Top-Fragen
Zeitleiste
Chat
Kontext
Siegfried Behrend
deutscher Gitarrist und Komponist Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Remove ads
Siegfried Behrend (* 19. November 1933 in Berlin; † 20. September 1990 in Hausham) war ein deutscher Gitarrist und Komponist sowie Herausgeber von Gitarrenmusik.

Biografie und künstlerisches Wirken
Zusammenfassung
Kontext
Siegfried Behrends Eltern waren der gelernte Schlosser, engagierte Freizeitgitarrist und Gitarrenlehrer Karl Behrend (* 16. Dezember 1899; † 1987) und dessen aus Riga stammende Frau Kornelia.[1]
Karl Behrend war seit 1945 als Gitarrenlehrer am Klindworth-Scharwenka-Konservatorium tätig[2] und erreichte 1949 als Ausgleich für noch ausstehende Lohnzahlungen, dass man seinen Sohn, der zwar nur ein mittelmäßiger Schüler war,[1] aber seinem Vater als musikalisch talentiert erschien, dort als Schüler aufnahm.[3]
Nach zwei Jahren, in denen Siegfried unterschiedliche Fächer belegt hatte, fasste er den Entschluss, sich ausschließlich der Gitarre zu widmen.[4] Er studierte daher ein knappes Jahr bei Erich Bürger (* 4. August 1902 in Berlin; † 8. Mai 1994 in Wiesbach (Pfalz)), einem angesehenen Lehrer aus dem Kreis der sogenannten Berliner Gitarrenschule.[2] Er absolvierte u. a. auch einige gemeinsame Auftritte mit dem Gitarristen und Schüler von Adalbert Quadt Jürgen Klatt (9. Oktober 1935 in Berlin; † 21. Oktober 1995 in Frankfurt am Main), der sich zu dieser Zeit bereits mit spanischer Flamencomusik beschäftigt hatte und seine Kenntnisse wenige Jahre später durch ein Studium in Madrid vertiefte,[5] und über den Siegfried Behrend (der sich in späteren Jahren selbst gerne als „Flamencoexperte“ darstellte) durch gemeinsame Auftritte bei den „Spanischen Abenden“ der Tänzerin Ilse Meudtner auch die Musik und einige elementare Spieltechniken der Flamencogitarre kennenlernte.[6]
Durch sein musikalisches Talent, aber auch durch Fleiss und Ehrgeiz, gepaart mit einem bisweilen übergroß erscheinenden Selbstbewusstsein, einer gehörigen Portion Geschäftstüchtigkeit und einer wirkungsvollen Vermarktungsstrategie – auch wenn deren Narrative nicht immer auf Fakten basierten[Anm. 1] – gelang es Siegfried Behrend bereits nach wenigen Jahren, sich im internationalen Konzertbetrieb zu etablieren.[7]
1962 lernte der Gitarrist während der Aufnahmen zu der Personality-Show Belina – Porträt einer Sängerin die Sängerin Belina kennen. Die beiden gingen fortan künstlerisch gemeinsame Wege. Belina und Behrend repräsentierten mit Folk-Songs, Chansons, jiddischen Liedern und internationalen Schlagern als Botschafter deutscher Kultur die damals noch junge Bundesrepublik Deutschland und führten mit Unterstützung des Goethe-Instituts mehrere ausgedehnte Konzertreisen durch. Sie gastierten in mehr als 120 Ländern, nahmen als Duo mehrere LPs auf und waren in zahlreichen Fernsehsendungen zu Gast (z. B.: Lieder am Kamin beim SWF). Nach der Beendigung der Zusammenarbeit mit Belina am Ende der 1960er-Jahre heiratete Siegfried Behrend die Schauspielerin Claudia Brodzinska.
Siegfried Behrend trug durch sein Engagement, aber auch durch seine Medienpräsenz – zunächst im Rundfunk, dann auch im Fernsehen – erheblich dazu bei, dass die Musik für Gitarre und andere Zupfinstrumente einen festen Platz im öffentlichen Musikleben der Bundesrepublik Deutschland erhielt. So moderierte er 1963 die Fernsehsendung Die Geschichte der Gitarre,[8] 1971 eine dreizehnteilige Fernsehsendung über die Gitarre und ihre Verwendung in der Kammermusik mit dem Titel Instrumente – Klänge – Strukturen beim Hessischen Rundfunk.
