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Paul Distelbarth

deutscher Pazifist und Zeitungsverleger Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

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Paul Heinrich Distelbarth (* 23. Dezember 1879 in Wiesenthal; † 17. Januar 1963 in Löwenstein) war ein Pazifist, Unternehmer, Journalist, Herausgeber und Reiseschriftsteller. Er setzte sich vor allem für die deutsch-französische Verständigung zwischen allen Bevölkerungskreisen ein.

Leben

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Distelbarths Familie stammte aus dem Schwäbischen und besaß eine Glaswaren-Exportfirma. Paul absolvierte eine Lehre als Bankkaufmann, danach lebte er einige Jahre in Paris. 1911 heiratete er Hildegard, geb. Erhardt. 1912 wurde ihr Sohn Wolfgang geboren, ihre Tochter Gerda kam 1914 zur Welt, ihre weiteren Kinder waren Hagen 1918 (gefallen im Zweiten Weltkrieg), Kurd 1919 (gefallen), Freia 1923 und der spätere Verleger Frank Distelbarth 1928. Der deutschnational geprägte Paul wurde durch den Ersten Weltkrieg zum entschiedenen Kriegsgegner, was er bis an sein Lebensende blieb. Paul Distelbarth veräußerte 1921 die Glaswaren-Exportfirma und erwarb davon ein Obst- und Weingut in Löwenstein-Rittelhof. Nach den Locarno-Verträgen 1925 engagierte sich Distelbarth für die deutsch-französische Freundschaft. Mit diesem Interesse traf er sich deutscherseits mit dem Industriellen Robert Bosch, auf französischer Seite mit den dort sehr aktiven Veteranen-Verbänden, die ebenfalls seit Mitte der 1920er Jahre überwiegend pazifistisch orientiert waren.

Nach der "Machtergreifung" Hitlers 1933 wurde gegen Distelbarth ein Haftbefehl wegen des Verdachts auf Landesverrat erlassen[1]. Distelbarth ging nach Paris. Dort wurde er Korrespondent für deutsche Zeitungen.[2] 1935 erschien erstmals sein erfolgreiches Buch Lebendiges Frankreich, das zu großen Teilen auf diesen Reportagen beruhte. Damit gab er den Lesern ein ganz neues, positives und verständnisvolles Bild von Frankreich, insbesondere der Provinz. Fortdauernd engagierte Distelbarth sich für die Verständigung zwischen den beiden Ländern.

In den Jahren 1939 bis 1945 führte Distelbarth ein stilles Leben auf dem Rittelhof, eine innere Emigration. Die Söhne Hagen und Kurd fielen als Soldaten.

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Grab Paul Distelbarths auf dem Löwensteiner Waldfriedhof mit einer Stele von Hermann Koziol

Mit 66 Jahren erhielt Paul Distelbarth 1946, gemeinsam mit Hermann Schwerdtfeger, von der amerikanischen Verwaltung eine Lizenz für die Gründung der Heilbronner Stimme. In seinen Leitartikeln äußerte er sich pointiert. Er setzte sich für einen demokratischen Neubeginn und die Völkerverständigung ein, misstraute Ideologien und hielt den zahlreichen Ewiggestrigen einen Spiegel vor, der das hässliche Bild zeigte, welches sie bis 1945 abgaben.

1955 zog Distelbarth sich aus der Geschäftsführung der Zeitung zurück. Er unternahm etliche Reisen, unter anderem in die Sowjetunion und in die Volksrepublik China, von denen er jeweils in weiteren Büchern erzählte. An diesen Büchern sind besonders die zahlreichen großen Fotos auffallend, überwiegend in Schwarz-Weiß, die ein geschultes Fotografen-Auge beweisen. Seinen Lebensabend verbrachte er überwiegend in Südfrankreich.

Paul Distelbarths Grab liegt in Löwenstein.

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Werk

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Sein Sohn und Verlagserbe Frank Distelbarth schrieb über ihn[3]

„Mein Vater Paul Distelbarth, der den Ersten Weltkrieg 1914 – 1918 vom ersten bis zum letzten Tag als Offizier miterlebte, kam aus diesem Krieg als Pazifist und absoluter Kriegsgegner zurück. Da er schon in jungen Jahren als Kaufmann in Paris tätig war, perfekt französisch sprach und sich von Frankreich und der französischen Wesensart besonders angezogen fühlte, da ihm außerdem klar geworden war, dass der Frieden in Europa nur gehen kann, wenn es zu einer dauerhaften Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich, als Keimzelle für ein gemeinsames Europa, kommt, setzte er sich sein ganzes weiteres Leben für diese deutsch-französische Verständigung ein.“

