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Veza Canetti

österreichische Schriftstellerin und Übersetzerin Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

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Veza Canetti (geboren am 21. November 1897 in Wien als Venetiana Taubner-Calderon; gestorben 1. Mai 1963 in London) war eine deutschsprachige Schriftstellerin und Übersetzerin. Sie war jugoslawischer, später britischer Staatsangehörigkeit und zwischenzeitlich ab ihrer Heirat mit dem nachmaligen Literaturnobelpreisträger Elias Canetti 1934 bis 1952 staatenlos.

Viele ihrer Kurzgeschichten erschienen in den 1930er Jahren in der Wiener Arbeiter-Zeitung und zeitgleich in der sozialistischen Presse im In- und Ausland. Veza Canetti schrieb Theaterstücke und Romane, die vor, während und vor allem auch nach dem Zweiten Weltkrieg trotz vieler Bemühungen von ihr und ihrem Umfeld nicht veröffentlicht werden konnten. Ihre Wiederentdeckung hingegen knapp dreißig Jahre nach dem Tod führte zur erfolgreichen Publikation ihrer Kurzgeschichten, Romane und Theaterstücke im Hanser Verlag.

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Leben

Zusammenfassung
Kontext

Venetiana Taubner war die Tochter der serbisch-bosnischen Sephardin Rahel Taubner-Calderon (1864–1934) und des ungarisch-jüdischen Kaufmanns Hermann Taubner (1847–1904). Sie lebte zunächst in der Leopoldstadt, dem 2. Wiener Bezirk, in der Ferdinandstraße. Diese solle ihr später als Inspiration für die Kurzgeschichten des Bandes Die gelbe Straße gedient haben. Nach dem Ersten Weltkrieg war die hoch begabte Literaturkennerin zunächst als Englischlehrerin und Übersetzerin tätig.[1.1] 1924 begegnete sie dem späteren Literaturnobelpreisträger Elias Canetti, den sie 1934 heiratete.

Veza Canetti gehörte zum engeren Kreis um Karl Kraus, stand aber gleichzeitig dem Austromarxismus nahe. In der Wiener Arbeiter-Zeitung erschien im November 1933 ihre Erzählung Der Kanal.[1.2] Veza Canetti publizierte im Malik-Verlag[1.3] und in Exilzeitschriften unter den Pseudonymen Veronika Knecht, Martha Murner, Martina Murner und Veza Magd. Unter letzterem Pseudonym erschienen ihre Übersetzungen aus dem Englischen. Ernst Fischer habe den Kontakt zum Malik-Verlag hergestellt.[1.4]

Ihre eigenen Romane fanden zu ihren Lebzeiten keinen Verleger; die Manuskripte zu einem Roman über Kaspar Hauser und zum Thema „Die Genießer“ hat sie zerstört. Der erhaltene Roman Die Schildkröten ist autobiographisch geprägt und verarbeitet ihre Flucht nach England. Zwei weitere Romane Die Kunstblume und The Response sowie zwei Theaterstücke gelten als verschollen.[2.1]

Über Jahrzehnte hinweg war Veza Canetti die literarische Ratgeberin ihres Mannes, dessen Werke sie im Exil lektorierte. Inwieweit dieser ihre eigene literarische Tätigkeit gefördert hat, ist umstritten. Als Germanisten in den 1980er Jahren auf das schmale publizierte Werk Veza Canettis aufmerksam wurden, behauptete Elias Canetti, seine (um acht Jahre ältere) Gattin habe, durch ihn angeregt, 1931 zu schreiben begonnen, und gab ab 1990 einige Manuskripte aus ihrem Nachlass zur Publikation frei – in seiner dreibändigen Autobiografie ist allerdings von Vezas eigener schriftstellerischer Arbeit nicht die Rede. In seinem Nachlass befinden sich Entwürfe zu Kapiteln dieses Werkes, in denen er ausführlich auf ihre literarische Tätigkeit eingeht. Er meinte, letztendlich ihr Schreiben nicht besprechen zu können, ohne sie als gescheitert darzustellen, was er unbedingt zu vermeiden suchte. Das Verhältnis Vezas zu ihrem erst nach ihrem Tod berühmt gewordenen Mann gilt als ein schwieriges, nicht zuletzt wegen seiner häufigen und intensiven Beziehungen zu anderen Frauen. Mit jenen war sie jedoch oftmals, wie auch im Falle der Künstlerin Anna Mahler, befreundet.[1.5] Zudem kamen Diskussionen darüber auf, ob er Veza zu Abtreibungen genötigt habe.[3]

