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älteste Sprachstufe des Hochdeutschen (500/750 bis 1050) Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Als althochdeutsche Sprache oder Althochdeutsch (abgekürzt Ahd.) bezeichnet man die älteste schriftlich überlieferte Sprachstufe des Deutschen, die etwa zwischen 750 und 1050 gesprochen wurde.[1] Ihr unmittelbarer Vorläufer war das Voralthochdeutsche, das sich vom Althochdeutschen vor allem durch die noch nicht durchgeführte Zweite Lautverschiebung unterscheidet und im 5. bis 7. Jahrhundert gesprochen wurde. Das Voralthochdeutsche wiederum ist die südliche Teilgruppe des Westgermanischen, zu dem auch die Vorläufer des Altsächsischen, Altfriesischen, Altniederländischen und Altenglischen gehören. Wie das Westgermanische insgesamt ist auch das Voralthochdeutsche nur durch wenige Runeninschriften und Eigennamen in lateinischen Texten belegt.
Althochdeutsch | ||
---|---|---|
Gesprochen in |
im Ostteil des Frankenreichs, später im Heiligen Römischen Reich, von der sogenannten „Benrather Linie“ im Norden bis zur romanischen, slawischen und anfangs „awarischen“, dann ungarischen Sprachgrenze | |
Sprecher | seit ca. 1050 keine mehr | |
Linguistische Klassifikation |
| |
Sprachcodes | ||
ISO 639-1 |
— | |
ISO 639-2 |
goh | |
ISO 639-3 |
goh |
Das Wort „deutsch“ erscheint zum ersten Mal in einem Dokument aus dem Jahre 786 in der mittellateinischen Form theodiscus. In einer Kirchenversammlung in England seien die Beschlüsse „tam latine quam theodisce“ verlesen worden, also „sowohl lateinisch als auch in der Volkssprache“. (Mit dieser Volkssprache war freilich das Altenglische gemeint.)[2] Die althochdeutsche Form des Worts ist erst deutlich später belegt: In der Abschrift eines antiken Sprachlehrbuches in lateinischer Sprache, vermutlich im zweiten Viertel des 9. Jahrhunderts angefertigt, fand sich der Eintrag eines Mönches, der offenbar das lateinische Wort galeola (Geschirr in Helmform) nicht verstanden hatte. Er muss sich bei einem Mitbruder nach der Bedeutung dieses Wortes erkundigt und die Bedeutung in der Sprache des Volkes hinzugefügt haben. Für seine Notiz verwendete er die althochdeutsche Frühform „diutisce gellit“ („auf Deutsch ‚Schale‘“). Für Sprecher des modernen Hochdeutschen ist diese Sprachstufe nicht mehr oder wenn nur partiell verständlich.
Das Althochdeutsche war keine einheitliche Sprache, sondern eine Gruppe eng verwandter und wechselseitig gut verstehbarer westgermanischer Dialekte, die südlich der sogenannten „Benrather Linie“ (die heute von Düsseldorf-Benrath ungefähr in west-östlicher Richtung verläuft) gesprochen wurden. Diese Dialekte unterscheiden sich von den anderen westgermanischen Sprachen vor allem durch die Durchführung der Zweiten (oder Hochdeutschen) Lautverschiebung. Die Dialekte nördlich der Benrather Linie, das heißt im Bereich der norddeutschen Tiefebene und im Gebiet der heutigen Niederlande, haben diese Lautverschiebung nicht durchgeführt. Diese Dialekte werden zur Unterscheidung vom Althochdeutschen unter der Bezeichnung Altsächsisch (auch: Altniederdeutsch) zusammengefasst. Aus dem Altsächsischen hat sich das Mittel- und Neuniederdeutsche entwickelt. Auch das Altniederfränkische, aus dem später das heutige Niederländisch entstanden ist, hat die zweite Lautverschiebung nicht mitgemacht, so dass dieser Teil des Fränkischen ebenfalls nicht zum Althochdeutschen gehört.
Dagegen hat mit hoher Wahrscheinlichkeit auch das Langobardische im Norditalien des 7. bis 8. Jahrhunderts zu den althochdeutschen Dialekten gehört; die wenigen überlieferten oder aus italienischen Lehnwörtern erschließbaren langobardischen Wörter und Eigennamen lassen jedenfalls erkennen, dass auch im Langobardischen die Zweite Lautverschiebung durchgeführt worden ist.
