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Nuklearstrategie
strategisches Konzept, das den angedrohten oder tatsächlichen Einsatz von Kernwaffen zu politischen Zwecken umfasst Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Eine Nuklearstrategie oder nukleare Verteidigung oder nukleare Abschreckung ist ein militärisch-strategisches Konzept bzw. Militärstrategie, das den angedrohten oder tatsächlichen Einsatz von Kernwaffen zu sicherheitspolitischen Zwecken beschreibt. Nuklearstrategien existieren seit Beginn des Atomzeitalters, genauer gesagt seit der militärischen Nutzung der Kernenergie.
Die nuklearen Strategien unterscheiden sich daher von den konventionellen. Diese Konzepte waren in den USA zunächst auch bekannt als Kriegspläne. Neben der konventionellen, taktischen oder Gefechtsfeld-Abschreckung gibt es die strategische Abschreckung (z. B. nukleare Abschreckung). Dabei stärkt jede Stufe die vorherige.
Staaten, die Kernwaffen besitzen (viz. Atommächte), erarbeiten Nuklearstrategien und halten sie auf dem neuesten Stand. Die theoretische Planung wird in der Regel von speziellen militärischen Einheiten durchgeführt. Akademische Beiträge kommen auch von verteidigungsnahen Organisationen, wie z. B. der RAND Corporation in den USA.
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Einleitung
Zusammenfassung
Kontext
Es gibt eine Vielzahl von Strategien, Konzepte und Theorien, die sich mit Nuklearwaffen bzw. der Politik von Nuklearwaffen befassen. Die ersten Veröffentlichungen und Diskussionen zu diesem Thema fanden Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre statt. Die Entwicklung einer generellen Militärstrategie reicht jedoch noch weiter zurück. Die grundlegenden Ideen dazu stammen von Carl von Clausewitz, welcher Strategie klassisch definierte als „die Theorie des Einsatzes von Kämpfen für das Ziel des Krieges“. Ein weiterer Stratege war der Brite B. H. Liddell Hart, der in seinen Überlegungen eine starke konventionelle Streitkraft gegenüber einer nuklearen Rüstung bevorzugte – auch für die NATO. Laut dem Militärexperten Michael Howard ist der Haken an der Sache nur, dass man im Kriegsfall mit „Feuerlöschern zwar Unfälle bekämpfen kann, aber es voreilig wäre, anzunehmen, dass Unfälle die einzigen Notfälle sind, auf die sich der Westen vorbereiten muss.“[1]
Aufgrund ihres außergewöhnlich hohen Zerstörungspotenzials einer Kernwaffenexplosion nehmen Kernwaffen seit ihrem erstmaligen Einsatz am Ende des Zweiten Weltkrieges im Jahre 1945 eine moralische und sicherheitspolitische Sonderstellung als Massenvernichtungswaffe ein. Der ehemalige US-amerikanische Präsident Lyndon B. Johnson sagte bereits 1964, die Entscheidung des Einsatzes der Waffen „würde uns auf einen ungewissen Weg von Schlägen und Gegenschlägen führen, dessen Ausgang niemand kennen kann“. In einer gemeinsamen Erklärung[2] aus dem Jahr 2022 bekräftigten die fünf Kernwaffenstaaten, „dass ein Atomkrieg nicht zu gewinnen ist und niemals geführt werden darf“. Die Waffen sollen „solange sie existieren – der Verteidigung, der Abschreckung und der Vorbeugung dienen“ und „die Verbreitung muss verhindert werden“.
Die NATO verfügt über eine eigene Nuklearstrategie als Teil des Strategischen Konzepts (darin die Abschreckung und Verteidigungshaltung), die in der Nuklearen Planungsgruppe (NPG) und weiteren Gremien erarbeitet wird. Genauer gesagt waren US-amerikanische strategische (später taktische) Atomwaffen seit 1949 Teil der NATO-Strategie (Strategiedokument: Military Committee 3 bzw. MC 3), mit der das Nordatlantische Bündnis absolut geschützt und der Warschauer Pakt abgeschreckt werden sollte. Nach Artikel V würden die NATO-Parteien davon ausgehen, „dass ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen wird“. Im Falle eines solchen Angriffs würden die Vertragsmitglieder Maßnahmen ergreifen, „einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, um die Sicherheit des nordatlantischen Raums wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten“.
