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Selbstwirksamkeitserwartung

psychologisches Konzept Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

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Selbstwirksamkeitserwartung (englisch self-efficacy), kurz SWE, bezeichnet das Vertrauen einer Person, aufgrund eigener Kompetenzen gewünschte Handlungen auch in Extremsituationen erfolgreich selbst ausführen zu können.[1] Ein Mensch, der daran glaubt, selbst etwas bewirken und auch in schwierigen Situationen selbstständig handeln zu können, hat demnach eine hohe SWE. Der Begriff wurde in den 1970er-Jahren von dem kanadischen Psychologen Albert Bandura entwickelt.[2]

Eine Komponente der SWE ist die Annahme, dass eine Person gezielt Einfluss auf die Dinge und die Welt nehmen kann, statt äußere Umstände, andere Personen, Zufall, Glück und andere unkontrollierbare Faktoren als ursächlich anzusehen (siehe auch Kontrollüberzeugung).

Manche Psychologen vertreten die Auffassung, dass Selbstwirksamkeitserwartung ein natürliches Bedürfnis des Menschen sei. In der psychologischen Forschung wird zudem unterschieden zwischen den generalisierten und den verschiedenen handlungsspezifischen Selbstwirksamkeitserwartungen (etwa mit dem Rauchen aufzuhören oder vor einer Menschenmenge frei sprechen zu können).

Untersuchungen zeigen, dass Personen mit einem starken Glauben an die eigene Kompetenz größere Ausdauer bei der Bewältigung von Aufgaben, eine niedrigere Anfälligkeit für Angststörungen und Depressionen und mehr Anerkennung in Ausbildung und Berufsleben haben.

SWE und Handlungsergebnisse wirken oft zirkulär: Eine hohe SWE führt zu hohen Ansprüchen an die eigene Person, weshalb sie eher anspruchsvolle, schwierige Herausforderungen suchen wird. Die Bewältigung dieser Herausforderungen führt wiederum zur Bestätigung bzw. sogar Erhöhung der eigenen SWE. Diesen zirkulären Effekt griffen Locke und Latham (1990, 1991) auf und überführten ihn in den sogenannten high performance cycle. Die Autoren untersuchten, ob es einen Zusammenhang zwischen Zielsetzung oder Zielfestlegung und der realisierten Leistung gibt.

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Quellen der Selbst­wirk­sam­keits­er­war­tung

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Sozialkognitive Lerntheorie

Im Rahmen seiner sozialkognitiven Lerntheorie ging Bandura in den 1970er Jahren von vier verschiedenen Quellen aus, die die Selbstwirksamkeitserwartung einer Person beeinflussen können.[3]

Eigene Erfolgserlebnisse

Erfolg bei der Bewältigung einer schwierigen Situation stärkt den Glauben an die eigenen Fähigkeiten – man traut sich auch in Zukunft das Beherrschen solcher Situationen zu –, während Misserfolge dazu führen können, an der eigenen Kompetenz zu zweifeln und in Zukunft vergleichbare Situationen eher zu meiden. Damit es zu einer solchen Beeinflussung der eigenen Selbstwirksamkeitserwartung durch Erfolgserlebnisse oder Misserfolgserlebnisse kommt, muss die Person jedoch diese Erlebnisse ihren eigenen Fähigkeiten zuschreiben (d. h. internal und stabil attribuieren). Menschen mit einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung zeigten trotz einzelner Rückschläge eine höhere Frustrationstoleranz.

Stellvertretende Erfahrung

Meisterten andere Menschen mit Fähigkeiten, die den eigenen gleichen, eine Aufgabe, traue man sie sich selbst auch eher zu. Andererseits demotiviere ein Misserfolg solcher Personen. Dabei gelte: Je größer die Ähnlichkeit zur beobachteten Person, desto stärker die Beeinflussung durch das Vorbild.

Verbale Ermutigung

Menschen, denen gut zugeredet wird und denen von anderen zugetraut werde, eine bestimmte Situation zu meistern, strengten sich eher an. Sie glaubten mehr an sich, als wenn andere an ihren Fähigkeiten zweifelten. Zugleich sei es wichtig, jemanden nicht unrealistisch zu fordern. Das würde bei wiederholtem Misserfolg eher demotivieren.