In den 1970er-Jahren veranstaltete Behrend im bayerischen Riedenburg die „Internationalen Meisterkurse für künstlerisches Gitarrespiel“ und förderte in den folgenden Jahren als Lehrer und Mentor zahlreiche gitarristische Nachwuchskünstler, zu denen u. a. Matthias Henke gehörte, sowie Martin Maria Krüger (* 1954), der mit seinem ehemaligen Lehrer von 1977 an das Deutsches Gitarrenduo bildete, bevor er 1979 von Behrends langjährigem Privatschüler Michael Troester (* 1956) abgelöst wurde.[9]
Neue Klänge für Zupfinstrumente
Von 1960 bis 1973 leitete er das Saarländische Zupforchester (SZO)[10] und von 1968 bis 1990 das Deutsche Zupforchester (DZO).[11] Da es zu den Anliegen Siegfried Behrends gehörte, das Repertoire für Zupfinstrumente um zeitgenössische Werke zu erweitern, brachte er im Rahmen seiner Zusammenarbeit mit den genannten Orchestern unter anderem Werke von Anestis Logothetis, Klaus Hashagen, Heinrich Konietzny und Dietrich Erdmann zur Uraufführung.
Dabei war Behrend insbesondere den klanglichen Experimenten der Avantgarde zugetan und vertrat in einem öffentlich mit dem Wiener Gitarristen Karl Scheit ausgetragenen Disput die Position, dass beispielsweise der Komponist Heitor Villa-Lobos ein „folkloristischer Konstruktionsromantiker“ sei, dessen Werke „nichts mit neuer Musik zu tun“ hätten.[12] Dieser Aspekt seiner persönlichen Vorlieben und die sich daraus ergebenden Programmgestaltungen trafen allerdings in konservativ gesinnten Kreisen der Zupforchesterbewegung nicht auf ungeteilte Zustimmung, was 1973 nach einem bereits intern länger schwelenden Streit dazu führte, dass sich der Orchestervorstand des SZO 1972 in einem Beschluss gegen die „Zunahme der Graphisch-Experimentellen Musik“ aussprach und „statt Quantität mehr Qualität“ forderte, woraufhin Behrend schließlich 1973 in einer Orchestersitzung von den Mitgliedern des SZO das Vertrauen entzogen wurde.[13]
Auch mit seiner Frau Claudia Brodzinska-Behrend (Sprechstimme) brachte er regelmäßig experimentelle Werke zur Aufführung, darunter die Uraufführung und Einspielung von Sylvano Bussottis Ultima Rara.[14] Für diese Besetzung schrieb Klaus Hinrich Stahmer Canti della vita (1980; Texte: Eugenio Montale). Gemeinsam mit dem Schlagzeuger Siegfried Fink spielten Claudia Brodzinska und Siegfried Behrend Stahmers radiophone Komposition tre paesaggi (1976; Texte: Cesare Pavese) für den Bayerischen Rundfunk ein. In Verbindung mit live-elektronischer Klangverwandlung brachte er 1980 in Zagreb auch Stahmers für das dort ansässige Tanzensemble „savremeni ples“ komponierte Ballettkomposition espace de la solitude zur Uraufführung.
Tätigkeit als Herausgeber und Komponist
Behrend widmetet sich seit der zweiten Hälfte der 1950er Jahre einer umfangreichen Tätigkeit als Komponist und Herausgeber von Musik für Gitarre und andere Zupfinstrumente. Dem Vorbild namhafter und auch als Herausgeber erfolgreicher Gitarristen wie Andrés Segovia (Schott Verlag) oder Karl Scheit (Universal Edition) folgend, etablierte er bei verschiedenen Verlagen eigene Werkreihen. Bei Bote & Bock (Berlin) erschienen seine in unterschiedliche Themenbereiche unterteilte Gitarre-Bibliothek und 15 Hefte mit Arrangements für Gitarre und Singstimme unter dem Titel Volkslieder aus aller Welt, im Frankfurter Musikverlag Zimmermann unter anderem Kammermusik für Gitarre (ca. 25 Ausgaben) und im Hamburger Musikverlag Hans Sikorski Die Konzertgitarre. Eine Sammlung aus dem Repertoire von Siegfried Behrend, Spielmusik für 2 Gitarren und Alte Europäische Lautenmusik (5 Hefte).