Frank Distelbarth, 2013

In der von ihm gegründete Zeitung wurde Distelbarth viel später, nicht gerade begeistert, ein Freigeist genannt:

„Der Leitartikler (sc. P. D.) stritt gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik, fürchtete die Spaltung Deutschlands im Kalten Krieg, warb für ein neutrales Europa zwischen USA und UdSSR. Bis zuletzt blieb Distelbarth ein politischer Freigeist. Und er war neugierig auf andere Länder, andere Kulturen. Als einer der ersten westdeutschen Journalisten reiste er in den 1950er Jahren durch Russland und durch das China Mao Tsetungs. Danach war er davon überzeugt, dass vom Kommunismus beider Länder keine Aggressionsgefahr ausgehe.“

Heilbronner Stimme, 29. Oktober 2005

Distelbarth selbst spürte den Gegenwind gegen seinen Wunsch nach Völkerverständigung nach 1945 sehr deutlich:[4]

„Das Buch wurde von der bürgerlichen Presse Westdeutschlands sehr ungnädig beurteilt, fand aber bei der Leserschaft durchweg eine freundliche Aufnahme.“

Blüte der Mitte, Seite 7

Kurz vor dem endgültigen Ausbruch einer Begeisterung der Deutschen für Nazi-Deutschland bemühte er sich, von den deutsch-französischen Beziehungen der Locarno-Zeit noch etwas zu retten, wie Le Figaro 1932 berichtete:[5]

„M. Paul Distelbarth, délégué de la section allemande de la Confédération internationale de l'association des anciens combattants, publie, dans le Stuttgarter Neues Tagblatt, un article où il s'attache à démontrer que le gouvernement du Reich aurait tort de rejeter le plan français concernant l'universalité, en Europe, du service militaire à court terme. M. Distelbarth considère que, du point de vue purement-intérieur, l'Allemagne gagnerait au système d'une milice qui, en assemblant pour une tâche commune les jeunes gens d'opinion politique plus ou moins opposée, contribuerait beaucoup, à son avis, à supprimer la haine politique qui divise actuellement la jeunesse allemande. M. Distelbarth exprime l'espoir que le gouvernement du Reich ne se laissera pas influencer par l'argumentation de ceux qui voudraient que l'Allemagne rejetât le plan français. Le président du conseil français, déclare-t-il, nous a donné une chance qu'il serait impardonnable de ne pas saisir.“

Le Figaro 1. November 1932

Distelbarth wollte die Freundschaft unter einfachen Menschen aller sozialer Schichten, nicht nur zwischen den Eliten, wie es Ernst Robert Curtius aggressiv vertrat:

„Distelbarth ... ein Mensch, der sein Leben lang seinem Ideal einer deutsch-französischen Verständigung treu blieb und auch in den für ihn schwierigen Zeiten nie aufgab, sich für ein friedliches und geeintes Europa auf der Basis einer deutsch-französischen Freundschaft einzusetzen. Paul Distelbarths Forderungen einer deutsch-französischen Freundschaft begründete er nicht nur auf der politischen Ebene, sondern vielmehr wünschte er sich eine Annäherung unter den Bürgern. Er wollte keine von oben diktierte und verordnete Freundschaft, sondern eine freiwillige und lebendige Freundschaft zwischen den ... Völkern auf beiden Rheinseiten.“

Bernard Diry, Président de la Société archéologique, 2013
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Ehrungen

  • Paul-Distelbarth-Gedenktafel in Vendôme 2003; Benennung eines Platzes im Schulgelände des Lycée Ronsard dieser Stadt; Konferenz über ihn ebenda am 18. Mai 2013
  • Namensgeber für: Evangelisches Paul-Distelbarth-Gymnasium (Privatschule), Obersulm

