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österreichischer Sinologe und Übersetzer Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Ernst Schwarz (* 6. August 1916 in Wien, Österreich-Ungarn; † 6. September 2003 in Münichreith/Bezirk Melk, Österreich) war ein österreichischer Sinologe, Übersetzer und Schriftsteller.
Ernst Josef Schwarz entstammte einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie aus Wien-Hietzing. Seine Eltern, Desiderius und Bertha Schwarz[1], besaßen zusammen mit der Familie Fischl ein Geschäft in der Mariahilfer Straße[2]. Er hatte einen Bruder (Egon, 1904–1976)[3] und zwei Schwestern (Lilli, 1908–1972, und Francisca, 1909–2000)[4]. Nach der Matura (Reifeprüfung) am Bundesgymnasium Wien XIII begann er 1935 ein Medizin-Studium an der Universität Wien und wechselte 1938 zur Philosophischen Fakultät (Ägyptologie und Alte Geschichte)[5]. Nach dem Anschluss des Ständestaates Österreichs an das Deutsche Reich 1938 musste er als sogenannter „Volljude“ lt. Reichsbürgergesetz und aufgrund seines sozialdemokratischen Engagements[6] erst die Universität und wenig später – förmlich über Nacht – das Land verlassen.
Er gelangte gemeinsam mit seinem Bruder Egon auf dem Seeweg nach Shanghai, einer der damals weltweit wenigen Stätten, die Juden und andere Flüchtlinge ohne Visum und mittellos aufnahmen[7]. Dort lernte er im Selbststudium Chinesisch, während er gleichzeitig als Gymnastiklehrer und Boxtrainer tätig war. Zunächst lebte Schwarz mit seiner Verlobten, dann Ehefrau Annemarie (geb. Hecht, 1917–2002)[8] in der French Concession; in dieser Zeit hatte er ersten Kontakt zu buddhistischen Klöstern, was ihn prägen sollte und ihm u. a. die Interpretation altchinesischer Originaltexte nahebrachte. Während der japanischen Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg änderten sich ab 1941 (Pazifikkrieg) die Lebensbedingungen für jüdische Emigranten und Exilanten gravierend[9], insbesondere durch das Shanghaier Ghetto in Hongkou.[10][11] Nach der Trennung von Frau und Kind zog er 1945 für zwei Jahre in ein buddhistischen Kloster in Nanjing und arbeitete freiberuflich als Übersetzer. Während seiner Tätigkeit in der Nationalen Zentralbibliothek in Nanjing[12] wirkte er zusammen mit der Dichterin Mao Yumei (茅于美) an dem Prestigeobjekt, Shen Deqians[13] umfangreiche Sammlung Quellen der Gedichte im Alten Stil (古詩源, Gǔshīyuán) ins Englische zu übersetzen; nach einem Viertel des Werkes scheiterte dies zwar an einer beiläufigen Intervention des Gelehrten Hu Shi, doch das Interesse an chinesischer Lyrik war durch diese Zusammenarbeit entscheidend vertieft.[14] 1946/1947 unterrichtete Schwarz englische Literatur an der Private University of Nanking. 1947 wurde er Sekretär an der Österreichischen Gesandtschaft in China (Austrian Legation in China) in Nanking (Nanjing), damals Hauptstadt der Republik China. Hier war er beteiligt, als 1949 mit Hilfe des US-amerikanischen Botschafters John Leighton Stuart gute Beziehungen zwischen der neu gegründeten Volksrepublik China und den USA aufgebaut werden sollten[15]; diese Bemühungen wurden 1950 durch die Regierung Truman im Zuge des Koreakrieges gestoppt (US-Embargo gegenüber der VR China). Neben seiner offiziellen Tätigkeit initiierte Ernst Schwarz mit dem Gesandten Dr. Felix Stumvoll die Begründung der Sino-Austrian Cultural Association (SACA).[16] Unter den renommierten SACA-Unterstützern befand sich u. a. Zong Baihua (宗白華 / 宗白华, 1897–1986)[17], mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte.[18]
Ab 1950, nachdem Österreich die Gesandtschaft aus politischen Gründen geschlossen hatte[19], wurde Schwarz wieder Übersetzer, diesmal für den Verlag für fremdsprachige Literatur in Peking. Von 1958 bis 1960 unterrichtete er Englisch an der Universität[20] von Hangzhou. Während der Zeit des „Großen Sprungs nach vorn“ wurden regelmäßige Land- und Industriearbeiten bei Hungerrationen gefordert, 1959 blieb seine Hepatitis ohne medizinische Hilfe; hinzu kamen Kontaktverbote für die Universitätsangehörigen ihm gegenüber. Aufgrund der zunehmend lebensbedrohlichen Repressalien sah er sich gezwungen, mittels eines Briefes an Mao Zedong eine Ausreise aus der Volksrepublik zu erwirken. Strenge Vorschriften verhinderten eine direkte Rückkehr in ein kapitalistisches Land wie z. B. Österreich (zumal keine offiziellen diplomatischen Beziehungen mehr existierten), so dass er sich an das Konsulat der DDR wandte.
