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Staatliches Vertragsgericht

Organ des Ministerrats der DDR Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

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Das Staatliche Vertragsgericht (kurz: StVG) war ein staatliches Organ des Ministerrats der DDR,[1] das – ähnlich wie ein Gericht – über Konflikte zwischen sozialistischen Wirtschaftseinheiten entschied. Es gliederte sich in das Zentrale Vertragsgericht (ZVG; bis 1959: Regierungsvertragsgericht; bis 1970: Zentrales Staatliches Vertragsgericht) und die 14 Bezirksvertragsgerichte (BVG) bzw. das Vertragsgericht der Hauptstadt Berlin.[2] Formell war es kein Teil der Justiz,[3] sondern der Wirtschaftsverwaltung, hatte aber sowohl justizielle als auch wirtschaftslenkende Funktion. Vorbild war die sowjetische Staatsarbitrage (russisch государственный арбитраж).

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Allgemeines

In der Planwirtschaft der DDR verfügten die Unternehmen nicht über die Freiheit, selbst über Produktionsmengen, Preise und Lieferanten zu entscheiden. Dennoch war es nötig, die Beziehungen zwischen den Unternehmen über Verträge zu regeln. Bei Konflikten über diese Verträge sollten nicht die Zivilgerichte aufgrund der Gesetze entscheiden. Die Entscheidung sollte vielmehr im Hinblick auf eine möglichst gute Planerfüllung getroffen werden, auch wenn dies den Interessen des einzelnen Unternehmens und ggf. auch den getroffenen Verträgen zuwiderlief. Die Einräumung einer Antragsmöglichkeit diente somit weniger dem Rechtsschutz des betroffenen Betriebes als der Erschließung einer weiteren Informationsquelle der Wirtschaftsleitung über Planstörungen.[4] Mit der Verordnung über die Bildung und Tätigkeit des Staatlichen Vertragsgerichtes vom 6. Dezember 1951[5] wurden die genannten Gerichte geschaffen. Für internationale Wirtschaftsstreitigkeiten gab es daneben das 1954 gebildete Schiedsgericht bei der Kammer für Außenhandel.

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Zuständigkeit

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Ursprünglich war das Vertragsgericht (unter Ausschluss der Zivilgerichte)[6] nur für vertragliche Ansprüche zwischen sozialistischen Wirtschaftseinheiten zuständig („Wahrung der Vertragsdisziplin“). Im Jahre 1963 wurde die Zuständigkeit auf alle vermögensrechtlichen Ansprüche erweitert[7] (also auch außervertragliche, etwa aus speziellen Vorschriften,[8] Delikt oder Geschäftsführung/Handeln ohne Auftrag; so kam es in Einzelfällen auch zu quasi-verwaltungsrechtlichen Verfahren[9]). 1972 kamen Kontrollverfahren zur Verhängung von Wirtschaftssanktionen von bis zu 500.000 Mark der DDR hinzu („Wahrung der Staatsdisziplin“).[10] Themenbereiche in der Spruchpraxis des Vertragsgerichts waren insbesondere Plan–Bilanz–Vertrag, Investitionen, Außenhandel, Wissenschaft und Technik, Versorgung der Bevölkerung, Qualität und Garantie sowie materielle Verantwortlichkeit.[11]

Nicht zuständig war das Vertragsgericht beispielsweise bei Streitigkeiten zwischen Betrieben innerhalb eines Kombinats[12] oder bei immaterialgüterrechtlichen Streitigkeiten.[13] Vorrang gegenüber dem Schiedsverfahren hatte die eigenverantwortliche Lösung des Streitfalles (§§ 19, 20 Abs. 2 Nr. 6, § 30 SVG-VO),[14] deren Bestätigung vom StVG aber auch versagt werden konnte.[15]

Zuständig war grundsätzlich zunächst das Bezirksvertragsgericht (§ 15 Abs. 1 SVG-VO). Die Zuständigkeit des Zentralen Vertragsgerichts umfasste insbesondere Streitfälle aus Koordinierungsvereinbarungen (§ 15 Abs. 2 SVG-VO; vgl. §§ 34 ff. VG 1982), Streitfälle besonderer Bedeutung (§ 16 SVG-VO) und die Nachprüfung von Schiedssprüchen der Bezirksvertragsgerichte (Nachprüfungsverfahren; auf Einspruch eines beteiligten Partners, § 50 SVG-VO, auf Verlangen einer übergeordneten Stelle, § 52 Abs. 1 und 2 SVG-VO, oder unabhängig davon, § 52 Abs. 3 SVG-VO).

