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Als Nakba (arabisch النكبة, DMG an-Nakba ‚Katastrophe‘, hebräisch הַנַּכְּבָּה haNakbah) wird im arabischen Sprachgebrauch die Vertreibung und Flucht von zwischen 600.000[1] und 945.000[2] arabischen Palästinensern aus dem früheren britischen Mandatsgebiet Palästina bezeichnet. Die Nakba im engeren Sinne vollzog sich während des Palästinakriegs (1947–1949), hatte aber eine lange Vor- und eine bis heute währende Nachgeschichte.
Im Geschichtsbild von Palästinensern, anderen Arabern und Antizionisten wird die Nakba meist als von vornherein geplante ethnische Säuberung durch das Militär Israels beschrieben, im Geschichtsbild Israels wurde sie lange als eine freiwillige und auf arabische Aufrufe reagierende Flucht dargestellt. Seit ab den 1980ern zunehmend Archivdokumente aus der fraglichen Zeit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, haben in Israel besonders die Neuen israelischen Historiker dieses Bild durch genaue Untersuchungen korrigiert und differenziert.
Vereinzelt wird die Vertreibung von Juden aus arabischen und islamischen Ländern als jüdische Nakba bezeichnet.
Regionalgeschichtlich gesehen gehört die Nakba zur Nachgeschichte des 1918 im Zuge des Ersten Weltkriegs aufgelösten Osmanischen Reichs, zu dem es gemeinsam mit unter anderem den Regionen des heutigen Libanon, Syrien und Jordanien gehört hatte. Obwohl sich die Nakba im engeren Sinne zwischen 1947 und 1949 und damit zu einer Zeit abspielte, als die Dekolonisation in anderen Regionen der Welt bereits im Gange war, stand sie daher noch ganz im Zeichen des Kolonialismus. Besonders die nationalen Interessen von fünf Volksgruppen waren bestimmend für den Ablauf der Nakba:
Der Zionismus war und ist eine besonders bei Juden des globalen Nordens ab dem 19. Jhd. verbreitete quasi-nationalistische Ideologie. Kerngedanke war und ist, dass Juden nicht nur Angehörige derselben Religion seien, sondern ein Volk, dass sie als solches Selbstbestimmungsrecht und das Recht auf ein eigenes Staatsgebiet hätten[3] und dass wegen des Antisemitismus in Europa ein solches jüdisches Staatsgebiet auch überlebenswichtig sei.
Weil ein solches Staatsgebiet notwendigerweise im Gebiet eines anderen Volkes gegründet werden müsste, halten Antizionisten den Zionismus für eine vollständig kolonialistische Bewegung,[4] die meisten Zionisten immerhin für ein mit dem Kolonialismus verwandtes Projekt.[5] Dass dieses Staatsgebiet (in) Palästina sein müsse, war lange nicht klar; angedacht und teilweise auch angegangen wurden jüdische Staatsgebiete in den verschiedensten Regionen der Welt. Gut bekannt sind Argentinien, Nairobi, Uganda und der Kongo; Adam Rovner hat ähnliche Versuche in Sibirien, New York, Angola, Madagaskar, Tasmanien und im Regenwald von Suriname zusammengetragen.[6] Dass die Entscheidung letztlich doch auf die Region Palästina fiel, die sich als das kleine Gebiet der Palästinenser an sich gar nicht sehr gut als jüdisches Staatsgebiet eignete, ist zum einen darauf zurückzuführen, dass der Zionismus des 19. und frühen 20. Jhds. vor allem in Russland und Osteuropa verbreitet war und von dort nach dem Juden-Pogrom von Odessa in den 1880ern größere Zahlen an Zionisten nach Palästina auswanderten und damit für die zionistische Bewegung Fakten schufen, zum anderen später auf britische Interessen (s. u.).[7] Die Vorgeschichte der Nakba beginnt daher recht eigentlich bereits mit der „ersten Alija“ (= der „ersten jüdischen Migration nach Palästina“) ab 1882.
Von Anfang an gedachte man, das „arabische Problem“ – die Tatsache also, dass Palästina eben bereits bevölkert war – durch „Transfers“ zu lösen: Die palästinensischen Araber sollten dazu gebracht werden, in andere Länder auszuwandern. Wie dominant diese Idee des Transfers bei den politischen Führern des Zionismus von 1882 bis zum Vorabend der Nakba insgesamt war, hat Nur Masalha gezeigt.[8][9]
Die Idee der organisierten Migration nach Palästina fand einigermaßen Anklang, die Idee des Transfers jedoch war weniger erfolgreich: Kurz vor Beginn der eigentlichen Nakba machten Juden zwar bereits über 30 % der Bevölkerung Palästinas aus, besaßen aber nur 5,8 % des Landes[10] resp. knapp 20 % des kultivierbaren Landes,[11] und dies fast ausschließlich in den Städten an der zentralen Küstenebene und ihrem Umland, in der Jesreelebene und am östlichen Rand Galiläas. Zudem war man in keiner Region in der Mehrheit; in beinahe jeder Konstellation wäre ein „jüdischer Staat“ also mit einer palästinensischen Mehrheitsbevölkerung gegründet und damit umgehend wieder zum arabischen Staat retransformiert worden. Während der Gründervater des organisierten Zionismus Theodor Herzl noch ausschließlich an freiwillige Transfers dachte,[12] nimmt es daher nicht Wunder, dass mit dem Verlauf der Jahre immer häufiger von zionistischen Führern nicht nur ein freiwilliger, sondern auch ein erzwungener Bevölkerungs-„Transfer“ ins Auge gefasst wurde.[8]
Zum Ausgang des Ersten Weltkriegs war Großbritannien die größte Kolonialmacht Europas. Palästina lag erstens geographisch günstig zwischen England und der Kolonie Britisch-Indien und zweitens im Zentrum des strategisch wichtigen Nahen Ostens, den England auch nach Indiens Erlangung der Unabhängigkeit um 1947 als unabdingbar für die eigene Sicherheit erachtete.[13][14] England wünschte sich daher so sehr Einfluss auf diese Region, dass es nicht ein doppeltes, sondern gleich ein vierfaches Spiel spielte:
Nachdem vor allem England, Frankreich und Italien das osmanische Reich besiegt hatten, kamen diese drei Staaten, Japan und als Beobachter-Staat die USA 1920 zur Konferenz von Sanremo zusammen, um dort die eroberten Gebiete neu aufzuteilen. Die oben genannten Vereinbarungen mit Frankreich und den Zionisten trugen beide dazu bei, dass das Völkerbundmandat für Palästina an England ging. Im Gegenzug sollte Syrien nun doch nicht den Arabern, sondern den Franzosen zuerkannt werden.[17] 1922 bekam England dann bei einer Ratssitzung des Völkerbunds dieses Mandat auch offiziell „zum Zwecke der Umsetzung der Bestimmungen von Artikel 22 der Völkerbundssatzung“ übertragen. Besagter Artikel 22 verfügte, dass
„auf die Kolonien und Gebiete, die infolge des Krieges aufgehört haben, unter der Souveränität der Staaten zu stehen, die sie vorher beherrschten, und die von solchen Völkern bewohnt sind, die noch nicht imstande sind, sich unter den besonders schwierigen Bedingungen der heutigen Welt selbst zu leiten, (…) nachstehende Grundsätze Anwendung [finden]: Das Wohlergehen und die Entwicklung dieser Völker bilden eine heilige Aufgabe der Zivilisation, und es ist geboten, in die gegenwärtige Satzung Bürgschaften für die Erfüllung dieser Aufgabe aufzunehmen.
Der beste Weg, diesen Grundsatz durch die Tat zu verwirklichen, ist die Übertragung der Vormundschaft über diese Völker an die fortgeschrittenen Nationen, die auf Grund ihrer Hilfsmittel, ihrer Erfahrung oder ihrer geographischen Lage am besten imstande sind, eine solche Verantwortung auf sich zu nehmen, und die hierzu bereit sind (…).
Gewisse Gemeinwesen, die ehemals zum Türkischen Reiche gehörten, haben einen solchen Entwicklungsstufe [sic] erreicht, daß sie in ihrem Dasein als unabhängige Nationen vorläufig anerkannt werden können, unter der Bedingung, daß die Ratschläge und die Unterstützung eines Mandatars ihre Verwaltung bis zu dem Zeitpunkt leiten, wo sie imstande sein werden, sich selbst zu leiten. Bei der Wahl des Mandatars sind in erster Linie die Wünsche jener Gemeinwesen zu berücksichtigen.“[18]
Entsprechend wurde etwa Husseins Sohn Faisal I., der in der Zwischenzeit in Jordanien und Syrien – also dem seinem Vater zugesagten Gebiet – das Königreich Syrien ausgerufen hatte, daraufhin als Angehöriger eines „Volks, das noch nicht imstande war, sich selbst zu leiten“, einfach gestürzt, da Frankreich eigene Pläne für Syrien hatte, und musste für einige Zeit im Exil in England leben, bis die Engländer ihn zum König von Irak und seinen Bruder Abdallah zum König von Transjordanien machten.
Gleichzeitig wurde im Mandatstext bestimmt, dass England als der Mandatar „auch dafür verantwortlich sein solle, die am 2. November 1917 gemachte Deklaration [= die Balfour-Deklaration] umzusetzen, wobei durchaus nichts getan werden soll, was die zivilen und religiösen Rechte der nicht-jüdischen Gemeinschaften in Palästina beschränken würde“.[19]
Wie die schwammige Formulierung der Balfour-Erklärung, man wolle „sein Bestes dafür tun, das Ziel der Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina zu erleichtern“, zu verstehen war, ist umstritten; die natürlichste Deutung ist aber die, dass England damit erklärt hatte, die Zionisten bei der Errichtung eines jüdischen Staats unterstützen zu wollen. Ebenfalls nicht ganz klar formuliert ist, welches Volk eigentlich per Mandatsauftrag dazu angeleitet werden sollte, eine eigene Regierung zu bilden, um sich selbst zu leiten. Nach Abgabe der Balfour-Erklärung und vor der Erteilung des Mandats durch den Völkerbund hatte England in der „Anglo-French Declaration“ von 1918[20] und im schon genannten White Paper von 1922[21] allerdings erklärt, dass es beabsichtige, dass die „indigenen“ Palästinenser in Palästina eine eigenständige Regierung bilden sollten. In den 1930ern interpretierte England zumindest nach außen so auch den Mandatsauftrag, da auch das Palästina-Mandat als „Klasse A“-Mandat zu verstehen sei.[22][23][24] Noch später sollte auch der Internationale Gerichtshof in einer rechtlichen Analyse bestätigen, dass der Mandatsauftrag so richtig verstanden war.[25] Damit widersprach sich die „doppelte Verpflichtung“ („dual obligation“) Englands: Als „Vormund“ für die Palästinenser diese dazu anzuleiten, sich selbst zu regieren, und in Palästina die Etablierung eines jüdischen Staats zu erleichtern.[26] Falls man in England vorhatte, den Mandatsauftrag wirklich umzusetzen, stand man damit vor einem Dilemma; falls man es nicht vorhatte, war dieses Dilemma ein guter Vorwand, die Mandatszeit und Mandatsvollmachten möglichst lange auszureizen. Dass nämlich England wirklich vorhatte, den Mandatsauftrag effektiv und konsequent umzusetzen, ist mindestens unsicher: Effektiv bedeutete das Mandatssystem nur,
„dass sich vor allem die bereits führenden Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich die entsprechenden Gebiete unter dem Vorwand des Mandatsauftrags einverleibten und ihrem Herrschaftsbereich zuordneten.
Die Folge war also nicht die Dekolonisation der ehemaligen Gebiete der Mittelmächte, sondern lediglich ein Austausch der Kolonialherren.“[27][28]
Dazu passt, dass England, als sich die Mandatszeit ihrem Ende näherte, an einer vierten Absprache beteiligt war und so zufällig das in der Hussein-McMahon-Korrespondenz gegebene Versprechen teilweise doch einzulösen versuchte:
Die Zionisten planten mindestens noch am 13. Mai 1948 mit diesen Absprachen,[35] als der Palästinakrieg bereits einige Monate im Gange war. Weil es sich bei diesem Krieg wirklich grob so entwickelte, wie es zwischen Abdallah und den Zionisten abgesprochen worden war – möglich ist nur, dass Jordanien gegen die Absprachen geplant hatte, die Iraker zusätzlich einen Korridor nach Haifa freikämpfen zu lassen, was dann aber nicht erfolgte; die Israelis sollten zwar ihre Absprachen ignorieren, aber von Jordanien weitgehend zurückgeschlagen werden –, gelang es so Großbritannien indirekt, seinen Einfluss auf Teile von Palästina noch einmal um weitere 20 Jahre auszudehnen.
Entscheidend für die Nakba ab 1947 ist damit, dass England während seiner Mandatszeit durch die Förderung zionistischer Immigration überhaupt erst die Vorbedingungen für die Nakba schuf, dass es so für seine nationalen Interessen in Kauf nahm, dass schon vor der Nakba Palästinenser und Zionisten immer wieder hart aufeinanderstießen, was auch überhaupt erst die heftige palästinensisch-zionistische Feindschaft entstehen ließ, und dass es mit seiner Unterstützung des intriganten Königs Abdallah dazu beitrug, dass die arabischen Staaten den Zionisten unterliegen mussten. Als die Engländer 1947 das „Palästinaproblem“ auf die UN abluden, übergaben sie ihnen damit ein Pulverfass, an dessen Lunte sie über 30 Jahre hinweg selbst das Feuer gelegt hatten, und als die UN Englands Mandat übernehmen sollte, war es bereits am Explodieren. Klassisch und vielzitiert ist das abschließende Urteil von Arnold J. Toynbee:
„Der Grund dafür, warum es heute einen Staat Israel und 1.500.000 palästinensisch-arabische Flüchtlinge gibt, ist, dass 30 Jahre lang durch britische militärische Macht jüdische Immigration über die palästinensischen Araber verhängt worden war, bis die Immigranten ausreichend zahlreichend und ausreichend gut gewappnet waren, um mit Panzern und Flugzeugen für sich selbst zu kämpfen. Die Tragödie Palästinas ist nicht nur eine lokale – es ist eine Tragödie der Welt, weil sie ein Unrecht ist, das eine Bedrohung für den Frieden der [ganzen] Welt ist.“[36]
In Palästina hatten die Einführung der Marktwirtschaft im späten 19. Jhd., eine Reform des osmanischen Steuersystems zur selben Zeit und der Erste Weltkrieg und seine Nachwirkungen die überwiegend Subsistenzwirtschaft betreibende Landbevölkerung verarmen lassen. In den ersten Jahren des Mandats sollten die Briten die Steuern sogar noch höher ansetzen und die Landbevölkerung so noch weiter ausbluten lassen.[37] Die Folge war, dass sie ihre Ländereien zunehmend an städtische Aristokraten und in Palästina lebende Europäer verkaufen mussten, für die sie dann auf den Feldern, die einst ihnen selbst gehört hatten, arbeiteten und sich oft entweder zusätzlich verschulden oder weitere Anstellungen annehmen mussten.[37][38] 1930 besaßen daher bereits 29,4 % der Palästinenser kein eigenes Land mehr.[39]
Zur Finanzelite Palästinas gehörten auch einige der frühen Zionisten, die anders als nicht-zionistische Europäer und palästinensische Aristokraten nach einem Landkauf aber die Landbevölkerung von ihrem Land verwiesen und so auch noch um ihre Lebensgrundlage brachten.[38][40] Hinzu kamen Deals der Zionisten mit der britischen Mandatsregierung. Zum Beispiel wurden 1947, kurz vor Ende der Mandatszeit, 19.500 ha „Staatsland“ den Zionisten zur Immigration übereignet, womit allein die Fläche in jüdischem Landbesitz sich noch einmal um 1 % erhöhte.[41]
Nachteilig wirkte sich auf antieuropäische und antizionistische Stimmungen im Land außerdem aus, dass Zionisten keinen Hehl daraus machten, dass das zionistische Programm letztlich darauf zielte, möglichst alle Palästinenser zu enteignen und außer Landes zu bringen, wie von der King–Crane-Kommission von 1919,[42] von der Haycraft-Kommission von 1921[43] und von der Shaw-Kommission von 1929[44] übereinstimmend festgestellt wurde und wie zionistische Führer es ab den 1930ern auch unumwunden in Verhandlungen mit arabischen Führern verkündeten.[45]
In den arabischen Ländern war im Zuge der Nahda-Bewegung etwa zeitgleich mit dem Zionismus die Panarabismus-Idee entstanden. Wie der Zionismus und wie z. B. der deutsche Nationalstaats-Gedanke, der 1871 zur deutschen Reichsgründung geführt hatte, war der Panarabismus eine von vielen ab dem späteren 19. Jhd. gängigen Nationalismen: Zwar waren die unterschiedlichen Regionen der arabischen Gebiete geprägt von unterschiedlichen Kulturen, wurden aber vereint durch die gemeinsame Mehrheitsreligion des Islam und die gemeinsame arabische Sprache; die Bewohner dieser Regionen seien daher ein „Volk“. In der Anfangszeit war dieser Panarabismus noch überwiegend ein Pansyrismus, der auf die „groß-syrischen“ Gebiete um den Jordan bezogen war,[46] wanderte dann aber über Ägypten bis in den Nordwesten Afrikas und über das heutige Jordanien bis in den Südosten der arabischen Halbinsel. Mit den britischen Versprechen in der Hussein-McMahon-Korrespondenz schien die Verwirklichung panysrischer Ideen zum Greifen nahe.