Da das Althochdeutsche eine Gruppe naheverwandter Mundarten war und es im frühen Mittelalter keine einheitliche Schriftsprache gab, lassen sich die überlieferten Textzeugnisse den einzelnen althochdeutschen Sprachen zuweisen, so dass man oft treffender von (Alt-)Südrheinfränkisch, Altbairisch, Altalemannisch usw. spricht. Diese westgermanischen Varietäten mit der Zweiten Lautverschiebung weisen allerdings eine unterschiedliche Nähe zueinander auf, in der die späteren Unterschiede zwischen Ober- und Mitteldeutsch begründet sind. So schreibt etwa Stefan Sonderegger, in Bezug auf die räumlich-sprachgeographische Gliederung sei unter Althochdeutsch zu verstehen:
„Die ältesten Stufen der mittel- und hochfränkischen, d. h. westmitteldeutschen Mundarten einerseits und der alemannisch und bairischen, also oberdeutschen Mundarten andererseits, sowie die in ahd. Zeit erstmals faßbare, aber gleichzeitig schon absterbende Sprachstufe des Langobardischen in Oberitalien. Deutlich geschieden bleibt das Ahd. vom Altsächsischen im anschließenden Norden, während zum Altniederländisch-Altniederfränkischen und Westfränkischen im Nordwesten und Westen ein gestaffelter Übergang festzustellen ist.“
Das lateinische Alphabet wurde im Althochdeutschen für die deutsche Sprache übernommen. Hierbei kam es einerseits zu Überschüssen an Graphemen wie <v> und <f> und andererseits zu „ungedeckten“ deutschen Phonemen wie Diphthongen, Affrikaten (wie /pf/, /ts/, /tʃ/), und Konsonanten wie /ç/ <ch> und /ʃ/ <sch>, die es im Lateinischen nicht gab. Im Althochdeutschen wurde für das Phonem /f/ auch hauptsächlich das Graphem <f> verwendet, sodass es hier fihu (Vieh), filu (viel), fior (vier), firwizan (verweisen) und folch (Volk) heißt, während im Mittelhochdeutschen überwiegend für dasselbe Phonem das Graphem <v> verwendet wurde, hier heißt es dagegen vinsternis (Finsternis), vrouwe (Frau), vriunt (Freund) und vinden (finden). Diese Unsicherheiten, die sich bis heute in Schreibungen wie „Vogel“ oder „Vogt“ auswirken, sind auf die beschriebenen Graphemüberschüsse des Lateinischen zurückzuführen.
Der älteste erhaltene althochdeutsche Text ist der Abrogans, ein lateinisch-althochdeutsches Glossar. Generell besteht die althochdeutsche Überlieferung zu einem großen Teil aus geistlichen Texten (Gebeten, Taufgelöbnissen, Bibelübersetzung); nur vereinzelt finden sich weltliche Dichtungen (Hildebrandslied, Ludwigslied) oder sonstige Sprachzeugnisse (Inschriften, Zaubersprüche). Zum öffentlichen Recht gehören die Würzburger Markbeschreibung oder die Straßburger Eide von 842, die jedoch nur in der Abschrift eines romanischsprachigen Kopisten aus dem 10. und 11. Jahrhundert überliefert sind.
Der sogenannte „Althochdeutsche Tatian“ ist eine Übersetzung der Evangelienharmonie des syrisch-christlichen Apologeten Tatianus (2. Jahrhundert) in das Althochdeutsche. Er ist zweisprachig (lateinisch-deutsch); die einzige erhaltene Handschrift befindet sich heute in St. Gallen. Der Althochdeutsche Tatian ist neben dem Althochdeutschen Isidor die zweite große Übersetzungsleistung aus der Zeit Karls des Großen.
Im Zusammenhang mit der politischen Situation ging im 10. Jahrhundert die Schriftlichkeit im Allgemeinen und die Produktion deutschsprachiger Texte im Besonderen zurück; ein erneutes Einsetzen einer deutschsprachigen Schriftlichkeit und Literatur ist ab etwa 1050 zu beobachten. Da sich die schriftliche Überlieferung des 11. Jahrhunderts in lautlicher Hinsicht deutlich von der älteren Überlieferung unterscheidet, bezeichnet man die Sprache ab etwa 1050 als Mittelhochdeutsch. Als Endpunkt der althochdeutschen Textproduktion wird oft auch der Tod Notkers in St. Gallen 1022 definiert.
