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Friedrich Kittler

deutscher Literaturwissenschaftler und Medientheoretiker Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Friedrich Kittler
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Friedrich Adolf Kittler (* 12. Juni 1943 in Rochlitz; † 18. Oktober 2011 in Berlin) war ein deutscher Literaturwissenschaftler und Medientheoretiker. Seine Arbeitsschwerpunkte waren Aufschreibesysteme, die Theorie und Geschichte der Kulturtechniken Lesen, Schreiben, Rechnen und seit etwa 2001 die Bedeutung des griechischen Alphabets in der homerischen Dichtung, pythagoreischen Musik und Mathematik. In seinem Werk spielen die Begriffe Aufschreibesysteme, Technik und Militär eine wichtige Rolle.

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Friedrich Kittler, Humboldt-Universität zu Berlin (2009)
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Leben

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Friedrich Kittler wurde als Sohn des Oberstudiendirektors Gustav Adolf Kittler und dessen Frau im sächsischen Rochlitz geboren, sein Bruder Wolf kam kurz vor dem Kriegsende zur Welt. Kittlers Familie flüchtete mit den Kindern 1958 in die Bundesrepublik Deutschland, wo er von 1958 bis 1963 ein naturwissenschaftlich-neusprachliches Gymnasium in Lahr/Schwarzwald besuchte und anschließend von 1963 bis 1972 Germanistik, Romanistik und Philosophie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg studierte. Kittler war zweimal verheiratet.[1]

Während des Studiums beeinflussten ihn die Texte der französischen Poststrukturalisten, vor allem Jacques Lacan, Jacques Derrida und Michel Foucault, die damals in Deutschland noch weitgehend unbekannt waren. 1976 wurde Kittler mit einer Arbeit über den Dichter Conrad Ferdinand Meyer promoviert. Sein Doktorvater war Gerhard Kaiser.[2] Von 1976 bis 1986 arbeitete er als Wissenschaftlicher Assistent am Deutschen Seminar der Universität Freiburg. Im April 1978 nahm er für den Wunderblock protokollierend an dem Berliner Treffen der Arbeitsgruppe „Lacan lesen“ teil, an deren Ende die Sigmund-Freud Schule gegründet wurde.[3] 1980 gab er den Sammelband Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften heraus, für den er auch Derridas Aufsatz Titre à préciser[4] ins Deutsche übersetzte: Titel (noch zu bestimmen) Titre (à préciser).[5]

Im Jahr 1984 habilitierte er sich im Bereich der Neueren deutschen Literaturgeschichte. Da seine Habilitationsschrift Aufschreibesysteme 1800/1900 teilweise auf heftige Ablehnung stieß, waren bis zu ihrer Anerkennung insgesamt elf Gutachten notwendig, die nach Kittlers Tod publiziert wurden.[6][7] Es folgten mehrere Aufenthalte als Visiting Assistant Professor und Visiting Professor an US-amerikanischen Universitäten, wie der University of California, Berkeley, der University of California, Santa Barbara und der Stanford University.

Von 1986 bis 1990 war Kittler Leiter des DFG-Projekts „Literatur und Medienanalyse“ in Kassel. 1987 wurde er als Professor für Neugermanistik an die Ruhr-Universität Bochum, 1993 an den Lehrstuhl für Ästhetik und Geschichte der Medien der Humboldt-Universität zu Berlin berufen.

Für seine Forschungen auf dem Gebiet der Medientheorie wurde Kittler 1993 mit dem Siemens-Medienkunstpreis des Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe ausgezeichnet.[8]

1996 war Kittler Distinguished Scholar an der Yale University und 1997 Gastprofessor (Distinguished Visiting Professor) an der Columbia University in New York. Seit 2001 war er stellvertretender Direktor des Hermann von Helmholtz-Zentrums für Kulturtechnik sowie Mitglied der Forschungsgruppe „Bild Schrift Zahl“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

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Grabstätte

Am 18. Oktober 2011 starb Friedrich Kittler in Berlin.[9] Er wurde auf dem Friedhof der Dorotheenstädtischen und Friedrichswerderschen Gemeinden in Berlin-Mitte bestattet.

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Werk und Bedeutung

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Friedrich Kittler galt als einer der einflussreichsten und bedeutendsten deutschen Medientheoretiker. Kittler steht für einen neuen Ansatz der Medientheorie, der von den technischen Medien ausgeht und ab den 1980er Jahren zunehmend populär wurde.