Wie oben beschrieben verlangte die Völkerbundssatzung, dass „bei der Wahl des Mandatars in erster Linie die Wünsche jener Gemeinwesen zu berücksichtigen“ seien. Vor allem auf Betreiben des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson reiste daher 1919 die King-Crane-Kommission in den Nahen Osten, um die Wünsche der arabischen Gemeinwesen zu erheben. Wegen der klaren politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse waren die Rückmeldungen sehr deutlich:
Die städtische Aristokratie gehörte zu den Profiteuren der wirtschaftlichen Situation des späten 19. und frühen 20. Jhds.; es nimmt daher nicht Wunder, dass palästinensische Politiker sich schon früh ein unabhängiges Palästina („biladuna Filastin“, „unser Land Palästina“) wünschten, in dem sie weiter profitieren hätten können.[47] Die große Masse der Landbevölkerung Palästinas dagegen war mit der allgemeinen Situation wenig überraschend unzufrieden und hing überwiegend entweder dem Pansyrismus oder dem Panarabismus an, die oft mit einer Idee der Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung aller Bürger verbunden waren (s. bei Nahda#Strömungen):
Nach diesen Rückmeldungen machte die Komission eine Reihe von entsprechenden Empfehlungen, die die palästinensischen Interessen widerspiegeln und ihnen gerecht werden sollten.[48]
Wie ungefähr die Rückmeldungen an die Kommission ausfallen würden, war von Anfang an klar; sie widersprachen aber entschieden der Sykes-Picot-Vereinbarung, den französischen Interessen an Libanon und Syrien, den britischen und natürlich den zionistischen an Palästina und der Sympathie von Präsident Wilson für die zionistische Idee. Franzosen, Zionisten und einige Amerikaner waren daher von Anfang an gegen die Aufnahme der Arbeit durch die Kommission, und da wenig überraschend auch England die Kommission nicht förderte, konnte sie ihre Arbeit erst nach einiger Verzögerung aufnehmen. Daher waren die Verhandlungen im Vorfeld der Konferenz von Sanremo, auf der die Völkerbundsmandate verteilt wurden, bereits weit vorangeschritten, als die Kommission ihren Report einreichte,[49][50] und weil der Report ohnehin den Interessen der westlichen Mächte widersprach, ließ man ihn unter den Tisch fallen und veröffentlichte ihn erst 1922, nachdem England bereits als Mandatar Palästinas eingesetzt worden war, und handelte auch sonst in jeder Hinsicht gegen die Empfehlungen der Kommission.
Nachdem England sich gegen den Willen der palästinensischen Bevölkerung 1919 das Völkerbundsmandat in Palästina angeeignet und diplomatisch ungeschickt mit Herbert Samuel einen Juden zum ersten Hochkommissar von Palästina ernannt hatte, und nachdem ebenfalls gegen den Willen der Bevölkerung Zionisten begonnen hatten, auf organisierte Weise nach Palästina einzuwandern und die Landbevölkerung auf legale Weise zu enteignen, brachen unter Palästinensern immer wieder Unruhen und Aufstände aus und schaukelten sich zunehmend auf. Zu nennen sind insbesondere die Nabi-Musa-Unruhen von 1920 in Jerusalem, die Tom Segev als „Startschuss für den Kampf um das Land Israel“[51] ansieht, die Unruhen von Jaffa von 1921, die Ausschreitungen in Palästina von 1929, in deren Rahmen es auch zum Massaker von Hebron kam und zur Untersuchung derer eigens die oben genannte Shaw-Kommission eingesetzt wurde, und der Arabische Aufstand in Palästina von 1936 bis 1939. Zur Untersuchung dieses letzten und bis dato blutigsten Aufstands wurde von England einmal mehr mit der Peel-Kommission ein Ausschuss eingesetzt, der in einem neuen Bericht zum Ergebnis kam:
„Wir haben keinen Zweifel daran, was die ‚fundamentalen Ursachen der Unruhen‘ letzten Jahres waren. Nämlich: –
(i) Der Wunsch der Araber nach nationaler Unabhängigkeit.
(ii) Ihre Abneigung gegen und Furcht vor der Etablierung der jüdischen nationalen Heimstätte. (…)
Es waren die selben fundamentalen Ursachen wie die, die auch zu den ‚Unruhen‘ von 1920, von 1921, von 1929 und von 1933 geführt haben.
(…) Andere ‚fundamentale‘ Ursachen gab es nicht.“[52]
Daneben wurde im Report der Peel-Kommission über den Mandatsauftrag Englands geschrieben, dass bei Englands „dual obligation“ gegenüber den Palästinensern und den Zionisten „ohne Frage der primäre Zweck des Mandats [sei], wie es in der Präambel und den [einzelnen] Artikeln zum Ausdruck kommt, eine jüdische nationale Heimstätte zu gründen“,[53] und umumwunden erklärt, dass man darum das Ziel verfolgt hatte, zionistische Immigration so lange zu fördern, bis im Land eine jüdische Mehrheit gegeben wäre.[54] Damit, dass man von palästinensischer Seite fortwährend Vorbehalte gegen diesen Plan haben könnte, obwohl er doch „den materiellen Segen der westlichen Zivilisation“ über sie brächte, habe man dabei nicht gerechnet; unter diesen Umständen aber sei es natürlich ungerecht gewesen, den Palästinensern ihren eigenen Staat zu verwehren.[55] Da sich nun also abzeichne, dass es auch künftig keinen Frieden zwischen den beiden Völkern geben werde, „sehe man keinen Grund, warum nicht [das Land geteilt und] jede [der beiden] Rassen einen Teil regieren sollte.“[56]
Der konkrete Vorschlag zur Teilung des Landes, den die Peel-Kommission machte, war jedoch so unausgewogen, dass dies sehr wohl ein Grund zur Ablehnung mindestens dieser Teilung des Landes gewesen wäre: Im geplanten arabischen Teil lebten nur 1.250 Juden; im geplanten jüdischen Teil dagegen 225.000 Palästinenser. Weil beide Gruppen ins jeweils andere Gebiet transferiert werden sollten, hätten damit 180x so viele Palästinenser transferiert werden müssen wie Zionisten.[57] Das Küstengebiet des jüdischen Staats war außerdem das palästinensische Anbaugebiet von Zitrusfrüchten, dem wichtigsten Exportgut Palästinas, das von dort auch gleich verschifft wurde.[58] Dieses gesamte Gebiet hätten die Palästinenser verloren und wären nach ihrem Transfer stattdessen gezwungen gewesen, Land zu bestellen, das sich anders als die Küstenebene aktuell noch gar nicht zum Ackerbau eignete. Überdies sollte auch das palästinensische Gebiet kein selbstständiger Staat, sondern Englands Marionettenstaat Transjordanien zugeschlagen werden.
Der Teilungsplan der Peel-Kommission war daher keine Abkehr von der britischen Politik, die darauf abzielte, möglichst lange die Kontrolle über Palästina zu behalten. Die zionistische Immigration von 1920 bis 1930 hatte große Ausmaße, die Zahlen waren aber dennoch zu gering, als dass Zionisten kurz- oder mittelfristig die Mehrheit im Land stellen könnten (siehe die Grafik; der Spitzenwert von 1925 ist eine Ausnahme und wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass 1924 die Immigration in die USA begrenzt wurde, wonach jüdische Migranten spontan nach Palästina umschwenken mussten[59]). Mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus jedoch hatte die jüdische Immigration ab 1932 wieder massiv zugenommen, so dass sich abzeichnete, dass man früher als gedacht keine Ausrede mehr haben würde, das Mandat noch länger auszuüben. Die Begrenzung einer „jüdischen nationalen Heimstätte“ auf einen kleinen Teil Palästinas und die Transformation des Rests zu „West-Jordanien“ hätte es den Briten ermöglicht, sich auch weiterhin immerhin relativ frei durch diesen ihren Marionettenstaat bewegen zu können.
Der Teilungsplan der Peel-Kommission wurde jedoch von der britischen Regierung wieder fallengelassen, nachdem eine genauere Untersuchung durch die Woodhead-Kommission[60] ergeben hatte, dass der Peel-Teilungsplan, weitere Teilungsvarianten und insbesondere der Transfer finanziell nicht viabel waren.[61] Dass aber von der Peel-Kommission als letztes Mittel auch ein erzwungener Transfer der palästinensischen Bevölkerung erwogen worden war,[62] wirkte sich entscheidend auf zionistisches Denken aus. Die britische Idee des erzwungenen Transfers rührt sehr wahrscheinlich von zionistischer Lobbyarbeit her;[63] noch kurz vor Veröffentlichung des Reports hielten es aber auch die Zionisten für unwahrscheinlich, dass die Briten einem solch extremen Plan zustimmen würden. Shertok etwa mutmaßte:
„Selbst wenn sie wirklich die arabische Bevölkerung per Zwang entwurzeln wollen sollten, würde das zu einem solchen Blutvergießen führen, dass die aktuelle arabische Rebellion im Land geradezu Nichts im Vergleich dazu wäre. So etwas ließe sich nur mit britischen Streitkräften durchführen (…). Es ist sehr fraglich, ob [England] mutig genug wäre, das durchzuziehen.“[64]
Nachdem der Vorschlag dann aber wirklich im Report aufgenommen worden war, war die Rede vom erzwungenen Transfer diskursfähig geworden und lässt sich daher ab dieser Zeit auch bei Zionisten noch häufiger nachweisen.[65] David Ben-Gurion etwa, damals noch Vorsitzender der israelischen Partei Mapai, träumte danach in seinem Tagebuch: „Der erzwungene Transfer der Araber aus den Tälern des vorgeschlagenen jüdischen Staats könnte uns etwas geben, was wir noch nie hatten (…): Ein Galiläa, frei von arabischer Bevölkerung.“[66] Ähnlich schuf die die Jewish Agency erst im Zuge der Peel-Kommission ein „Transfer-Kommittee“, dass sich speziell mit dieser Frage befassen sollte.[67]
Als sich die palästinensischen Aufstände nach Veröffentlichung des Teilungsplans der Peel-Kommission intensivierten und es sich nach einem Treffen des Palästinenserführers Mohammed Amin al-Husseini und Adolf Hitlers[68] abzeichnete, dass die Araber gemeinsame Sache mit den Nazis gegen die „gemeinsamen Feinde“ – „Juden“, Briten und Kommunisten im Ostblock – machen könnten,[69][70] wurde von britischer Seite eilig das Weißbuch von 1939 mit den bisher größten Zugeständnissen an die Palästinenser verfasst: Die zionistische Immigration sollte begrenzt werden, binnen 10 Jahren sollte in Palästina ein von Palästinensern und Zionisten gemeinsam regierter Staat gegründet werden, und in der Zwischenzeit sollte der britische Hochkommissar die Vollmacht erhalten, Landkäufe zu steuern und zu verbieten.
Die Politik des Weißbuchs hätte über die Zionisten verhängt, dauerhaft eine Minderheit unter den feindseligen Palästinensern zu bleiben, die sie politisch fortwährend überstimmen können würden. Große Gefahr, dass ein solcher Staat wirklich gegründet werden müsste, bestand für die Briten daher nicht, da die Staatsgründung von der Zustimmung der Zionisten abhängig gemacht wurde.[71] Das Weißbuch diente allem voran dazu, die Situation zu beruhigen und so weiterhin die Kontrolle über Palästina zu behalten – mindestens für die damit garantierten zehn Jahre. Die umfassende Absage ans zionistische Programm brachte dennoch nun wiederum die Zionisten gegen die Briten auf. Auf der Biltmore-Konferenz wurden mit der Biltmore-Erklärung noch aggressivere Leitlinien für eine zionistische Politik veröffentlicht, als sie bis dahin offiziell verlautbart worden waren: Gefordert wurde nun nicht mehr nur eine „nationale Heimstätte“ in Palästina, sondern dass „Palästina [selbst] als jüdischer Commonwealth etabliert“ werde.[72] Auch zionistische Terrororganisationen steuerten um: Irgun, eine Abspaltung vom zionistischen Militär, die zuvor vor allem die arabischen Aufstände durch über 60 (Massen-)Morde und Mordversuche zusätzlich befeuert hatte, verlegte sich zunehmend auf Anschläge gegen die Briten. Als nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Irgun ihre Angriffe bis 1944 kurzzeitig unterließ, spaltete sich wiederum die Organisation Lechi ab und setzte die Terrorangriffe vor allem auf Briten fort.[73] Ab 1944 verübten auch Irgun und Hagana wieder antibritischen Terror, besonders öffentlichkeitswirksam etwa mit dem Anschlag im King David Hotel.
