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historische protestantische Kirchenbauform mit Kanzel an der Langseite Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Eine Querkirche ist eine Form des Kirchenbaus, in der entweder (bei üblichem geosteten Längs-Grundriss) das Querhaus erheblich größer ausgebaut ist als das Langhaus (Letzteres entfällt fast vollständig) oder in der sich die Inneneinrichtung (Gestühl, mehrseitige Emporen, teilweise auch Altar) der Kanzel auf einer Längsseite zuwendet – also quer zur räumlichen Längsausrichtung.
Mit der Querkirche kristallisierte sich die einzige rein protestantische Sakralbauform heraus. Wie bei der reformatorischen Zentralkirche, die ein katholisch-barockes Bauprinzip durch Zentralisierung des Altars abwandelte, verstand man sie als eine architektonische Umsetzung des Prinzips vom „Priestertum aller Gläubigen.“ Chöre und Schiffe galten damit nicht mehr als konstitutiver (grundlegender) Bestandteil des Kirchengebäudes. Erst in der Barockzeit wurden in größerer Zahl Querkirchen erbaut.
Mit der Querkirche kristallisierte sich die einzige rein protestantische Sakralbauform heraus, und zwar nicht erst im 18. Jahrhundert, wie es manche ansonsten hervorragende Fachliteratur[1][2] und sogar noch im Reformationsjahr 2017 die Deutsche Stiftung Denkmalschutz[3] meint. Sie entwickelte sich aus der spätmittelalterlichen unbestuhlten Langkirche, in süddeutschen Reichsstädten vor allem aus den Kirchen, in denen schon vor der Reformation für Predigtgottesdienste speziell Prädikanten angestellt waren,[4][5] und aus der in der Regel reichsstädtischen Predigerkirche der Dominikaner, in der die Kanzel meist seitlich an einem Mittelschiffspfeiler angebracht war. Vor dieser hatte sich die Gemeinde während der Predigt versammelt, ansonsten sich aber zum Messgottesdienst auf den geweihten Altar im Ostchor ausgerichtet. Mit der Reformation kam dieser Ort des sonntäglichen Messopfers in einem vom Kirchenschiff der Laien getrennten, dem Klerus vorbehaltenen Sakralraum, dem Chor, nicht mehr in Frage, als häufig dann freistehender Altartisch erhielt er jedoch neue Bedeutung: Tisch des Herrn, um den sich die Gemeinde zum priesterlichen Dienst aller Getauften, zum Abendmahl versammelt. Dem Gottesdienstverständnis Martin Luthers – zu Verkündigung, Gebet und Abendmahl ist jeder Ort und Raum recht –, das er in seiner Predigt zur Einweihung der Torgauer Schlosskapelle am 5. Oktober 1544 dargelegt hatte,[6][7][8][9] entsprach dann auch die Ausrichtung des Kirchengestühls und der Einbau von oft mehrseitigen Emporen mit Sitz-, Hör- und Blickrichtung vornehmlich auf die Kanzel, was der Gemeinde einen direkteren akustischen und visuellen Zugang zum Ausgangspunkt des verkündeten Evangeliums brachte. So finden sich – neben der auch traditionell im katholischen Raum verbreiteten Westempore – in protestantischen Kirchen vielfach zweiseitig gewinkelte, dreiseitig U-förmige Hufeisenemporen sowie vierseitige und auch das gesamte Kirchenschiff umziehende Rundemporen. Die Kanzel erhielt aus akustischen Gründen meist an einer Langseite des Kirchenraums ihren Platz. Mit dieser funktionalen Drehung nach Süden, Norden, teilweise sogar nach Westen, spielte die Ostung keine Rolle mehr, was auch an vielen nachreformatorischen Erweiterungen und Umbauten überkommener längsgerichteter Kirchen sowie an Kirchenschiff-Anbauten an gotische Chöre oder romanische Chortürme zu sehen ist. Bei kleinen Dorfkirchen konnte es sich nahelegen, den bisherigen Altar aus dem engen Chor in den neu gestalteten Predigtsaal zu holen, weil aus Platzgründen nur hier die Gemeinde sich zum Abendmahl versammeln konnte. So wurden alte Chorräume mitunter fast funktionslos, wenn sie sich nicht zum Einbau von besonderem Gestühl, zur Aufstellung von Epitaphien oder einer Orgel eigneten. Der protestantische Kirchenbau und seine Baumeister mussten – auch bautechnische – Lösungen für weite, möglichst stützenlose Kirchenräume finden, die die hörende Gemeinde in eher halbkreisförmige Anordnung zum „Predigtstuhl“ (die Kanzel) brachten.