Siegfried Behrends kompositorisches Schaffen war stilistisch vielfältig, in weiten Teilen aber auch durch einen oberflächlichen Eklektizismus geprägt, der keinen Raum für die Entwicklung künstlerisch nachhaltiger Werke bot. Neben seinem zwar umfangreichen, aber auch klischeehaften und epigonalen Œuvre von Stücken vornehmlich spanischer Couleur und mit meist nur geringer individueller Schaffenstiefe standen Veröffentlichungen, mit denen er zum Beispiel durch die Verwendung graphischer Notation den Anschluss an aleatorische Tendenzen der Avantgarde des 20. Jahrhunderts suchte,[15] deren kompositorische Qualität aber auch Kritik provozierte:
„Seinen aleatorisch angelegten Stücken haftet [...] über ihren per se indeterminierten musikalischen Gehalt hinaus eine Willkürlichkeit an, die sich m. E. auch auf den Schaffensprozeß beziehen läßt und so ganz allgemein den Verdacht nährt, daß es sich hier weniger um die Entäußerung musikalisch kreativen Gestaltungswillens als um unreflektiertes Epigonentum handelt.“
Auch Behrends Tätigkeit als Herausgeber war in Fachkreisen aufgrund teilweise unzeitgemäßer Editionsstandards nicht unumstritten,[17] und auch die oftmals nicht ausreichend dargelegte Herkunft des von ihm verwendeten Materials wirft Fragen auf, die auch sein kompositorisches Schaffen berühren. So veröffentlichte Behrend zwischen 1957 und 1958 im Musikverlag Hans Sikorski unter seinem Namen die Impressionen einer spanischen Reise mit Stücken für Gitarre solo, für zwei Gitarren und für Gesang und Gitarre in 6 Bänden, von denen er behauptete, sie seien „bisher noch nie in Noten festgehaltenen“ worden.[18] Obwohl Behrend in einem Interview aus dem Jahr 1983 auf die Bedeutung des Urheberrechts verwies und diese durch seine Worte „Man kann nicht einfach irgendwas nehmen, seinen Namen draufschreiben und dann sagen: ‚Das meld' ich jetzt als meins an‘.“[17] bekräftigte, bestehen die Impressionen jedoch überwiegend aus bereits Jahre vorher bei ausländischen Verlagen, wie der Unión Musical Española (Madrid) oder der Edition Julio Garzon und Max Eschig (beide Paris) veröffentlichten Werken spanischer Komponisten, auf deren Urheberschaft aber an keiner Stelle seiner Edition hingewiesen wird. So enthält die Heftreihe unter anderem Kompositionen von Tomás Bretón, dessen Jota aus seiner Oper La Dolores (1895)[19][Anm. 2] im 3. Band der Impressionen als anonymer „Bauerntanz“ erscheint, oder Joaquín Nin, der ebenso ungenannt bleibt, obwohl drei seiner Volksliedbearbeitungen aus den Veinte cantos populares españolas (1923/24)[20][Anm. 3] den gesamten Inhalt des 6. Bandes ausmachen.[Anm. 4]
Zum Stand der biografischen Forschung
Behrends erheblicher Anteil an der Förderung des künstlerischen Gitarrenspiels in Deutschland und der Erweiterung des Repertoires für Zupforchester ist unbestritten, etliche Ungereimtheiten seiner Biografie und seines Schaffens als Herausgeber und Komponist bedürfen jedoch noch einer sachlichen Aufarbeitung, die anhand der gegenwärtig nur spärlich vorhandenen und durch die zumeist fehlende Distanz der Autoren zu Behrends Person nur bedingt verwertbaren Literatur erst noch zu leisten ist.