Nuklearstrategien wie die massive Vergeltung (ab 1954) oder die flexible Reaktion (ab 1968) waren daher neben dem damaligen Wettrüsten ein prägendes Merkmal des Kalten Krieges. Dabei spielt auch die nukleare Parität eine Rolle, d. h. eine Situation, in der die Nation, die zuerst zuschlägt, die nukleare Kapazität der anderen Nation nicht so auslöschen kann, dass sie keinen größeren Schlag erhält, als sie erhalten möchte.
Weil die beiden Konfliktparteien in dieser strategischen Auseinandersetzung über Kernwaffen verfügten und diese technisch aufrüsteten, stand die Nichtverwendung von Kernwaffen bei gleichzeitiger Wahrung sicherheitspolitischer Interessen im Mittelpunkt ihrer Nuklearstrategien. Auch die Abwehr eines Angriffs mit Nuklearwaffen durch Raketenabwehr stand im Fokus bzw. wurde berücksichtigt. Es wurde jedoch früh erkannt, dass ein Angriff mit Nuklearwaffen nur schwer oder gar nicht zu verteidigen ist. Speziell die MIRV-Technologie aus den 1970er Jahren macht die Verteidigung nahezu unmöglich.
Die Atommacht Frankreich ist seit 1966 kein Mitglied des NATO-Militärausschusses mehr, d. h., sie stellt ihr Atomarsenal, die „Force de dissuasion“, der NATO NPG nicht mehr zur Verfügung. Das Land bzw. Charles de Gaulle wollte eine unabhängige nukleare Abschreckung unter eigener Kontrolle.
Nach dem Ende des Kalten Krieges verloren manche Nuklearstrategien teilweise unmittelbar an Bedeutung. Die neuen Risiken in den 1990er Jahren waren zunächst unmittelbar mit der Nichtverbreitung von spaltbarem Material, Kernsprengköpfen, Kernwaffensystemen und dem Wissen dazu verbunden. Die Absicherung der genannten Gefahren fand u. a. durch Kooperation zwischen Russland und den USA statt. Die großen nuklearen Arsenale der ehemaligen Konfliktparteien Sowjetunion und USA wurden durch zahlreiche Abrüstungsverträge und Abkommen mittlerweile reduziert.
Neben der Strategieentwicklung wird seit Jahrzehnten unter dem Aspekt der Rüstungskontrolle bzw. nukleare Abrüstung eine Erhöhung der Sicherheit und Stabilität durch den Abbau von Gefahrenpotenzialen angestrebt. Einige Beispiele sind der INF-Vertrag, SALT, START und New START. Auch eine Vielzahl von Testmoratorien hat das Wettrüsten und die Verbreitung von Waffen verhindert.
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Nukleare Abschreckung
Zusammenfassung
Kontext
Abschreckung umfasst die Gesamtheit der Überzeugungen, die ein potenzieller Gegner aufgrund seiner Werte und Einstellungen in Bezug auf die Fähigkeiten sowie den Willen des Abschreckenden hegt. Abschreckung zielt darauf ab, potenzielle Konflikte zu vermeiden, indem die Kosten und Risiken für den Angreifer als zu hoch eingeschätzt werden. Ein Gegner soll davon abgehalten werden, in einer Krise eine Aggression in Betracht zu ziehen. Was die eigene Seite davon abhält, Gewalt anzuwenden, soll davon jedoch nicht betroffen sein.
Alle Strategien verfolgen mindestens die folgenden übergeordneten Ziele:
- Abschreckung der jeweils anderen Seite vor einem nuklearen Totalangriff;
- Abschreckung von kleineren Konflikten, die zu einem vollständigen nuklearen Schlagabtausch (viz. totalen Krieg) eskalieren könnten.