Dass es sich beim nachreformatorischen Bau oder Umbau von Schlosskapellen zu Querkirchen nicht um eine exklusiv der Orts-, Gebiets- oder Landesherrschaft zugutekommende schlossinterne Maßnahme handelt, sondern im Geiste der Reformation „die Kirche“ als standesumfassende Gemeinschaft und Ortsgemeinde gesehen wird, spricht bereits Luther in seiner Torgauer Predigt an.[10][11] – Auch die anderen bis 80 Jahre später folgenden Kirchenbaumaßnahmen in Schlössern öffnen den herrschaftlichen Gottesdienstraum für die nicht-ständische Gemeinde: Aus der Schlosskapelle wird die Gemeindekirche. Standesunterschiede gab es beim Gottesdienstbesuch dennoch: die architektonisch und künstlerisch herausgehobene Empore, in der Regel direkt zugänglich von den herrschaftlichen Privatgemächern, wurde von der Herrschaft und ihrem Gefolge genutzt, im schmucklosen Erdgeschoss saßen oder standen die Schlossbediensteten und „die sonst herein gehen wollen“ (Luther).
Querkirchen als Neubauten entstanden nach der Torgauer Schlosskapelle zunächst vor allem in Süddeutschland.[12][13] Im Herzogtum Württemberg und seinen benachbarten und teilweise verwandtschaftlich verbundenen Grafschaften und späteren Fürstentümern Hohenlohe,[14][15][16] Brandenburg-Ansbach und Brandenburg-Bayreuth hing dies mit dem eigenständigen theologischen und liturgischen Profil zwischen Luthertum und Calvinismus und den engagierten Kirchbau-Bestrebungen der Landesherren und ihrer Baumeister zusammen: „Anders als in Wittenberg knüpfte die liturgische Grundentscheidung der Reformation in Württemberg nicht an der mittelalterlichen Tradition der römischen Messe an, sondern an jenen Prädikantengottesdiensten, die in den Städten Südwestdeutschlands verbreitet […] waren.“[17][18] Schon früh wurden daher Predigtsaalkirchen – bewusst ohne Chorraum zur Ausübung der Sakramente – für evangelische Gottesdienste als vorbildlich angesehen. Eine Trennung von geistlichem und weltlichem Kirchenraum war ja nach der Reformation nicht mehr notwendig.
Der solchermaßen auf die Wortverkündigung und weniger auf den Altar- und Abendmahlstisch ausgerichtete Quersaal hatte in Württemberg deutschlandweit zwar anfänglich seinen Schwerpunkt mit Ausstrahlung nach Franken, ja sogar bis Königsberg, wurde in Württemberg aber auch nicht überall durch Neubauten verwirklicht. Bestehende Bausubstanz mit eingeschränkten Möglichkeiten zur kompletten Neugestaltung im Sinne des Predigtsaal- und Quersaal-Gedankens sowie fehlende Finanzmittel führten zu örtlich unterschiedlichen Kompromisslösungen: Sehr häufig wurden bestehende Kirchen nicht nur im Langhaus ein- oder doppelseitig verbreitert und dort mit Emporen versehen, sondern sogar in weiten oder engen Chören, und auch dort das Gestühl auf die Kanzel ausgerichtet. Die Position des Altars ergab sich dann aus dem zur Verfügung stehenden Platz für die Mahlgemeinschaft der Gemeinde am Tisch des Herrn. Viele dieser nachträglichen Um- und Einbauten wurden im 20. Jahrhundert bei Renovierungen entfernt und der Kirchenraum wieder längsgerichtet, waren aber über Jahrhunderte kennzeichnend für protestantische Kirchen. Auch richtete sich patronatsherrlicher Orts- und Gebietsadel bei Erweiterung oder Neubau ihrer Kirchen manchmal stärker nach ihren Repräsentations- und Grablege-Bedürfnissen als nach reformationstheologischen Prinzipien: in herkömmlicher Längsausrichtung einer Kirche wurde der Chor nicht selten zum Raum für Epitaphien, da dem evangelischen Adel die Bestattung oder das Totengedenken in Klöstern abhandengekommen war. Den bewusst protestantischen Charakter der Kirche betonte man dann auf andere Weise: mit reformatorischen Altarbildwerken (zum Beispiel Abendmahl „in beiderlei Gestalt“) und anderen Merkmalen.