Außerdem führten die Bezirksvertragsgerichte ab 1969 das Register der volkseigenen Wirtschaft (ehemals: Handelsregister Teil C).[16]

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Verfahren

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Verfahren wurden entweder durch Antrag eines Partners oder durch Verfügung des Vertragsgerichts von Amts wegen eingeleitet (§ 17 Abs. 2 SVG-VO; stets ohne Antrag waren Kooperationssicherungs- und Kontrollverfahren). Das Vertragsgericht entschied grundsätzlich nach mündlicher Verhandlung (§ 31 SVG-VO), die nicht öffentlich war (§ 33 SVG-VO). Sie wurde vor einem Vertragsrichter oder vor einer Schiedskommission aus einem Vertragsrichter und zwei ehrenamtlichen Schiedsrichtern durchgeführt (§ 32 SVG-VO). Im Nachprüfungsverfahren konnte vom Vorsitzenden des Gerichts oder einer dreiköpfigen Nachprüfungskommission ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 53 SVG-VO).

Die Verfahren vor dem Staatlichen Vertragsgericht konnten zum Gegenstand haben (vgl. § 22 Abs. 4 VG 1982):

  • den Abschluss, die Änderung und die Aufhebung von Verträgen (Gestaltungsverfahren, § 18 Abs. 1 Nr. 1 SVG-VO)
  • den Anspruch auf Leistungen aus Verträgen (z. B. Vertragsstrafen)[17] oder sonstige Leistungen (Leistungsverfahren, § 18 Abs. 1 Nr. 2 SVG-VO)
  • die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Verantwortlichkeit für Vertragsverletzungen (Feststellungsverfahren, § 18 Abs. 1 Nr. 3 SVG-VO)
  • den Anspruch auf Ausgleich ökonomischer Nachteile (Ausgleichsverfahren, § 18 Abs. 1 Nr. 5 SVG-VO)[18]
  • die Sicherung der Vertragserfüllung (Kooperationssicherungsverfahren, § 18 Abs. 1 Nr. 4, § 18a SVG-VO)
  • die Durchsetzung der Staatsdisziplin (Kontrollverfahren, §§ 109, 110 VG 1982)
  • die Nachprüfung von Entscheidungen (Nachprüfungsverfahren, §§ 53 ff. SVG-VO)

Entscheidungsmaßstab waren „Planmäßigkeit und Effektivität der Volkswirtschaft“ (§ 22 Abs. 1 VG 1982), nicht betriebswirtschaftliche Effizienz und Individualrechtsschutz.[19] Entscheidungen ergingen als Schiedsspruch oder Beschluss; das Vertragsgericht konnte über gestellte Anträge hinausgehen (§ 37 SVG-VO).

Möglichkeiten der Vollstreckung waren Zwangsgeld 44 SVG-VO),[20] Zwangseinziehung sowie Pfändungs- und Überweisungsbeschluss (§§ 45, 46 SVG-VO).

Es wurden Kosten erhoben (§§ 56 ff. SVG-VO).

Anzahl der Verfahren in den Jahren 1967 bis 1972:[21]

  • 1967: 26.438
  • 1968: 28.744
  • 1969: 32.230
  • 1970: 30.565
  • 1971: 24.916
  • 1972: 24.178; Anteil der Gestaltungsverfahren etwa 30 %.
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Besondere Kompetenzen

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Der Vorsitzende des Staatlichen Vertragsgerichts konnte grundsätzliche Feststellungen (GF) mit Normativwirkung erlassen (§ 6 Satz 2 SVG-VO) und andere Verlautbarungen (Instruktionen, Verfügungen, Anweisungen) herausgeben (Veröffentlichung: Verfügungen und Mitteilungen des StVG).[22] Das Staatliche Vertragsgericht konnte den Leitern von Wirtschaftseinheiten und staatlichen Organen (außer zentralen Staatsorganen) Auflagen erteilen (§ 22 Abs. 5 VG 1982; §§ 7, 8 SVG-VO);[23] Auflagen waren nicht isoliert durch Einspruch anfechtbar.[24] Von Leitern zentraler Staatsorgane konnte der Vorsitzende des Vertragsgerichts die Herbeiführung von Entscheidungen verlangen (§ 22 Abs. 6 VG 1982; § 8a SVG-VO). Bei schuldhafter Verletzung der Vertragsdisziplin[25] oder schuldhafter Behinderung des Schiedsverfahrens konnten Verweise und Ordnungsstrafen nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz (OWG)[26] verhängt werden (§ 43 SVG-VO). Das Vertragsgericht konnte Vertragsstrafen zugunsten des Staatshaushaltes einziehen, wenn die Durchsetzung einer Vertragsstrafenforderung durch die Wirtschaftseinheiten nicht mehr möglich war oder pflichtwidrig unterlassen oder verzögert wurde (§ 16 Abs. 3 VG 1982, § 48 SVG-VO).[27]

