18] Wie GIDS basiert EGIDS im Wesentlichen auf der Vererbung der Sprachen und verwendet ebenso die Einteilung von Stufe 0 bis 10 – allerdings mit zwei differenzierteren Unterteilungen der Grade 6 und 8, jeweils in a und b. Überdies hat die Stufe 5 eine alternative Kategorie (dispersed) und für die Stufe 9 zwei Alternativen (reawakening und only second language). Damit soll es zum Beispiel möglich sein, auch Sprachen korrekt einzuordnen, deren Entwicklung durch Revitalisierung möglicherweise einen positiveren Verlauf nimmt.
Der aktuelle Sprachstatus sowie weitere Informationen zu allen Sprachen der Welt werden laufend aus einer Vielzahl unterschiedlicher Quellen zusammengetragen und lassen sich über die Internetseite ethnologue.com jederzeit online abfragen. EGIDS gilt bei Experten als detaillierter und präziser als die anderen Modelle.[19]
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Siehe auch
- Graphite, eine von SIL entwickelte freie „Smartfont“-Technik
Literatur
- Ruth Margaret Brend, Kenneth Lee Pike (Hrsg.): The Summer Institute of Linguistics: Its Works and Contributions. Walter De Gruyter, 1977, ISBN 90-279-3355-3.
- Gerard Colby, Charlotte Dennett: Thy Will Be Done: The Conquest of the Amazon: Nelson Rockefeller and Evangelism in the Age of Oil. HarperCollins, 1995, ISBN 0-06-016764-5.
- John Perkins: Confessions of an Economic Hit Man. Berrett-Koehler Publishers, 2004, ISBN 1-57675-301-8.
- W. A. Willibrand: Oklahoma Indians and the “Summer Institute of Linguistics”. 1953.
- Soren Hvalkof, Peter Aaby (Hrsg.): Is God an American? An Anthropological Perspective on the Missionary Work of the Summer Institute of Linguistic.s Survival-International-Document. IWGIA [International Work Group for Indigenous Affairs]. Kopenhagen. SI, London 1981, ISBN 87-980717-2-6.
- Eni Pucinelli Orlandi: Sprache, Glaube, Macht: Ethik und Sprachenpolitik / Language, Faith, Power: Ethics and Language Policy. In: Brigitte Schlieben-Lange (Hrsg.): Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik. 116; Katechese, Sprache, Schrift; Universität Siegen / J. B. Metzler 1999. (Diskursanalyse zur Arbeit von SIL.)
- Laurie K. Hart: The Story of the Wycliffe Translators: Pacifying the Last Frontiers. In: NACLA’s Latin America & Empire Report, Band 7, Nr. 10 (1973). (Zur Zusammenarbeit von SIL mit US-amerikanischen Ölgesellschaften und Militärdiktaturen in Lateinamerika in den 1950er und 1960er Jahren.)
- Michael Erard: How Linguists and Missionaries Share a Bible of 6,912 Languages. In: New York Times, Ausgabe vom 19. Juli 2005.
- Norman Lewis: Die Missionare. Über die Vernichtung anderer Kulturen. Ein Augenzeugenbericht. Klett-Cotta, Stuttgart 1991, ISBN 3-608-95312-4.
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Weblinks
SIL-Seiten
- SIL international
- Ethnologue.com
- Doulos SIL ist der von SIL entwickelte Zeichensatz mit einer beachtlichen Bandbreite an unterstützten Glyphen, IPA und diakritischen Zeichen.
Kritik an SIL
- Cedric Muhammad: On The CIA And Christian Missionaries (BlackElectorate, 13. Mai 2001)
- Evangelicals in Venezuela: Robertson Only the Latest Controversy In a Long and Bizarre History ( des vom 20. August 2009 im Internet Archive) (Council On Hemispheric Affairs, 19. September 2005)
- Paul Heggarty: This Site’s Views on Missionary Work auf quechua.org.uk
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Einzelnachweise
Wikiwand - on
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