Außerdem begannen Zionisten schon zu dieser Zeit, sich für einen Krieg mit den Arabern zu rüsten: In geheimen Werkstätten wurden Waffen und Munition produziert, ab 1945 wurden aus den europäischen Ländern weitere Waffen aufgekauft; auch wurde das zionistische Militär – die Hagana – so sehr aufgerüstet, dass der britische Abgeordnete Richard Crossman schon 1946 schreiben konnte, dass sie „die mächtigste Streitmacht im östlichen Mittelmeerraum war (…: nicht etwa) eine Privatarmee, sondern die Organisation der gesamten jüdischen Bevölkerung zu Verteidigung[szwecken].“[74] All dies geschah unter den Augen der britischen Mandatsmacht, die außerdem wieder aus eigenen Interessen zusätzlich zur Aufrüstung der Hagana indirekt damit beitrug, dass sie knapp 35.000 Zionisten in der Jüdischen Brigade militärisch trainierte[75] (auch knapp 12.000 Palästinenser dienten als Freiwillige im Krieg; viele von ihnen gerieten aber in Gefangenschaft oder wurden getötet[76]).
Eine wichtige Rolle spielten hierbei später auch die Sowjetunion und die USA: Allem voran wollte Russland den Einfluss Westeuropas im Nahen Osten schwächen[77][78] und wünschte sich dort stattdessen einen dem Ostblock zugeneigten Staat, der mindestens als Gegengewicht zu den eng mit England verbunden Regierungen Iraks und Transjordaniens und den eng mit Frankfreich verbundenen Regierungen Libanons und Syriens fungieren sollte.[79][80] Arnold Krammer vermutet, dass Josef Stalin besonders durch Politiker der israelischen kommunistischen Partei Maki und Vertreter der israelischen kommunistischen Bewegung Hashomer Hatzair beeinflusst worden war,[81] wonach er zur (mittelfristig offensichtlich falschen) Überzeugung gelangte, der beste Kandidat für einen solchen ostblock-freundlichen Staat sei ein zionistisches Israel.[82][83] In den USA war vor allem Präsident Trumans wichtig, der eine andere Nahost-Politik verfolgte als das Staatssekretariat: Sein bester Freund war ein gemäßigter Zionist, sein Berater Clark Clifford ebenfalls, sein Berater David Niles war überzeugter Zionist. Besonders auf Niles Betreiben hatte Truman sich außerdem bereits bei den Kongresswahlen von 1946 für die 5 Millionen jüdische Wählerstimmen in den USA deutlich prozionistisch positioniert und vor allem immer wieder gefordert, 100.000 DPs müssten umgehend nach Palästina immigrieren können (was England im Nahen Osten in schwere Bedrängnis brachte).[84][85][86]
Als der Bürgerkrieg ausbrach, verhängten daher die westlichen Staaten offiziell ein Waffenembargo. Selbst britische Bestrebungen, die verbündeten Jordanier mit Munition zu versorgen, nachdem ihnen diese bereits einen Monat nach Einstieg in den Krieg ausgegangen war, unterbanden die Amerikaner.[87] Die Zionisten jedoch konnten inoffiziell aus den USA illegal als Traktoren getarnte Panzer und andere Waffen über Briefkastenfirmen kaufen und erhielten große private Waffenspenden von US-Veteranen,[88] aus dem Ostblock wurden über die Tschechoslowakei mit amerikanischen Flugzeugen große Zahlen an Flugzeugen und Schusswaffen nach Palästina geschmuggelt.[89][90][91][92]
Nach diesen Entwicklungen war die ohnehin nur auf dem Papier vorgesehene Gründung eines gemeinsamen zionistisch-palästinensischen Staats mit einer zionistisch-palästinensischen Regierung noch schwerer möglich als zuvor, weshalb England von 1946 bis 1947 drei weitere Vorschläge zur Lösung der Palästinafrage machte, die im Rahmen der Londoner Konferenz von 1946 verhandelt wurden. Auf keinen davon konnte man sich einigen; unter anderem, weil jeder dieser Pläne auch wieder britischen Interessen stärker berücksichtigten. Unmittelbar relevant für den Ablauf der Nakba war unter diesen der Morrison–Grady-Plan, der Palästina in vier Kantone aufteilen und 43 % Palästinas weiterhin unter britischer Verwaltung belassen sollte: Weil unter diesen Kantonen u. a. der Negev im Süden Palästinas zu keinem jüdischen Kanton gehören sollte (zum Negev s. u.), da dort nahezu keine Juden lebten, reagierten die Zionisten darauf mit der umgehenden Ausweitung der Besiedlung Südpalästinas mit den sog. „Elf Punkten“, die ihren Anspruch auf den Süden Palästinas stärken sollten und dann im Palästinakrieg eine entscheidende Rolle spielten. Ein vergleichbares Projekt war die Ausweitung der Besiedlung des „Kfar Etzion-Blocks“ südwestlich von Jerusalem, bei der die beiden bestehenden Dörfer religiöser Siedler 1946 und 1947 mit der Gründung der beiden neuen Siedlungen Ein Tzurim und Revadim und der Ansiedlung von 310 Elitesoldaten des Palmach geradezu zu einer Kaserne hochgerüstet wurden.[93] Auch dieser Block sollte später eine wichtige Rolle im Palästinakrieg spielen.
Gleichzeitig beharrten Zionisten, die der Konferenz ferngeblieben waren, auf den Positionen der Biltmore-Erklärung: Ganz Palästina sollte „als jüdischer Commonwealth“ etabliert und von der Jewish Agency gesteuerte Massenimmigration wieder zugelassen werden.[94] Die Politiker der arabischen Staaten um Palästina dagegen beharrten auf die Bestimmungen des Weißbuchs – genauerhin auf das Verbot jüdischer Massenimmigration, die Regulierung jüdischen Landkaufs und die Etablierung eines unabhängigen palästinensisch-jüdischen Staats, in dem Juden maximal ein Drittel der Regierung stellen sollten. Palästinensische Politiker waren auch hiermit nicht einverstanden und forderten noch weitergehend, dass Juden nur ein Sechstel der Regierung stellen dürften, da dies den Zahlenverhältnissen im Land vor 1919 entsprach.[95]
Als angesichts dieser unvereinbaren Positionen auch der letzte Vorschlag von Englands Außenminister Ernest Bevin im Februar 1947, das Mandat noch einmal um fünf Jahre zu verlängern, um Palästina nun wirklich „auf die Unabhängigkeit vorzubereiten“,[96] von beiden Seiten abgelehnt worden war, überwies England die Lösung des „Palästina-Problems“ mit unerfülltem Mandatsauftrag an die frisch gegründeten Vereinten Nationen.
Der Antrag Englands an die UN war sehr allgemein gehalten; die UN setzten daher, um zunächst die zu klärenden Fragen zu sortieren und die notwendigen Daten zu sammeln, den Sonderausschuss UNSCOP ein. Kurz zuvor hatte der Holocaust stattgefunden; zudem saßen in DP-Lagern knapp 250.000 Juden, die sich zum kleineren Teil aus ehemaligen KZ-Häftlingen und zum größeren aus illegalen Immigranten aus Osteuropa, die bei ihrem Versuch der Migration nach Palästina abgefangen worden waren, zusammensetzten, und die viele Mitgliedsstaaten der damaligen UN nicht in ihrem eigenen Land wollten.[97] Beides prägte die Diskussionen über die Einsetzung der Sonderkommission, die sich dann auch als entscheidend für den Report der Kommission selbst erweisen sollten.[98]
Erstens und noch unabhängig davon akzeptierte der Sonderausschuss (fälschlicherweise, siehe die oben erwähnte IGH-Analyse[25][99][100][101]) nicht die Grundannahme des palästinensischen Vertreters Henry Cattan bei dessen Anhörung, auch das Palästina-Mandat sei ein „Klasse A“-Mandat gewesen[102] und auch unabhängig davon habe den Palästinensern Selbstverwaltung in einem eigenen Staat zugestanden, weshalb mit der Rede von der „nationalen Heimstätte“ in der Balfour-Erklärung nicht ebenfalls ein „Staat“ gemeint sein könne.[103] Stattdessen nahmen sie mit Abba Hillel Silver, einem der Vertreter der Zionisten,[104] an, die Rede von der „jüdischen nationalen Heimstätte“ sei der Schlüsselbegriff im Mandatstext, und interpretierten daher das Palästina-Mandat als sui generis-Mandat, aus dem daher nicht das Recht auf Unabhängigkeit der Palästinenser folge.[105] Damit stand, dass es künftig in der Tat einen jüdischen Staat geben könne, da mit einem solchen kein palästinensisches Recht gebrochen würde.
Zweitens hatte der Zionist Mosche Scharet bei seiner Anhörung das Problem der Displaced Persons und das Palästina-Problem aneinander gekoppelt, indem er äußerte, sämtliche dieser Personen wollten nach Palästina und seien allein dort sicher, da sie sonst in allen Ländern verfolgt würden.[106] Auf Einladung von Silver[107] und einen entsprechenden Antrag der Delegationen von Panama von Guatemala hin[108] wurde dem Sonderausschuss danach ins Programm geschrieben, die Frage nach den Displaced Persons bei der Palästina-Frage mitzubedenken und wirklich die Flüchtlingslager zu besuchen. Damit war beinahe gesetzt, dass es in Palästina Raum für weitere jüdische Immigration bräuchte.[109]
Drittens behauptete bei den Diskussionen der Vertreter von Polen, seine jüdischen Landsleute seien es, die in Palästina „die Wüste zum blühen“ brächten.[110] Weil man auch diese Behauptung akzeptierte,[111] und zusätzlich im UNSCOP-Report wiederholt vom Negev als von einer „Halbwüste“ schrieb, die nur von grob 90.000 nomadischen Beduinen spärlich besiedelt sei und daher erst von den Zionisten zum Blühen gebracht werden müsse, wurde am Ende der ganze Süden Palästinas den Zionisten zugeteilt.[112] Tatsächlich musste der fruchtbare Teil des Negev mitnichten erst entwickelt werden und waren die Beduinen im Negev nicht nur Nomaden, sondern der Negev war die Kornkammer Palästinas, die von den Beduinen befüllt wurde:
„[…Der Negev] war bevölkert von 100.000 Beduinen, die in der Wüste das Gros an Gerste und Weizen produzierten, die in Palästina angebaut wurden.
Das bestellte Ackerland im Negev allein war drei Mal so groß wie das von jüdischen Siedlern im ganzen Rest Palästinas bestellte Land. Obwohl nur 475 jüdische Siedler im Negev lebten, (…) überwiesen die Vereinten Nationen pflichtschuldig dieses große Gebiet den Zionisten, zweifellos, da sie an den Mythos glaubten, dass es sie statt den Arabern waren, die ‚die Wüste zum blühen brachten.‘“[113]
Damit sollte nun zusätzlich zur wirtschaftlich bedeutenden Küste mit dem gesamte Anbaugebiet für Zitrusfrüchte auch noch das wichtigste Anbaugebiet für Getreide nebst dem Golf von Aqaba mit seinem großem wirtschaftlichen Potential den Zionisten zugesprochen werden.[114][115][116]
In der Folge wurden von zwei Kommissionen die beiden im UNSCOP-Report vorskizzierten Pläne näher ausgearbeitet, die sowohl den rechtlichen Ansprüchen der Zionisten als auch denen der Palästinenser gerecht werden sollten: Ein im UNSCOP-Report von einer Minderheit vertretener Plan ging von den beiden schwierigen Voraussetzungen aus, dass ein jüdischer Staat „nicht um jeden Preis“ etabliert werden müsse und dass die Chance auf harmonische Zusammenarbeit der beiden Volksgruppen realistisch sei, und schlug daher einen Föderalstaat vor. Der von der Mehrheit vertretene Plan wollte das Land teilen. Am Ende wäre der „arabische Staat“ fast ausschließlich palästinensisch bevölkert gewesen, im jüdischen Staat hätten sich Juden und Araber in etwa die Waage gehalten:[117]
„Juden“ | „Araber und andere“ | Gesamt | |
---|---|---|---|
jüdischer Staat | 488.000 | 434.500 | 922.500 |
arabischer Staat | 20.000 | 824.500 | 844.500 |
Jerusalem | 100.000 | 105.000 | 205.000 |
Gesamt | 608.000 = 30,8 % | 1.364.000 = 69,2 % | 1.972.000 |
Die beiden größten Ungerechtigkeiten des Teilungsplans der Peel-Kommission sollten dabei aber ausgemerzt werden: Anders als die Peel-Kommission ging der Mehrheitsplan nicht davon aus, dass die Palästinenser im jüdischen Staat „transferiert“ werden müssten. Auch der Mehrheitsplan setzte also voraus, dass sich die Feindschaft zwischen beiden Volksgruppen in relativ kurzer Zeit beilegen ließe. Und das Problem, dass mit diesem Teilungsplan die wirtschaftlich stärksten Regionen an der Küste mit ihren Häfen und Anbauflächen für Zitrusfrüchte ganz dem jüdischen Staat zubestimmt würde, sollte einigermaßen durch eine Wirtschaftsunion gelöst werden, durch die jüdischer und palästinensischer Staat gleichermaßen von den Erträgen dieser Regionen profitierten.[118]
Dafür war die Küstenfrage durch die Negevfrage noch weiter verschärft worden. Insgesamt sollten die 5,8 % an Land der 30,8 % Bevölkerung auf 56 % erhöht werden, zu denen der (öffentlich finanzierte) zentrale Hafen in Haifa, alle Anbauflächen für Zitrusfrüchte (zur Hälfte in palästinensischem Besitz) und die meisten für Getreide (größtenteils im palästinensischen Besitz), der See Genezareth mit seinen Fischereibetrieben im Norden, der Golf von Akaba im Süden, der Großteil des Toten Meers, die Quellen am Toten Meer, 400 palästinensische Dörfer und 40 % der palästinensischen Industrie gehörten. Die Landesgrenze sollte so nahe an den Ortsgrenzen der Grenzstädte Tulkarm, Qalqiliya, Lydda, Ramle, Gaza und später Beerscheba (s. u.) verlaufen, dass alle einen großen Teil ihres Landkreises und agrarischen Hinterlands verloren hätten; Jaffa wurde ganz auf sein Stadtgebiet beschränkt. 434.500 Palästinenser hätten in einem „jüdischen Staat“ gelebt, gleichzeitig nur 20.000 Juden im palästinensischen; verloren hätten die Juden 7 % ihres aktuellen Landbesitzes.[119]
Vor, während und nach den Verhandlungen der Kommissionen kam es zu mehreren Unregelmäßigkeiten. Eine wichtige Rolle spielten hierbei die USA, die drei Positionen miteinander vereinbaren mussten: (1) Trumans bester Freund war ein gemäßigter Zionist, sein Berater Clark Clifford ebenfalls, sein Berater David Niles war überzeugter Zionist. Besonders auf Niles Betreiben hatte Truman sich außerdem bereits bei den Kongresswahlen von 1946 für die 5 Millionen jüdische Wählerstimmen in den USA deutlich prozionistisch positioniert und vor allem immer wieder gefordert, 100.000 DPs müssten umgehend nach Palästina immigrieren können (was England im Nahen Osten in schwere Bedrängnis brachte).[120][121][122] (2) Die Außenpolitiker und Politstrategen der USA dagegen wollten durchaus erreichen, dass den Vereinten Nationen ihr erstes großes Friedensprojekt gelänge, (3) und gleichzeitig die arabischen Staaten aus wirtschaftlichen Gründen nicht verärgern. Der für den Nahen Osten verantwortliche Staatssekretär Loy H. Henderson hielt darüber hinaus den Mehrheitsplan für strategisch und ethisch unmöglich:
„Die Vorschläge im Plan der UNSCOP beruhen nicht nur auf keinen internationalen Prinzipien, deren Aufrechterhaltung im Interesse der Vereinigten Staaten wäre, sondern sie widersprechen eindeutig verschiedenen Prinzipien, die in der [UN-]Charta festgelegt sind, sowie Prinzipien, auf denen die amerikanischen Vorstellungen von Regierung basieren. Diese Vorschläge ignorieren beispielsweise solche Prinzipien wie Selbstbestimmung und Mehrheitsherrschaft. Sie erkennen [dafür] das Prinzip eines theokratischen Rassenstaates an und gehen in mehreren Fällen sogar so weit, aufgrund von Religion und Rasse gegen Personen außerhalb Palästinas zu diskriminieren. (...)