Veza Canetti hatte ihren linken Arm als Jugendliche bei einem Unfall mit einem Pferd verloren.[2.2] Dies sei für sie mitunter Grund gewesen, gesellschaftliche Treffen, zu denen ihr Mann und sie eingeladen wurden, aus Scham zu meiden.[1.6]

Veza Canetti starb 1963 in London, wo sie und ihr Mann seit dem „Anschluss Österreichs“ 1938 lebten. Zu ihrem Freundeskreis im Exil gehörten auch H. G. Adler und Erich Fried.[1.7]

Gerüchte, denen zufolge sie Selbstmord begangen habe, beruhen nicht auf Tatsachen, sondern beziehen sich anscheinend auf Bemerkungen, die sie zu Lebzeiten gegenüber ihrem Mann geäußert haben soll.[1.8] Sie wollte nach 1945 auf keinen Fall nach Wien zurück, denn dort würden die Nazis „bald alle jüdische Pässe haben“, so urteilte sie über die Österreicher.

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Ehrungen

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Veza-Canetti-Park in Wien
  • Der Veza-Canetti-Park in Wien-Leopoldstadt wurde 2003 nach ihr benannt.[4]
  • Gedenkplakette zu ihren Ehren: „Die Wahrheit darin ist verschüttet.“ Wien-Leopoldstadt, Ferdinandstraße 29 (Widmungstafel an ihrem Schreibhaus), Einweihung am 6. Mai 2013.[5]
  • Veza-Canetti-Preis der Stadt Wien seit 2014, Literaturpreis, dotiert mit jährlich 10.000 Euro.
  • Die Münze Österreich gab 2024 eine 50-Euro-Goldmünze der Serie „Heimat großer Töchter“ mit dem Porträt Canettis aus.[6]
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Werke

  • Neuausgaben im Carl Hanser Verlag, München
    • Die gelbe Straße. Roman, 1990.
    • Der Oger. Ein Stück, 1991.
    • Geduld bringt Rosen. 1992.
    • Die Schildkröten. Roman, 1999.
    • Der Fund. Erzählungen und Stücke. 2001.
  • mit Elias Canetti: Briefe an Georges. Hrsg.: Karen Lauer, Kristian Wachinger. Hanser, München 2006, ISBN 3-446-20760-0.

Übersetzungen

  • Graham Greene: Die Kraft und die Herrlichkeit. Ins Deutsche übersetzt von Veza Magd. Heinemann & Zsolnay, London 1947.