Querkirchen wurden in den protestantischen Territorien[19] des Heiligen Römischen Reiches auch gebaut in Franken (ab 1690), in Baden (ab 1612) und in der Kurpfalz,[20] in Hessen (ab 1607)[21] sowie in den reformiert-calvinistisch geprägten Ländern Schweiz (ab 1667) und Niederlande (ab 1620),[22] dazu die sehr schlicht gestalteten Kirchen der Glaubensflüchtlinge Hugenotten und Waldenser – meist ohne Bilder und Kreuz – in einigen deutschen Gebieten direkt nach dem Edikt von Fontainebleau von 1685 und in Württemberg ab 1721. In Frankreich gab es allerdings schon kurz nach der Reformation Versammlungsräume der Hugenotten, häufig als Rund- und Holzbau und als ein dem Theaterbau nachempfundener Hörsaal,[23] vereinzelt auch querorientiert errichtet, in den mehr als hundert Verfolgungsjahren meist rasch zerstört und im Unterschied zur katholischen „église“ immer „temples“ genannt.[24] „Der Einfluß der Hugenotten auf die Entwicklung der Querkirchen im Reich muß (...) als äußerst gering eingeschätzt werden.“[25] Die evangelisch-reformierte Hugenottenkirche Erlangen im fränkischen Herrschaftsbereich der Brandenburger Fürsten und Markgrafen, erbaut 1686 bis 1693, ist das älteste Gotteshaus der Hugenotten außerhalb Frankreichs. Diese calvinistisch-reformierte Bauform nach Ende des Dreißigjährigen Krieges kann den frühen Querkirchen-Bau in Württemberg nicht beeinflusst haben, wie gelegentlich angenommen wird[26], und die erste Welle calvinistischer Glaubensflüchtlinge aus den Niederlanden in die zum Calvinismus übergegangene Kurpfalz im späten 16. Jahrhundert brachte nicht einmal dorthin, geschweige denn nach Württemberg, so früh einen Kirchenbau nach reformierter Vorstellung.
Die aus der böhmischen Reformation (Böhmische Brüder) herkommende nominell überkonfessionelle christliche Glaubensbewegung der Herrnhuter Brüdergemeine und die aus dem spezifisch württembergischen Pietismus hundert Jahre später hervorgegangene Evangelische Brüdergemeinde Korntal versammeln sich bis heute in ihren Betsälen in einer mit den Querkirchen vergleichbaren Anordnung.[27][28]
Im reformierten Kirchenbau der Schweiz war die Querkirche vor allem im Spätbarock und im Klassizismus ein beliebtes Konzept. Die Gründe sind darin zu suchen, dass die reformierte Theologie von Huldrych Zwingli und Jean Calvin einen radikalen Verzicht auf Bilder und Altäre vorsieht, der noch weit über die lutherischen Ideale hinausgeht. Auf der Suche nach einem idealen Raumkonzept erschien die Querkirche, die einen Blick auf die Kanzel als Zentrum des reformierten Predigtgottesdienstes ermöglicht, optimal. Die Grundrissformen sind vielfältig und reichen von Ovalkirchen über Rechteckbauten zu Kirchen mit Kreuzgrundriss. Typisch für den reformierten Kirchenbau sind auch die U-förmigen Emporen, die in den Kirchen von Wädenswil und Horgen, den größten und bedeutendsten Querkirchen der Schweiz, am besten zur Geltung kommen.