Wir sind den Juden gegenüber an keine Verpflichtung gebunden, einen jüdischen Staat zu errichten. Die Balfour-Deklaration und das Mandat sahen nicht einen jüdischen Staat, sondern eine nationale jüdische Heimstätte vor. Weder die Vereinigten Staaten noch die britische Regierung haben den Begriff ‚jüdische nationale Heimstätte‘ jemals als jüdischen Nationalstaat interpretiert.“[123]
Diese gegensätzlichen Ziele und Ansichten führten dazu, dass die USA eine Strategie fuhren, zunächst passiv zu bleiben und sich der Mehrheitsmeinung anzuschließen, dann aber die arabischen Staaten zu versöhnlich zu stimmen und zum Gelingen des UN-Unternehmens beizutragen, indem sie im Nachhinein Zugeständnisse an die arabischen Staaten machten. In der Folge war die USA an allen der folgenden vier Unregelmäßigkeiten direkt beteiligt:
(1) Den Schachzug, nicht nur die Mehrheitsempfehlung des UNSCOP-Reports in nur einer Kommission genauer ausarbeiten zu lassen, sondern beide Empfehlungen in zwei Kommissionen, hatte ein US-Politiker dem Vorsitzenden Herbert Vere Evatt aufgetragen.[124] Auch die Zusammensetzung der beiden Unterkommissionen nahm Evatt vor. In die Minderheitenkommission setzte er Afghanistan, Kolumbien, Ägypten, Irak, Libanon, Saudi-Arabien, Syrien und Yemen, und damit alle Anwälte der palästinensischen Sache mit allein dem Staat Kolumbien als Fremdkörper, der sich daher später durch Pakistan ersetzen ließ. Einen vorausgegangenen Antrag der Minderheitenkommission, sie ausgewogener zusammenzusetzen, lehnte Evatt ab.[125] Damit war gesetzt, dass kein arabischer Staat konstruktiv am Teilungsplan mitarbeiten konnte (was einen Teil seiner Unausgewogenheit erklärt, s. o.), und auch gesetzt, dass den Ergebnissen der Minderheitenkommission auch nur von einer Minderheit zugestimmt würde, da die USA und die UdSSR sich bereits pro Teilungsplan positioniert hatten.[126]
(2) Mit Syrien, dem Irak und Ägypten waren damit auch die drei Staaten, die zuvor vorgeschlagen hatten, zunächst den Internationalen Gerichtshof überprüfen zu lassen, ob unter anderem (i) die indigene Bevölkerung Palästinas nicht ein inhärentes Recht auf Palästina habe, (ii) ob die Erarbeitung eines Plans, ein Land gegen den Willen der Mehrheit seiner Bevölkerung zu teilen, sich überhaupt mit den Prinzipien und der Charta der Vereinten Nationen vereinbaren lasse, und (iii) ob die Vereinten Nationen berechtigt seien, zu empfehlen, dass eine solche Landesteilung gegen den Willen der Landesbevölkerung erzwungen werden solle. Die Minderheitenkommission erarbeitete daher neben ihrem eigentlichen Auftrag, ein föderales Palästina zu skizzieren, einen weiteren Resolutionsentwurf, mit dem diese und weitere Fragen an den IGH überwiesen werden sollten.[127] Damit verloren sie erstens Zeit für die Erarbeitung ihrer „Föderalismus-Resolution“, zweitens machte auch hier wieder die Zusammensetzung der Kommissionen von vornherein wahrscheinlich, dass die „Legitimitäts-Resolution“ abgelehnt werden würde. In der Tat wurde am Ende die Überweisung an den IGH von Fragen (i), (ii) und weiteren mit 18 : 25 Stimmen abgelehnt, die Überweisung von Frage (iii) mit 20 : 21 Stimmen. Das sollte sich in Zukunft als problematisch erweisen; in der Folge ist diese Frage noch heute umstritten.[128] Es war außerdem der erste Grund, warum die arabischen Staaten Resolution 181 für illegal erachteten, was sie danach auf Konfrontationskurs hielt.
(3) Zu den Zugeständnissen, die die USA im Nachhinein machen wollten, gehörte, einen Teil des wirtschaftlich so wichtigen Negev nachträglich wieder den Palästinensern zuzuerkennen. Weil noch mehrere Staaten das im UNSCOP-Report empfohlene Gebiet des jüdischen Staates für zu groß hielten, leiteten zionistische Freunde Trumans ein Treffen mit Chaim Weizmann in die Wege, der ihn unter anderem mit der Vision eines Kanals durch das jüdische Gebiet vom Golf von Akaba nach Tel Aviv überzeugte,[129][130][131][132][133] wonach auf Trumans direktes Geheiß die Amerikaner von ihrer Position abgingen und mit ihrer gewichtigen Stimme und einem Änderungsvorschlag,[134] der das Palästinensergebiet ein wenig um die Stadt Beerscheba und einen Wüstenabschnitt an der Grenze zu Ägypten vergrößerte,[135] weitere Zweifler besänftigten. Der fruchtbare Teil des Negev und der Golf von Akaba blieben danach dennoch im jüdischen Staat.
(4) Bei der Abstimmung zur Überweisung des Resolutionsentwurfs an die Vollversammlung zeichnete sich ab, dass auch für den überarbeiteten Teilungsplan nicht die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit stimmen würde. Daraufhin beantragte die amerikanische Delegation unter dem Vorwand, Thanksgiving feiern zu wollen,[132][136] eine Vertagung der Abstimmungssitzung. Bei der entscheidenden Abstimmung dann waren unerwartet die Philippinen von einem Contra nach Pro umgeschwenkt, Liberia, Haiti, Frankreich und außerdem Luxemburg, die Niederlande und Neuseeland von einer Enthaltung nach Pro. Mit 33 : 13 Stimmen wurde UN-Resolution 181 (II) angenommen. Da daraufhin Kuba, Pakistan und der Irak öffentlich im Plenarsaal „pressure tactics“ der USA und Russlands anprangerten, wurde breit darüber berichtet.[137][138][139]
Die Entrüstung des irakischen Delegaten war wohlfeil; die arabischen Staaten oder einige von ihnen hatten Griechenland bestochen, auf „ihre Seite“ zu wechseln,[140] und hatten wohl dasselbe bei Guatemala und Costa Rica versucht.[141][142] Wie sich später herausstellte, waren sie in der Summe dennoch im Recht: Mit dem Verhalten der Zionisten und des Weißen Haus in der gewonnenen Zeit wurde die Abstimmung über Resolution 181 zu einem der am besten dokumentierten Diplomatieskandale der UN. Über das der Zionisten berichtete später Abba Eban:
„Im Hauptquartier der Jewish Agency arbeiteten wir rund um die Uhr: wir telegrafierten, telefonierten, schrieben, überredeten und umwarben Menschen auf der ganzen Welt. Gab es jemanden in Manila, der Zugang zum Präsidenten hatte? Könnte ein Freund in den Vereinigten Staaten Einfluss auf den Präsidenten von Liberia nehmen? Was genau waren die Beweggründe und Impulse, die Haiti dazu bringen könnten, für uns zu stimmen? Bestand die Hoffnung, dass Thailand sich der Stimme enthalten würde? Was war nötig, um Frankreich und Belgien in die Ja-Spalte zu bringen? Wie konnte Moshe Tov uns weitere Stimmen aus Lateinamerika sichern?“[143]
Noch intensiver aber ließ Truman das Weiße Haus Überzeugungsarbeit bei von den USA abhängigen Staaten leisten:[144][145][146] Die Philippinen waren von 26 amerikanischen Senatoren, zehn Abgeordneten, zwei Richtern des Obersten Gerichts und einem von Trumans Beratern erpresst oder bedrängt worden,[147][140][132][142] Frankreich wurde nicht nur von Chaim Weizmann kontaktiert, sondern auch von und Bernard Baruch, der mit der Zurückhaltung amerikanischer Hilfszahlungen drohte.[132] Haiti wurden umgekehrt Entwicklungsgelder versprochen,[147][140][132] bei Liberia brachten Trumans Berater Niles und der Kongressabgeordnete Stettinius eine Großfirma dazu, Liberia mit dem Abbruch von Handelsbeziehungen zu erpressen (woraufhin Liberia beim State Department Protest einlegte, aber dennoch anders abstimmte),[147][140][132][142] Neuseelands Ministerpräsident war von Freda Kirchwey kontaktiert worden.[148] Bei Kuba, China und Griechenland waren ähnliche und auf Trumans Geheiß erfolgte Versuche erfolglos geblieben,[147][140] Auch Überzeugungsarbeiten bei Ecuador, Honduras und Paraguay scheinen auf Trumans Initiative zurückzugehen.[140]
Für die arabischen Staaten, die schon zuvor angekündigt hatten, einen Teilungsplan nicht akzeptieren zu wollen, war dies der zweite Grund, aus dem sie die Resolution für gleich „doppelt ungültig“ hielten[149] und ihn knapp drei Wochen später wirklich als illegal einstuften.[150] Schon für die dramatischen Folgen von 1947–1949 sind damit zu einem nicht kleinen Teil letztlich die USA verantwortlich.
Dennoch: Resolution 181 (II) war entschieden; mit ihr wurde durch die Generalversammlung der UN „der Mandatsmacht für Palästina und allen anderen Mitgliedern der Vereinten Nationen empfohlen“ und der Sicherheitsrat darum „ersucht, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen“, damit spätestens am 1. August England aus Palästina abziehen und „zwei Monate nach Abschluss des Abzugs der Streitkräfte der Mandatsmacht, in jedem Fall spätestens am 1. Oktober 1948, (…) in Palästina ein unabhängiger arabischer Staat und ein unabhängiger jüdischer Staat [… entstünden].“[151]
Mit der Verabschiedung der UN-Resolution 181 (II) am 29. November 1947, nach der das Land Palästina zwischen Palästinensern und den eingewanderten Zionisten aufgeteilt werden sollte, drohte die ohnehin schon aufgeladene und von kleinen Anschlägen und Gegenanschlägen durch Palästinenser und Zionisten geprägte Stimmung zu explodieren. Die militärische Ausgangslage jedoch war höchst unausgewogen: Wie gesagt waren ab 1944 35.000 Zionisten vom britischen Militär trainiert worden; 1945 hatte man begonnen, Waffen aus westlichen Arsenalen aufzukaufen und selbst zu produzieren. Wegen des oben erwähnten Waffenembargos konnten sich Palästinenser und ihre arabischen Verbündeten auch keine weiteren Waffen beschaffen, während die Zionisten ihre Vorräte aus den Beständen des Ostblocks noch weiter auffüllten. Bereits im Mai 1946 lag außerdem mit „Plan Gimel“ ein von der Hagana erarbeiteter Schlachtplan vor.[152] Auch erste Pläne für die Entvölkerung von Dörfern scheinen spätestens Anfang 1947 gemacht worden zu sein; Elias Chacour etwa berichtet, die Soldaten, die später sein Dorf Kafr Bir'im und das Nachbardorf Gisch leeren und zerstören sollten, hätten ihre Ankunft bereits im Frühling 1947 vorbereitet.[153][154]
Am Tag nach Verabschiedung der Resolution wurden alle palästinensischen Juden zwischen 17 und 25 Jahren dazu aufgerufen, sich für den Militärdienst zu registrieren. Rein bevölkerungstechnisch waren die Zionisten zwar in der Unterzahl, militärisch gesehen aber nicht: Wegen einer Migrationspolitik, die Soldaten den Vorzug gab, waren unter den Zionisten waren 42 % der Bevölkerung in waffenfähigem Alter, unter Palästinensern nur 28,5 %.[155][156] Weil Resolution 181 (II) außerdem bestimmt hatte, dass „frühestmöglich“ und spätestens Anfang Februar[157] wieder jüdische Immigration in größerem Umfang erlaubt sein sollte, England aber am 3. Dezember – vier Tage nach Verabschiedung der Resolution – verkündet hatte, sich zum 15. Mai endgültig aus Palästina zurückziehen zu wollen, zeichnete sich bereits hier ab, dass die Zionisten ihre Reihen weiter mit Kriegsveteranen auffüllen können würden, bevor mindestens viereinhalb Monate später die Palästinenser Unterstützung aus anderen arabischen Ländern erhalten könnten.[158]
Mitte Mai 1948 standen so nach britischen Schätzungen knapp 6000 bis 7000 Palästinenser, zu denen Truppen wie die im Raum Jaffa operierenden und zu Paramilitärs umgerüsteten Pfadfinder gehörten,[159] und die 5000 arabische Freischärler der „Armee der Errettung“, die sich ab Januar 1948 nach und nach hinter dem Rücken der Briten ins Land stahl, etwa 61.400 bis 97.400 Zionisten gegenüber,[160][161] die besser ausgebildet und besser ausgerüstet waren, die nach einem Schlachtplan agieren konnten und die nur kleine Regionen zu verteidigen hatten, während die verteidigenden Palästinenser sich übers ganze Land verteilen mussten.[162] Ab Mitte Mai trafen nach und nach arabische Truppen aus anderen Ländern ein, ihre Truppen beliefen sich aber auch am Ende insgesamt nur auf knapp 61.000 Mann,[160] während die israelischen Streitkräfte noch weiter auf bis zu 108.000[163] / 121.000[164] Mann anwuchsen. Die USA schätzten, dass die Zionisten, falls es Not tat, bis zu 200.000 Mann mobilisieren hätten können, sämtlich mit militärischer Erfahrung und mit modernen Waffen ausgestattet.[165] Von den insgesamt knapp 73.000 palästinensischen und arabischen Truppen dagegen muss man strenggenommen außerdem auch gerade die am besten ausgerüsteten 5000 Mann der jordanischen „Arabischen Legion“ und die am Ende 18.000 Iraker wieder abziehen, die ja mit den Zionisten paktiert hatten (s. o.): Vor allem die Jordanier[166] und ab Ende Mai auch die Iraker[167] griffen wirklich nur dann in den Kampf ein, wenn zionistische Streitkräfte entgegen diesem Pakt doch Siedlungen im Westjordanland angriffen – was allerdings vor allem gegen Ende des Kriegs durchgehend geschah. Zu allem Überfluss hatten die arabischen Staaten auch noch den Oberbefehl über die gemeinsamen Truppen den Jordaniern übertragen.[168] – Der Ausgang des Palästinakriegs stand bereits fest, bevor er überhaupt begonnen hatte.
