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Codex Sangallensis 911

Sammelhandschrift mit Abrogans, Paternoster und Credo Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

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Der Codex Sangallensis 911 ist eine Sammelhandschrift mit einer Abrogansschrift, dem St. Galler Paternoster und dem Credo, die zusammen zu den ältesten althochdeutschen Quellen zählen und Ende des 8. Jahrhunderts entstanden sind.

AufbewahrungsortStiftsbibliothek St. Gallen
Entstehungsortunbekannt
EntstehungszeitEnde 8. Jahrhundert
BeschreibstoffPergament
Umfang323 Seiten
Formatca. 17 × 10,5 cm
SpracheAlthochdeutsch, Latein
Zeilenzahl14–21
Schriftmehrere Hände, alemannische Minuskel
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Allgemeine Angaben

Die Abrogans-Handschrift wird heute in der Stiftsbibliothek St. Gallen aufbewahrt. Dabei handelt es sich um ein Wörterbuch lateinischer Sprache mit althochdeutschen Übersetzungen, welches nach dem Verfassen durch ein Paternoster (Vaterunser) und ein Credo (Glaubensbekenntnis) in althochdeutscher Sprache ergänzt wurde.

Die Sammelhandschrift trägt die Bezeichnung Abrogans-Handschrift, aufgrund des ersten Wortes des ersten Teils der Handschrift (das Wörterbuch): abrogans = dheomodi (bescheiden, demütig).

Alle drei Texte sind auf teilweise schlechtem und löchrigem Pergament in alemannischer Minuskel durch mehrere Schreiber niedergeschrieben worden. Die Verwendung von minderwertigem Pergament weist darauf hin, dass die Handschrift nicht für die Klosterbibliothek, sondern für privaten Gebrauch gedacht war. Sie ist vermutlich schon in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts in ihrer heutigen Zusammenstellung aus der Umgebung des Elsass nach St. Gallen gelangt.

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Inhalt

Zusammenfassung
Kontext

Abrogans

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Erste Seite des Abrogans (Codex Sangallensis 911)

Das Wörterbuch beinhaltet 3239 althochdeutsche und 3670 lateinische Wörter, wobei die deutschen Übersetzungen fehlerhaft sind. Damit dient das Glossar als Quelle für die Kenntnis der ältesten deutschen Sprache, da es auch 700 Wörter enthält, die sonst in keinem anderen althochdeutschen Text mehr vorhanden sind. Nicht weniger als zwanzig Hände haben den Abrogans auf minderwertigerem Pergament niedergeschrieben. Dies deutet darauf hin, dass die Handschrift eher für den internen Gebrauch gedacht war und wohl der rhetorischen Stilübung diente. Bis auf wenige Initialen, wie am Anfang des Textes, ist die Handschrift recht schmucklos gehalten, was wiederum auf die Annahme hinweist, dass das Schriftstück nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. Wahrscheinlich im altbairischen Bistum Freising, unter Bischof Arbeo, wurde das Wörterbuch in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts schließlich ins Deutsche 'übersetzt'. Dabei wurden sowohl die lateinischen Stichwörter wie auch dessen lateinische Wiedergaben mit althochdeutschen Entsprechungen glossiert. Die deutschen Übersetzungen erscheinen nicht wie sonst üblich interlinear, sondern neben den Begriffen.

Aus der Entstehungszeit des Glossars im 8. Jahrhundert ist kein Exemplar bewahrt geblieben. Drei jüngere Handschriften des „Abrogans Deutsch“ gibt es in Paris (Bibliothèque nationale de France, Ms. lat. 7640, Bl. 124r–132v), Prag (Nationalbibliothek der Tschechischen Republik, Cod. XXIII.E.54, Bl. 22r–47v) und Karlsruhe (Badische Landesbibliothek, Cod. Aug. perg. 111, Bl. 76r–90r). Im Bezug zu der Handschrift aus St. Gallen beschäftigt sich die Forschung zum einen mit der Frage, ob an den althochdeutschen Übersetzungen einer oder mehrere Gelehrte arbeiteten und, falls es mehrere Übersetzer waren, ob sie aus dem gleichen Sprachraum stammten. Zum anderen ist es fraglich, ob die Wörter in ihrer grammatikalischen Grundform im Glossar stehen oder die Ausdrücke bei dem Verfassen der Handschrift nicht eher aus vorliegenden Texten übernommen wurden, was dann bedeutet, dass das Wörterbuch zur expliziten Texterklärung diente. Damit verbunden ist auch die Frage, ob es sich beim St. Galler Abrogans um ein „sekundäres Bibelglossar“[1] handelt, welches Glossargruppen aus vorliegenden Glossaren übernahm.