Emotionale Erregung

Die eigenen physiologischen Reaktionen auf eine neue Anforderungssituation sind oft Grundlage eigener Situations- und Selbstwirksamkeitsbewertung. Beispielsweise gehen Herzklopfen, Schweißausbrüche, Händezittern, Frösteln, Übelkeit oft mit emotionalen Reaktionen wie Anspannung oder Angst einher. Diese Anzeichen lassen sich leicht als Schwäche interpretieren und Selbstzweifel aufkommen. Ein Abbau von Stressreaktionen kann Menschen helfen, entspannter an Herausforderungen heranzugehen und sie so besser zu meistern.

Genetische Ursachen

Entgegen den Annahmen der sozialkognitiven Lerntheorie zeigen die Ergebnisse von Zwillingsstudien, dass SWE zu einem großen Teil genetisch bedingt sein könnte. So untersuchte eine Zwillingsstudie die Erblichkeit von SWE bei Heranwachsenden anhand der Auskünfte von Müttern, Vätern und der Kinder in über 1.300 Familien mit über 2.600 Zwillingen. Es zeigte sich, dass Unterschiede in dem zugrunde liegenden Faktor der SWE zu 75 % durch genetische Faktoren erklärbar sind.[4][5] Die Studie merkt zugleich selbstkritisch an, dass ein Studienaufbau basierend auf zusammen aufgezogenen Zwillingen die Wirkung genetischer Einflüsse über- und gemeinsame Umwelteinflüsse wie z. B. Erziehungsstile unterschätzen kann.[5]

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Entwicklungsphasen bzw. -kontexte der SWE

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Selbstwirksamkeit entwickelt sich in verschiedenen Lebensstadien bei jedem Individuum unterschiedlich, je nach den Lebensumständen und den unterschiedlichen Einflüssen der oben genannten Quellen.

Neugeborene sind sich noch nicht selbst als eigenständige Person bewusst. Sie lernen erst nach und nach, wie ihre Handlungen bestimmte Folgen und Reaktionen hervorrufen (z. B. produziert das Schütteln einer Rassel Geräusche, Schreien ruft Erwachsene herbei), und dass sie eine von anderen abgegrenzte Person sind.

Die Familie, in der Kinder größtenteils ihre physischen, kognitiven, sozialen und linguistischen Fähigkeiten erlernen und ausbauen, die häusliche Umgebung, auch Lernmaterialien und Geschwisterkonstellationen sind äußerst wichtig. Kinder vergleichen sich in diesem Umfeld zum ersten Mal mit anderen Menschen, d. h. mit Eltern und Geschwistern. Ein nächster Schritt ist, Peers zu begegnen: Erstmals kann man im Vergleich mit Gleichaltrigen die eigenen Fähigkeiten bewerten. Schon hier haben Kinder mit einer niedrigen Selbstwirksamkeitserwartung Probleme, sich anderen Kindern anzuschließen. In der Schule erweitern sie ihre kognitiven Kompetenzen und erwerben Wissen und Problemlösungsfertigkeiten. Später konfrontiert die Entwicklung Jugendliche mit Veränderungen wie Pubertät und Berufswahl. Wie leicht oder schwer man das nimmt, hängt von der vorher aufgebauten Selbstwirksamkeit ab. Führt diese Phase zur positiven Wahrnehmung der nunmehr erweiterten Kontrollmöglichkeiten in immer neuen Situationen, steigert dies die SWE. Finden die Jugendlichen jedoch keine Selbstbestätigung oder erleben sie sich sogar als machtlos, verhindert das den Aufbau einer positiven SWE.[6]

Das Erwachsenenalter bringt neue Anforderungen wie das Berufsleben und das Eingehen längerfristiger Beziehungen bis zur Ehe und Elternschaft mit sich. Menschen mit Selbstzweifeln haben tendenziell stärkeren Stress und neigen eher zu Depressionen, können sich schlechter motivieren und weniger gut negative Emotionen kontrollieren. Auch die Erfahrung, in großen Bürokratien keinen Einfluss entfalten zu können, kann diese Neigung verstärken. Im Alter sinkt die körperliche Leistungsfähigkeit und jeder muss mit neuen Veränderungen wie Rente oder Verlust von Freunden, Partnern und/oder körperlicher Leistungsfähigkeit bzw. Unversehrtheit zurechtkommen. Auch beim Bewältigen dieser Veränderungen spielt die individuelle Selbstwirksamkeitserwartung eine entscheidende Rolle.