Palästinakrieg und Nakba lassen sich grob in fünf Phasen einteilen:
Die Zeiträume der Entvölkerungen von Dörfern stimmt jeweils nicht exakt mit diesen Phasen des Kriegs überein, da Israel jeweils noch während der Waffenstillstände einzelne Dörfer leerte und jeweils schon vor Ende der beiden Waffenstillstände die Kampfhandlungen wieder aufnahm.
Mit welchem der vielen Anschläge und Gegenanschläge von Dezember 1947 der eigentliche Bürgerkrieg in Palästina und damit Phase 1 der Nakba eröffnet wurde, ist unklar. Plan Gimel war defensiv und reaktiv formuliert (s. u.); größere Aktionen wollten die Zionisten vermeiden, um nicht den abrückenden Briten Anlass zu geben, einzuschreiten oder schon vor Mai 1948 arabische Soldaten aus anderen Ländern über die Grenze zu lassen.[170] Intuitiv sollte man also annehmen, dass es die Palästinenser waren. Milstein und Morris wählen daher und wohl wegen des passenden Datums einen palästinensischen Doppelanschlag auf zwei jüdische Busse in Kfar Syrkin am 30.11., einen Tag nach Verabschiedung der Teilungsresolution.[171][172] Hammond hat aber sinnvoll darauf hingewiesen, dass man dann konsequenter einen israelischen Anschlag von Lechi zehn Tage zuvor als Startschuss ansehen müsste, da der Doppelanschlag wahrscheinlich Antwort auf diesen war.[173] Der palästinensische Anschlag geschah ohnehin wohl auf Eigeninitiative einer Bande; Kfar Syrkin als Startpunkt passt außerdem schlecht dazu, dass Ben-Gurion den lange erwarteten Krieg erst bei einem Treffen am 6. Januar 1948 für eröffnet erklärte,[174] da man auf zionistischer Seite die früheren Auseinandersetzungen noch für „einzelne Vorfälle“ hielt und den eigentlichen Krieg erst für Mai erwartete.[175]
Pappé wählt daher wohl passender das palästinensische Massaker in der Ölraffinerie von Haifa am 30.12. als Startpunkt: Nach einer längeren Reihe von Terroranschlägen auf die knapp 75.000 Palästinenser von Haifa hatten Angehörige der Irgun eine Bombe in eine palästinensische Arbeitergruppe vor der Raffinerie geworfen und so sechs von ihnen getötet. Darauf brach ein Aufstand unter den Arbeitern aus, die Palästinenser gingen auf ihre jüdischen Kollegen los, und am Ende waren 41 von ihnen umgebracht worden.[176] Das israelische Militär reagierte darauf, indem es 170 Soldaten auf eine Strafaktion ins nahe Dorf Balad al-Shaykh schickte (wo das Militär bereits am 12.12.1947 sechs Palästinenser ermordet hatte[177]), wonach in der Nacht vom 31.12.1947 auf den 1.1.1948 60 Dorfbewohner inklusive Frauen und Kindern massakriert wurden.[178] Sieben Tage später verließ ein Teil der Überlebenden das Dorf.
Ein dritter Kandidat für den Startschuss des Bürgerkriegs folgt ungefähr demselben Muster wie das Doppelmassaker von Haifa und Balad al-Shaykh, nur mit vertauschten Rollen: Am 18. Dezember wurde bei al-Khisas ein Wagenfahrer erschossen. Der lokale Palmach-Kommandeur nahm irrtümlich an, der Täter müsse aus al-Khisas kommen, und unternahm mit dem Segen von Yigal Allon eine Strafexpedition in dieses Dorf. Noch am selben Tag wurden sieben Männer, eine Frau und vier Kinder massakriert, woraufhin mehrere hundert der beduinischen Einwohner nach Syrien flüchteten. Kurze Zeit später unternahmen wiederum diese Dorfbewohner am 10. Januar von Syrien her – wonach diese Kampfhandlung die erste größere internationale Kampfhandlung war – einen Rachefeldzug zum Kibbutz Kfar Szold, das aber von britischen Soldaten gerettet wurde.[179][180][181][182]
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte auch die Entvölkerung von palästinensischen Dörfern noch kaum begonnen: Das erste entvölkerte Dorf war al-Mas'udiyya am 25. Dezember; bis Ende Februar waren nur neun weitere Dörfer geleert worden.[183] Das größte darunter war Lifta im arabischen Gebiet bei Jerusalem mit knapp 3000 Einwohnern, das ein gutes Beispiel dafür ist, wie sich Konflikte hochschaukeln konnten: Im späten Dezember 1947 hatten Palästinenser in dieser Gegend kleinere Anschläge auf zionistische Transportkonvois verübt (die schon zu dieser Zeit militärischen Begleitschutz hatten und damit schon aus diesem Grund keine „zivilen“ Unternehmungen waren). Am 24. Dezember hatte daraufhin die Hagana einen an diesen Anschlägen indirekt beteiligten palästinensischen Tankstellenbesitzer erschossen. Danach wurden von beiden Seiten Truppen zusammengezogen: Hagana-Soldaten patrouillierten mit der Order, Lifta und die umliegenden Dörfer nicht zu betreten, im Dorf selbst versammelten sich bewaffnete Palästinenser aus den umliegenden Dörfern. Ende Januar kam es so wiederholt zu Feuergefechten. Auch Irgun- und Lechi-Truppen waren zugegen und agierten noch aggressiver als die Hagana-Soldaten; so sprengten sie zum Beispiel am 29. Januar drei Häuser. Einen Tag vor diesem Anschlag waren Frauen und Kinder nach Ramallah geflohen, wenige Tage später folgte der Rest der Dorfbevölkerung.[184]
Plan Gimel zielte darauf ab, „wegen der Schwierigkeit offener Gefechte mit operierenden arabischen Streitkräften, während diese ihre Operationen ausführen“, des Nachts umso härtere Vergeltungsschläge auf politische Führer, „Agitatoren“ und Organe der „Agitation“ (wie Druckerpressen von Zeitungen oder Radiostationen) sowie die Ausführenden der besagten Operationen selbst auszuführen, außerdem darauf, das arabische Transportwesen und wichtige ökonomische Ziele sowie „Clubs, Cafés, Treffpunkte, Zusammenkünfte und ähnliches“ anzugreifen, und schließlich darauf, Attacken auf Dörfer, Siedlungen, Gehöfte und Höfe zu unternehmen, die arabischen Streitkräften als Basis dienten oder dienen konnten. Jede dieser Maßnahmen sollte, um umso abschreckender zu wirken, möglichst breit per Radio, Flugblätter und „Wisperkampagnen“ arabischer Agenten gestreut werden.[185] Plan Gimel diente also dazu, palästinensische Strukturen und Infrastruktur zu vernichten und so die Gegenseite zu schwächen; gleichzeitig blieben die Zionisten nach dieser Betonung von Vergeltungsschlägen in der „strategischen Defensive“.[186]
Ein arabischer Militärbericht aus dem März 1948 scheint zu bestätigen, dass sich Zionisten in dieser ersten Phase des Bürgerkriegs auch wirklich noch überwiegend defensiv verhielten:
„Es ist (…) offensichtlich, dass die Juden aktuell in Sachen Truppenstärke und Feuerkraft deutlich stärker sind als wir. Da das so ist, stellt sich die folgende Frage: Warum haben die Juden keine umfassenden Operationen unternommen? (…)
Ich glaube, die Antwort lässt sich wie folgt zusammenfassen:
(…D)ie Juden versuchen in der aktuellen Phase noch, die Kämpfe auf einen so kleinen Bereich wie möglich zu beschränken, in der Hoffnung, dass die Teilung [des Landes] vorgenommen und eine jüdische Regierung gebildet werde; sie hoffen, dass, wenn die Kämpfe begrenzt bleiben, die Araber sich mit dem fait accompli abfinden werden. Das kann man an der an der Tatsache sehen, dass die Juden bisher keine arabischen Dörfer angegriffen haben, wenn nicht die Bewohner dieser Dörfer sie zuerst angegriffen oder provoziert haben.“[187]
In der Rückschau ist es heute jedoch nicht mehr sicher, ob mit der Rede von „Strafaktionen“ in Plan Gimel und der Selbstbeschränkung auf solche Vergeltungsmaßnahmen wirklich auch Israels militärische Strategie auf Defensive und Reaktion ausgerichtet war. Erstens passen die Zahlen schlecht dazu: Bis Anfang April hielten sich zwar die Zahlen der Todesopfer ungefähr die Waage (875 bei den Zionisten, 967 bei den Palästinensern und der Rettungsarmee).[188] Die Todesumstände jedoch waren unterschiedlich: Nach ersten Fehlschlägen im späten Dezember und frühen Januar sahen die Araber überwiegend von Angriffen auf die militärisch überlegenen und (anders als palästinensische Dörfer) d. Ö. auch zusätzlich von Briten geschützten Ortschaften ab[189] und verlegten sich auf die Guerillataktik, aus Hinterhalten Transportfahrzeugen und später Straßenkonvois aufzulauern (der sog. „Battle for the Roads“[190]). Bevor am 10. April Zionisten nach Plan Dalet operierten, hatten die Araber so kein einziges zionistisches Dorf eingenommen – die Zionisten dagegen hatten im selben Zeitraum bereits 49 Ortschaften entvölkert.
Zweitens lässt sich das Muster des Massakers von Balad al-Shaykh noch häufiger feststellen: Irgun und Lechi, die sich zwar vom israelischen Militär abgespalten hatten, die ihre Aktionen während des Palästinakriegs aber mit der israelischen Zentrale koordinierten, griffen Menschen oder Dörfer mit Anschlägen oder Attacken an, provozierten so entweder Gegenwehr oder Gegenangriffe von Palästinensern, woraufhin dann reguläre Truppen der Hagana und des Palmach palästinenische Dörfer „legitimer“ überfielen und entvölkerten.[191][192][193] Eine ähnliche Strategie fuhren manche Jordanier der von den Briten in Palästina stationierten Arabischen Legion: Da der mit britischem Segen mit den Zionisten paktierende Abdallah aus England das explizite Verbot erteilt bekommen hatte, vor dem Ende der Mandatszeit am 15. Mai Zionisten anzugreifen, einzelne jordanische Soldaten mit dieser Passivität aber nicht einverstanden waren, unternahmen sie in der Gegend von Haifa wiederholt kleinere Attacken auf die jüdische Bevölkerung, um so zionistische Angriffe auf die Arabische Legion zu provozieren.[194] Auch auf zionistischer Seite kam die Initiative auch von regulären Streitkräften; oft mit folgender Verurteilung ihrer Aktionen durch israelische Führer, die dann öffentlichkeitswirksam per Radio oder Zeitung verbreitet wurden. Zionistische Anschläge auf und Massakrierungen von Palästinensern lassen sich vielleicht auch deshalb ausgesprochen häufig im Palästinakrieg nachweisen. Abdel Jawad hat für die Zeit des Palästinakriegs allein 70 israelische Massaker dokumentiert[195] (daneben stellen muss man allerdings auch das palästinensisch-jordanische Kfar Etzion-Massaker [s. u.] und eine Reihe rein palästinensischer Massaker: das Javne-Massaker, die Terroranschläge in der Ben-Jehuda-Straße und das Akko-Massaker); Abu-Sitta hat für die Zeit zwischen Dezember 1947 und November 1948 knapp 200 Mehrfachmorde, Massenmorde, Massaker und Bombenanschläge auf Gebäude und Infrastruktur zusammengetragen.[196]
Drittens klingt die Durchführung von Vergeltungsschlägen gegen Versammlungsplätze, Cafés und Straßenverkehr (s. o.) in der Theorie strategisch sinnvoll, in der Praxis aber führten diese Anweisungen zu Anschlägen, die notwendig die Gewaltbereitschaft unter Palästinensern noch weiter steigern mussten. Üblich waren zum Beispiel im Dezember 1947 Bombenanschläge auf fahrende PKWs und Busse, so am 9. Dezember bei Qalqilya (Bombenanschlag durch Hagana unter Ariel Scharon auf palästinensische PKWs, zwei lebendig Verbrannte[197]), am 12. Dezember in Haifa (Anschlag auf Bus durch Hagana[198]) und am 29. Dezember in Jerusalem (Bombenanschlag auf Bus durch Irgun, 13 Tote[199]).
Dass dies wirklich eine planmäßige Taktik war, lässt sich durch israelische Archivdokumente o. Ä. bisher aber nicht nachweisen. Abdel Jawad formuliert seine Anklage daher so:
„Ich argumentiere nachdrücklich dafür, dass Massaker – gemeinsam mit anderen Techniken, sich palästinensisches Land anzueignen – derart konsistent, umfassend und effektiv waren, dass daraus auf die Existenz einer zentralen Strategie geschlossen werden kann. (…) Das Fehlen eines eindeutigen Beweises, der eine Politik der ethnischen Säuberung dokumentierte, halte ich für die Zwecke meiner Forschung für irrelevant. Nach jedem vernünftigen Maßstab intellektuellen Schlussfolgerns, moralischer Bewertung und internationalen Rechts erlauben uns die vorliegenden Fakten, die Verantwortung für die Massaker dem israelischen Staat zuzuweisen. Die Schuld des israelischen Staates steht fest, auch ohne dokumentierten Beweis ihrer Absicht, eine solche Reihe von Ereignissen herbeizuführen.“[200]
Ähnlich schreibt vorsichtiger Morris speziell über die Karmel-Gegend: „In ‚The Birth [of the Palestinian Refugee Problem]‘ nahm ich noch an, dass es keine zentrale Order ‚von oben‘ gab, diese Kriegsverbrechen zu begehen. (…) Aber die Verbreitung der Vorfälle (insgesamt kam es zu etwa zehn Massakern), das Fehlen von Bestrafungen [und] das Muster der Vorfälle (…) legen zusammengenommen vielleicht eine weniger klare Schlussfolgerung nahe.“[201]
Falls das richtig ist (zum Vorwurf der ethnischen Säuberung s. u.), scheint aber Phase 1 des Kriegs noch nicht speziell auf die Leerung von Dörfern abgezielt zu haben: In dieser Phase wurden wie gesagt die Bewohner von „nur“ knapp 50 Dörfern vertrieben. Wer bereits in dieser Phase seine Heimat verließ, gehörte stattdessen häufiger zu den wohlhabenden Familien, die „freiwillig“ gedachten, andernorts in Sicherheit die bevorstehenden Auseinandersetzungen auszuharren.[202][203] Morris macht diesen Faktor recht stark, wie gleich zu sehen sein wird, können die Zahlen der „freiwillig umgezogenen Reichen“ aber nicht groß gewesen sein. Bisharat schätzt ihre Zahl auf 30.000, was je nach Gesamtzahl der Exulanten maximal 5 % ausmachen würde.[204]
Ab Phase 2 jedoch ist unabhängig von der Unsicherheit, ob der „atrocity factor“ („Gräueltats-Faktor“)[205] der ungewöhnlich häufigen Massaker im Palästinakrieg eine bewusst eingesetzte Kriegstaktik war, um Gegenmaßnahmen von Palästinensern zu provozieren, gewiss, dass wenig im Palästinakrieg so stark dazu beitrug wie diese Massaker – insbesondere das Massaker von Deir Yasin –, den Widerstand von Palästinensern zu brechen und ihre Bereitschaft zur Flucht bei drohenden oder beginnenden Angriffen zu erhöhen[206][207] (s. u.).