Die Nuklearstrategien verschiedener Staaten unterscheiden sich zwar grundsätzlich voneinander, es gibt jedoch gewisse Grundbausteine, die ihnen gemeinsam sind. Ein Grundbaustein ist beispielsweise die massive Vergeltung, d. h., ob der Staat einen meist prompten Gegenschlag als Teil der Strategie sieht, um inakzeptablen Schaden zuzufügen. Ein Beispiel dafür ist Israels inoffizielle Samson-Option. Ein anderer Baustein ist die minimale (nukleare) Abschreckung, bei der der Aufbau umfangreicher Zweitschlagskapazitäten vermieden werden soll (oder nicht möglich ist). Ein Gegenschlag ist somit immer noch möglich, aber nur mit minimalen Mitteln, die im atomaren Fall bereits extrem sind und dadurch abschreckend wirken.
Die tatsächlichen Strategien oder Policen gehen jedoch weit über diese vereinfachte Darstellung hinaus, da sie viele weitere Aspekte berücksichtigen.
Grundsätzlich beeinflussen die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik eines Landes im Besitz von einem Atomwaffenarsenal dessen Nuklearstrategie. Beispiele hierfür sind die Reagan- oder die Bush-Doktrin. Im erweiterten Kontext wird in diesem Zusammenhang auch umgangssprachlich von einer Nuklearpolitik oder nuklearen Ordnung gesprochen. Es ist jedoch zu unterscheiden zwischen den Dynamiken und Debatten der Politik einerseits und den nuklearen Policies andererseits, welche bestimmte Rahmenbedingungen und Inhalte definieren.
Eine nukleare Abschreckung wird technologisch durch offensive, sich ergänzende Waffensysteme aufrechterhalten, um im Falle eines Angriffs (Erstschlag) einen alles vernichtenden Zweitschlag gewährleisten zu können. Wenn drei verschiedene Waffenträgersysteme Kernsprengköpfe zum Ziel transportieren können, wird dies als „Triade“ bezeichnet.
Militärs haben ihre Strategien stets fortgeschrieben bzw. angepasst. Heute sind sie zusammen mit komplexen Kommando-, Kontroll- und Informationsinfrastrukturen [englisch command, control, and communication (C3)] integriert.[3] Sie werden durch Ziel- und Operationspläne konkretisiert. Zusätzlich finden Übungen statt, z. B. das NATO-Manöver Steadfast Noon. Weitere Demonstrationen der Fähigkeiten bzw. eine mediale Form der Abschreckung, sind Raketentests[4] oder die Präsentation von Kernwaffensystemen auf Militärparaden.[5]
Die nachfolgend beschriebenen Strategien behalten trotz der erwähnten Veränderungen seit dem Kalten Krieg teilweise ihre Gültigkeit, wobei alte Strategien durch neue ersetzt wurden. Die tatsächlichen Nuklearstrategien der Militärs sind stets Verschlusssache. Außerdem unterscheiden sich die Strategien aufgrund ihrer historischen, politischen, geografischen, militärischen usw. Bedingungen.
Die akademische oder militärische Forschung versucht, diese Strategien vor dem Hintergrund der globalen Sicherheitslage zu interpretieren und weiterzuentwickeln.
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Strategien der USA und NATO
Zusammenfassung
Kontext
Kalter Krieg
- Nach dem Zweiten Weltkrieg, ab 1945 bis etwa 1950 wurden von den USA verschiedene Kriegspläne erstellt. US-Präsident Harry S. Truman beauftragte die US Air Force, einen Operationsentwurf für einen möglichen Krieg mit der UdSSR auszuarbeiten. Im Dezember 1945 wurde unter Führung von General Dwight D. Eisenhower der Plan Operation Totality (JIC 329/1) ausgearbeitet, der bei einem sowjetischen Überraschungsangriff den Abwurf von bis zu 30 Atombomben auf 20 sowjetische Städte vorsah. Hierzu zählten: Moskau, Gorki, Kuibyschew, Swerdlowsk, Nowosibirsk, Omsk, Saratow, Kasan, Leningrad, Baku, Taschkent, Tscheljabinsk, Nischni Tagil, Magnitogorsk, Molotow/Perm, Tiflis, Stalinsk/Nowokusnezk, Grosny, Irkutsk und Jaroslawl.[6][7] Damit sollte Zeit für eine Mobilmachung der konventionellen Streitkräfte gewonnen werden. Dieser Plan wurde bis Mai 1948 mehrmals ergänzt, im Dezember 1948 sah er bereits den Abwurf von 133 Atombomben auf 20 sowjetische Städte vor. Im Falle einer Eskalation einer Krise war auch ein Präventivschlag oder Erstschlag (First Strike) gegen die Sowjetunion vorgesehen.