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Selbst­wirk­sam­keits­er­war­tung und Berufswahl

Selbstwirksamkeitserwartung lässt sich als eine zentrale Variable bei der Karriereentwicklung im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) beschreiben.[7] Insbesondere zeigen Studien, dass die Selbstwirksamkeitserwartung in Mathematik ein stärkerer Prädiktor für das Interesse an Mathematik, die Wahl von Veranstaltungen mit Mathematikbezug sowie die Wahl eines Abschlusses in Mathematik ist, als bisherige Leistungen in Mathematik oder das erwartete Ergebnis in den entsprechenden Kursen.[7] Im Bereich der Programmierausbildung wurde gezeigt, dass die Selbstwirksamkeitserwartung einen größeren Einfluss auf erreichte Leistung hat als beispielsweise das Geschlecht der Kursteilnehmer.[8] Es zeigt sich, dass sich die niedrige Repräsentation von Frauen in den MINT-Berufen auf geschlechtsspezifische Unterschiede in der Selbstwirksamkeitserwartung zurückführen lässt.[9]

Selbstwirksamkeit in der Gesundheitsförderung

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Das Modell der Selbstwirksamkeitserwartung spielt auch in der Gesundheitsförderung und der Rehabilitation bzw. Physiotherapie eine bedeutende Rolle.[10][11] Die Forschung konnte zeigen, dass hohe Werte der Selbstwirksamkeitserwartung die Erfolgschancen von Verhaltensänderungen (z. B. im Gesundheitsverhalten) deutlich erhöhen.[12] Glauben Menschen nicht daran, gesundheitsfördernde Verhaltensweisen umsetzen zu können, ist es unwahrscheinlicher, dass sie es überhaupt probieren.[13] Da viele Ansätze zur Gesundheitsprävention eine Veränderung des Verhaltens nötig machen, ist ein ausreichendes Maß an Selbstwirksamkeitserwartung grundsätzlich wichtig, um entsprechende Handlungen zu initiieren.[14]

Die Selbstwirksamkeitserwartung gilt somit als Prädiktor, um überhaupt mit gesundheitsförderlichem Verhalten zu beginnen.[15] Glücklicherweise konnten Untersuchungen zeigen, dass sich die Selbstwirksamkeitserwartung von Personen steigern lässt.[16]

Bei Patientinnen mit Brustkrebs zeigte sich die Selbstwirksamkeitserwartung als wichtigster Prädiktor für die psychischen Aspekte von Lebensqualität.[17] Menschen mit hoher Selbstwirksamkeitserwartung verfügen über ein besser funktionierendes Immunsystem und sind bei der Lösung von Aufgaben weniger angsterfüllt.[18][19][20] Eine niedrige Selbstwirksamkeitserwartung könnte ein Anzeichen für Depressionen sein, da depressive Menschen sich oft in zentralen Bereichen des Lebens als unfähig erleben. Hohe Selbstwirksamkeitserwartung kann gute psychische Anpassungsleistung sowie Coping positiv beeinflussen.[19][21]

Eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung dämpft bei Patienten mit Panikattacken, Phobien und emotionalen Störungen die Stärke physiologischer Stressreaktionen. Es wird bei hoher Selbstwirksamkeitserwartung häufiger bewältigendes Verhalten gezeigt.[22][23]

Eine Steigerung der Selbstwirksamkeitserwartung kann bei Fibromyalgie-Patienten zu einer Linderung der Beschwerden und Verbesserungen auf Ebene der Bewältigungsmechanismen führen.[24] Hohe Selbstwirksamkeitserwartung steht im Zusammenhang mit niedrigen Werten von Angst und Depression. Eine Förderung der Selbstwirksamkeitserwartung durch therapeutische Ansätze bewirkt eine Reduzierung von Schmerz, Suchtverhalten, Arzneimittelkonsum sowie eine Verbesserung von Copingverhalten bei chronisch kranken Personen.[25]

Zusammengefasst könnte eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung als präventiver Faktor für psychische Erkrankungen sowie Chronifizierung körperlicher Beschwerden angesehen werden. Eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung erhöht weiterhin die Chancen für gesundheitsförderliche Verhaltensänderung.