Nach 1815 orientierte sich die protestantische Sakralarchitektur wieder mehr an mittelalterlichen Konzepten. Durch das Eisenacher Regulativ von 1861 wurde der gotische Formenkanon für den Kirchenbau empfohlen, bei dem das Sakrament (der Altar), nicht aber die Predigt (die Kanzel) im Mittelpunkt steht. Dieses Konzept stieß bei liberalen Lutheranern und Reformierten auf Widerstand und wurde durch das Wiesbadener Programm 1891 abgelöst. Viele Kirchenbauten des Wiesbadener Programms wie auch der Moderne und Postmoderne sind als Zentralbauten angelegt und kommen dem Konzept der Querkirche oftmals nahe.
Auch vereinzelte katholische Kirchen wurden – allerdings aus bestimmten praktischen Notwendigkeiten – als Querkirchen ausgeführt. Bekanntestes Beispiel hierfür ist Gianlorenzo Berninis Kirche Sant’Andrea al Quirinale in Rom.
Aus praktischen Gründen empfahl sich im nachreformatorischen Kirchenbau ein die gesamte Gemeinde fassender, möglichst breiter Raum mit stützenloser Decke, guter Sicht und Akustik zwischen den Sitzplätzen und der Kanzel. Dies war ab einer Langhausbreite von 8–10 Meter mit herkömmlichen Dachwerken aus statischen Gründen nicht mehr möglich. Es ist anzunehmen, dass die von Elias Gunzenhäuser stützenlos freitragend errichtete und in Fachkreisen wie an Fürstenhöfen bekannte innovative Dachkonstruktion im 1593 in Stuttgart fertiggestellten Neuen Lusthaus[29] weiterentwickelt wurde. In der Stadtkirche Waldenbuch und für den großen Festsaal des Renaissance-Schlosses Weikersheim fand Gunzenhäuser angepasste Lösungen, und der Baumeister Heinrich Schickhardt schuf mit seinen Mitarbeitern für die Stadtkirche Göppingen 1618–1619 ein bautechnisches Meisterstück der Zimmermannskunst:[30] eine Kombination aus sogenannten liegenden Stühlen, Spreng- und Hängewerk mit Doppelbinder über drei oder vier Dachstockwerke, die zur Aufnahme von Nutzlast (Fruchtschütte, Kornboden) gleichzeitig auch hoch belastbar sein musste. Einfachere Varianten hatten sich schon vorher und dann auch später als einzig brauchbare Dach- und Deckenkonstruktionen für Querkirchen ergeben. So führte die neue Gottesdienstform der Reformation zu einer bautechnischen Innovation. Die Liturgie forderte die Bautechnik heraus – oder, um es mit dem Bauhaus-Prinzip des 20. Jahrhunderts zu sagen: Die Form folgt der Funktion, da sich das Architektonische der gestellten Aufgabe unterordnet. Der liegende Stuhl, für große freitragende Spannweiten kombiniert mit Sprengwerk und Hängewerk, entwickelte sich in der Spätrenaissance und im Barock zur Standardlösung im Dachwerkbau in süddeutschen Kirchen, so dass sich allmählich im 17. und 18. Jahrhundert nahezu jedes größere Kirchendachwerk dieser Konstruktionselemente bediente. Weiter nördlich in Deutschland und auch in anderen europäischen Ländern verbreitete sich diese Innovation offenbar kaum, wozu auch der Langholz-Konkurrenzbedarf für Schiffbau in Küsten- und Flussregionen beitrug. Die wenigen größeren Renaissance- und Querkirchen ohne Flachdecke von den Niederlanden bis Skandinavien hatten mit kreuz-, oval-, rund- oder doppelrundförmigen Grundrissen unterstützende Wandelemente für ihre großen Gewölbe.
Eine interessante Variante des Hängewerks wurde vielfach in der Schweiz, vor allem von dem Brückenbau-Ingenieur Hans Ulrich Grubenmann, im 18. Jahrhundert auch im Kirchenbau verwirklicht: sowohl Längs- als auch Querkirchen erhielten über der Länge des Raumes einen Dachstuhl ähnlich einer weit gespannten Holzbrücke: mit sehr langen Sparrenbindern, stabilisierenden Querbindern und Gratbindern sowie Hängesäulen zum Tragen der Flachdecke. In anderen Ländern scheint diese Konstruktion nicht verwirklicht worden zu sein.
Bei einigen Bauten suggeriert die Achsengliederung des Außenbaus eine Querkirche, der Innenraum ist aber als Längskirche bestuhlt.
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