Literatur

Monografien
  • Vreni Amsler: Veza Canetti im Kontext des Austromarxismus. Königshausen & Neumann, Würzburg 2017, ISBN 978-3-8260-6102-8.
  • Vreni Amsler: Veza Canetti zwischen Leben und Werk. Netzwerk-Biografie. Studienverlag, Innsbruck 2020, ISBN 978-3-7065-6054-2.
  • Vreni Amsler: Veza Canetti – Bildbiografie. Orte und Artefakte. Studienverlag, Innsbruck 2023, ISBN 978-3-7065-6330-7.
  • Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Veza Canetti. Text und Kritik, München 2002, ISBN 3-88377-717-X.
  • Miriam Bertocchi: La lingua salvata di Veza Canetti. Vita e opere di una scrittrice viennese. Cuem, Mailand 2006, ISBN 88-6001-031-4.
  • Simona Fabbris: Veza Taubner-Calderon. Strategie di eccentricità. Doktorarbeit. Universität Pisa, 2014; core.ac.uk (PDF; 2,3 MB).
  • Natalie Lorenz: Texte im Dialog. Die frühen Theaterstücke von Marieluise Fleißer und Veza Canetti. Lang, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-631-56754-8.
  • Eva M. Meidl: Veza Canettis Sozialkritik in der revolutionären Nachkriegszeit. Sozialkritische, feministische und postkoloniale Aspekte in ihrem Werk. Lang, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-631-33269-6.
  • Evelyn Patz Sievers: „Ich bin Spaniolin.“ Veza Canetti im Fokus ihres jüdisch-sephardischen Erbes. Lehmweg, Hamburg 2018, ISBN 978-3-943537-07-9.
  • Julian Preece: The Rediscovered Writings of Veza Canetti: Out of the Shadows of a Husband. Rochester NY 2007, ISBN 978-1-57113-353-3.
  • Sophie Reyer: Veza Canetti. Eine Biographie. Königshausen & Neumann, Würzburg 2019, ISBN 978-3-8260-6675-7.
  • Angelika Schedel: Sozialismus und Psychoanalyse. Quellen von Veza Canettis literarischen Utopien. Im Anhang: Versuch einer biografischen Rekonstruktion. Königshausen & Neumann, Würzburg 2002, ISBN 3-8260-2166-5.
  • Ingrid Spörk, Alexandra Strohmaier (Hrsg.): Veza Canetti. Verlag Droschl, Franz-Nabl-Institut für Literaturforschung der Universität Graz 2005, ISBN 3-85420-685-2. (ausführliche Bibliografie, darin: Jenseits der Bildung: Veza Canetti als jüdische Schriftstellerin in Wien).
Artikel
  • Jeremy Adler: „Employment agency where girls are inspected and sold“. In: The European, Weekend, 22.–24. Juni 1990, S. 3–4.
  • Jeremy Adler: Erinnerungen an Veza und Elias Canetti. In: Sinn und Form 6/2025, S. 738–752.
  • William Collins Donahue: In Her Own Words. Veza Canetti’s Briefe an Georges (Letters to Georges). In: andererseits. Yearbook of Transatlantic German Studies, 2011, 2, 1, S. 81–98.
  • Bettina Engelmann: Sprachverstörung nach dem „Anschluss“ – Veza Canetti: „Die Schildkröten“. In: Dies. (Hrsg.): Poetik des Exils. Die Modernität der deutschsprachigen Exilliteratur. Niemeyer, Tübingen 2001, S. 309–221.
  • Maya Flick, Hannah Spannring: Veza Canetti. In: Stefanie Kremmel, Julia Richter, Larisa Schippel (Hrsg.): Österreichische Übersetzerinnen und Übersetzer im Exil. Frank & Timme, Berlin 2023, ISBN 978-3-7329-0936-0, S. 265–286.
  • Gaby Frank: Veza Canetti. In: Britta Jürgs (Hrsg.) „Leider hab ich’s Fliegen ganz verlernt.“ Portraits von Künstlerinnen und Schriftstellerinnen der Neuen Sachlichkeit. Aviva, Berlin 2000, ISBN 3-932338-09-X, S. 262 ff.
  • Urte Helduser: Miszellaneität als Erzählverfahren. Veza Magds Erzählungen in der Arbeiter-Zeitung und Veza Canettis Roman Die Gelbe Straße. In: Daniela Gretz, Marcus Krause, Nicolas Pethes (Hrsg.): Miszellanes Lesen. Interferenzen zwischen medialen Formaten, Romanstrukturen und Lektürepraktiken im 19. Jahrhundert. Wehrhahn, Hannover 2022, ISBN 978-3-86525-893-9, S. 261 ff.
  • Alexander Košenina: „Wir erheben uns über das Land und verlassen es mit Verachtung.“ Veza Canettis Exilroman „Die Schildkröten“. In: Reiner Wild (Hrsg.): Dennoch leben sie. Verfremte Bücher, verfolgte Autorinnen und Autoren. Zu den Auswirkungen nationalsozialistischer Literaturpolitik. Edition Text + Kritik, Bobingen 2003, S. 77–86.
  • Gerhild Rochus: Canetti, Veza. In: Andreas B. Kilcher (Hrsg.): Metzler Lexikon der deutsch-jüdischen Literatur. Jüdische Autorinnen und Autoren deutscher Sprache von der Aufklärung bis zur Gegenwart. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage. Metzler, Stuttgart / Weimar 2012, ISBN 978-3-476-02457-2, S. 100–102.
  • Sandra Schwarz: Veza Canetti. „Die Schildkröten“. In: Dies. (Hrsg.): „Phönix aus der Asche“. Werkbeispiele aus der Salzmann-Sammlung der verb(r)kannten Bücher in der Universitätsbibliothek Augsburg. Universität Augsburg, Augsburg 2014, S. 5–12.
  • Moritz Wagner: Veza Canetti. „Die Schildkröten“ (1939). In: Ders. (Hrsg.): Babylon – Mallorca. Figurationen des Komischen im deutschsprachigen Exilroman. Metzler, Stuttgart 2017, S. 211–282, ISBN 978-3-476-04527-0.
  • Edda Ziegler: Magd und Knecht: Veza Canetti. In: Verboten, verfemt, vertrieben. Schriftstellerinnen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. dtv, 2010, ISBN 978-3-423-34611-5, S. 153–157.
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Einzelnachweise

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