Das Althochdeutsche ist eine synthetische Sprache.
Typisch für das Althochdeutsche und wichtig für das Verständnis bestimmter Formen in späteren Sprachstufen des Deutschen (wie die rückumlautenden schwachen Verben) ist der althochdeutsche Primärumlaut. Hierbei bewirken die Laute /i/ und /j/ in der Folgesilbe, dass /a/ zu /e/ umgelautet wird.
Charakteristisch für die althochdeutsche Sprache sind die noch vokalisch volltönenden Endungen (siehe Latein).
althochdeutsch | mittelhochdeutsch | neuhochdeutsch |
---|---|---|
mahhôn | machen | machen |
taga | tage | Tage |
dëmu/dëmo | dëm(e) | dem |
perga | bërge | Berge |
Die Abschwächung der Endsilben im Mittelhochdeutschen ab 1050 gilt als Hauptkriterium zur Abgrenzung der beiden Sprachstufen.
Das Substantiv hat vier Fälle (Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ) und Reste eines fünften (Instrumental) sind noch vorhanden. Man unterscheidet zwischen einer starken (vokalischen) und einer schwachen (konsonantischen) Deklination.
Numerus | Kasus | maskulin | feminin | neutral |
---|---|---|---|---|
Singular | Nom. | hano | zunga | hërza |
Akk. | hanon, -un | zungūn | hërza | |
Dat. | hanen, -in | zungūn | hërzen, -in | |
Gen. | ||||
Plural | Nom. | hanon, -un | zungūn | hërzun, -on |
Akk. | ||||
Dat. | hanōm, -ōn | zungōm, -ōn | hërzōm, -ōn | |
Gen. | hanōno | zungōno | hërzōno | |
Bedeutung | Hahn | Zunge | Herz |
Weitere Beispiele für maskuline Substantive sind stërno (Stern), namo (Name), forasago (Prophet), für feminine Substantive quëna (Frau), sunna (Sonne) und für neutrale ouga (Auge), ōra (Ohr).
Numerus | Person | Genus | Nominativ | Akkusativ | Dativ | Genitiv |
---|---|---|---|---|---|---|
Singular | 1. | ih | mih | mir | mīn | |
2. | dū | dih | dir | dīn | ||
3. | Maskulinum | (h)er | inan, in | imu, imo | (sīn) | |
Femininum | siu; sī, si | sia | iro | ira, iru | ||
Neutrum | iz | imu, imo | es, is | |||
Plural | 1. | wir | unsih | uns | unsēr | |
2. | ir | iuwih | iu | iuwēr | ||
3. | Maskulinum | sie | im, in | iro | ||
Femininum | sio | |||||
Neutrum | siu |
In der althochdeutschen Periode spricht man allerdings eher noch von dem Demonstrativpronomen, weil sich der bestimmte Artikel als ein grammatisches Phänomen erst im späten Althochdeutsch aus dem Demonstrativpronomen entwickelt hat.[9]
Kasus | Singular | Plural | ||||
---|---|---|---|---|---|---|
männlich | sächlich | weiblich | männlich | sächlich | weiblich | |
Nominativ | dër | daȥ | diu | dē, dea, dia, die | diu, (dei?) | deo, dio |
Akkusativ | dën | dea, dia (die) | ||||
Dativ | dëmu, -o | dëru, -o | dēm, dēn | |||
Genitiv | dës | dëra, (dëru, -o) | dëru | dëra |
Nominativ und Akkusativ sind im Plural recht willkürlich und von Dialekt zu Dialekt unterschiedlich, sodass eine explizite Trennung, welche dieser Formen ausdrücklich den Akkusativ und welche den Nominativ beschreibt, nicht möglich ist. Zudem kann man anhand dieser Aufstellung bereits einen langsamen Zusammenfall der verschiedenen Formen feststellen. Während es im Nominativ und Akkusativ Plural noch viele recht unregelmäßige Formen gibt, sind Dativ und Genitiv, sowohl im Singular als auch im Plural, relativ regelmäßig.