Per Frachtschiff, über die Route Nordkorea, Burma, Großbritannien und Belgien, gelangte Schwarz mit seiner Frau Amina Agischewa, die er 1953 geheiratet hatte, und der zweijährigen Tochter im Dezember 1960 in die DDR. Weiterhin österreichischer Staatsbürger, unterrichtete er von 1961 bis 1970 als wissenschaftlicher Mitarbeiter und später als Lektor am Ostasiatischen Institut der Humboldt-Universität in Berlin (Ost) chinesische Sprache und Literatur. 1965 wurde er ebenda über die Forschung zum altchinesischen Dichter Qu Yuan[21] aus der Zeit der Streitenden Reiche zum Doktor der Philosophie promoviert. Nachdem er aus dem Dienst der Universität ausgeschieden war, lebte er als freier Übersetzer und hielt gelegentlich Vorträge an der Diplomatischen Akademie Wien; Bundeskanzler Bruno Kreisky vermittelte ihm einen Lehrauftrag. Schwarz pflegte u. a. persönliche Bekanntschaft zum Handelsminister Fritz Bock, einem Jugendfreund, zum damaligen Außenminister Rudolf Kirchschläger, zur Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg, zur Gesundheitsministerin Ingrid Leodolter, zum Diplomaten Friedrich Hoess und zum Magistratsdirektor Josef Bandion. Viele seiner Aktivitäten sollten einer Förderung des kulturellen und wirtschaftlichen Austausches zwischen der DDR, Österreich und China dienen. Hierbei waren seine zahlreichen Kontakte in Verbindung mit seiner österreichischen Staatsbürgerschaft, aber z. T. auch seine Mitgliedschaften in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), im Schriftstellerverband der DDR und im PEN International (PEN-Zentrum der DDR bzw. Deutsches PEN Zentrum Ost)[22] hilfreich.
In den 1980er Jahren besuchte er erstmals wieder China, u. a. zu Vorträgen an der Zhejiang-Universität Hangzhou. 1984 kam es zur erneuten Begegnung mit seinem Jugendfreund Wang Zhimin (王志民), den er 1946 in Nanjing als Journalisten kennengelernt hatte.[23] Dieser war der seit der Hundert-Blumen-Bewegung als „Rechtsabweichler“ in China wiederholt deportiert worden, nach seiner Rehabilitierung wurde er 1980 im Chinesischen Volksverlag (Rénmín Chūbǎnshè, 人民出版社, Beijing) tätig; Ende der 1980er Jahre war Wang Leitungsmitglied ebenda. Hieraus entstanden im Klima der zunehmenden Reform- und Öffnungspolitik Deng Xiaopings weitere Initiativen zum Austausch mit China. Neben seinen eigenen Reisen war es Ernst Schwarz ein Bedürfnis, u. a. die nun möglichen Delegationen chinesischer Schriftsteller in der DDR oder in Österreich fördernd zu begleiten.[24]
Im Jahre 1993 kehrte Schwarz von Berlin nach Wien zurück. 1994 wurde seine ehemalige informelle Tätigkeit für das Ministerium der Staatssicherheit der DDR (MfS) aufgedeckt[25]; Schwarz bekannte sich zwar dazu, Berichte über den Charakter bzw. die „Verlässlichkeit“ seiner Kontaktpersonen geliefert zu haben, ohne dies jedoch öffentlich zu bereuen. Er zog sich in den Ort Münichreith am Ostrong im österreichischen Waldviertel zurück, wo er seine letzten Lebensjahre weiterhin schöpferisch verbrachte.
Ernst Schwarz wurde vor allem bekannt durch seine Übertragungen klassischer Gedichte und philosophischer Texte aus dem Chinesischen, die beim Lesepublikum allgemein großen Anklang fanden; bezüglich Konfuzius (Lunyu), Lao-tse und Tao Yüan-ming setzten sie im deutschsprachigen Raum Maßstäbe.[26][27] Hinzu kam zeitgenössische chinesische Literatur, wie etwa die Anthologie Das gesprengte Grab, deren Autoren sich kritisch mit der Mao-Zedong-Ära der Kulturrevolution befassten, oder die Gedichte von Schu Ting, die durch die inoffizielle Zeitschrift „Jīntīan“ („Heute“, 今天)[28] namhaft geworden war. Neben eigener Lyrik verfasste er eine Reihe von Essays (hptsl. in der Weltbühne, im Rundfunk z. B. über die Exilanten Qu Yuan und Theodor Kramer[29]). Seine späten Veröffentlichungen griffen verstärkt buddhistischen Themen auf. 1999 legte er die erste vollständige deutsche Übersetzung des Bi-Yän-Lu[30] vor, welches als subtile, inhaltlich anspruchsvolle Standardsammlung des Chan- bzw. Zen-Buddhismus gilt. Viele der von Schwarz herausgegebenen Werke zeichneten sich durch historisch, literarisch und philosophisch kenntnisreiche Kommentare aus. Der Erfolg seiner Schriften beruhte nicht zuletzt auf der bewusst klaren, allgemeinverständlichen Wortwahl auch bei komplexen Inhalten sowie seinem eindeutigen Bekenntnis zu humanistischen Zielen.
Eigene Schilderungen seiner Erlebnisse in Wien (bis 1938) und China fanden sich im Begleittext von Stein des Anstoßes und in mehreren Radio-Essays, u. a. Beschmutzt und schlammig ist die Welt... Eine Lange Nacht über Dichtung und Exil (Deutschlandfunk 11. September 2004)[31]. Die bereits für 2001 von einem Berliner Verlag angekündigte Autobiografie Tausend Tore hat die Wahrheit ist nicht mehr erschienen.
Der Politikwissenschaftler, Soziologe und Schriftsteller Yu Ligong[32] urteilte über das vielfältige Wirken von Ernst Schwarz: „Unvoreingenommen läßt sich behaupten, dass man die zeitgenössischen Sinologen im Westen, die solch bedeutende Beiträge auf dem Feld des Kulturaustausches zwischen China und dem Westen geleistet haben, an den Fingern einer Hand abzählen kann.“[33]
Ernst Schwarz erhielt 1981 den F.-C.-Weiskopf-Preis sowie 1992 die Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien in Gold.
Er ist der Vater von Melan Schwarz alias Marijam Agischewa.
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