- Vorneverteidigung (Forward Strategy): Konzept der Verzögerung eines Angriffs des Warschauer Paktes mit konventionellen Kräften östlich des Rheins. Anschließend nuklearer Gegenschlag strategischer Luftstreitkräfte mit einer konventionellen Gegenoffensive mit dem Ziel, den Warschauer Pakt zurückzudrängen. Diese Konzeption fand Anwendung von 1950/52 bis 1957 - NATO-Dokument 14/1 - und hätte bei einer Anwendung die Verstrahlung von weiten Teilen Deutschlands bedeutet. Es wurde aufgrund des angewachsenen Vernichtungspotenzials der Atomwaffenarsenale durch die massive Vergeltung ersetzt.
- Massive Vergeltung (Massive Retaliation): Beantwortung eines feindlichen (konventionellen) Angriffes mit einem vernichtenden Gegenschlag mit atomaren Waffen. Diese Konzeption (vgl. John F. Dulles) bestand von 1954/57 bis 1967/68, NATO-Dokument MC 14/2. Der Single Integrated Operational Plan SIOP-62 sah 3423 Atombombenziele in dem Jahr 1960 vor. Massive Vergeltung wurde durch das nukleare Patt der Atommächte – die UdSSR hatte die USA in Sachen Atomwaffen aufgeholt – hinfällig. Sie wurde durch MAD abgelöst.
- Mutual Assured Destruction (MAD) (gegenseitigen gesicherten Zerstörung): Die MAD-Theorie, die ab den 1960ern in den USA entwickelt wurde, zielt darauf ab, eine nukleare Zweitschlagsfähigkeit zu gewährleisten, um einen Angriff durch die Androhung einer umfassenden Zerstörung abzuschrecken. MAD ging in der ab 1967 entwickelten Strategie der Flexiblen Reaktion auf, die eine breitere Palette von militärischen Optionen und Reaktionen auf Bedrohungen umfasst.
- Flexible Reaktion (Flexible Response) (NATO-Dokument MC 14/3): Angemessene Beantwortung des Angriffs. Im Rahmen der Konzeption der flexiblen Reaktion von 1967/68 bis 1991 wurde in der NATO die Triaden-Strategie entwickelt. Diese Taktik sieht vor, konventionelle, nukleartaktische und nuklearstrategische Mittel im Verbund oder als Einzelelemente einzusetzen. 1980 umfasste der Single Integrated Operational Plan SIOP-5D rund 40.000 mögliche Ziele für Nuklearangriffe.[8][9]
- Counterforce-Doktrin/Countervailing-Strategie: Eine in den USA unter Präsident Jimmy Carter entwickelte Strategie, die eine Flexibilisierung des Nukleararsenals und den Ausbau der Angriffsfähigkeiten gegenüber feindlichen (lies: sowjetischen) strategischen Kernwaffen vorsieht, um flexible Optionen unterhalb einer massiven Vergeltung zu ermöglichen. Die Countervailing-Strategie ergänzte ab 1980 durch die US-Präsidentendirektive (PD 59) die Counterforce-Doktrin und führte u. a. zur Entwicklung von „Erdpenetrationskörpern“ (Raketen, Bomben) gegen gehärtete Ziele.