Am konzentriertesten fanden Entvölkerungen palästinensischer Dörfer und Städte in Phase 2 des Palästinakriegs statt, in der die zionistischen Streitkräfte ab 10. März nach Plan Dalet operieren sollten. Die Entvölkerung von Orten wird auch in der Tat in Plan Dalet thematisiert:
„Die folgenden Operationen müssen durchgeführt werden, damit das eingerichtete Verteidigungssystem wirksam ist und seine Rückseite gedeckt ist: (…)
4. Operationen gegen feindliche Bevölkerungszentren, die sich innerhalb oder in unmittelbarer Nähe unseres Verteidigungssystems befinden, um zu verhindern, dass sie als Basen von aktiven bewaffneten Streitkräften genutzt werden. Diese Operationen können in folgende Kategorien unterteilt werden:
• Zerstörung von Dörfern (Brandstiftung, Sprengung und Verminung der Trümmer), vor allem bei jenen Bevölkerungszentren, die schwer kontinuierlich zu kontrollieren sind.
• Durchführung von Durchsuchungs- und Sicherungsoperationen nach folgenden Richtlinien: Umstellen des Dorfes und Durchsuchung desselben. Bei Widerstand muss die bewaffnete Streitkraft ausgeschaltet und die Bevölkerung über die Staatsgrenzen hinaus vertrieben werden. (…)
Bei Abwesenheit von Widerstand sollen Garnisonstruppen das Dorf besetzen und Stellungen darin oder an strategisch wichtigen Punkten beziehen, die eine vollständige taktische Kontrolle ermöglichen.“[208]
Wie diese Passage zu beurteilen ist, ist jedoch umstritten. Klar ist, dass sie es Kommandeuren freistellte, auch Dörfer zu zerstören, deren Bevölkerung keinen Widerstand leistete. Gut belegt ist weiterhin, dass viele in der zionistischen Führungsriege zumindest von einem „araberfreien“ jüdischen Staat träumten.[209][210][211] Und klar ist schließlich, dass in vielen einzelnen Kommandos an militärische Einheiten Säuberungen explizit befohlen wurden; häufige Befehle waren die „Reinigung“ von Dörfern[212] oder die, ihre Bevölkerung zu „bewegen“ oder „auszuweisen“.[213][214]
Auch der Effekt von Plan Dalet ist klar: Obwohl palästinensische und arabische Politiker und Organe die Palästinenser sehr regelmäßig aufforderten, in ihren Orten zu bleiben, und Libanon, Syrien und Ägypten gar ihre Grenzen schlossen, auf dass entweder die waffenfähigen Männer unter den palästinensischen Flüchtlingen nicht im palästinensischen Verteidigungssystem fehlten oder schlicht, um ihre Länder nicht mit diesen Flüchtlingen zu belasten,[215][216][217] wurden zwischen dem 1. April und dem 14. Mai – nachdem unerwartet die Briten bereits Mitte April mit ihrem Abzug begannen[218] – durchschnittlich über 30 Orte pro Woche entvölkert.[219] Auch die meisten Städte wurden in dieser Phase zwischen dem Abzug der Briten und dem Einmarsch der umliegenden Staaten geleert: Tiberias am 18. April, Haifa vom 21.–22. April, Westjerusalem anfanghaft am 24. April, Safad am 11. Mai, Baysan und Jaffa am 12. und 13. Mai, Akko am 17. Mai,[220][221] nachdem offenbar die Hagana den Angriff bereits zuvor eingeleitet hatte, indem sie mit Typhus-Erregern einen biologischen Anschlag auf die Wasserversorgung verübte.[222][223][224]
Umstritten ist aber auch hier wieder, ob dementsprechend Plan Dalet ein offizieller „Master Plan“ zur ethnischen Säuberung war, oder ob er strategisch gesehen ein defensiver Plan war, der primär sicherstellen sollte, dass im Falle eines Einmarschs der arabischen Armeen die Streitkräfte der Zionisten nicht auch gleichzeitig von hinten oder von der Seite aus palästinensischen Siedlungen angegriffen werden könnten. In diesem Fall fehlte dann ein Link zwischen den Träumen der zionistischen Führungsriege und dem Geschehen der umfassenden Entvölkerung Palästinas, wonach man z. B. den Träumern und Tätern beiden keinen „Vorsatz“ mehr vorwerfen könnte:[225] Die Träumer hätten die Verwirklichung ihrer Träume nicht auch angeordnet, die Täter aus bloßer militärischer Notwendigkeit gehandelt. Üblicherweise gehen israel-kritische Autoren von ersterem aus,[226] pro-israelische Autoren von letzterem. Gelber z. B. denkt, die Ziele von Plan Dalet seien offensichtlich: (1) Schutz der Grenzen des künftigen Staats, (2) Sicherung territorialer Kontinuität gegen Invasionsversuche, (3) Sicherstellung von Bewegungsfreiheit und (4) Ermöglichung der Fortsetzung der alltäglichen Geschäfte.[227] Ergo seien die Palästinenser „nicht vertrieben worden, sondern weggerannt.“[228] Ähnlich hält etwas gemäßigter Benveniste erst die Entvölkerungen ab Mitte Mai für „ethnische Säuberungen“, die Ziele von Plan Dalet dagegen für „zweifellos militärisch“ (statt: ideologisch).[229]
Benveniste argumentiert hierfür auch mit dem häufigen Argument, dass man in der israelischen Führungsriege tatsächlich über die Flucht der Palästinenser äußerst überrascht gewesen sei.[230][231] Dies aber ist nachweislich falsch. Die Gründe des Exodus waren den israelischen Führern bekannt. Morris hat beispielsweise aus den israelischen Archiven einen Report des israelischen Nachrichtendiensts veröffentlicht,[232] in dem im Juni 1948 die Gründe der umfassenden Entvölkerung analysiert wurden:[233][234] Bei lediglich 5 % der entvölkerten Dörfer geht diese Analyse davon aus, dass sie auf Befehl arabischer Kommandeure evakuiert wurden, weil man entweder den Ort als militärische Basis nutzen wollte oder weil man fürchtete, die mit den Zionisten paktierenden Bewohner könnten gegen die arabischen Streitkräfte arbeiten. Bei weiteren 18 bis 19 % wird davon ausgegangen, dass die Bevölkerung aus Angst ohne spezifischen Anlass oder aufgrund diverser „lokaler Faktoren“ (wie bspw. dem Zusammenbruch der Infrastruktur) geflohen seien. Bei 77 % jedoch wird der Exodus erklärt mit (1) direkten Angriffen durch das zionistische Militär auf den jeweiligen Ort selbst oder einen Nachbarort (55 %), (2) Operationen von Irgun und Lechi vor Ort (15 %) und Ausweisungen durch israelische Kommandeure oder den „freundlichen Rat“ derselben, doch lieber zu fliehen (7 %). Später hat Abu-Sitta die Gründe zur Flucht bei 530 während der gesamten Dauer der Nakba entvölkerten Orten analysiert und kommt auf ähnliche Zahlenverhältnisse:[235]
Esber hat außerdem mithilfe internationaler und palästinensischer Quellen und Einzelinterviews analysiert, wie genau sich speziell in 225 zwischen April und Mai 1948 verlassenen Orten die Flucht bei militärischen Angriffen gestaltete und welche Faktoren sie zusätzlich förderten:
„[Zu Angriffen gehörten üblicherweise] mehrere Tage der Belagerung mit Mörserfeuer und psychologischer Kriegsführung, die durch [kursierende] Berichte über bestimmte Gräueltaten noch forciert wurden, und ein abschließender Angriff von mehreren Seiten. (…) Militärische Befehle an Hagana und Irgun deuten darauf hin, dass das Herbeiführen der Flucht von Zivilisten wirklich ein zentrales und ausdrückliches Ziel von Offensiven war. (…) Dieser Panik erzeugende Druck hielt noch an, während Gemeinden [ihre Orte] bereits evakuierten: [Nachdem] sie durch einen Angriff von drei Seiten einen einzigen Fluchtkorridor festgelegt hatten, (…) schüchterten zionistische Streitkräfte die bereits panischen arabische Zivilisten noch weiter ein, indem sie sie bei ihrer Suche nach Sicherheit verfolgten, (…) beraubten, belästigten und demütigten, (…) wie man in Haifa, Jaffa und zahllosen Städten und Dörfern feststellen kann. (…)
Flüchtlinge nannten einheitlich gewaltsame militärische Angriffe, das Trauma ziviler Todesfälle in ihren Gemeinden infolge von Angriffen, die begründete Angst vor Vergewaltigung und Massakern, Drohungen mit ebensolchen oder anderen Gräueltaten [… als Gründe für die Flucht]. (…)
Die Atmosphäre des Terrors wurde durch die beiden kritischsten Ereignisse des Bürgerkriegs sehr verstärkt: Das Massaker von Deir Yasin Anfang April und der Fall von Haifa zwei Wochen später. Beide zeigten deutlich, dass die britischen Streitkräfte weder fähig noch willens waren, arabische Zivilisten zu schützen. Insbesondere das Massaker von Deir Yasin motivierte Dorfbewohner, kurz vor, während oder nach einem zionistischen Angriff [ihr Dorf] zu verlassen: Nachrichten über Ausmaß und Brutalität des Massakers und besonders Berichte über Vergewaltigungen und Verstümmelungen hatten palästinensische Araber in Schrecken versetzt.“[236]
Bis zum 14. Mai waren so noch unter britischem Mandat 440.000 Palästinenser zu Flüchtlingen geworden.[237]
Die großen Zahlen an Flüchtlingen waren neben dem enormen Druck vonseiten der arabischen Bevölkerung auf ihre jeweiligen Regierungen denn auch ein entscheidender Faktor dafür, dass die arabischen Staaten sich trotz der schon grundsätzlich schlechten militärischen Ausgangslage (s. o.) letzten Endes doch dazu entschlossen, in den Palästinakrieg einzugreifen.[238][239] Die ersten konkreten Absprachen, eventuell in den Krieg einzugreifen, wurden erst am 10. April getroffen und zogen sich lange hin, da Ägypten traditionell und aktuell entschieden gegen militärisches Engagement in Palästina war[240] und Jordanien darauf beharrte, frühestens am 15. Mai einzugreifen, und auf das Oberkommando über die arabischen Truppen bestand. Erste Beschlüsse wurden ab dem 25. April gefasst; die endgültige Entscheidung fiel erst am 30. April.[241][242] In Ägypten wurde der Einmarsch gar erst am 12. Mai und auch für die ägyptischen Militärs sehr überraschend bewilligt.[240] So blieben den Ägyptern gerade zweieinhalb Tage und auch den übrigen Staaten nur knapp knapp zwei Wochen, um Truppen auszuheben und zu bewaffnen. Die schlechte Ausgangslage wurde noch weiter dadurch verschärft, dass das militärisch schwache Syrien und der stärkere Irak aufgrund innenpolitischer Probleme beide nicht viele Truppen entsenden konnten.[243] Außerdem dadurch, dass wegen zu wenigen und falsch ausgebildeten Truppen, wegen finanziellen Nöten und wegen veralteter Technik Libanon gar nicht und Syrien und Ägypten kaum kriegsfähig waren. Die Regierungen dieser Länder wollten Israel daher gar nicht angreifen (wie dies amerikanische,[244] der britische[245] und der zionistische[246] Nachrichtendienst auch richtig einschätzten), sondern hauptsächlich mit der Rüstung zum Krieg und später dem Einmarsch ein Signal in Richtung der Großmächte senden, die gerade mit dem Gedanken spielten, den Teilungsplan wieder einzustampfen, und begrenzten daher die Menge und Bewaffnung der nach Palästina entsandten Truppen noch weiter auf die hierfür nötige Zahl.[247] Nachdem auf den Einmarsch jedoch eine internationale Reaktion in Richtung der Zionisten ausblieb und diese am letzten Tag des Mandats (statt zwei Monate später) ohnehin bereits den Staat Israel ausgerufen hatten, entwickelte der Kriegszug eine Eigendynamik. Vor allem die Armeen der Ägypter und Iraker wurden im weiteren Verlauf des Kriegs nach und nach verstärkt und waren daher neben den Jordaniern die einzigen, die mit der Verteidigung des Gazastreifens und des nördlichen Westjordanlands nennenswerte Erfolge verzeichnen konnten.
Der Übergang von der Mandatszeit zum internationalen Krieg verlief gleitend; auf der Scheide steht der Fall des oben erwähnten Kfar Etzion-Blocks: Von diesem und der Umgebung aus wurden am 12. und 18. April und am 6. Mai jeweils Transportkonvois der Arabischen Legion angegriffen und jordanische Soldaten erschossen. Da diese dort Transportoperationen für die Briten durchführten,[248] gehören diese Angriffe recht eigentlich noch zum antibritischen Terror statt bereits zum internationalisierten Krieg; entsprechend wurde über einen ersten Gegenangriff der Arabischen Legion am 4. Mai im Londoner Radio berichtet, „die britische Armee“ hätte einen Strafangriff „auf Kfar Etzion wegen der Angriffe der Juden auf britischen Verkehr“ unternommen; beim entscheidenden Gegenangriff am 12. Mai wurden die Kapitulationsverhandlungen mit den Briten geführt und die zionistischen Gefangenen wurden in die britische Polizeistation von Hebron gebracht.[249] Auftakt der Schlacht scheint aber einmal mehr gewesen zu sein, dass jordanische Soldaten in Eigeninitative gemeinsam mit palästinensischen Bewohnern Hebrons einen Gegenangriff der Zionisten provozierten, woraufhin der Anstifter Abdullah at-Tall den offiziellen Auftrag erhielt, in den Kampf einzugreifen.[250] An die Eroberung des Etzion-Blocks schloss sich das Kfar Etzion-Massaker an, bei dem palästinensische Dorfbewohner und wahrscheinlich auch einige Legionäre über 100 Zionisten nach deren Kapitulation töteten – vielleicht allerdings, wie at-Tall und ein palästinensischer Zeuge leicht unterschiedlich berichten, weil einige von ihnen nach der Kapitulation erneut die Waffen ergriffen.[250][251][252]
Ab dem offiziellen Einstieg in den internationalen Krieg jedoch verhielt sich Jordanien defensiv und beschränkte sich weitgehend auf die Verteidigung von Ostjerusalem, Ramallah, Nablus, Tulkarm, Qalqiliya, Hebron und kurzzeitig auch Ramla und Lydda, wo sie jedoch in Phase 4 des Kriegs im Rahmen der Operation Dani unterlagen, was mit dem Todesmarsch von Lydda zur größten Vertreibung von Palästinensern während des ganzen Kriegs führte. Alle jordanisch gehaltenen Gebiete lagen im designierten arabischen Gebiet.