Paternoster

(zeilengetreue Wiedergabe)

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Pater noster (Codex Sangallensis 911)
Weitere Informationen althochdeutsch, lateinisch ...

Trotz der Jahrhunderte, die zwischen der Entwicklung des Althochdeutschen zum heutigen Neuhochdeutschen liegen, ist das althochdeutsche Paternoster, auch aufgrund der Bekanntheit des Vaterunsers in der Kirche, einfach zu verstehen. Die wenigen Veränderungen zeigen sich bei dem Wort ‚khorunka‘ (= Versuchung, Zeilen 13f.), welches verschwunden ist und ‚emezzihic‘ (Zeilen 7f.) mit seiner Bedeutungsänderung vom früheren ‚täglich‘ auf das heute gebräuchliche ‚fleissig‘.[2] Es sind auch einige Worte mit vollen Endsilbenvokalen vorhanden, die im Laufe der folgenden Jahrhunderte sich im Mittelhochdeutschen abschwächten (rihhi, erdu) und einige Begriffe, die von der Lautverschiebung des Südalemannischen geprägt sind. Ob sich die Übersetzung auf eine Vorlage bezieht, ist unklar. Eine Datierung noch weiter zurückliegend als das 8. Jahrhundert wird von der Forschung aufgrund des Sprachstandes und der Überlieferung nicht angenommen. Oft wird die Übersetzung in der Forschung als misslungen angesehen, was sich an einigen Punkten festhalten lässt. Zum Beispiel wird 'uuihi namun dinan' (Zeilen 2f.) (= geheiligt werde dein Name) hier aus dem lateinischen Passiv, wie auch im heutigen deutschen Vaterunser, nicht passiv, sondern aktiv übersetzt. Die Frage, ob es sich hierbei wirklich um einen Übersetzungsfehler oder um einen tieferen theologischen Gedanken, da nur Gott, der Allmächtige, seinen Namen heiligen kann, kommt auf.[3]

Credo

(zeilengetreue Wiedergabe)

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Zweite Seite des Credo (Codex Sangallensis 911)
Weitere Informationen althochdeutsch, lateinisch ...

Die Übersetzung des Credo wird, wie schon die des Paternosters, als fehlerhaft angesehen. In der Forschung befasst man sich vor allem mit der Frage, ob dem Credo das bekannte lateinische Symbolum Apostolicum als Vorlage diente. Gleichzeitig gibt es aber auch die Annahme, dass die lateinische Vorlage des Credos, wie auch die des Paternosters, aus Nord-Spanien oder West-Gallien stammt und durch irische Mönche in den Osten und bis nach St. Gallen gebracht wurde.[4]

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Literatur

  • Gustav Must: Das St. Galler Credo. In: Karl Hauck (Hrsg.): Frühmittelalterliche Studien. Jahrbuch des Instituts für Frühmittelalterforschung der Universität Münster. Band 15. Berlin 1981, S. 371–386.
  • Gustav Must: Das St. Galler Paternoster. In: Hans-Gert Roloff (Hrsg.): Akten des V. Internationalen Germanisten-Kongresses Cambridge 1975. Leonard Forster. Heft 1, Bern 1976, S. 396–403.
  • Peter Ochsenbein: Das älteste deutsche Buch mit dem ältesten muttersprachlichen ‚Pater noster‘ – Die ‚Abrogans‘-Handschrift mit dem ‚St. Galler Vaterunser‘. In: Cimelia Sangallensia. Hundert Kostbarkeiten aus der Stiftsbibliothek St. Gallen, Karl Schmuki, u. a. St. Gallen 2000, S. 32f.
  • Stefan Sonderegger: Altdeutsch in St. Gallen. In: Peter Ochsenbein (Hrsg.): Das Kloster St. Gallen im Mittelalter. Die kulturelle Blüte vom 8. bis zum 12. Jahrhundert. Darmstadt 1999, S. 205–222.
  • Stefan Sonderegger: St. Galler Paternoster und Credo. In: Kurt Ruh u. a. (Hrsg.): Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Band 2. 2. Auflage. Berlin 1980, S. 1044–1047.
  • Jochen Splett: Abrogans deutsch. In: Kurt Ruh u. a. (Hrsg.): Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Band 2. 2. Auflage. Berlin 1978, S. 12–15.
  • Jochen Splett: Der Abrogans und das Einsetzen Althochdeutscher Schriftlichkeit im 8. Jahrhundert. In: Herwig Wolfram, Walter Pohl (Hrsg.): Typen der Ethnogenese unter besonderer Berücksichtigung der Bayern. Band 1. Wien 1990, S. 235–241.
Commons: Codex Sangallensis 911 – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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