Auch bei den Verben wird zwischen einer starken (vokalischen) und einer schwachen Konjugation unterschieden. Die Zahl der schwachen Verben war zu jeder Zeit höher als die der starken Verben, aber die zweite Gruppe war im Althochdeutschen deutlich umfangreicher als heute. Neben diesen beiden Gruppen gibt es die Präteritopräsentien, Verben, welche mit ihrer ursprünglichen Präteritumsform eine Präsensbedeutung aufweisen.
Bei den starken Verben kommt es im Althochdeutschen zur Veränderung des Vokals im Grundmorphem, welches die lexikalische Bedeutung des Wortes trägt. Die Flexion (Beugung) der Wörter wird durch Flexionsmorpheme (Endungen) gekennzeichnet. Man unterscheidet im Althochdeutschen sieben verschiedene Ablautreihen, wobei die siebte nicht auf einen Ablaut, sondern auf Reduplikation zurückgeht.
Ablautreihe | Infinitiv | Präsens | Präteritum | Prät. Plural | Partizip | |
---|---|---|---|---|---|---|
I. | a | ī + Konsonant (weder h noch w) | ī | ei | i | i |
b | ī + h oder w | ē | ||||
II. | a | io + Konsonant (weder h noch Dental) | iu | ou | u | o |
b | io + h oder Dental | ō | ||||
III. | a | i + Nasal oder Konsonant | i | a | u | u |
b | e + Liquid oder Konsonant | o | ||||
IV. | e + Nasal oder Liquid | i | a | ā | o | |
V. | e + Konsonant | i | a | ā | e | |
VI. | a + Konsonant | a | uo | uo | a | |
VII. | ā, a, ei, ou, uo oder ō | ie | ie | wie Inf. |
Beispiele in rekonstruiertem und vereinheitlichtem Althochdeutsch:
Modus | Numerus | Person | Pronomen | Präsens | Präteritum |
---|---|---|---|---|---|
Indikativ | Singular | 1. | ih | wirfu | warf |
2. | dū | wirfis/wirfist | wurfi | ||
3. | er, siu, iz | wirfit | warf | ||
Plural | 1. | wir | werfemēs (werfēn) | wurfum (wurfumēs) | |
2. | ir | werfet | wurfut | ||
3. | sie, siu | werfent | wurfun | ||
Konjunktiv | Singular | 1. | ih | werfe | wurfi |
2. | dū | werfēs/werfēst | wurfīs/wurfīst | ||
3. | er, siu, iz | werfe | wurfi | ||
Plural | 1. | wir | werfēm (werfemēs) | wurfīm (wurfīmēs) | |
2. | ir | werfēt | wurfīt | ||
3. | sie, siu | werfēn | wurfīn | ||
Imperativ | Singular | 2. | wirf | ||
Plural | werfet | ||||
Partizip | werfanti / werfenti | giworfan |
Beispiel: werfan – wirfu – warf – wurfun – giworfan (nhd. werfen) nach der Ablautreihe III. b
Die schwachen Verben des Althochdeutschen lassen sich morphologisch und semantisch über ihre Endungen in drei Gruppen einteilen:
Verben mit der Endung -jan- mit kausativer Bedeutung (etwas machen, bewirken) sind für das Verständnis der im Mittelhochdeutschen sehr häufig und auch heute noch teilweise vorhandenen schwachen Verben mit Rückumlaut elementar, da hier das /j/ in der Endung den oben beschriebenen Primärumlaut im Präsens bewirkt.