Publikationen

  • Deutschland – Frankreich. Das psychologische Problem, in Stuttgarter Neues Tagblatt, 9. Juni 1932
  • Lebendiges Frankreich. Vorwort Henri Pichot. 4. Aufl. Rowohlt, Berlin 1938 (zuerst 1935).[6]
    • Auszug: Un touriste allemand en Vendômois dans les années 30. (Ein deutscher Tourist besucht Vendôme in den 1930er Jahren.) Übers. Bernard Diry; Illustr. Charles Portel. Éd. du Cherche l'une, Vendôme 1998, ISBN 2904736115. Zweisprachige Fassung[7]
    • La France vue par un Allemand. Hg. Henry Asselin. Stemerding, Rotterdam [1939]
    • France vivante. Verlag Alsatia[8]
  1. La Personne France. Vorworte Henri Pichot[9]. Übers. Paul Distelbarth. Alsatia, Colmar und Paris 1937
  2. Images de la France.[10]
  • Deutsch-Französische Rundschau, ständiger Mitarbeiter, mit zahlreichen Beiträgen seit 1932
  • Neues Werden in Frankreich. Zeugnisse führender Franzosen. Ernst Klett, Stuttgart 1938[11]
  • Das andere Frankreich. Aufsätze zur Gesellschaft, Kultur und Politik Frankreichs und zu den deutsch-französischen Beziehungen 1932 - 1953. Reihe: Convergences. Einleitung und Hg. Hans Manfred Bock; mit Kommentaren. Peter Lang, Bern 1997 ISBN 3906754936 Literaturverzeichnis S. 507–526
  • Franzosen und Deutsche – Bauern und Krieger. Rowohlt, Stuttgart 1946; wieder Hatje, Calw 1947
  • Frankreich gestern, heute, immer. Druckerei und Verlagsanstalt Heilbronn, 1953[12]
  • Rußland heute. Bericht einer Reise. Rowohlt, 1954
  • Blüte der Mitte. Eine Reise in das größte Land alter Kultur und neuen Lebenswillens. Berlin 1958 (mit Bildteil)
  • Wacht im Osten. Band 4. Mit Fotografien des Autors 1914 - 1918. Heilbronner Stimme, Heilbronn 1989
  1. Frontoffizier im Ersten Weltkrieg
  2. Der Kreishauptmann von Borissow
  • Frankreich: Provincia romana, in Werner Benndorf Hg.: Das Mittelmeer-Buch. Albert-Henry-Payne-Verlag, Leipzig-Reudnitz 1940
  • L'"Union" vue par un écrivain allemand, in "Bulletin des la Union pour la vérite", Jg. 46, Nr. 3–4, 1936/1937, S. 133–137
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Literatur

  • Hans Manfred Bock: Kapitel Konservativer Einzelgänger und pazifistischer Grenzgänger zwischen Deutschland und Frankreich. Der Frankreich-Publizist Paul H. Distelbarth, in dsb., Kulturelle Wegbereiter politischer Konfliktlösung. Mittler zwischen Deutschland und Frankreich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Reihe: Édition lendemains. Gunter Narr, Tübingen 2005, ISBN 3823361821, S. 145ff.[14]
  • dsb.: Topographie deutscher Kulturvertretung im Paris des 20. Jahrhunderts. Reihe: Éd. lendemains. Gunter Narr, Tübingen 2010, ISBN 3823365517, S. 209–249 und passim (im Online-Buchhandel einsehbar)
  • dsb.: Versöhnung oder Subversion? Deutsch-französische Verständigungs-Organisationen und -Netzwerke der Zwischenkriegszeit. Éd. lendemains. Narr Francke Attempto, Tübingen 2014, ISBN 3823367285
  • dsb.: Paul H. Distelbarth oder die unterbrochene Revision des deutschen Frankreichbildes nach 1945, in: Lendemains. Jg. 18. 1993, H. 71-72, S. 60–96.
  • ders.: Ein "Patriarch der deutsch-französischen Verständigung". Paul H. Distelbarth (1879–1963). In: Christhard Schrenk, Stadtarchiv Heilbronn (Hgg.): Heilbronner Köpfe. Lebensbilder aus vier Jahrhunderten. Band 4, Heilbronn 2007 (Kleine Schriftenreihe des Archivs der Stadt Heilbronn, 52), ISBN 9783928990998, S. 9–34.
  • Christhard Schrenk, Stadtarchiv Heilbronn Hgg.: Heilbronner Köpfe. Lebensbilder aus vier Jahrhunderten. Band 4. Kleine Schriftenreihe des Archivs der Stadt Heilbronn, 52. Heilbronn 2007, ISBN 9783928990998 (darin Bock über P. D.)
  • Frank Distelbarth: Paul Distelbarth. Ein Publizist der Völkerverständigung, in: 700 Jahre Stadt Löwenstein. Löwenstein, 1987. S. [495] – 502
  • Deutsches Literaturlexikon, 1971
  • Claire Moreau Trichet: Paul Distelbarths Frankophilie in den dreißiger Jahren. Magisterarbeit Deutsch, Saarbrücken 1994
    • dies.: Henri Pichot et l'Allemagne de 1930 à 1945. Bd. 1, Diss. phil. (thésis) Universität Metz 2000 (Distelbarth passim; in Google books einsehbar)
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