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Organisation

Das Staatliche Vertragsgericht war ein Organ des Ministerrats.[1] Die Richter waren nicht unabhängig, sondern an Weisungen gebunden.

Vorsitzende des Staatlichen Vertragsgerichtes der DDR waren:

Abteilungsgliederung des Zentralen Vertragsgerichts:[32]

  • Abteilung Haushalt
  • Abteilung Gesetzgebung – Leiterin: Erika Süß
  • Abteilung Information – Rosemarie Klinkert
  • Abteilung Industrie (22) mit Außenhandel (26) – Karl-Dieter Schwenk
  • Abteilung Investitionen (23) – Harri Walter
  • Abteilung Handel (32) – Joachim Tischendorf
  • Abteilung Landwirtschaft (33) – Frank Teichmann
  • Abteilung Nachprüfungen – Hans Lehmann

Am Zentralen Vertragsgericht waren 1990 zuletzt 36 Vertragsrichter tätig[33] (als Abteilungsleiter führten sie die Bezeichnung „Vertragsoberrichter“).

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Auflösung

Nach der Wende wurden die Kreis- und Bezirksgerichte 1990 auch für Zivilrechtsfälle aus der Wirtschaft zuständig, und das Staatliche Vertragsgericht wurde aufgelöst.[34] Der Einspruch war nach dem Beitritt als Berufung zu behandeln.[35]

Liste der Gerichte

Weitere Informationen Gericht, Register- zeichen ...
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Spruchpraxis 1987–1989

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Zur Veranschaulichung der Spruchtätigkeit des Staatlichen Vertragsgerichts sind im Folgenden die Grundsätze der veröffentlichten Entscheidungen zu den Eingangsjahren 1987 bis 1989 wiedergegeben.

Weitere Informationen Aktenzeichen, Fundstelle ...
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Ähnliche Einrichtungen

Weitere Informationen Land, Einrichtung ...

Literatur

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  • Heiner Timmermann: Diktaturen in Europa im 20. Jahrhundert – der Fall DDR. 1996, ISBN 978-3-428-48957-2, S. 77, online.
  • Verena Knauf: Die Zivilentscheidungen des Obersten Gerichts der DDR von 1950–1958: Veröffentlichungspraxis und Begründungskultur. Band 43 von Berliner Juristische Universitätsschriften/Reihe Grundlagen des Rechts, Universität Berlin, 2007, ISBN 978-3-8305-1360-5, S. 187 ff, online.
  • Martin Scheugenpflug: Die Überleitung der DDR-Justiz in rechtsstaatliche Strukturen. 1995, ISBN 3-428-08316-4, S. 58–59, online.
  • Bruno Schönfelder: Vom Spätsozialismus zur Privatrechtsordnung. 2012, ISBN 978-3-8305-3076-3, S. 379–385, online.

Entscheidungssammlung

  • Aus der Spruchpraxis des Staatlichen Vertragsgerichts (1.1971–17.1989, ZDB-ID 528145-3).
  • Ferner: Aus der Spruchpraxis des Schiedsgerichts bei der Kammer für Außenhandel der Deutschen Demokratischen Republik (ZDB-ID 1181718-5).

Zeitschriften

  • Vertragssystem (VS, 1.1957–13.1969, ZDB-ID 511553-x); Wirtschaftsrecht (WR, 1.1970–21.1990, ZDB-ID 511554-1).
  • Beilage: Verfügungen und Mitteilungen des Staatlichen Vertragsgerichts beim Ministerrat der DDR (VuM StVG, 1955–1990, ZDB-ID 704891-9).