Modus | Numerus | Person | Pronomen | Präsens | Präteritum |
---|---|---|---|---|---|
Indikativ | Singular | 1. | ih | zellu | zellita |
2. | dū | zellis | zellitos | ||
3. | er, siu, iz | zellit | zellita | ||
Plural | 1. | wir | zellumēs | zellitum | |
2. | ir | zellet | zellitut | ||
3. | sie, siu | zellent | zellitun | ||
Konjunktiv | Singular | 1. | ih | zele | zeliti |
2. | dū | zellēst | zelitīs | ||
3. | er, siu, iz | zele | zeliti | ||
Plural | 1. | wir | zelēm | zelitīm | |
2. | ir | zelēt | zelitīt | ||
3. | sie, siu | zelēn | zelitīn | ||
Imperativ | Singular | 2. | zel | ||
Plural | zellet |
Modus | Numerus | Person | Pronomen | Präsens | Präteritum |
---|---|---|---|---|---|
Indikativ | Singular | 1. | ih | mahhо̄m | mahhо̄ta |
2. | dū | mahhо̄s | mahhо̄tо̄s | ||
3. | er, siu, iz | mahhо̄t | mahhо̄ta | ||
Plural | 1. | wir | mahhо̄mēs | mahhо̄tum | |
2. | ir | mahhо̄t | mahhо̄tut | ||
3. | sie, siu | mahhо̄nt | mahhо̄tun | ||
Konjunktiv | Singular | 1. | ih | mahho | mahhо̄ti |
2. | dū | mahhо̄s | mahhо̄tīs | ||
3. | er, siu, iz | mahho | mahhо̄ti | ||
Plural | 1. | wir | mahhо̄m | mahhо̄tīm | |
2. | ir | mahhо̄t | mahhо̄tīt | ||
3. | sie, siu | mahhо̄n | mahhо̄tīn | ||
Imperativ | Singular | 2. | mahho | ||
Plural | mahhot |
Modus | Numerus | Person | Pronomen | Präsens | Präteritum |
---|---|---|---|---|---|
Indikativ | Singular | 1. | ih | sagēm | sagēta |
2. | dū | sagēs | sagētо̄s | ||
3. | er, siu, iz | sagēt | sagēta | ||
Plural | 1. | wir | sagēmēs | sagētum | |
2. | ir | sagēt | sagētut | ||
3. | sie, siu | sagēnt | sagētun | ||
Konjunktiv | Singular | 1. | ih | sage | sagēti |
2. | dū | sagēs | sagētīs | ||
3. | er, siu, iz | sage | sagēti | ||
Plural | 1. | wir | sagēm | sagētīm | |
2. | ir | sagēt | sagētīt | ||
3. | sie, siu | sagēn | sagētīn | ||
Imperativ | Singular | 2. | sage | ||
Plural | sagēt |
Das althochdeutsche Verb sīn ‚sein‘ wird als Verbum substantivum bezeichnet, weil es für sich allein stehen kann und ein Dasein von etwas beschreibt. Es zählt zu den Wurzelverben, welche zwischen Stamm- und Flexionsmorphem keinen Bindevokal aufweisen. Diese Verben werden auch als athematisch (ohne Binde- oder Themavokal) bezeichnet. Das Besondere an sīn ist, dass sein Paradigma suppletiv ist, also aus verschiedenen Verbstämmen gebildet wird (idg. *h₁es- ‚existieren‘, *bʰueh₂- ‚wachsen, gedeihen‘ und *h₂ues- ‚verweilen, wohnen, übernachten‘). Im Konjunktiv Präsens besteht weiterhin das auf *h₁es- zurückgehende sīn (die mit b-anlautenden Indikativformen gehen hingegen auf *bʰeh₂u- zurück), im Präteritum jedoch wird es durch das starke Verb wesan (nhd. war, wäre; vgl. auch nhd. Wesen) ersetzt, welches nach der fünften Ablautreihe gebildet wird.
Numerus | Person | Pronomen | Indikativ | Konjunktiv |
---|---|---|---|---|
Singular | 1. | ih | bim, bin | sī |
2. | dū | bist | sīs, sīst | |
3. | er, siu, ez | ist | sī | |
Plural | 1. | wir | birum, birun | sīn |
2. | ir | birut | sīt | |
3. | sie, sio, siu | sint | sīn |
Im Germanischen gab es lediglich zwei Tempora: Das Präteritum für die Vergangenheit und das Präsens für die Nicht-Vergangenheit (Gegenwart, Zukunft). Mit Einsetzen der Verschriftlichung und Übersetzungen aus dem Latein ins Deutsche begann man, deutsche Entsprechungen für die lateinischen Tempora wie Perfekt, Plusquamperfekt, Futur I und Futur II im Althochdeutschen zu entwickeln. Zumindest Ansätze für das haben- und sein-Perfekt lassen sich schon im Althochdeutschen ausmachen. Die Entwicklung wurde im Mittelhochdeutschen fortgeführt.
Die Rekonstruktion der Aussprache des Althochdeutschen basiert auf dem Vergleich der überlieferten Texte mit der Aussprache des heutigen Deutschen, deutscher Dialekte und verwandter Sprachen. Daraus ergeben sich folgende Ausspracheregeln:[10]
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