Den Begriff „Aufschreibesysteme“ entlehnte Kittler dem Werk von Daniel Paul Schreber. Er bezeichnet bei Kittler „das Netzwerk von Techniken und Institutionen […], die einer gegebenen Kultur die Adressierung, Speicherung und Verarbeitung relevanter Daten erlauben.“[10] Dies ist auch als Sympathieerklärung (in der Tradition Foucaults) für den Wahnsinn zu verstehen. Laut Kittler hat alle Wissenschaft ein paranoides Element.

Kittlers zentrales Projekt war es, „den Menschenwissenschaften […] ihr medientechnisches Apriori nachzuweisen“ (Hartmut Winkler), oder, mit seinen eigenen Worten, die „Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften“, so der gleichnamige Titel einer Veröffentlichung aus dem Jahr 1980.

Kittler lehnte Marshall McLuhans Lesart der Medien als extensions of man ab: „Medien sind keine Pseudopodien, die der Menschenkörper ausfahren würde. Sie folgen der Logik der Eskalation, die uns und die Schrift-Geschichte hinter sich läßt.“[11]

Vereinfachend könnte man Kittlers Thesen dahingehend zusammenfassen, dass unser Wissen (und das, was wir für wahr halten) entscheidend von den Kulturtechniken abhängt, die wir benutzen.

Folglich sieht er im Schreiben von Literatur, dem Schreiben von Computerprogrammen und dem Einbrennen von Strukturen in Silizium-Chips ein Kontinuum:

„Wie wir wissen und nur nicht sagen, schreibt kein Mensch mehr. […] Heute läuft menschliches Schreiben durch Inschriften, die […] mittels Elektronenlithographie in Silizium eingebrannt ist […]. Letzter historischer Schreibakt mag es folglich gewesen sein, als in den späten Siebzigern ein Team von Intel-Ingenieuren […] die Hardware-Architektur ihres ersten integrierten Mikroprozessors [aufzeichneten].“[12]

Kittlers technologisch-materialistischer Blick auf alle Hervorbringungen der Kultur wurde in den 1980er Jahren Mode unter Studenten und jungen Geisteswissenschaftlern, die man spöttisch „Kittler-Jugend“ nannte.[13][14] Einige von Kittlers Schülern sind: Norbert Bolz, Knut Ebeling, Bernhard Siegert, Wolfgang Ernst, Claus Pias, Ulf Poschardt und Christian Jendreiko.

Kittler prägte in seinen Aufsätzen verschiedene, häufig zitierte Bonmots, etwa die These, Rockmusik sei der „Missbrauch von Heeresgerät“[15] und die Überschrift eines gleichnamigen Aufsatzes „Es gibt keine Software“.[16]

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Kritik

Kritiker weisen auf Kittlers Neigung hin, apodiktisch und dunkel zu formulieren. Die Zeit kritisierte an seiner Schrift Musik und Mathematik mangelnde Klarheit: „Wahrnehmbare Auf- und Ableitungen sind Kittlers Sache nicht. Wo es aus unserer Tiefe »Klarheit!« schreit, segelt er fort, und wir Ratlosen müssen weiter ahnen“.[17] Der Psychoanalytiker Harald Weilnböck zitierte in der Zeitschrift Mittelweg 36 Kittlers Diktum: „Im Vergessen des Wortes Vergessen fallen Geäußertes und Äußerung zusammen. Der Taumel dieses Zusammenfalls ist die Wahrheit, und fügte hinzu, dass die Lektüre dieses Satzes ihn intellektuell in einen ebensolchen „Taumel“ versetzt habe.[18]

Nachlass

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Kittlers selbstgebauter Synthesizer (ca. 1983), Literaturmuseum der Moderne, Marbach (Eintrag im DLA Katalog)

Sein gesammeltes Schaffen überließ Kittler schon zu Lebzeiten dem Literaturarchiv Marbach. Darunter befinden sich neben ungedruckten Manuskripten, Vorarbeiten zu veröffentlichten Werken und ausgewählten Exemplaren seiner Bibliothek auch Briefwechsel zwischen ihm und befreundeten Wissensphilosophen wie Michel Foucault oder Jacques Derrida.

Zu seinem Nachlass gehört ein ab Ende der 1970er Jahre von ihm gebauter Synthesizer.[19] Diesen und weitere Stücke zeigt die Dauerausstellung des Literaturmuseums der Moderne.[20]

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Schriften

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Literatur

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Commons: Friedrich Kittler – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Vorträge und Lesungen

Weblinks von und über Kittler:

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Einzelnachweise

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