Rechtsnormen

  • Verordnung über die Bildung und Tätigkeit des Staatlichen Vertragsgerichtes (VGVO) vom 6. Dezember 1951 (GBl. I Nr. 147 S. 1143); Neufassung vom 1. Juli 1953 (GBl. I Nr. 85 S. 855).
    • Verfahrensordnung für das Staatliche Vertragsgericht (VGVerfO) vom 6. März 1952 (GBl. I Nr. 34 S. 208); Neufassung vom 1. Juli 1953 (GBl. I Nr. 85 S. 858).
    • Gemeinsame Rundverfügung 8/55 des Justizministeriums und des Staatlichen Vertragsgerichtes. In: Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums der Justiz Nr. 6/55.
  • Verordnung über das Staatliche Vertragsgericht (Vertragsgerichtsverordnung, VGVO) vom 22. Januar 1959 (GBl. I Nr.7 S. 83).
    • Verordnung über das Verfahren vor dem Staatlichen Vertragsgericht (Vertragsgerichtsverfahrensordnung, VGVerfO) vom 22. Januar 1959 (GBl. I Nr. 7 S. 86).
    • Verordnung über die Kosten vor dem Staatlichen Vertragsgericht (Vertragsgerichtskostenordnung, VGKostO) vom 3. Februar 1959 (GBl. I Nr. 7 S. 96).
  • Verordnung über die Aufgaben und die Arbeitsweise des Staatlichen Vertragsgerichts (SVG-VO) vom 18. April 1963 (GBl. II Nr. 44 S. 293); Neufassung vom 12. März 1970 (GBl. II Nr. 29 S. 209). Gerhard Walter, Kommentar (1971).
    • Erste Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Aufgaben und die Arbeitsweise des Staatlichen Vertragsgerichts vom 18. April 1963 (GBl. II Nr. 44 S. 302).
    • Zweite Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Aufgaben und die Arbeitsweise des Staatlichen Vertragsgerichts vom 12. März 1970 (GBl. II Nr. 29 S. 220).
    • Dritte Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Aufgaben und die Arbeitsweise des Staatlichen Vertragsgerichts – Schiedsrichterordnung – vom 1. Februar 1971 (GBl. II Nr. 20 S. 154).
    • Vierte Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Aufgaben und die Arbeitsweise des Staatlichen Vertragsgerichts – Schiedsverfahren über die Verpflichtung zur Zahlung einer Wirtschaftssanktion – vom 15. Juni 1972 (GBl. II Nr. 45 S. 521).
    • Vierte Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Aufgaben und die Arbeitsweise des Staatlichen Vertragsgerichts – Ausspruch von Anerkennungen und Durchführung von Kontrollverfahren – vom 6. Dezember 1983 (GBl. I 1984 Nr. 1 S. 1).
  • Verordnung über die Einführung des Allgemeinen Vertragssystems in der volkseigenen und der ihr gleichgestellten Wirtschaft (VVO) vom 6. Dezember 1951 (GBl. I Nr. 147 S. 1141).
  • Gesetz über das Vertragssystem in der sozialistischen Wirtschaft - Vertragsgesetz -, vom 25. Februar 1965. Im Gesetzblatt der DDR, Teil I Nr. 7, S. 107ff., Digitalisat und Gesetz über das Vertragssystem in der sozialistischen Wirtschaft - Vertragsgesetz - vom 25. März 1982 im Gesetzblatt der DDR, Teil I Nr. 14, S. 293ff., Digitalisat.
    • Erste Durchführungsverordnung zum Vertragsgesetz – Wirtschaftsverträge über wissenschaftlich-technische Leistungen – vom 25. März 1982 (GBl. I Nr. 16 S. 325).
    • Zweite Durchführungsverordnung zum Vertragsgesetz – Wirtschaftsverträge über Investitionen und über die Instandsetzung von Grundmitteln – vom 25. März 1982 (GBl. I Nr. 16 S. 329).
    • Dritte Durchführungsverordnung zum Vertragsgesetz – Wirtschaftsverträge über den Export und den Import – vom 25. März 1982 (GBl. I Nr. 16 S. 333).
    • Vierte Durchführungsverordnung zum Vertragsgesetz – Wirtschaftsverträge zur Versorgung der Bevölkerung – vom 25. März 1982 (GBl. I Nr. 16 S. 339).
    • Fünfte Durchführungsverordnung zum Vertragsgesetz – Vertragsstrafen – vom 25. März 1982 (GBl. I Nr. 16 S. 342).
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Einzelnachweise

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