Neues Jahrtausend
Nach dem Kalten Krieg, jedoch bis in die frühen 2000er Jahre, wurde der Single Integrated Operational Plan (SIOP) durch verschiedene Operationspläne [Operations Plan (OPLAN)] abgelöst bzw. die OPLAN integrieren die Kampfanteile des SIOP, speziell der OPLAN 8044.
- Global Strike (Weltweiter Schlag): Ist ein Element der US-Militärstrategie (Operationsplan) bzw. eines Kriegsplans, das die weltweite und präventive Zerstörung strategischer und taktischer Ziele mit konventionellen und nuklearen Mitteln vorsieht. Die Strategie wurde als Teil eines konzeptuellen Operations Plan (CONPLAN) 8022[10] bekannt, welcher aber nie offiziell wurde und seit 2007 nicht mehr genutzt wird. Der Schutz bzw. die Sicherheit der USA und ihrer Alliierten vor der Proliferation von Massenvernichtungsmitteln, wie Atomwaffen zur Drittstaaten (vgl. Iran oder Nordkorea), ist ein Bestandteil dieses Plans. Es geht auf die Bush-Doktrin von 2002 zurück. Anteile des CONPLAN 8022 und OPLAN 8044 gingen in der OPLAN 8010 Serie auf.[11] Die Planung kommt von der USSTRATCOM. Andere Anteile gingen in das Conventional Prompt Global Strike (CPGS) Programm über, welches die militärischen Fähigkeiten für den Plan aufbauen und bereithalten soll.
- OPLAN 8010-12: Strategic Deterrence and Force Employment: Ein teilweise unter Verschlusssache gehaltener Kriegsplan der vermutlich sechs potenzielle Gegner der USA berücksichtigt: Russland, China, Nordkorea, Iran, Syrien und Angriffe mit Massenvernichtungswaffen durch nichtstaatliche Akteure.
- Strategic Concept[12] (NATO): Die NATO fasst ihre Verteidigungsstrategie unter diesem Begriff zusammen. In dem der Öffentlichkeit zugänglichen Konzept für das Jahr 2022 steht unter § 44 (Übersetzung): Unser Ansatz wird weiterhin interessenorientiert und flexibel sein, sich auf die Bewältigung gemeinsamer Bedrohungen und Herausforderungen konzentrieren und sich an die sich verändernden geopolitischen Gegebenheiten anpassen können. Der Unterteil zu Deterrence and Defence ist unter § 22 – § 34 dokumentiert.
- Das Strategische Konzept der NATO beinhaltet US-amerikanische strategische und taktische Atomwaffen sowie die unabhängigen nuklearen Streitkräfte von Großbritannien und die stationierten taktischen Atomwaffen der NATO im Sinne der verlängerten Abschreckung.
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Strategien der UdSSR / Warschauer Vertrag / Russische Föderation
Kalter Krieg
- 1951 befahl der sowjetische Regierungschef Generalissimus Josef Stalin die Entwicklung von Strategien für den Nuklearkrieg. Die Sowjetarmee sah ebenfalls den Präventivkrieg als Option vor. Nikita Sergejewitsch Chruschtschow erklärte am 14. Januar 1960 vor dem Obersten Sowjet, dass der globale Atomkrieg eine strategische Option sei, die es erlaube, „das Land oder die Länder, die uns überfallen … buchstäblich dem Erdboden gleichzumachen“. 1952 sollte Marschall Pawel Fjodorowitsch Schigarew eine strategische Bomberflotte der UdSSR aufbauen, die in der Lage sein sollte, die USA mit Nuklearwaffen anzugreifen. Entsprechende Luftstützpunkte wurden 1952 in Dikson und auf der Schmidt-Insel eingerichtet, von wo aus modifizierte Tupolew Tu-4 regelmäßig im internationalen Luftraum nahe den US-Basen in Kanada und auf Grönland Einsatzflüge unternahmen.
