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deutsch-US-amerikanischer Psychiater Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Franz Josef Kallmann (* 24. Juli 1897 in Neumarkt / Schlesien; † 12. Mai 1965 in New York City) war ein deutsch-amerikanischer Psychiater und Genetiker.
Franz Josef Kallmann stammte aus einer alten jüdischen Familie in Schlesien. Er wurde als Sohn von Marie (geb. Mordze / Modrey) und Bruno Kallmann, einem Chirurgen, geboren. Er wurde Soldat im Ersten Weltkrieg. Anschließend studierte er Medizin in Breslau und arbeitete nebenher im Nervensanatorium Obernigk-Friedrichshöhe. Über diese Tätigkeit promovierte er 1921 in Breslau.
Von 1921 bis 1925 wirkte er als Chirurg und Neurologe im Krankenhaus der Grauen Schwestern in Neumarkt. In dieser Zeit konvertierte er zum christlichen Glauben. Ab 1926 bildete er sich zum Facharzt für Psychiatrie unter Karl Bonhoeffer und in Neuropathologie unter Hans-Gerhard Creutzfeldt in Berlin fort. 1928 wurde er Abteilungsarzt und Prosektor an der Berliner Heil- und Pflegeanstalt Herzberge und gleichzeitig an der Anstalt Berlin-Wuhlgarten.
Im Rahmen seiner Tätigkeit als Gutachter in den Berliner Kliniken sammelte Franz Josef Kallmann systematisch über 1000 Krankenakten von Schizophreniepatienten aus den Jahren 1893 bis 1902 und er untersuchte deren Familien erbbiologisch. Zur Auswertung dieses Materials beantragte er 1931 einen dreimonatigen Forschungsaufenthalt an der Genealogisch-Demographischen Abteilung (GDA) der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie (DFA) in München, den er auch absolvieren konnte.
Die GDA stand unter der Leitung von Ernst Rüdin, der seit 1911 ein System der „empirischen Erbprognose“ entwickelt hatte. Dabei wurde mit statistischen Methoden die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Erbkrankheiten bei den Nachkommen von Patienten im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung errechnet.[1][2][3] 1933 wurde Rüdin Kommissar des Reichsinnenministeriums für Rassenhygiene und Rassenpolitik.[4] Er war bei der Ausarbeitung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933, mit dem „biologisch minderwertiges Erbgut“ durch Zwangssterilisation ausgeschaltet werden sollte, maßgeblich beteiligt. Für Schizophrene, Manisch-Depressive und Epileptiker errechnete er ungünstige „Erbprognosen“. Psychopathen und Sonderlinge sah er als Träger schizophrener Erbanlagen. Rüdins „Erbprognosen“ dienten als wissenschaftliche Begründung des psychiatrischen Teils im deutschen Zwangssterilisationsgesetz. Dieses Gesetz sah die zwangsweise Sterilisation von Personen vor, die selbst persönlich an einer der in diesem Gesetz aufgeführten Krankheiten, zu denen auch die Schizophrenie zählte, litten oder gelitten hatten. Lediglich das Vorhandensein einer verborgenen (verdeckten, latenten) Veranlagung zu einem Leiden genügte nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht zur Begründung der zwangsweisen Vornahme einer Unfruchtbarmachung.[5]
Die wissenschaftliche Untermauerung der eugenischen Forderungen, insbesondere im Bereich der Schizophrenie, erschien Rüdin ungenügend. Daher protegierte er Kallmann seit dessen Aufenthalt an der DFA 1931.[6] Es gelang ihm zwar nicht, Kallmann dauerhaft an die DFA zu holen, aber er ermöglichte ihm, im August 1935 auf dem internationalen Kongress für Bevölkerungswissenschaft in Berlin seine Forschungen zur Schizophrenie vorzustellen:
Nach dreimonatigem Studienaufenthalt an der Münchner DFA kehrte Kallmann 1931 an seine Berliner Arbeitsstelle zurück, blieb aber weiter in Kontakt mit Rüdin, der vergeblich versuchte, ihn dauerhaft an die DFA zu holen. Als Teilnehmer am Ersten Weltkrieg betraf Kallmann das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 zunächst nicht.[8]
Auch an der DFA breitete sich antisemitisches Denken aus, so durch den Mitbegründer des NS-Ärztebundes und DFA-Mitarbeiter Theobald Lang.[9] Nachdem Kallmann im August 1935 auf Empfehlung Rüdins seine Forschungsergebnisse auf dem Berliner Kongress für Bevölkerungswissenschaften vorgestellt hatte, protestierte der NS-Ärztebund im Gau Groß-Berlin in einem Brief an Rüdin. Der Protest richtete sich nicht gegen den Inhalt des Vortrages, sondern gegen Kallmanns „rassische Herkunft.“ Rüdin antwortete,
Trotz seiner Loyalität für die Rassenhygiene des „Dritten Reiches“ wurde Kallmann Anfang Oktober 1935 vom Dienst suspendiert. Rüdin konnte Kallmann auf der 1. Jahresversammlung der Gesellschaft deutscher Neurologen und Psychiater Anfang November 1935 in Dresden nicht als Redner durchsetzen. Die Ergebnisse von Kallmanns Erbprognoseforschung zur Schizophrenie wurden stattdessen vom DFA-Mitarbeiter Bruno Schulz vorgetragen.[10]
Ernst Rüdin und Hans Luxenburger versuchten von Oktober bis Dezember 1935 vergeblich, Kallmann in den Kliniken europäischer Kollegen eine Anstellung zu verschaffen. Ihre Anfragen bei Bernhard Brouwer (1881–1949) (Neurologische Klinik Amsterdam), Edward Mapother (1881–1940) (Maudsley Hospital London), August Wimmer (1872–1937) (Psychiatrische Klinik Kopenhagen), Jakob Klaesi (Psychiatrische Universitätsklinik Bern), Kerim (Psychiatrische Klinik Istanbul), Ley (Psychiatrische Klinik Brüssel) und Boum (Psychiatrisch-Neurologische Klinik Utrecht) wurden negativ beantwortet. Auch die DFA-Mitarbeiter Bruno Schulz, Adele Juda und Theobald Lang wurden in die Bemühungen mit eingebunden.[11]
Im Jahr 1936 floh Kallmann in die USA. Rüdin, Luxenburger, Schulz und die Rockefeller Foundation halfen ihm, Deutschland zu verlassen und Arbeit in den USA zu finden. Zunächst arbeitete Kallmann in der psychologischen Abteilung des New York State Psychiatric Institute. Später gründete er das erste Research Department in Psychiatric Genetics in den USA.[12] Schulz korrigierte in der GDA weiterhin Kallmanns Forschungsdaten, welche Lang 1938 anlässlich einer von der Rockefeller Foundation finanzierten Forschungsreise in einer großen Kiste nach New York brachte.[13]
In den USA veröffentlichte Kallmann 1938 seine Monographie über die Genetik der Schizophrenie, in der er Rüdin und der GDA für ihre Hilfe ausdrücklich dankte.[14] Auf den Vorschlag Rüdins, dieses Werk in Deutschland zu publizieren, reagierte das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM) mit „Befremden“ darüber, dass die GDA „von einem Juden … eine derartige Angelegenheit überhaupt unterstütze“.[15] Eine Rezension des Buches von Bruno Schulz für das Archiv für Rassen- und Gesellschafts-Biologie wurde wegen der jüdischen Herkunft Kallmanns ebenfalls untersagt.[16] In den folgenden Jahren führte Kallmann seine Schizophreniestudien fort und wandte sich 1939 verstärkt der Zwillingsforschung zu.[17]
1944 beschrieb er den Hypogonadismus mit Anosmie, der nach ihm als Kallmann-Syndrom benannt ist. Im Jahr 1948 war er einer der Gründer der American Society of Human Genetics. 1952 war er Präsident dieser Gesellschaft.[18]
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