Der christliche libanesische Kommandeur hatte spontan einen Tag vor Kriegsbeginn beschlossen, seine christlichen Soldaten gar nicht über die Grenze zu führen und nur die libanesische Grenze zu schützen, woraufhin sich einige der muslimischen Libanesen der Arabischen Rettungsarmee und der syrischen Armee anschlossen. Die Performance der übrigen nördlichen Armeen war desaströs: Die in Galiläa aktive Arabische Rettungsarmee nahm kurzzeitig Al-Malkiyya ein, wurde aber bald wieder von dort vertrieben.[253] Die Syrer nahmen nach dem Ausstieg der Libanesen von ihrem ursprünglichen Plan Abstand, vom Norden her Safad im designierten israelischen Teil Galiläas zurückzuerobern, und wollten nun von südlich des Sees Genezareth aus das entvölkerte und ebenfalls israelische Samakh angreifen,[254] wurden dann aber schon kurz hinter Samakh wieder bei Degania zurückgeschlagen und zogen sich nach Tel al-Qasr zurück, um in einer späteren Phase des Kriegs noch einmal neu anzusetzen und Mischmar HaYarden einzunehmen – wo dann auch diese Initiative zum Halt kam.[255] Was sie bei ihrem ersten Vorstoß letztendlich erreichen wollten, ist bisher unklar. Morris vermutet, sie hätten ursprünglich gemeinsam mit den Irakern Tiberias zurückerobern wollen.[256] Diese allerdings sollten laut Schlachtplan über Kibbuz Gescher in den nördlichen Teil des Westjordanlands marschieren, wurden dann jedoch bereits bei Gescher aufgehalten und zogen sich am 22. Mai geschlagen zurück, um über eine andere Route die Jordanier im Norden des Westjordanlands zu verstärken. Daraufhin blieben auch sie defensiv und verteidigten die Gegend um Jenin, Tulkarm und Nablus.[257][258]
Die Ägypter wollten in zwei Zügen vom Süden und Südwesten ins südliche Westjordanland gelangen. Der südliche Zug erreichte sein Ziel und blieb dann bis Kriegsende südlich von Ramat Rachel stationiert, der südwestliche musste Kfar Darom umgehen (einen der „Elf Punkte“, den zuvor mehrfach ägyptische Freiwillige von der muslimischen Bruderschaft vergeblich und mit hohen Verlusten angegriffen hatten), wurde daraufhin fünf Tage von den 110 Siedlern von und 20 Palmach-Soldaten in Jad Mordechai aufgehalten und nach einem Sieg dort dann noch länger bei Aschdod und Kibbuz Negba gestoppt, woraufhin sie sich zurückzogen, Nitzanim eroberten und dort verbarrikadierten. Um Nordisrael mit den ideologisch wichtigen übrigen der „Elf Punkte“ verbunden zu halten und die Ägypter nicht ins südwestliche Westjordanland gelangen zu lassen, konzentrierten die Israelis trotz dieser mäßigen ägyptischen Erfolge viele Truppen auf die Ägypter und drängten sie so in der letzten Kriegsphase noch weiter bis nach Gaza zurück, wo allein sie unter der neuen Führung von Muhammad Sadiq ihre Stellung halten konnten und so 200.000 Flüchtlinge verteidigten, die sich ebenfalls in den Gazastreifen gerettet hatten.[259][260][261]
Die schwachen Leistungen der nördlichen Armeen und die Tatsache, dass die Israelis ihre Streitkräfte auf die Gegenden ihrer Offensiven konzentrieren und dort durch Entvölkerungen weiterer Orte ihre Flanken sichern mussten, trugen dazu bei, dass die Vertreibungswelle nach Beginn des internationalen Kriegs nicht etwa zurückging, sondern ihren Höhepunkt erreichte: Allein in den ersten sieben Tagen wurden die Bewohner von ganzen 44 weiteren Ortschaften vertrieben. Erst, nachdem die feindlichen Armeen vertrieben worden waren oder nachdem das Terrain bereitet und man zu Stellungskämpfen übergegangen war, ließen sie schrittweise nach. Falls man die Entvölkerungen während Phase 2 tatsächlich noch als kriegsbedingte Maßnahmen (statt als ethnische Säuberungen) verstehen kann, gilt das also auch noch für die meisten Vertreibungen während dieser Phase – ausgenommen im Nordwesten, wo besonders in Westgaliläa beinahe jede Eroberung mit weiteren Massakern einherging: In Akko am 17. Mai mit 60 Toten, außerdem binnen der zwei Tage vom 20.–21. Januar beim „Al-Kabri-Vorfall“. Das grausamste Massaker dieser Phase war jedoch etwas weiter südlich das Tantura-Massaker.
Dem Einstieg der arabischen Staaten in den Krieg waren unmittelbar die Entvölkerungen der westlichen Städte vorangegangen. Gleichzeitig mit der dritten Phase des Kriegs wurden daher Überlegungen angestellt, welche Politik man mit rückkehrwilligen Bewohnern dieser Ballungszentren fahren sollte. Grosso modo herrschte in der israelischen Führungsriege dabei Einigkeit, und so wurde bereits Ende Mai einmal mehr ein „Transfer-Kommittee“ gegründet, das mit einem Memorandum über „rückwirkenden Transfer“ beschloss, Palästinenser, die ob „Krieg und Exodus“ verständlicherweise Groll gegen Israel hegten, aus diesem Grund nicht zurückgelassen werden könnten.[262] Ergo müsse Israel „überwiegend von Juden bewohnt sein, so dass es darin sehr wenige nicht-Juden gibt. (…) Die Entwurzelung der Araber sollte man als Lösung der arabischen Frage ansehen (…).“[263] Um dies zu realisieren, wurden fünf Maßnahmen empfohlen:
Im Kommittee saßen mit Yosef Weitz, Ezra Danin und Eliahu Sasson viele der obersten israelischen Führungsriege; Mosche Scharet hatte sie autorisiert, auch David Ben-Gurion gab den Grundgedanken des Memorandums seinen Segen.[264] Bei einer Sitzung am 16. Juni verständigte sich die Regierung auch offiziell darauf, die Rückkehr auch friedlicher Flüchtlinge „um jeden Preis“ zu verhindern und gab entsprechende Befehle an das Militär aus,[266][267] wonach in den folgenden Tagen der rechtliche Rahmen für die Umsetzung der Empfehlungen des Kommittees geschaffen wurde:[268][269][270]
Es ist daher möglich, dass viele Entvölkerungen in Phase 2 und Phase 3 an sich noch nicht als ethnische Säuberungen verstanden werden müssen, sondern als militärisch gebotene Maßnahmen verstanden werden können. Nach dem Memorandum über rückwirkenden Transfer und dem offiziellen Beschluss und der offiziellen Legalisierung einer entsprechenden Politik jedoch lässt sich nur noch schwer dagegen argumentieren, dass damit auch diese militärischen Maßnahmen rückwirkend zu Säuberungen gemacht worden waren: „Der Historikerstreit über die exakte Zahl der geflohenen vs. der vertriebenen Flüchtlinge ist weniger wichtig. Entscheidend ist die Tatsache, dass die Regierung ihnen die Rückkehr nicht erlaubte.“[280]
Operation Dani nach WS I, da Bernadottes Plan erneut vorgesehen hatte, dass Jerusalem zum arabischen Kanton gehören sollte: Uri Ben-Eliezer: 'War over Peace. One Hundred Years of Israel’s Militaristic Nationalism. University of California Press, Oakland 2019, ISBN 978-0-520-30434-5. S. 77.
Operationen Yoav und Horev nach WS II, da Bernadottes zweiter Plan vorsah, den Negev dem arabischen Staat zuzuschlagen: Uri Ben-Eliezer: 'War over Peace. One Hundred Years of Israel’s Militaristic Nationalism. University of California Press, Oakland 2019, ISBN 978-0-520-30434-5. S. 82
Nazaret nicht vergessen: auch an den 10 Tagen.
Zweiter Waffenstillstand: Ben-Gurion erklärt in Sitzung der Regierung, der Kampf solle wieder aufgenommen werden, weil "If war broke out, we would be able to clear the entire central Galilee with one fell swoop. But we cannot empty the central Galilee – that is, including the <Arab> refugees – without a war going on. The Galilee is full of <Arab> residents; it is not an empty region. If war breaks out throughout the entire country, this would be advantageous for us as far as teh Galilee is concerned because, without having to make any major effort – we could use just enough of hte force required for the purpose without weakening our military efforts in other parts of the country – we could empty the Galilee completely."[281] (Uri Ben-Eliezer: 'War over Peace. One Hundred Years of Israel’s Militaristic Nationalism. University of California Press, Oakland 2019, ISBN 978-0-520-30434-5. S. 81f.)
„“
Der 1947 veröffentlichte UN-Teilungsplan für Palästina sah die Gründung eines arabischen und eines jüdischen Staates vor, der unter Einschluss der weithin unbewohnten Wüste Negev (1949 mehr als 60 % von Israels Territorium) mehr als die Hälfte des Mandatsgebiets ausmachen sollte. Der Exodus der arabischen Bevölkerung begann während des arabisch-jüdischen Bürgerkriegs, der sich entspann, nachdem im November 1947 die UNO-Mitglieder den UN-Teilungsplan mit großer Mehrheit angenommen hatten. Er setzte sich im unmittelbar nach der Erklärung der Unabhängigkeit des Staates Israel von den arabischen Staaten begonnenen arabisch-israelischen Krieg fort. Aus israelischer Sicht, der sich die meisten westlichen Staaten angeschlossen haben, werden die Kriege um Israels Unabhängigkeit als „israelischer Unabhängigkeitskrieg“ bezeichnet.
Die Gründe, die zur Flucht von etwa 700.000 arabischsprechenden Nichtjuden des seinerzeitigen britischen Mandatsgebietes Palästina[283] führten, sind umstritten,[284] in ihren politischen Folgen nach Ansicht des französischen Historikers Henry Laurens jedoch letztlich irrelevant: Das Wesentliche sei nicht, dass die Palästinenser gegangen sind, „sondern dass sie nicht zurückkehren durften“, wie ja auch Geflüchtete und Vertriebene aus den deutschen Ostgebieten 1945–1950 nicht in ihre angestammten Wohnorte dort zurückdurften. Die Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge sei auf Anweisung verhindert worden: „Die Dörfer wurden mit Planierraupen zerstört oder in die Luft gesprengt und die Ernten in Brand gesteckt. Flüchtlinge, die versuchten zurückzukehren, wurden erschossen.“ Dabei seien die damaligen Zionisten davon ausgegangen, dass die Palästinenser kein eigenes Volk seien, sondern Araber und damit Teil eines größeren Volkes.[285]
Im Rahmen der Waffenstillstände von 1949 mit Ägypten, Libanon, Syrien und Transjordanien vereinbarte Israel mit diesen im Wege der Familienzusammenführung getrennte Flüchtlinge am Aufenthaltsort des männlichen Familienoberhaupts zusammenzubringen. Dabei ließ Israel, wenn auch sehr widerstrebend, palästinensische Frauen und Kinder, die sich vor dem Krieg in Sicherheit gebracht hatten, zurückziehen zu ihren männlichen Familienoberhäuptern, die in der umkämpften Heimat ausgeharrt hatten.[286] Nach 1949 verweigerten die arabischen Aufnahmeländer der palästinensischen Flüchtlinge jahrzehntelang, teils bis heute, jedes Gespräch, geschweige denn Verhandlungen mit Israel. So kam es zu keinem Abkommen mit Israel, das palästinensischen Geflüchteten Erleichterung hätte bringen können, z. B. Entschädigungen für verlorenes Vermögen oder die Anerkennung erlittenen Leides. Das pauschal geforderte Recht auf Rückkehr verweigert Israel den betagten geflüchteten Palästinensern auch heute, die mehr als 75 Jahre nach diesem Exodus ebenso alt und älter sind. Den Nachkommen palästinensischer Geflüchteter und Vertriebener gewährt Israel nicht die Einwanderung, während propalästinensische Vertreter sogar für sie, die außerhalb des Gebiets, das heute Israels Territorium ist, geboren wurden, ein Recht auf ‹Rückkehr› fordern.
Als „jüdische Nakba“ haben einzelne Autoren die Flucht und Vertreibung von 850.000 Mizrachim aus arabischen und islamisch geprägten Ländern seit dem israelischen Unabhängigkeitskrieg von 1948 bis heute bezeichnet.[287][288][289]
Geprägt wurde der Ausdruck Nakba von dem arabischen Nationalisten Constantin Zureik, einem Geschichtsprofessor an der Amerikanischen Universität Beirut. Er verwendete ihn erstmals in seinem 1948 erschienenen Buch Maʿnā an-Nakba, deutsch: die Bedeutung des Unglücks. Im Kontext der Flucht und Vertreibung der Palästinenser lässt der Begriff sich bereits im Juli 1948 erstmals nachweisen auf einem arabischsprachigen Flugblatt der Hagana an arabische Bewohner von al-Tira bei Haifa (heute Tirat Carmel).[290] Zusammen mit Naji al-Alis Hanzala (dem barfußlaufenden Kind, das immer von hinten gezeichnet ist) und dem symbolischen Schlüssel zum Haus in ihrer alten Heimat, den viele der betagten palästinensische Geflüchteten bzw. zumeist deren Nachkommen noch immer aufbewahren, ist die Nakba vielleicht das wichtigste Symbol des palästinensischen Diskurses.[291]
Nach Angaben der UNRWA von 2010 machen die betagten palästinensischen Geflüchteten und vorwiegend deren Nachkommen etwa 40 % der gesamten Bevölkerung der israelisch besetzten Gebiete sowie 2/3 der Bewohner Gazas aus. Angenommen unter den etwa 45.000 Palästinensern (2013), die 1949 und davor geboren wurden (1,04 Prozent aller Palästinenser in Gazastreifen und Westbank), verteilen sich die betagten palästinensischen Geflüchteten wie im Durchschnitt der Gesamtbevölkerung, dann lebten 2013 etwa 14.600 Geflüchtete im Gazastreifen (2/3 der dortigen Altersgruppe der vor 1949 Geborenen) und 13.000 in der Westbank (40 % der dortigen Altersgruppe der vor 1949 Geborenen).[292] Da der Exodus mehr als 75 Jahre zurückliegt sind sie ebenso alt und älter und ihre Zahl der Sterblichkeit entsprechend stark rückläufig. Unter den Palästinensern seien Geflüchtete und ihre Nachkommen im stärkeren Ausmaß von Armut, Unsicherheit bei der Lebensmittelversorgung und ihre arbeitsfähigen Nachkommen stärker von Arbeitslosigkeit betroffen.[293] Die ausbleibende Integration der Nachkommen palästinensischer Geflüchteter ins palästinensische Arbeitsleben und die Gesellschaft federt die UNRWA ab, einzigartig für die Geflüchteten weltweit und deren jeweilige Nachkommen, die nicht nur die eigentlichen palästinensischen Geflüchteten, sondern all ihre Nachkommen in den palästinensischen Gebieten versorgt.