Remove ads
Ehrungen
Siegfried Behrend erhielt 1981 auf Vorschlag von Franz Josef Strauß das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.[21]
Am 30. Mai 1991 gab das Deutsche Zupforchester unter Leitung von Wolfgang Bast für ihn ein Gedenkkonzert im Otto-Braun-Saal der Berliner Staatsbibliothek.[22]
Diskografie (Auswahl)
Gitarre solo
- 1961 Siegfried Behrend, Gitarre (Columbia)
- 1963 Die Geschichte der Gitarre (Columbia)
- 1968 Deutsche Gitarrenmusik (Deutsche Grammophon)
- 1975 Chitarra Italiana (Deutsche Grammophon)
- 1971 Englische Gitarrenmusik (Deutsche Grammophon)
Gitarre und verschiedene Besetzungen
- Siegfried Behrend, Berliner Philharmoniker (Dirigent: Reinhard Peters): Rodrigo, Castelnuovo-Tedesco – Concierto de Aranjuez, Concerto in D; 1966 (Deutsche Grammophon)
- Pilar Lorengar, Siegfried Behrend: Altspanische Volkslieder und Romanzen; 1966 (Deutsche Grammophon)
- Siegfried Behrend, I Musici: Altitalienische Gitarrenkonzerte; 1969 (Deutsche Grammophon)
- Siegfried Behrend, Siegfried Fink: Guitar & Percussion; 1970 (Deutsche Grammophon)
- Castelnuovo Tedesco, Bussotti, Hartig - Werke für Sprechstimme, Gitarre und Chor; 1971 (Deutsche Grammophon)
- Siegfried Behrend, Zagreber Streichquartett: Boccherini, Schnabel: Gitarrenquintette; 1974 (Da Camera, Sastruphu, SM 93606, 1973)
- Eviva la Guitarra – Siegfried Behrend und seine spanische Gitarre; 1975 (BASF)
- Siegfried Behrend, Michael Tröster: Salonaden für 2 Gitarren; 1987 (EMI)
- DZO−Kammerorchester (Leitung: Siegfried Behrend): Requiem auf Hiroshima; 1988 (Thorofon)
Belina und Siegfried Behrend
Kompilationen
- Siegfried Behrend in Memoriam (Thorofon)
Literatur
- Behrend, Siegfried. In: Wilibald Gurlitt (Hrsg.): Riemann Musiklexikon. 12., völlig neubearbeitete Auflage. Personenteil: A–K. Schott, Mainz 1959, S. 131 (Textarchiv – Internet Archive).
- Peter Päffgen: „Wenn man das Handwerk beherrscht, kann man sich alles leisten ...“ Interview mit Siegfried Behrend. In: Gitarre & Laute Band 5, 1983, Heft 6, S. 370–377 und 435 f.
- Helmut Richter (Hrsg.): Siegfried Behrend 1933–1990 – Stationen. Books on Demand, Norderstedt 2018, ISBN 978-3-7460-5652-4. Erweiterte Neuauflage der 2000 erstmals im Eigenverlag veröffentlichten Ausgabe mit Beiträgen verschiedener Autoren aus dem Umfeld Siegfried Behrends.
- Helmut Richter: Werkverzeichnisse komponierender Gitarristen: Heinrich Albert, Siegfried Behrend, Heinrich Bohr. Books on Demand, Norderstedt 2016.
- Maren Trekel: Siegfried Behrend: Ein Leben für die Gitarre, die Zupforchester und deren Musik. Diplomarbeit. Trekel, Hamburg 2000.
Remove ads
Weblinks
- Werke von und über Siegfried Behrend im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Artikel Siegfried Behrend. In: Rainer Stelle: Gitarristenlexikon international. (PDF; 4,6 MB. Version 2.0 vom 20. März 2025)
- Website von Helmut Richter in Gedenken an Siegfried Behrend
- Helmut Richter: Werkverzeichnis Siegfried Behrend mit Incipits (PDF; 1,1 MB)
YouTube
Remove ads
Anmerkungen
- So ist die sowohl von Behrend als auch von seinem Management, der Presse und seinem Umfeld kolportierte Behauptung, er sei – in Ermangelung adäquater Lehrer – gitarristischer Autodidakt, hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts zumindest zu relativieren. Das Narrativ passte perfekt in die von Eigeninitiative geprägte Zeit des deutschen Wirtschaftswunders und sollte offensichtlich Behrends Bestreben dienen, sich werbewirksam als exzeptionelles Naturtalent zu inszenieren.
- Die in den Impressionen abgedruckte Version in D-Dur ist eine Bearbeitung des spanischen Gitarristen Manuel Pera Nevot († 1930), zuerst erschienen bei der Sociedad anónima Casa Dotesio (Madrid und Bilbao). Ebenfalls von Bretón stammt der für Gitarrenduo bearbeitete Polo gitano (Band 5).
- Die drei von Behrend veröffentlichten Stücke stammen aus Band I/Nr. 7 (Malagueña, unterlegt mit dem Liedtext der Granadina I/Nr. 8), Band II/Nr. 5 (Murciana) und II/8 (El Vito).
- Weitere der ungenannten Autoren sind Julián Arcas (Panaderos), Modesto Romero (Fandango de Huelva), Luis Foglietti (Sevillanas), F. García Navas (Bolero), Joaquín Grant (Jota valenciana), die Zarzuela-Komponisten Rafael Calleja und Tómas Barrera (Granadinas) sowie die Flamenco-Gitarristen Luis Maravilla (u. a. Bulerías, Soleares, Zapateado del Perchel) und Vicente Gómez (Zambra del sacro monte [sic!]).
Remove ads
Einzelnachweise
Wikiwand - on
Seamless Wikipedia browsing. On steroids.
Remove ads