- Unter Leonid Iljitsch Breschnew wurde ab 1965 eine Doppelstrategie propagiert. Demnach sollte die UdSSR einen Nuklearkrieg nicht führen, wenn er nicht von den USA bzw. der NATO aufgezwungen werde. Wenn ein Atomkrieg notwendig sei, müsse er auch geführt werden. Notfalls sei ein Präventivschlag denkbar.
- Perimetr (Tote Hand), steht für ein Atomwaffen-Führungssystem, das im Falle eines nuklearen Enthauptungsschlags (Erstschlag), der die sowjetische Führung aktionsunfähig gemacht hätte, einen allumfassenden Gegenschlag automatisch auslösen sollte.
- Erst unter Michail Sergejewitsch Gorbatschow (vgl. auch Glasnost und Perestroika) entwickelte man ab 1987 eine neue Strategie, die der Verhinderung einer militärischen Auseinandersetzung gegenüber der Vorbereitung auf einen möglichen kommenden Krieg Priorität gab.
Neues Jahrtausend
- Die aktuelle (Stand 2020, aktualisiert Ende 2024) Nuklearpolitik bzw. Strategie von Russland, bekannt als On Basic Principles of State Policy of the Russian Federation on Nuclear Deterrence[13] wurde 2024 vom russischen Präsident Vladimir Putin und dem Verteidigungsministerium veröffentlicht.
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Nuklearpolicen anderer Staaten
Zusammenfassung
Kontext
Neben den beiden bipolaren Kernwaffenstaaten USA und Russland gibt es die Kernwaffenstaaten Großbritannien, Frankreich und China. Ebenso verfügen die Länder Indien, Pakistan und vermutlich auch Israel über Atomwaffen. Nordkorea hat ebenfalls erklärt, im Besitz von Kernwaffen zu sein. Einige Staaten, beispielsweise China, verfolgen eine „Nicht-Ersteinsatz“-Politik, die besagt, dass sie Atomwaffen unter keinen Umständen zuerst einsetzen würden.
All diese Länder haben eine mehr oder weniger umfangreiche Nuklearstrategie definiert, die in der Regel in unregelmäßigen Abständen angepasst wird. Nur in wenigen Fällen (USA, Russland und GB) werden Informationen teilweise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Von China sind beispielsweise keine offiziellen Details über das Atomarsenal bekannt, sondern nur Schätzungen, sodass genaue Analysen begrenzt sind.
Eine mögliche Anpassung besteht darin, dass ein Staat festlegt, dass ein Angriff auf seine Streitkräfte (unabhängig vom Standort) die Verteidigung oder den Einsatz von Atomwaffen rechtfertigt. Oder dass Atomwaffen zum Einsatz kommen sollen, wenn der Staat mit anderen Kampfmitteln, beispielsweise mit chemischen Waffen, angegriffen wird. Die Definition solcher Details hängt in der Regel eng mit den Entwicklungen bei den potenziellen Gegnern bzw. der von einem betroffenen Staat wahrgenommenen Sicherheitslage zusammen. Die Nuklearstrategien unterliegen insgesamt einer gewissen Dynamik, die sich zwar nicht stark verändert, aber dennoch vorhanden ist. Die Strategie der USA berücksichtigt ebenfalls das Kriegsvölkerrecht,[14] in dem zwischen zivilen und militärischen Zielen unterschieden wird.[15] Ob Atomwaffen, deren Existenz, Einsatz oder die damit verbundene Bedrohung überhaupt legal sind, wird seit Jahrzehnten von Fachleuten untersucht.[16]
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Strategie- und Sicherheitsforschung
Die nuklearstrategische Forschung war speziell im Kalten Krieg eine Domäne der Strategischen Studien oder auch Operations Research. Dabei griffen Strategietheoretiker häufig auf Erkenntnisse der Spieltheorie zurück, die das gängige nuklearstrategische Dilemma des Nichteinsatzes als ein Beispiel für das Gefangenendilemma betrachtete. In diesem Forschungsgebiet bekannt wurden vor allem Bernard Brodie, Herman Kahn, Thomas Schelling, Albert Wohlstetter, Colin S. Gray oder Lawrence Freedman.