Palästinenser gedenken der Nakba jährlich am 15. Mai, dem Tag nach der Verlesung der Unabhängigkeitserklärung Israels gemäß dem gregorianischen Kalender, als „Tag der Nakba“, während viele in Israel und in jüdischen Gemeinden der Diaspora die Gründung Israels nach dem jüdischen Kalender am 5. Ijjar (oder, falls er auf Schabbat fällt, an Nachbartagen) als „Jom haʿAtzmaʾut“, als Nationalfeiertag der Unabhängigkeit Israels, gefeiert wird, wobei beide Kalender sich wegen unterschiedlicher Schaltregeln gegeneinander verschieben. 2004 hatte der damalige Präsident der palästinensischen Autonomiegebiete Jassir Arafat den Tag eingeführt, der in vielen Ländern begangen wird. In den Autonomiegebieten kommt es dabei zu häufig gewaltsamen Protesten.[294] Der „Tag der Nakba“ hat im palästinensischen Kalender eine besondere Stellung als Gedenktag. An ihm soll die Geschichte Palästinas thematisiert und vergegenwärtigt werden und der historischen Ereignisse gedacht werden.[295]
2008 verbot das israelische Ministerium für Kultur und Sport die Verwendung des Wortes Nakba in arabischsprachigen israelischen Schulbüchern. Minister Gidʿon Saʿar erklärte, es gebe keinen Grund, die Gründung des Staates Israel in offiziellen Unterrichtsprogrammen als Katastrophe darzustellen.[296] Rechtsgerichteten Israelis sind die Gedenkfeiern arabischer Israelis ein Dorn im Auge, da diese des Nakba-Tages am israelischen Unabhängigkeitstag gedenken. Im März 2011 beschloss die Knesset daher ein kontroverses Gesetz, das zwar nicht das Gedenken verbietet, aber das Finanzministerium kann staatlich geförderten Institutionen, die solche Gedenkfeiern abhalten oder unterstützen, die Zuschüsse kürzen. Im Januar 2012 bestätigte Israels Oberste Gericht das Nakba-Gesetz. Kürzungen drohen auch jenen staatlich geförderten Einrichtungen, die Israel nicht als jüdischen Staat anerkennen wollen.[297]
Seitens der israelischen Rechten wird der Begriff Nakba als Drohung einer ethnischen Säuberung gegen Palästinenser und palästinensisch stämmige Israelis genutzt. Beim national-religiösen, rechtsextremen Flaggenmarsch am Jerusalemtag kommt es regelmäßig insbesondere zu rassistischen Äußerungen gegen Araber und arabische Muslime.[298] 2021 riefen Teilnehmer des Marsches Slogans wie „Tod den Arabern“, „Ein toter Araber ist ein guter Araber“ und „Die zweite Nakba [Vertreibung der Palästinenser] kommt bald“.[299] Nach dem Angriff der Terrorgruppe Hamas auf Israel im Oktober 2023, mit hunderten israelischen Toten, forderte der Knesset-Abgeordnete Ariel Kallner (Likud) die ethnische Säuberung des Gazastreifens und umschrieb diese mit dem Wort Nakba:
„Im Moment gibt es nur ein Ziel: Nakba! Eine Nakba, die die Nakba von 1948 in den Schatten stellen wird. Nakba in Gaza und Nakba für jeden, der es wagt, sich anzuschließen! Ihre Nakba, denn wie damals 1948 ist die Alternative klar.“[300]
Im November 2023 sprach sich sein Parteifreund, Landwirtschaftsminister Avi Dichter, in einem Interview für eine „Gaza-Nakba“ aus: „So wird es enden.“[301]
Im Jahre 2002 wurde in Israel ein Verein mit dem Namen „Zochrot“ (hebräisch זוֹכְרוֹת ‚Erinnernde‘ in weiblicher Pluralform) gegründet, der sich zum Ziel gesetzt hat, jüdischen Israelis die Problematik der Nakba näherzubringen. Hierzu gibt der Verein eine Zeitschrift mit dem Titel „Sedek“ (hebräisch סֶדֶק Sedeq, deutsch ‚Riss‘) heraus, veranstaltet Führungen zu Wüstungen an Stellen ehemals palästinensischer Dörfer und zu ehemals vorwiegend arabischen Stadtquartieren und informiert mit Veranstaltungen zum Thema der Nakba.[302] Des Weiteren verteilt er Unterrichtsmaterial über die Nakba an interessierte Lehrer und Hochschulreferenten.[303]
In der Jewish Virtual Library wird der Exodus der palästinensischen Bevölkerung als großenteils freiwillig dargestellt: Sie sei vor dem Krieg geflohen oder weil sie von den arabischen Führern dazu aufgefordert wurden. Von Vertreibungen sei nur eine kleine Minderheit betroffen gewesen.[304]
Von einigen Wissenschaftlern, darunter der Neue israelische Historiker Ilan Pappe, wird die Nakba dagegen als ethnische Säuberung dargestellt.[305] Auch mehrere Journalisten vertreten diese Ansicht.[306] Der kanadische Menschenrechtsanwalt David Matas weist diese Einordnung zurück, da angesichts des erheblichen Anteils von Arabern an der israelischen Bevölkerung von einer „Säuberung“ keine Rede sein könne; die, die gegangen seien, seien vor dem Krieg geflohen; zudem habe ja der UN-Teilungsplan für Palästina von 1947 ethnisch getrennte Siedlungsgebiete vorgesehen.[307]
Von dem britischen Soziologen Martin Shaw und von der Webseite des Center for Constitutional Rights, einer amerikanischen Menschenrechtsorganisation, wird die Nakba als Völkermord bezeichnet.[308] Auch im Postkolonialismus findet sich diese Deutung.[309] Eine Gleichsetzung der Nakba mit dem Holocaust findet sich gehäuft im deutschen Rechtsextremismus.[310] Der israelische Historiker Omer Bartov hält die Beschreibung der Nakba als Völkermord für unzulässig: Zum einen werde der Begriff Völkermord dadurch so weit ausgedehnt, dass er bedeutungslos werde; vielmehr gelte es, zwischen Völkermorden und ethnischen Säuberungen zu differenzieren. Zum anderen sei die These, der Staat Israel sei 1948 mit einem Völkermord gegründet worden, nicht durch eine historische Beweisführung motiviert, sondern von dem „Drang, die bloße Existenz des Staates Israel zu delegitimieren.“[311]
In Israel ist die Ansicht verbreitet, dass die Nakba und die Vertreibung von Juden aus arabischen und islamischen Ländern, von der 850.000 Mizrachim betroffen waren, beide Teil eines Bevölkerungsaustauschs waren, wie er nach dem Zweiten Weltkrieg in mehreren Konfliktregionen stattfand. Doch während die israelische Regierung die aus den arabischen Ländern und dem Iran vertriebenen Juden integriert habe, sei dies mit den Palästinensern in den sie aufnehmenden Staaten nicht geschehen: Ihr Flüchtlingsstatus wurde im arabischen Ausland (Libanon, Syrien) wie in den palästinensischen Gebieten unter arabischer Regierung von 1948 bis 1967 weitervererbt und sie wie ihre Nachkommen mussten und müssen unter ärmlichen Bedingungen in Flüchtlingslagern leben, was dann die israelische Besatzungsverwaltung (1967 bis 1995) unverändert ließ wie auch die seither zuständige Palästinensische Autonomiebehörde nichts daran ändere. Auch bestehe Israel, anders als die arabischen Staaten, nicht auf einem Rückkehrrecht der vertriebenen jüdischen Araber,[312] geschweige denn auf ein Recht auf Einwanderung ihrer Nachkommen in die Herkunftsländer ihrer Vorfahren, während propalästinensische Vertreter sogar für Nachkommen palästinensischer Geflüchteter und Vertriebener, die außerhalb des Gebiets, das heute Israels Territorium ist, geboren wurden, ein Recht auf ‹Rückkehr› verlangen.
Nachdem im Zuge des Ersten Weltkriegs das osmanische Reich untergegangen war, zum dem auch Palästina gehört hatte, hatte 1922 der Völkerbund England „zum Zwecke der Umsetzung der Bestimmungen von Artikel 22 der Völkerbundssatzung“ das Völkerbundsmandat für Palästina übertragen. Besagter Artikel 22 verfügte, dass
„auf die Kolonien und Gebiete, die infolge des Krieges aufgehört haben, unter der Souveränität der Staaten zu stehen, die sie vorher beherrschten, und die von solchen Völkern bewohnt sind, die noch nicht imstande sind, sich unter den besonders schwierigen Bedingungen der heutigen Welt selbst zu leiten, (…) nachstehende Grundsätze Anwendung [finden]: Das Wohlergehen und die Entwicklung dieser Völker bilden eine heilige Aufgabe der Zivilisation, und es ist geboten, in die gegenwärtige Satzung Bürgschaften für die Erfüllung dieser Aufgabe aufzunehmen.
Der beste Weg, diesen Grundsatz durch die Tat zu verwirklichen, ist die Übertragung der Vormundschaft über diese Völker an die fortgeschrittenen Nationen, die auf Grund ihrer Hilfsmittel, ihrer Erfahrung oder ihrer geographischen Lage am besten imstande sind, eine solche Verantwortung auf sich zu nehmen, und die hierzu bereit sind (…).
Gewisse Gemeinwesen, die ehemals zum Türkischen Reiche gehörten, haben einen solchen Entwicklungsstufe [sic] erreicht, daß sie in ihrem Dasein als unabhängige Nationen vorläufig anerkannt werden können, unter der Bedingung, daß die Ratschläge und die Unterstützung eines Mandatars ihre Verwaltung bis zu dem Zeitpunkt leiten, wo sie imstande sein werden, sich selbst zu leiten. Bei der Wahl des Mandatars sind in erster Linie die Wünsche jener Gemeinwesen zu berücksichtigen.“[313]
Der Völkerbund[314] und England[315][316] interpretierte diese Aufgabe offiziell so, dass England damit die Vormundschaft über die „vorläufig anerkannte Nation“ der Palästinenser übernehmen solle, bis diese sich mit einer eigenen Regierung „selbst leiten“ können würden. Später sollte auch der Internationale Gerichtshof in einer rechtlichen Analyse bestätigen, dass der Mandatsauftrag so richtig verstanden war.[25]
Gleichzeitig war das Palästina-Mandat insofern besonders, als England 1917 in der Balfour-Deklaration den Zionisten zugesagt hatte, „sein Bestes dafür tun zu wollen, die Erreichung des Ziels der Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina zu erleichtern“,[317] und diese Deklaration in den Mandatstext mitaufgenommen worden war.
Vordergründig wegen dieser „doppelten Verpflichtung“ – hintergründig wohl auch deshalb, weil das Mandatssystem effektiv nur bedeutete, „dass sich vor allem die bereits führenden Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich die entsprechenden Gebiete unter dem Vorwand des Mandatsauftrags einverleibten[…, das Mandatssystem also] lediglich ein Austausch der Kolonialherren [war]“[318][319] – zögerte England die Etablierung einer palästinensischen Regierung lange heraus und erleichterte jüdische Immigration. Von 1917 und 1947 erhöhte sich so der jüdische Anteil in der Bevölkerung von unter zehn auf über 30 Prozent.[320] Außerdem hatten die osmanischen und britischen Steuern die Palästinenser verarmen lassen.[37] Weil daher arabische Großgrundbesitzer und die überwiegend aus Europa einwandernden Zionisten ihnen deshalb leicht Land abkaufen konnten, besaßen bereits 1930 29,4 % der Palästinenser kein eigenes Land mehr;[321] die Zionisten dagegen besaßen 1947 bereits 5,8 % des Landes[322] resp. knapp 20 % des kultivierbaren Landes.[323]
Daher brachen brachen unter Palästinensern immer wieder Unruhen und Aufstände aus und schaukelten sich zunehmend auf. Zu nennen sind insbesondere die Nabi-Musa-Unruhen von 1920 in Jerusalem, die Unruhen von Jaffa von 1921, die Ausschreitungen in Palästina von 1929 und der Arabische Aufstand in Palästina von 1936 bis 1939. Zur Untersuchung dieses letzten und bis dato blutigsten Aufstands wurde von England mit der Peel-Kommission ein Ausschuss eingesetzt, der in einem Bericht zum Ergebnis kam:
„Wir haben keinen Zweifel daran, was die ‚fundamentalen Ursachen der Unruhen‘ letzten Jahres waren. Nämlich: –
(i) Der Wunsch der Araber nach nationaler Unabhängigkeit.
(ii) Ihre Abneigung gegen und Furcht vor der Etablierung der jüdischen nationalen Heimstätte. (…)
Es waren die selben fundamentalen Ursachen wie die, die auch zu den ‚Unruhen‘ von 1920, von 1921, von 1929 und von 1933 geführt haben.
(…) Andere ‚fundamentale‘ Ursachen gab es nicht.“[324]
Doch erst, als sich bei einem Treffen des Palästinenserführers Mohammed Amin al-Husseini und Adolf Hitlers[325] abzeichnete, dass die Araber gemeinsame Sache mit den Nazis gegen die „gemeinsamen Feinde“ – „Juden“, Briten und Kommunisten im Ostblock – machen könnten,[326] wurde von britischer Seite eilig das Weißbuch von 1939 mit den bisher größten Zugeständnissen an die Palästinenser verfasst: Da die „nationale Heimstätte für Juden“ mittlerweile schon seit Langem existiere, sollte binnen 10 Jahren in Palästina ein von Palästinensern und Zionisten gemeinsam regierter Staat gegründet werden und in der Zwischenzeit die zionistische Immigration begrenzt werden und der britische Hochkommissar die Vollmacht erhalten, Landkäufe zu steuern und zu verbieten.
Die Politik des Weißbuchs hätte über die Zionisten verhängt, dauerhaft eine Minderheit unter den feindseligen Palästinensern zu bleiben, die sie politisch fortwährend überstimmen können würden. Große Gefahr, dass ein solcher Staat wirklich gegründet werden müsste, bestand für die Briten daher nicht, da die Staatsgründung von der Zustimmung der Zionisten abhängig gemacht wurde.[327] Die umfassende Absage ans zionistische Programm brachte dennoch nun wiederum die Zionisten gegen die Briten auf. Auf der Biltmore-Konferenz wurden mit der Biltmore-Erklärung noch aggressivere Leitlinien für eine zionistische Politik veröffentlicht, als sie bis dahin offiziell verlautbart worden waren: Gefordert wurde nun nicht mehr nur eine „nationale Heimstätte“ in Palästina, sondern dass „Palästina [selbst] als jüdischer Commonwealth etabliert“ werde.[328] Auch zionistische Terrororganisationen steuerten um: Irgun, eine Abspaltung vom zionistischen Militär, die zuvor vor allem die arabischen Aufstände durch über 60 (Massen-)Morde und Mordversuche zusätzlich befeuert hatte, verlegte sich zunehmend auf Anschläge gegen die Briten. Als nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Irgun ihre Angriffe bis 1944 kurzzeitig unterließ, spaltete sich wiederum die Organisation Lechi ab und setzte die Terrorangriffe vor allem auf Briten fort.[329] Ab 1944 verübten auch Irgun und Hagana wieder antibritischen Terror, besonders öffentlichkeitswirksam etwa mit dem Anschlag im King David Hotel.
Als gleichzeitig nach dem Holocaust knapp 250.000 Menschen in DP-Lagern saßen – überwiegend illegalen Immigranten aus Osteuropa, die bei ihrem Versuch der Migration nach Palästina oder in die USA abgefangen worden waren, und ehemalige KZ-Häftlinge –, die viele westliche Länder nicht in ihrem eigenen Land wollten,[330] und daher auch die USA England drängten, trotz ihres White Papers 100.000 jüdische Immigranten nach Palästina zu lassen, beschloss die britische Regierung am 14. Februar 1947, die Vereinten Nationen, die 1945 die Nachfolge des Völkerbundes angetreten waren, „darum zu bitten, Empfehlungen zur künftigen Regierung Palästinas zu geben.“[331]
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