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Siehe auch

  • Kohärenzgefühl (Gefühl der Bewältigbarkeit der Lebensanforderungen nach Antonovsky)
  • Sozialkognitive Lerntheorien (Abgrenzung zur Selbstwirksamkeitserwartung: frühere Erfolge sind wesentlich für Zukunftserwartungen)
  • erlernte Hilflosigkeit (aufgrund negativer Erfahrung entwickelte Überzeugung, die Fähigkeit zur Veränderung der eigenen Lebenssituation verloren zu haben)

Literatur

  • Albert Bandura: Self-Efficacy: Toward a Unifying Theory of Behavioral Change. In: Psychological Review. Band 84, Nr. 2, 1977, S. 191–215 (englisch).
  • Albert Bandura: Perceived Self-Efficacy in Cognitive Development and Functioning. In: Educational Psychologist. Band 28, Nr. 2, 1993, S. 117–148 (englisch).
  • A. Bandura: Self-efficacy. In: V. S. Ramachandran (Hrsg.): Encyclopedia of human behavior. Band 4. Academic Press, San Diego 1994, S. 71–81 (englisch).
  • A. Bandura: Self-efficacy: The exercise of control. Freeman, New York 1997 (englisch).
  • H.-G. Ridder: Personalwirtschaftslehre. 1999, S. 439–440 (englisch).
  • E. A. Locke, G. P. Latham: A Theory of Goal Setting and Task Performance. Englewood Cliffs 1990 (englisch).
  • R. Schwarzer, M. Jerusalem: Das Konzept der Selbstwirksamkeit. In: Zeitschrift für Pädagogik. Band 44, Beiheft: Selbstwirksamkeit und Motivationsprozesse in Bildungsinstitutionen. 2002, S. 28–53.
  • L. Satow, R. Schwarzer: Entwicklung schulischer und sozialer Selbstwirksamkeitserwartung: Eine Analyse individueller Wachstumskurven. In: Psychologie in Erziehung und Unterricht. Band 50, Nr. 2, 2003, S. 168–181.
  • A. Luszczynska, B. Gutiérrez-Doña, R. Schwarzer: General self-efficacy in various domains of human functioning: Evidence from five countries. In: International Journal of Psychology. Band 40, Nr. 2, 2005, S. 80–89 (englisch).
  • A. Luszczynska, U. Scholz, R. Schwarzer: The general self-efficacy scale: Multicultural validation studies. In: The Journal of Psychology. Band 139, Nr. 5, 2005, S. 439–457 (englisch).
  • R. Schwarzer, S. Boehmer, A. Luszczynska, N. E. Mohamed, N. Knoll: Dispositional self-efficacy as a personal resource factor in coping after surgery. In: Personality and Individual Differences. Band 39, 2005, S. 807–818 (englisch).
  • R. Schwarzer, A. Luszczynska: Self-Efficacy. In: M. Gerrard, K. D. McCaul (Hrsg.): Health Behavior Constructs: Theory, Measurement, and Research. National Cancer Institute, 2007 (englisch; online auf cancercontrol.cancer.gov).
  • E. L. Usher, F. Pajares: Sources of academic and self-regulatory efficacy beliefs of entering middle school students. In: Contemporary Educational Psychology. Band 31, 2006, S. 125–141 (englisch).
  • Hannelore Weber, Thomas Rammsayer: Differentielle Psychologie: Persönlichkeitsforschung. Hogrefe, Göttingen u. a. 2012, ISBN 978-3-8017-2172-5, S. 97–99.
  • B. J. Zimmerman, A. Kisantas: Homework practices and academic achievement: The mediating role of self-efficacy and perceived responsibility beliefs. In: Contemporary Educational Psychology. Band 30, 2005, S. 397–417 (englisch).
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Einzelnachweise

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