Die Forschung findet heutzutage als Teil der militärischen und strategischen Studien, der Abrüstungs- oder Rüstungskontrollpolitik oder Sicherheitsforschung statt. Einschlägige Fachzeitschriften sind z. B. International Security, Journal for Peace and Nuclear Disarmament, Science & Global Security, Arms Control Today, Bulletin of the Atomic Scientists oder Nonproliferation Review.
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Siehe auch
- Begrenzter Krieg – Vermeidung eines umfassenden Krieges durch den Einsatz oder Nichteinsatz von Atomwaffen
- Brinkmanship – Strategie nach dem These „Politik am Rande des Abgrunds“
- Entspannungspolitik – Die „Détente Strategie“ führte zum SALT I und ABM-Vertrag
- Kernwaffenprogramme – Übersicht
- Drei nicht-nukleare Prinzipien – Japan's Haltung zu Kernwaffen
- OPLAN 5027 (Kriegsplan im Fall einer Nord-Südkorea Krise)
- Project Vista – Ehem. US-Geheimstudie aus dem Jahr 1951 zur nukleare Bewaffnung der NATO und dem Schutz Westeuropas vor einer möglichen Invasion durch die Sowjetunion.[17]
- Stabilitäts-Instabilitäts-Paradoxon – Wenn die Wahrscheinlichkeit einer nuklearen Eskalation geringer ist (Stabilität), ist bei sonst gleichen Bedingungen die Wahrscheinlichkeit eines konventionellen Krieges (Instabilität) höher.
- Strategische Stabilität – Konzept, das versucht, den Anreiz für einen Erstschlag zu interpretieren. Es beschreibt den Grad der Abschreckung zweier Atommächte.
- Die separaten Artikel Verzicht auf den Ersteinsatz, Erstschlag und Zweitschlag
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Literatur
- Martin J. Sherwin: Gambling with Armageddon: Nuclear Roulette from Hiroshima to the Cuban Missile Crisis, 1945-1962. Alfred A. Knopf, New York 2020, ISBN 978-0-307-26688-0 (englisch).
- Fred M. Kaplan: The Bomb: Presidents, Generals, and the Secret History of Nuclear War. Simon & Schuster, New York 2020, ISBN 978-1-982107-29-1 (englisch).
- Lawrence Freedman, Jeffrey Michaels: The Evolution of Nuclear Strategy. 4. Auflage. Palgrave Macmillan, London 2019, ISBN 978-1-137-57350-6, doi:10.1057/978-1-137-57350-6 (englisch, Fortgeführtes Werk seit 1981.).
- Robert Jervis: The Meaning of the Nuclear Revolution: Statecraft and the Prospect of Armageddon (= Cornell Studies in Security Affairs). Cornell University Press, Ithaca ; London 1990, ISBN 0-8014-2304-X (englisch, archive.org).
- Herman Kahn: Thinking about the Unthinkable in the 1980s. Simon and Schuster, New York 1984, ISBN 0-671-47544-4 (englisch, archive.org).
- André Beaufre: Die Revolutionierung des Kriegsbildes - Neue Formen der Gewaltanwendung. Seewald, Stuttgart 1973.
- Robert S. McNamara: The Essence of Security. Harper & Row, New York 1968 (englisch, archive.org).
- André Beaufre: Abschreckung und Strategie. Propyläen Verlag, Berlin 1966.
- Herman Kahn: On Thermonuclear War. Princeton University Press, Princeton, NJ 1961 (englisch, archive.org – Das Werk wurde 20 Jahre später (1984) von Kahn überarbeitet, siehe dort.).
- Henry A. Kissinger: Nuclear Weapons and Foreign Policy (= Council on Foreign Relations). Harper & Brothers, New York 1957 (englisch, archive.org – Deutsche Ausgabe: Kernwaffen und auswärtige Politik. München 1959.).
- Bernard Brodie: Strategy in the Missile Age. RAND Corporation, Santa Monica, CA 1959, ISBN 0-8330-4224-6 (englisch, rand.org).
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Einzelnachweise
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